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Entscheidungen

Zivilrecht

Unfallschadenregulierung, Beurteilung Haftungsquote, wechselseitiges Verschulden, Aufklärungspflicht

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Stuttgart, Urt. v. 10.06.2025 – 6 U 151/24

Leitsatz des Gerichts:

Das erstinstanzliche Gericht übergeht bei der Beurteilung der Haftungsquoten eines Verkehrsunfalles den wesentlichen Vortrag einer Partei zum Grad des wechselseitigen Verschuldens, wenn es sich nicht mit der Frage auseinandersetzt, ob eines der Fahrzeuge bereits - ggf. auch längere Zeit - stand, als das andere erst anfuhr. Die Feststellung, dass beide Fahrzeuglenker ein erhebliches Verschulden treffe, enthebt das Gericht nicht der Notwendigkeit zu versuchen, den streitigen Unfallablauf anhand der angebotenen Zeugen vollständig aufzuklären.


In pp.

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Tübingen vom 29.11.2024 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Berufung, an das Landgericht zurückverwiesen.
2. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Streitwert des Berufungsverfahrens: bis 9.000,- €

Gründe

I.

Die Klägerin nimmt die Beklagte im Wege des Gesamtschuldnerausgleichs zwischen Kfz-Haftpflichtversicherungen für Schäden aus einem Verkehrsunfall am 17.04.2022 in R. in Höhe von 12.285,36 € in Anspruch.

Die Klägerin ist Kfz-Haftpflichtversicherer des Pkw VW Golf mit dem amtlichen Kennzeichen pp., das zum Zeitpunkt des Unfallereignisses vom Zeugen K. gefahren wurde.

Die Beklagte ist Kfz-Haftpflichtversicherer des Pkw Toyota Aygo, amtliches Kennzeichen pp. das zum Unfallzeitpunkt von der Zeugin M. gefahren wurde.

Die Klägerin begehrt von der Beklagten den Ausgleich von Zahlungen, welche die Klägerin als Kfz-Haftpflichtversicherer des Fahrzeugs VW Golf an den Eigentümer und die Insassin des Fahrzeugs Audi A6, amtliches Kennzeichen pp., das zum Unfallzeitpunkt vom Zeugen B. gefahren wurde, aufgrund des Verkehrsunfalls vom 17.04.2022 zu leisten hatte.

Der Zeuge K. befuhr am Unfalltag mit dem Fahrzeug VW Golf die linke Fahrspur der K.-Straße in R. in Richtung Innenstadt. Mit im Fahrzeug befand sich als Beifahrer der Zeuge A.. Auf der rechten Fahrspur befand sich das Fahrzeug Audi A6, das vom Zeugen B. gefahren wurde. Als Beifahrerin befand sich die Zeugin G. im Fahrzeug.

Die zulässige Höchstgeschwindigkeit an diesem Abschnitt der K.-Straße beträgt 50 km/h.

Die Fahrzeugführerin des Beklagtenfahrzeugs, die Zeugin M., fuhr in der Gegenrichtung, aus der Innenstadt kommend. Vor Beginn der baulichen Trennung in der Mitte der - dann - vier Fahrstreifen kam sie trotz einer sich dort befindlichen durchgezogenen doppelten Leitlinie auf die zweispurige Gegenfahrbahn. Die Zeugin M. befand sich also entgegen dem Zeugen K. auf dessen Fahrspur.

Die Klägerin trägt vor, der Zeuge K. habe, als er das ihm entgegenkommende Beklagtenfahrzeug erkannt habe, abrupt einen Fahrspurwechsel von der linken auf die rechte Fahrspur eingeleitet, um nicht mit dem Beklagtenfahrzeug zu kollidieren. Hierbei sei es zum Zusammenstoß mit dem Audi gekommen, der sich auf der rechten Fahrspur befunden hätte. Nur durch das Ausweichmanöver von links nach rechts habe der Zeuge K. eine Kollision mit dem Beklagtenfahrzeug vermeiden können.

Die Klägerin ist der Auffassung, der streitgegenständliche Verkehrsunfall sei ausschließlich von der Zeugin M. verursacht worden, sodass die Klägerin im Rahmen eines vorzunehmenden Gesamtschuldnerausgleichs im Innenverhältnis keine Haftung treffe und sämtliche Schäden von der Beklagten zu erstatten seien. Das Unfallereignis sei für den Zeugen K. unvermeidbar gewesen.

Die Klägerin hat beantragt:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von EUR 12.285,36 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 28.07.2023 zu bezahlen.

Die Beklagte hat beantragt
die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Auffassung, der Zeuge K. habe den Unfall seinerseits allein verursacht und verschuldet. Ein etwaiger Verursachungsbeitrag der Zeugin M. trete hinter dem schweren Verschulden des Zeugen K. zurück. Die Zeugin M. sei zwar auf die Gegenfahrbahn geraten, sie habe ihren Fehler jedoch schnell bemerkt und angehalten. Hierbei sei sie auf der aus Sicht des Zeugen K. linken Fahrspur zum Stehen gekommen. Während die Zeugin M. dort bereits gestanden habe, sei der Zeuge K. an der Ampel der Kreuzung mit der G.-Straße angefahren. Dieser habe stark beschleunigt und in kurzer Zeit eine Geschwindigkeit von 80 km/h erreicht. Der Zeuge K. habe das stehende Beklagtenfahrzeug frühzeitig erkennen können. Er habe durch Anhalten jedwede Kollision vermeiden können. Er sei unaufmerksam und viel zu schnell gewesen.

Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen K. und M. sowie durch ein schriftliches Gutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. (FH) B., das dieser in der mündlichen Verhandlung vom 05.11.2024 weiter mündlich erläutert hat. Die Akte der Staatsanwaltschaft Tübingen, Az. …, wurde beigezogen.

Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien in der ersten Instanz wird ergänzend auf die zur Akte gelangten Schriftsätze nebst Anlagen sowie den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.

Das Landgericht hat der Klage mit der Beklagten am 2. Dezember 2024 zugestelltem Urteil teilweise, in Höhe von 8.145,75 € nebst Zinsen, unter Zugrundelegung einer Haftungsverteilung von 1/3 zu 2/3 zu Lasten der Beklagten, stattgegeben und die Klage im Übrigen abgewiesen.

In der Abwägung der Verursachungsbeiträge sei einzustellen, dass die Zeugin M., da sie unerlaubterweise auf die Gegenfahrbahn gekommen sei, als „Geisterfahrerin“ die Hauptursache für den streitgegenständlichen Unfall gesetzt habe. Beim Zeugen K. sei wegen beträchtlicher Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit gleichfalls ein erhebliches Verschulden anzunehmen.

Der Grad des Verschuldens sei auf beiden Seiten etwa gleich hoch einzustufen, weshalb eine Haftungsverteilung von 1/3 zu 2/3 zu Lasten der Beklagten angemessen sei.

Eine Vernehmung der von der Beklagten angebotenen Zeugen B. und W. sei nicht geboten gewesen, da der Unfallhergang an sich (Befahren der Gegenfahrbahn durch die Zeugin M., Ausweichmanöver des Zeugen K., Kollision mit dem Pkw des Zeugen B.) unstreitig sei und sich die Verursachungs- und Verschuldensbeiträge aus dem Sachverständigengutachten ergäben.

Die Beklagte habe im Übrigen schon nicht substantiiert vorgetragen, weshalb eine Vernehmung der Zeugen W. und B. zu einer anderen rechtlichen Beurteilung Anlass geben könne, nachdem ein erhebliches Verschulden des Zeugen K. am Unfallgeschehen zur Überzeugung des Gerichts belegt sei. Nach den Angaben der Zeugen B. und W. im Ermittlungsverfahren, die im Wege des Urkundsbeweises verwertbar sein würden, sei dies auszuschließen.

Dagegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung vom 10. Dezember 2024, die sie nach verlängerter Frist mit Schriftsatz vom 3. März 2025 begründet hat. Sie ist weiterhin der Auffassung, der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs habe den streitgegenständlichen Verkehrsunfall alleine verursacht und verschuldet.

Das Landgericht begründe seine Entscheidung im Wesentlichen damit, dass die Zeugin M. entgegen der Fahrtrichtung gefahren sei. Der mit den Zeugen B. und W. unter Beweis gestellte Vortrag der Beklagten, die Zeugin M. sei vor der Entstehung des streitgegenständlichen Verkehrsunfalls bereits zum Stehen gekommen gewesen, sei fehlerhaft nicht berücksichtigt worden. Da das Landgericht von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen sei, sei auch die Haftungsabwägung fehlerhaft.

Die Beklagte verfolgt ihre erstinstanzlich beantragte gesamte Klageabweisung weiter und beantragt
das Urteil des Landgerichts Tübingen – 4 O 351/23 – vom 29.11.2024 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt
die Berufung zurückzuweisen.
Hilfsweise:
Das Ersturteil aufzuheben und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Die Klägerin teilt die Auffassung, dass der Rechtsstreit nicht entscheidungsreif gewesen sei und dass die Zeugen hätten vernommen werden müssen. Da die noch erforderliche Beweisaufnahme umfangreich sei, sei der Rechtsstreit zurückzuverweisen.

Wegen der Einzelheiten des Berufungsvorbringens wird auf die zur Akte gereichten Schriftsätze der Parteien Bezug genommen.

Mit Zustimmung der Parteien hat der Senat am 14.05.2025 gemäß § 128 Abs. 2 ZPO beschlossen, dass im schriftlichen Verfahren entschieden werden soll. Als Zeitpunkt, der dem Schluss der mündlichen Verhandlung entspricht und bis zu dem Schriftsätze eingereicht werden konnten, wurde der 27.05.2025 bestimmt (vgl. Bl. 45 ff. d. A. OLG).

II.

Auf die zulässige Berufung der Beklagten und den Antrag der Klägerin ist die Sache gemäß § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO an das Landgericht Tübingen zurückzuverweisen.

1. Nach § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO darf das Berufungsgericht die Sache, soweit ihre weitere Verhandlung erforderlich ist, unter Aufhebung des Urteils und des Verfahrens an das Gericht des ersten Rechtszugs zurückverweisen, soweit das Verfahren im ersten Rechtszug an einem wesentlichen Mangel leidet, auf Grund dieses Mangels eine umfangreiche oder aufwendige Beweisaufnahme notwendig ist und eine Partei - wie es hier der Fall ist - die Zurückverweisung beantragt.

Dabei liegt ein wesentlicher Verfahrensfehler in Gestalt einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör u. a. dann vor, wenn der Erstrichter den Kern des Parteivorbringens verkannt und daher eine entscheidungserhebliche Frage verfehlt oder einen wesentlichen Teil des Klagevortrags übergangen hat oder wenn Beweisanträge übergangen werden (Musielak/Voit/Ball, 22. Aufl. 2025, ZPO § 538 Rn. 13, beck-online, m. w. N. zur Rspr.; Zöller/Heßler, ZPO, 35. Aufl., § 538 Rn. 25). Ob ein Verfahrensfehler vorliegt, ist dabei vom materiellrechtlichen Standpunkt des Erstrichters aus zu beurteilen (vgl. wiederum Musielak/Voit/Ball, a. a. O., § 538 Rn. 8, beck-online, m. w. N.).

2. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.

Das Landgericht hat den für die Argumentation der Beklagten zentralen, streitigen und von beiden Parteien für ihre jeweilige Version unter Zeugenbeweis gestellten Vortrag in verfahrensfehlerhafter Weise übergangen, wonach die Zeugin M. bereits gestanden bzw. nach Behauptung der Klägerin noch nicht gestanden habe, als der Zeuge K. von der Ampel, an der er angehalten hatte, anfuhr (a)).

Gleichfalls übergangen hat das Landgericht den Beweisantritt der Beklagten mit den Zeugen B. und M., soweit das Landgericht der Zeugin M. ihre Darstellung nicht geglaubt hat, sie sei vor dem Unfall bereits ausgestiegen gewesen und habe den Zeugen K. durch Winken gewarnt (b)).

Diese Verfahrensmängel sind auch im erforderlichen Sinne für die Entscheidung kausal geworden (c)) und es wird eine umfangreiche und aufwendige Beweiserhebung erforderlich (d)).

a) Das Landgericht hat den wesentlichen Vortrag der Beklagten zum Grad des wechselseitigen Verschuldens auf Seiten der Zeugin M. und des Zeugen K. übergangen, indem es sich nicht mit der Frage auseinandergesetzt hat, ob die Zeugin M. bereits - ggf. auch längere Zeit - stand, als der Zeuge K. überhaupt erst an der Ampel anfuhr, an der er zuvor stand und ob der Zeuge K. sich insoweit - ggf. grob - unaufmerksam verhalten hat.

aa) Die Beklagte hatte von Anfang an als wesentlichen Gesichtspunkt ihrer auf eine vollständige Klagabweisung gerichteten Argumentation vorgetragen und betont, dass die Zeugin M. bereits zu einem Zeitpunkt angehalten gehabt habe, zu dem der Zeuge K. seinerseits noch nicht einmal von der Ampel, an der er zum Stehen gekommen war, angefahren gewesen sei.

Die Zeugin M. sei daher nicht wie eine auf der Gegenfahrbahn fahrende sog. Geisterfahrerin zu behandeln. Der Unfall stelle sich vielmehr nicht anders dar, als wäre der Zeuge K. aus Unachtsamkeit und wegen überhöhter Geschwindigkeit auf ein in umgekehrter Fahrtrichtung der Zeugin M. stehendes Fahrzeug so zugefahren, dass er letztlich nur noch auf die Zeugin M. oder den Zeugen B. auffahren konnte; das führe zu einer Alleinhaftung des Zeugen K..

bb) Diesen Vortrag und damit einen wesentlichen Teil des Vortrags der Beklagten hat das Landgericht in seinem Kern verkannt und übergangen.

(1) Das Landgericht hat im Hinblick auf einen Verkehrsverstoß der Zeugin M. ausschließlich darauf abgestellt, dass diese auf die Gegenfahrbahn geraten sei und damit gegen § 2 Abs. 2 StVG verstoßen habe (Urteil S. 6 unter 1.).

In der Abwägung der Verschuldensbeiträge hat es zu Lasten der Zeugin M. angenommen, dass diese die Hauptursache für den Unfall gesetzt habe, indem sie „immerhin ca. 60 m“ auf der Gegenfahrbahn zurückgelegt habe, ohne ihren Fahrfehler zu bemerken.

Damit übergeht das Urteil den für die Argumentation der Beklagten zentralen, streitigen und von beiden Parteien wechselseitig unter Zeugenbeweis gestellten Gesichtspunkt, dass das Verschulden der Zeugin M. dadurch entscheidend reduziert gewesen sei, dass die Zeugin bereits gestanden habe, als der Zeuge K. überhaupt erst angefahren sei; es habe sich nicht die in der „Geisterfahrt“ der Zeugin M. liegende Gefährlichkeit, sondern lediglich ausgewirkt, dass sie ein stehendes Hindernis auf der Fahrspur des Zeugen K. gebildet habe.

(2) Umgekehrt hat das Landgericht im Hinblick auf einen Verkehrsverstoß des Zeugen K. in der Abwägung der Verursachungsbeiträge maßgeblich (nur) auf dessen Geschwindigkeitsüberschreitung abgestellt (Urteil S. 8 unter cc)).

Auch damit übergeht das Urteil einen Kern der Argumentation der Beklagten, die ein wesentliches Verschuldenselement auf Seiten des Zeugen K. nicht nur in dessen Geschwindigkeitsüberschreitung, sondern auch und vor allem darin sieht, dass der Zeuge K. aufgrund - ggf. gröbster - Unachtsamkeit auf ein bereits längere Zeit vorhandenes, stehendes Hindernis zugefahren und in letzter Sekunde ausgewichen sei.

b) Darüber hinaus hatte sich die Beklagte die Einlassung der Zeugin M. im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 5.11.2024 zueigen gemacht, diese sei bereits ausgestiegen gewesen und habe durch Winken auf sich aufmerksam gemacht, als der Zeuge K. erst losgefahren sei; denn es ist zugrundezulegen, dass sich eine Partei die in einer Beweisaufnahme zutage tretenden ihr günstigen Umstände regelmäßig zumindest hilfsweise zu eigen macht (BGH, Beschluss vom 10. November 2009 – VI ZR 325/08 –, Rn. 5, juris). Davon ist erkennbar auch das Landgericht ausgegangen, das insoweit die Aussage der Zeugin gewürdigt, ihr jedoch nicht geglaubt hat (Urteil S. 8 unter bb)).

Die Beklagte hatte außerdem durch ausdrückliche Wiederholung ihres Beweisantritts bezüglich des gesamten Unfallhergangs am Ende der mündlichen Verhandlung (Prot. d. mdl. Vhdl. v. 5.11.2024, dort S. 8) diesen Beweisantritt erkennbar auf diesen Gesichtspunkt erstreckt.

aa) Vor diesem Hintergrund hat sich das Landgericht jedoch darauf beschränkt, der Zeugin im Hinblick auf fehlende Anhaltspunkte ihrer Darstellung in der Ermittlungsakte nicht zu glauben; den mit den beiden Zeugen angebotenen weiteren Beweis hat es nicht erhoben.

bb) Darin liegt gleichfalls ein wesentlicher Verfahrensfehler.

Dass sich für diese Darstellung der Zeugin in der Ermittlungsakte keine Stütze finde, wie das Landgericht ausführt, machte eine Beweiserhebung nicht entbehrlich, zumal der Zeuge B. im Ermittlungsverfahren als Beschuldigter keine Angaben gemacht hatte, jedoch nunmehr Angaben hätte machen müssen.

c) Die danach vorliegenden wesentlichen Verfahrensmängel sind auch im erforderlichen Sinne und unter Zugrundelegung des materiell-rechtlichen Standpunkts des Landgerichts für das Urteil kausal geworden.

aa) Denn es ist nicht ausgeschlossen, dass das Landgericht nach einer Vernehmung der von den Parteien wechselseitig hierfür benannten Zeugen zur Überzeugung gelangt wäre, dass die Zeugin M. bereits - u. U. längere Zeit - stand, als der Zeuge K. an der Ampel anfuhr, dieser mithin auf ein zum Zeitpunkt seines Anfahrens bereits stehendes Fahrzeug zugefahren wäre, mit der Folge, dass sich hieraus ein gegenüber der landgerichtlichen Beurteilung erheblich geringeres Verschulden der Zeugin M., ein anders zu gewichtendes Verschulden des Zeugen K. und insgesamt möglicherweise ein wesentliches Überwiegen des Unfallbeitrags des Zeugen K., aber jedenfalls eine andere Haftungsverteilung als 1/3 zu 2/3 zu Lasten der Beklagten ergeben hätte.

Das gilt auch unter Berücksichtigung der Erwägung des Landgerichts, die Beklagte habe im Hinblick auf den Beweisantritt mit den Zeugen B. und W. nicht zureichend vorgetragen, warum sich aus deren Angaben eine andere rechtliche Beurteilung ergeben sollte (Urteil S. 9 unter 4.). Denn gerade solcher Vortrag ist im Hinblick auf die Möglichkeit eines gegenüber der Beurteilung des Landgerichts geringeren Unfallbeitrags der Zeugin M. - die mit ihrem Fahrzeug möglicherweise bereits stand und möglicherweise durch Winken gewarnt hat - und eines gewichtigeren Beitrags des Zeugen K. - der nicht nur zu schnell gefahren, sondern sich grob unachtsam verhalten haben kann - von der Beklagten gehalten und vom Landgericht übergangen.

bb) Gleichfalls ist nicht ausgeschlossen, dass das Landgericht das Verschulden der Zeugin M. anders beurteilt hätte, wenn es den Beweis bezüglich der Behauptung, diese sei bereits ausgestiegen gewesen und habe durch Winken gewarnt, eingeholt hätte; aus seiner Beweiswürdigung der Aussage der Zeugin ergibt sich, dass das Landgericht diese Frage selbst für entscheidungserheblich gehalten hat.

d) Aufgrund der Verfahrensmängel ist die Durchführung einer umfangreichen und aufwendigen Beweisaufnahme erforderlich (vgl. zu den Voraussetzungen Zöller/Heßler, a. a. O., § 538 Rn. 31).

Im Hinblick auf die für den Grad des Verschuldens sowohl der Zeugin M. wie des Zeugen K. erhebliche Frage, ob die Zeugin M. bereits - u. U. längere Zeit - stand und u. U. durch Winken gewarnt hat, als der Zeuge K. überhaupt erst anfuhr, sind die wechselseitig von den Parteien für diese Fragen benannten Zeugen W., B., G., Ko. und A. zu vernehmen. Auch werden die Aussagen der vom Landgericht bereits vernommenen Zeugen M. und K. zum Stehen des Fahrzeugs in die abschließend vorzunehmende Würdigung mit einzubeziehen und u. U. zu ergänzen sein. Ggf. können die im Rahmen der Zeugenvernehmungen festgestellten Anknüpfungstatsachen auch eine ergänzende sachverständige Beurteilung erforderlich machen.

3. Ob das Berufungsgericht statt eigener Sachentscheidung die Zurückverweisung wählt, steht bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen in dessen pflichtgemäßem Ermessen.

Dabei ist insbesondere der mit der Zurückverweisung verbundene zusätzliche Zeit- und Kostenaufwand gegen den Verlust einer Tatsacheninstanz abzuwägen (vgl. BGH, Urteil vom 15. März 2000 – VIII ZR 31/99 –, Rn. 13, juris; vgl. zu den maßgeblichen Kriterien allgemein auch Althammer in: Stein/Jonas, ZPO, 23. Auflage 2018, § 538, Rn. 14; Zöller/Heßler, a. a. O., § 538 Rn. 6).

Im vorliegenden Fall ist danach der Durchführung einer Beweisaufnahme durch das Landgericht der Vorzug vor einer eigenen Beweisaufnahme des Berufungsgerichts zu geben. Das Interesse an einer schnelleren Erledigung gegenüber dem Verlust einer Tatsacheninstanz überwiegt nicht, zumal auch die Klägerin der Auffassung ist, dass der Rechtsstreit erstinstanzlich nicht entscheidungsreif war und daher zurückzuverweisen sei. Darüber hinaus würde im Fall einer Beweisaufnahme durch den Senat naheliegend auch die Vernehmung der vom Landgericht bereits vernommenen Zeugen erforderlich werden, während das Landgericht u. U. die bereits vorhandenen Aussagen würdigen kann.

III.

Das Urteil ist für vorläufig vollstreckbar zu erklären (vgl. Zöller/Heßler, a. a. O., § 538 Rn. 59). Die Kostenentscheidung ist dem erstinstanzlichen Urteil vorbehalten (vgl. Zöller/Heßler, a. a. O., § 538 Rn. 58).

Anlass, die Revision zuzulassen, besteht nicht (vgl. § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO).

Der Streitwert ist, nachdem sich die Beklagte gegen ihre erstinstanzliche Verurteilung zur Zahlung von 8.145,75 € wendet, auf bis 9.000,00 € festzusetzen.


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