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Entscheidungen

OWi

Beschlussverfahren, Widerspruch, konkludenter Widerspruch

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Zweibrücken, Beschl. v. 28.05.2025 – 1 ORbs 4 SsBs 67/24

Leitsatz des Gerichts:

1. Ein Widerspruch im Sinne von § 72 Abs. 1 OWiG kann auch konkludent durch schlüssiges Verhalten erklärt werden.
2. Ob in einer Äußerung des Betroffenen oder seines Verteidigers ein Widerspruch im Sinne von § 72 Abs. 1 S. 1 OWiG zu sehen ist, ist unter Berücksichtigung des konkreten Falls, des wirklichen Willens des Betroffenen und der Reichweite seiner abgegebenen Erklärung sowie dem Gebot eines fairen Verfahrens festzustellen, wobei unter mehreren möglichen Erklärungsinhalten der für den Erklärenden günstigste anzunehmen ist.


In pp.

1. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss des Amtsgerichts Landstuhl vom 08.10.2024 (3 OWi 4211 Js 13660/24) mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Landstuhl zurückverwiesen.

Gründe

I.

Gemäß amtsrichterlicher Verfügung vom 18.09.2024 wurde dem Betroffenen unter Fristsetzung mitgeteilt, dass seitens des Gerichts nach § 72 Abs. 1 OWiG beabsichtigt sei, ohne Hauptverhandlung über den Einspruch gegen den Bußgeldbescheid zu entscheiden, wenn diesem Verfahren nicht widersprochen werde. Zugleich wurde der Betroffene darauf hingewiesen, dass sollte eine Hauptverhandlung durchgeführt werden müssen, er damit rechnen müsse, dass ein vorsätzlicher Verstoß anzunehmen sei und die Geldbuße dann auf 1.000,00 Euro verdoppelt werde, was bei einer Entscheidung durch Beschluss nicht möglich sei. Dieses Schreiben wurde dem Betroffenen am 20.09.2024 zugestellt. Mit einem am selben Tage bei Gericht eingegangenen Schriftsatz des Verteidigers vom 04.10.2024 teilte dieser – erneut – mit, dass er die Verteidigung des Betroffenen übernommen habe und wiederholte seinen Antrag auf Gewährung von Akteneinsicht. Hinsichtlich der Mitteilung des Gerichts betreffend die Entscheidung im Beschlusswege teilte er mit, dass „eine Einschätzung und Stellungnahme erst nach der Gewährung von Akteneinsicht möglich“ sei.

Durch Beschluss vom 08.10.2024 wurde gegen den Betroffenen wegen Führens eines Kraftfahrzeugs unter Wirkung des berauschenden Mittels THC (4,7 ng/ml) eine Geldbuße in Höhe von 500,00 Euro festgesetzt und ein einmonatiges Fahrverbot verhängt. In den Gründen wurde unter anderem ausgeführt, dass der Betroffene dem Hinweis des Gerichts nach § 72 OWiG nicht binnen der gesetzlichen Frist widersprochen habe. Im Schreiben des Verteidigers vom 04.10.2024 sei kein Widerspruch enthalten.

Mit Hinausgabe des Beschlusses wurde dem Verteidiger Akteneinsicht gewährt. Gegen den dem Betroffenen am 10.10.2024 zugestellten Beschluss hat der Verteidiger am 14.10.2024 Rechtsbeschwerde eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 25.10.2024 begründet. Er rügt die Verletzung förmlichen und sachlichen Rechts und regt an, das Verfahren auszusetzen und dieses im Rahmen einer konkreten Normenkontrolle dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen. Er hält § 24a StVG für verfassungswidrig. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Rechtsbeschwerde als unbegründet zu verwerfen.

Der Einzelrichter des Senats hat die Sache mit Beschluss vom 28.05.2025 gemäß § 80a Abs. 3 und 1 OWiG dem Senat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.

II.

Die gemäß § 79 Abs. 1 S. 1 Nrn. 1, 2 und 5 OWiG statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde führt im Hinblick auf die gemäß § 79 Abs. 3 OWiG, §§ 344, 345 StPO zulässig erhobene Verfahrensrüge zu einem – vorläufigen – Erfolg. Das Amtsgericht durfte nicht ohne Hauptverhandlung durch Beschluss gemäß § 72 Abs. 1 S. 1 OWiG entscheiden, weil der Betroffene – durch seinen Verteidiger – einem solchen Verfahren (konkludent) widersprochen hatte.

Gemäß § 72 Abs. 1 S. 1, 2 OWiG kann ein Gericht, wenn es eine Hauptverhandlung nicht für erforderlich hält, durch Beschluss entscheiden, wenn es Staatsanwaltschaft und Betroffenen auf diese Möglichkeit hingewiesen hat und diese einem solchen Verfahren nicht binnen zwei Wochen nach Zustellung des Hinweises widersprechen. Zwar kann ein Widerspruch auch bereits im Vorverfahren oder mit Einlegung des Einspruchs erklärt werden (vgl. Senat, Beschluss vom 06.03.1989 – 1 Ss 42/89, juris, Rn. 1 ff.; Senat, Beschluss vom 24.07.2018 – 1 OWi 2 SsBs 54/18, juris, Rn. 4 f.; KG, Beschluss vom 07.11.2023 – 3 ORbs 222/23122 Ss 104/22, juris, Rn. 7; OLG Hamm, Beschluss vom 27.11.2003 – 1 Ss OWi 740/03, juris, Rn. 5; OLG Koblenz, Beschluss vom 11.10.1990 – 2 Ss 360/90, in: NStZ 1991, S. 191 f. (191), beck-online; KG, Beschluss vom 09.12.2021 – 3 Ws (B) 337/21 – 162 Ss 162/21, juris, Rn. 4; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 06.11.1973 – 3 Ss (B) 130/73, in: Die Justiz 1974, S. 29; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 10.01.1977 – 1 Ss (B) 495/76, in: Die Justiz 1977, S. 207 f. (208); BayObLG, Beschluss vom 27.07.1994 – 2 ObOWi 351/94, juris, Rn. 3; Hanseatisches OLG Bremen, Beschluss vom 04.09.2014 – 1 SsBs 42/14, BeckRS 2014, 23000, Rn. 7), allerdings versteht es sich von selbst, dass der bloßen Einspruchseinlegung keine das Beschlussverfahren sperrende Widerspruchserklärung beigemessen werden kann (vgl. KG, Beschluss vom 07.11.2023 – 3 ORbs 222/23122 Ss 104/22, juris, Rn.11).

Ein nach § 72 Abs. 1 S. 1 OWiG beachtlicher Widerspruch liegt aber nicht nur dann vor, wenn die Ablehnung des Beschlussverfahrens eindeutig und endgültig zum Ausdruck gebracht wird. Vielmehr ist bereits ein Verhalten des Betroffenen als Widerspruch zu werten, das nicht als – zumindest stillschweigendes – Einverständnis zu der beabsichtigten Verfahrensweise angesehen werden kann (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28.10.1981 – 5 Ss OWi 367/81 – 49/81 V, in: VRS 62, S. 291 ff. (292); OLG Hamm, Beschluss vom 08.04.1971 – 3 Ss OWi 211/71, in: VRS 41, S. 143 f.; OLG Hamm, Beschluss vom 27.11.2003 – 1 Ss OWi 740/03, juris, Rn. 4; s.a. BGH, Beschluss vom 12.11.1970 – 1 StR 263/70, juris, Rn. 20). Ein solcher Widerspruch kann daher nach herrschender Rechtsprechung auch durch schlüssiges Verhalten, also konkludent, erklärt werden (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 06.11.1973 – 3 Ss (B) 130/73, in: Die Justiz 1974, S. 29; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 07.12.1979 – 1 Ss 327/79, in: VRS 59, S. 136 (137); OLG Hamm, Beschluss vom 11.05.1979 – 1 Ss OWi 1110/79, juris, Rn. 2; OLG Koblenz, Beschluss vom 11.10.1990 – 2 Ss 360/90, in: NStZ 1991, S. 191 f. (191), beck-online; KG, Beschluss vom 07.11.2023 – 3 ORbs 222/23122 Ss 104/22, juris, Rn. 8; OLG Hamm, Beschluss vom 08.04.1971 – 3 Ss OWi 211/71, in: VRS 41, S. 143 f.; Hanseatisches OLG Bremen, Beschluss vom 04.09.2014 – 1 SsBs 42/14, BeckRS 2014, 23000, Rn. 7). Dies kann auch dann der Fall sein, wenn eine formale Einverständniserklärung zu einer Entscheidung im Beschlusswege vorliegt (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 07.12.1979 – 1 Ss 327/79, in: VRS 59, S. 136 (137)).

Von einem Einverständnis in diesem Sinne kann – auch wenn der Betroffene keinen ausdrücklichen Widerspruch erklärt hat – jedoch nicht ausgegangen werden, wenn die Umstände des Einzelfalles es als möglich erscheinen lassen, dass der Betroffene eine mündliche Verhandlung bzw. eine weitere Klärung des Tathergangs wünscht (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28.10.1981 – 5 Ss OWi 367/81 – 49/81 V, in: VRS 62, S. 291 ff. (292); OLG Karlsruhe, Beschluss vom 06.11.1973 – 3 Ss (B) 130/73, in: Die Justiz 1974, S. 29; OLG Hamm, Beschluss vom 27.11.2003 – 1 Ss OWi 740/03, juris, Rn. 4; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 07.12.1979 – 1 Ss 327/79, in: VRS 59, S. 136 ff. (137); KG, Beschluss vom 07.11.2023 – 3 ORbs 222/23122 Ss 104/22, juris, Rn. 8; BayObLG, Beschluss vom 30.10.1996 – 2 ObOWi 744/96, juris, Rn. 7; OLG Koblenz, Beschluss vom 11.10.1990 – 2 Ss 360/90, in: NStZ 1991, S. 191 f. (191), beck-online; Hanseatisches OLG Bremen, Beschluss vom 04.09.2014 – 1 SsBs 42/14, BeckRS 2014, 23000, Rn. 7) oder die Tat substantiiert bestreitet und sich hierfür auf Zeugen beruft (vgl. Hanseatisches OLG Bremen, Beschluss vom 04.09.2014 – 1 SsBs 42/14, BeckRS 2014, 23000, Rn. 7 f.; BayObLG, Beschluss vom 30.10.1996 – 2 ObOWi 744/96, juris, Rn. 7; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 07.12.1979 – 1 Ss 327/79, in: VRS 59, S. 136 ff. (137)). Ob ein konkludenter Widerspruch bereits darin zu sehen ist, dass der Betroffene lediglich den Tatvorwurf bestreitet (so wohl OLG Hamm, Beschluss vom 11.05.1979 – 1 Ss OWi 1110/79, juris, Rn. 3; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 10.01.1977 – 1 Ss (B) 495/76, in: Die Justiz 1977, S. 207 f. (208); a.A. BayObLG, Beschluss vom 30.10.1996 – 2 ObOWi 744/96, juris, Rn. 7; KG, Beschluss vom 07.11.2023 – 3 ORbs 222/23122 Ss 104/22, juris, Rn. 8 f.), kann hier dahinstehen.

Die Annahme eines konkludenten Widerspruchs ist jedoch nicht nur auf solche Fallgestaltungen begrenzt. Ob in einer Äußerung des Betroffenen oder seines Verteidigers ein Widerspruch im Sinne von § 72 Abs. 1 S. 1 OWiG zu sehen ist, ist unter Berücksichtigung des konkreten Falls, des wirklichen Willens des Betroffenen und der Reichweite seiner abgegebenen Erklärung sowie dem Gebot eines fairen Verfahrens festzustellen, wobei unter mehreren möglichen Erklärungsinhalten der für den Erklärenden günstigste anzunehmen ist (vgl. KG, Beschluss vom 07.11.2023 – 3 ORbs 222/23122 Ss 104/22, juris, Rn. 8; OLG Hamm, Beschluss vom 27.11.2003 – 1 Ss OWi 740/03, juris, Rn. 4; OLG Koblenz, Beschluss vom 11.10.1990 – 2 Ss 360/90, in: NStZ 1991, S. 191 f. (191), beck-online; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 10.01.1977 – 1 Ss (B) 495/76, in: Die Justiz 1977, S. 207 f. (208); OLG Karlsruhe, Beschluss vom 07.12.1979 – 1 Ss 327/79, in: VRS 59, S. 136 (137); Hanseatisches OLG Bremen, Beschluss vom 04.09.2014 – 1 SsBs 42/14, BeckRS 2014, 23000, Rn. 7; s.a. OLG Bamberg, Beschluss vom 17.03.2016 – 3 Ss OWi 360/16, juris, Rn. 4 zu Bedingungen und Anregungen bei Abgabe einer Erklärung).

Im vorliegenden Fall konnte angesichts der Mitteilung des Verteidigers, dass eine „Einschätzung und Stellungnahme“ zu der seitens des Amtsgerichts beabsichtigten Verfahrensweise – einer Entscheidung im Beschlusswege – „erst nach der Gewährung von Akteneinsicht möglich“ sei, nur dahin ausgelegt werden, dass einer Entscheidung im Beschlusswege – zumindest zum damaligen Zeitpunkt – nicht zugestimmt werde (vgl. die Fallgestaltungen bei OLG Hamm, Beschluss vom 08.04.1971 – 3 Ss OWi 211/71, in: VRS 41, S. 143 f.; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28.10.1981 – 5 Ss OWi 367/81 – 49/81 V, in: VRS 62, S. 291 ff.). Hierin ist ein konkludent erklärter Widerspruch zu sehen. Das Amtsgericht durfte daher unter den gegebenen Umständen nicht zum Nachteil des Betroffenen von einem Einverständnis mit dem Beschlussverfahren ausgehen.

Der angefochtene Beschluss war daher aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung – auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens – an das Amtsgericht zurückzuverweisen. Für die Verweisung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts bestand keine Veranlassung.

Auf die Frage, ob das Amtsgericht angesichts des Umstandes, dass vor Beschlusserlass keine Akteneinsicht gewährt worden war, auch den Verteidiger förmlich auf die Möglichkeit des § 72 Abs. 1 OWiG hätte hinweisen müssen (vgl. BGH, Beschluss vom 07.07.1970 – 5 StR 230/70, juris, Rn. 10 f.), kommt es angesichts des vorstehend Ausgeführten nicht an.

Vorsorglich weist der Senat unter Bezugnahme auf die Anregung des Verteidigers darauf hin, dass er – was Voraussetzung für ein Verfahren gemäß Art. 100 Abs. 1 GG ist – nicht von der Verfassungswidrigkeit von § 24a StVG in der derzeit geltenden Fassung überzeugt ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26.02.2020 – 1 BvL 1/20, juris, Rn. 10; BVerfG, Beschluss vom 10.05.1988 – 1 BvL 8/82, 1 BvL 9/82, juris, Rn. 19; s.a. BVerfG, Urteil vom 20.03.1952 – 1 BvL 12/51, 1 BvL 15/51, 1 BvL 16/51, 1 BvL 24/51, 1 BvL 28/51, juris, Rn. 17).


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