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Entscheidungen

StPO

Ergänzungspflegschaft, "Kind", notwendige Verstandesreife, 16-Jähriger

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Karlsruhe, Beschl. v. 10.04.2025 – 2 WF 33/25

Leitsatz des Gerichts:

Die Anordnung einer Ergänzungspflegschaft für die Vertretung des Kindes in einem Ordnungswidrigkeitsverfahren kommt nicht in Betracht, wenn das Kind aufgrund seines Altes - hier fast 16 Jahre alt - über die notwendige Verstandesreife verfügt, um über die Wahrnehmung des ihm zustehenden Zeugnisverweigerungsrechts selbst entscheiden zu können.


In pp.

1. Auf die Beschwerden des Pfleglings und seiner Eltern wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Karlsruhe vom 10.02.2025 (Az. 23 F 45/25) aufgehoben.
2. Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben, außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
3. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf € 2.000,00 festgesetzt.

Gründe

I.

Die Beschwerdeführer wenden sich gegen die Anordnung einer Ergänzungspflegschaft für die Vertretung des Kindes in einem Ordnungswidrigkeitsverfahren.

Unter dem 30.01.2025 regte der für das Verfahren 10 OWi 710 Js 26361/24 (AG Karlsruhe) zuständige Richter beim Familiengericht die Bestellung eines Ergänzungspflegers an und führte hierzu aus:

„Das Verfahren betrifft eine Ordnungswidrigkeit bezüglich der Nichterbringung eines Immunitätsnachweises nach dem IfSG. Die Eltern behaupten vorliegend, dass sich das Kind nicht impfen lassen wolle. Es wurde beantragt, das Kind in der Hauptverhandlung zu vernehmen. Das Kind müsste hier gegebenenfalls gegen seine Eltern aussagen. Der Verteidiger der Betroffenen hat zwar die Bestellung eines Verfahrenspflegers beantragt, allerdings hält das Gericht hier die Ergänzungspflegschaft für die einschlägige Form der Betreuung des Kindes im Verfahren.“

Mit Beschluss vom 10.02.2025 kam das Familiengericht dieser Anregung nach, indem es für das betroffene Kind eine Ergänzungspflegschaft anordnete und das Jugendamt des Landkreises Karlsruhe zum Ergänzungspfleger mit dem Wirkungskreis „Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts gemäß § 52 StPO sowie des Untersuchungsverweigerungsrechts gemäß § 81 c Abs. 3 StPO“ bestellte. Die Entscheidung beruhe auf § 1809 Abs. 1 BGB. Die beschuldigte Mutter sei als gesetzliche Vertreterin gemäß § 52 Abs. 2 S. 2 StPO von der Vertretung im Hinblick auf die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts ausgeschlossen. Selbiges gelte für den sorgeberechtigten Vater. Das Kind sei nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht anzuhören, auch sei kein Verfahrensbeistand zu bestellen. Von der Anhörung der Eltern sei nach § 160 Abs. 3 FamFG wegen Gefährdung des Untersuchungszwecks abgesehen worden.

Gegen den ihm am 12.02.2025 zugestellten Beschluss wendet sich der Betroffene mit seiner am 04.03.2025 beim Amtsgericht eingegangenen Beschwerde. Er sei 15, bald 16 Jahre alt und damit offenkundig in der Lage, selbst über die Ausübung des Zeugnis- und Untersuchungsverweigerungsrechts zu entscheiden. Insbesondere verfüge er insoweit über die notwendige geistige Reife und Einsichtsfähigkeit. Eine Vertretung durch seine Eltern komme, weil es an der Voraussetzung der „mangelnden Verstandesreife“ fehle, von vornherein nicht in Betracht. Da das Bußgeldverfahren gegen seinen Vater mit Beschluss vom 02.12.2024 eingestellt worden sei, wäre auch jedenfalls der Vater in der Lage, ihn zu vertreten. Soweit der Beschluss auch zur Beweissicherung ergangen sei, ziele dieser auf die Umgehung des ihm zustehenden Zeugnis- und Untersuchungsverweigerungsrechts. Zudem hätte seine Aussagebereitschaft überprüft werden müssen.

Auch der Vater hat gegen den ihm am 12.02.2025 zugestellten Beschluss mit am 04.03.2025 beim Amtsgericht eingegangenen Schreiben zunächst persönlich „Widerspruch“ eingelegt.

Das Amtsgericht half der Beschwerde mit Beschluss vom 06.03.2025 nicht ab. Die Prüfung der Verstandesreife obliege dem Strafrichter. Hinsichtlich der gemeinsam sorgeberechtigten Eltern liege ein gesetzlicher Vertretungsausschluss vor.

Beide Eltern haben alsdann anwaltlich vertreten gegen den ihnen am 12.02.2025 zugestellten Beschluss mit am 10.03.2025 beim Amtsgericht eingegangenen Schriftsatz auch nochmals gemeinsam Beschwerde eingelegt und diese wie folgt begründet:

Die Voraussetzungen für eine Ergänzungspflegschaft lägen nicht vor. Es mangele offensichtlich an der von § 52 Abs. 2 S. 2 StPO vorausgesetzten mangelnden Verstandesreife des Betroffenen. Der Betroffene werde bald 16 Jahre alt, wobei die notwendige Verstandesreife bereits ab 14 Jahren gemeinhin als gegeben angesehen werde. Soweit sich der Beschluss auch auf das Untersuchungsverweigerungsrecht nach § 81c Abs. 3 StPO erstrecke, stehe den Eltern hier zumindest ein Mitspracherecht zu, das in ungerechtfertigter Weise beschränkt werde. Weiterhin bleibe offen, was mit der Bestellung eines Ergänzungspflegers „zur Beweissicherung“ bezweckt werden solle. Weiterhin entziehe sich der Verzicht auf eine Anhörung der Beschwerdeführer gemäß § 160 Abs. 3 FamFG vollständig ihrem Verständnis. Weder sei ersichtlich, was in dem gegen die Mutter geführten Bußgeldverfahren zu Az.: 10 OWi 710 Js 26361/24 des Amtsgerichts Karlsruhe, Gegenstand einer Untersuchung des Sohnes sein soll, noch, woraus auch Monate nach Abschluss des Bußgeldverfahrens gegen den Beschwerdeführer zu 1), welches mit Beschluss vom 02.12.2024 eingestellt wurde und den gleichen Lebenssachverhalt betraf, Gefahr im Verzug hergeleitet werden soll.

Die Eltern beantragen,
den Beschluss des Amtsgerichts Karlsruhe vom 10.02.2025 zu Az.: 23 F 42/25 aufzuheben.

Der Senat hat mit Verfügung der Vorsitzenden vom 10.03.2025 Hinweise zur Rechtslage erteilt und darauf hingewiesen, schriftlich entscheiden zu wollen (§ 68 Abs. 3 FamFG). Hierauf haben die Beschwerdeführer weiter ausgeführt. Zuletzt erhielten Jugendamt und Ergänzungspfleger Gelegenheit, zu dem Beschwerdevorbringen und dabei insbesondere zu der Frage der Verstandesreife Stellung zu nehmen. Hiervon wurde kein Gebrauch gemacht.

Der Senat hat die Akte 10 OWi 710 Js 26361/24 (AG Karlsruhe) beigezogen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die hereingereichten Schriftsätze und den Akteninhalt im Übrigen Bezug genommen.

II.

1. Die Beschwerde der Eltern ist nach §§ 11 Abs. 1 RPflG, 58 ff. FamFG zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt. Aufgrund des durch den angefochtenen Beschluss erfolgten Eingriffs in deren Sorgerecht liegt auch die erforderliche Beschwerdebefugnis vor.

Auch die Beschwerde des Kindes ist zulässig. Unabhängig von der Frage, ob die Bestellung des Ergänzungspflegers das eigene Bestimmungsrecht des Kindes überhaupt berührt, weil die Entscheidung des Ergänzungspflegers im Fall der Verstandesreife bzw. der Aussageverweigerung wirkungslos bliebe (BGH, Beschluss vom 22.04.2020 - XII ZB 477/19 -, juris, Rn. 25), folgt die Beschwerdeberechtigung jedenfalls unter dem Gesichtspunkt, dass auch das Kind ein Recht auf (sorgerechtliche) Vertretung durch seine Eltern hat (vgl. Feskorn, in: Zöller, Zivilprozessordnung, 35. Auflage 2024, § 59 FamFG Rn. 5 a). Nach § 60 FamFG kann das mindestens 14-jährige Kind in allen seine Person betreffenden Angelegenheiten ohne Mitwirkung seines gesetzlichen Vertreters das Beschwerderecht ausüben.

Einer Abhilfeentscheidung hätte es allerdings in der vorliegenden Familiensache nicht bedurft. Eine solche ist nach § 68 Abs. 1 S. 2 FamFG auch für Entscheidungen des Rechtspflegers nicht vorgesehen.

2. Die Beschwerden sind begründet.

a) Ergänzungspflegerbestellung für das Zeugnisverweigerungsrecht

aa) Rechtsgrundlage für die Pflegereinsetzung insoweit ist § 1809 Abs. 1 S. 1 BGB i.V.m. §§ 161a, 52 Abs. 2 S. 2 StPO. Gemäß § 1809 Abs. 1 S. 1 BGB erhält, „wer unter elterlicher Sorge ... steht, für Angelegenheiten, an deren Besorgung die Eltern verhindert sind, einen Pfleger." Die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts bzw. die Erteilung der Genehmigung für eine Aussage ist gemäß § 52 Abs. 1 StPO eine Angelegenheit, die der Besorgung der Eltern unterliegt, wenn und soweit „Minderjährige wegen mangelnder Verstandesreife ... von der Bedeutung des Zeugnisverweigerungsrechts keine genügende Vorstellung" haben. Denn dann dürfen sie gemäß § 52 Abs. 1 StPO nur vernommen werden, „wenn sie zur Aussage bereit sind und auch ihr gesetzlicher Vertreter der Vernehmung zustimmt" (§ 52 Abs. 1 S. 1 StPO). § 52 Abs. 2 S. 2 StPO regelt weiter: „Ist der gesetzliche Vertreter selbst Beschuldigter, so kann er über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts nicht entscheiden; das gleiche gilt für den nicht beschuldigten Elternteil, wenn die gesetzliche Vertretung beiden Eltern zusteht." Liegen die Voraussetzungen des § 52 Abs. 2 S. 2 StPO vor, sind die Eltern kraft Gesetzes von der Vertretung des Kindes im Hinblick auf dessen Zeugnisverweigerungsrecht ausgeschlossen und es ist dann gemäß § 1809 Abs. 1 S. 1 BGB zwingend ein Ergänzungspfleger zu bestellen (vgl. Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Beschluss vom 13. August 2019 - 2 WF 102/19 -, juris, Rn. 18, und Beschluss vom 8. Mai 2019 - 2 WF 31/19 -, juris, Rn. 17, bestätigt durch BGH, Beschluss vom 22.04.2020 - XII ZB 477/19 -, juris, Rn. 27).

Nach Vorstehendem sind daher sowohl die Mutter als Beschuldigte wie auch der Vater als mitsorgeberechtigter Elternteil grundsätzlich von der gesetzlichen Vertretung ausgeschlossen.

bb) Voraussetzung für die Einrichtung einer Ergänzungspflegschaft ist weiter, dass dem betroffenen Kind die notwendige Verstandesreife fehlt, um über die Wahrnehmung des ihm zustehenden Zeugnisverweigerungsrechts selbst entscheiden zu können.

Das Familiengericht ist dabei an die Beurteilung der Strafverfolgungsbehörden zur Verstandesreife gebunden, es sei denn, es läge eine offensichtliche Fehleinschätzung vor (Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Beschluss vom 08. Mai 2019 – 2 WF 31/19 –, juris, Rn. 17 mwN; Schöpflin, in: BeckOGK, Stand: 15.03.2025, § 1809 BGB Rn. 47 mwN).

Entsprechend ist die Anordnung einer Ergänzungspflegschaft im Fall der offensichtlich bestehenden Verstandesreife zwecklos und dann abzulehnen (BGH, Beschluss vom 22.04.2020 - XII ZB 477/19 -, juris, Rn. 28).

So liegt der Fall hier.

Es besteht zwar keine feste Altersgrenze, ab der eine Verstandesreife stets angenommen oder abgelehnt werden könnte. Der BGH hat entschieden, dass bei einem sieben Jahre alten Kind eine notwendige Verstandesreife in der Regel nicht besteht (BGHSt 14, 159, 162), bei Jugendlichen ab 14 Jahren diese demgegenüber in der Regel anzunehmen ist (BGHSt 20, 234). Im Zweifel ist nach der Rechtsprechung des BGH vom Fehlen der notwendigen Verstandesreife auszugehen (BGHSt 19, 85; 23, 221).

Der Betroffene ist bereits 15 Jahre alt und wird am 01.06.2025 16 Jahre alt. Anhaltspunkte dafür, dass er nicht über die notwendige Verstandesreife im Sinne des § 52 Abs. 2 S. 2 StPO verfügen könnte, sind nicht ersichtlich und wurden auch von dem Jugendamt bzw. Ergänzungspfleger des Kindes nicht vorgetragen.

bb) Untersuchungsverweigerungsrecht

Hinsichtlich des Untersuchungsverweigerungsrechts gem. § 81c Abs. 3 StPO gilt das zum Zeugnisverweigerungsrecht Ausgeführte entsprechend. Wegen des Verweises in § 81c Abs. 3 S. 3 StPO auf die Regelung in § 52 Abs. 2 StPO ist auch diesbezüglich keine Ergänzungspflegschaft einzurichten.

3. Der Senat kann nach § 68 Abs. 3 FamFG schriftlich entscheiden. Die Beteiligten wurden schriftlich angehört, einer persönlichen Anhörung der Eltern oder des Kindes bedurfte es auch im Beschwerdeverfahren ebensowenig wie der Bestellung eines Verfahrensbeistands für das Kind (BGH, Beschluss vom 22.04.2020 - XII ZB 477/19 -, juris, Rn. 33 ff.; BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 31.03. 2020 – 1 BvR 2392/19 –, juris, Rn. 30).

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 FamFG. Es handelt sich um kein kontradiktorisches, sondern um ein allein im Sinne des Kindes geführtes Verfahren, weshalb es billig erscheint, von der Erhebung von Gerichtskosten abzusehen und es im Übrigen bei dem Grundsatz zu belassen, dass außergerichtliche Kosten nicht erstattet werden.

Die Festsetzung des Verfahrenswertes für das Beschwerdeverfahren beruht auf §§ 40, 46 Abs. 2 FamGKG.

Die Zulassung der Rechtsbeschwerde ist nicht veranlasst, § 70 Abs. 2 FamFG.


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