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Entscheidungen

Zivilrecht

Unfallschadenregulierung, Schadensberechnung, Zweitunfall, erneute Abrechnung auf Totalschadenbasis

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Ellwangen, Urt. v. 14.05.2025 - 1 S 94/24

Leitsatz des Gerichts:

1. Der Sachschaden nach einem Zweitunfall ist in konsequenter Durchführung der Differenzhypothese durch Vergleich des Restwerts vor und nach dem Zweitunfall zu ermitteln.
2. Überzahlungen der Schädiger infolge des Erstunfalls hat sich der Geschädigte dabei ohne Verstoß gegen das sog. Bereicherungsverbot nicht auf seinen Schadensersatzanspruch infolge des Zweitunfalls anrechnen zu lassen.


In pp.

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Neresheim vom 02.10.2024, Az. 1 C 91/23, im Kostenausspruch (Ziffer 2.) wie folgt abgeändert:
Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 64 %, die Beklagten als Gesamtschuldner 36 %. Die durch die Anrufung des Amtsgerichts Nördlingen entstandenen Mehrkosten trägt der Kläger.
Die weitergehende Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagten haben als Gesamtschuldner die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Dieses Urteil und das unter Ziffer 1 genannte Urteil des Amtsgerichts Neresheim sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf bis zu 1.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Die Parteien streiten über Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall.

Am 15.11.2022 gegen 09:55 Uhr befuhr die Tochter des Klägers mit dem vorgeschädigten Fahrzeug Audi A4, amtliches Kennzeichen xxx - x xxxx (im Folgenden: „Klägerfahrzeug“), die A.- Straße in Utzmemmingen von Trochtelfingen kommend in nordöstliche Fahrtrichtung.

An der Kreuzung A.-Straße / L.-Straße fuhr die Beklagte zu 3.) mit dem Fahrzeug VW Golf, amtliches Kennzeichen xx - xx xxxx (im Folgenden: „Beklagtenfahrzeug“), aus der L.-Straße in die vorfahrtsberechtigte A.-Straße ein, ohne auf das zur Vorfahrt berechtigte Klägerfahrzeug zu achten.

Es kam auf der Kreuzung zur linksseitigen Kollision mit dem Klägerfahrzeug, welches bereits im Jahr 2020 einen Schaden an eben jener linken hinteren Fahrzeugseite erlitten hatte (vgl. das Vorschadensgutachten vom 13.09.2020 unter Anlage K11 zur AG-Akte).

Das Klägerfahrzeug wurde nach dem Zweitunfall vom Kläger für den Restwert in Höhe von 1.455,00 EUR verkauft.

Für den Vorschaden hatte der Kläger im Jahr 2020 bereits von der K.-Versicherung Schadensersatz auf Totalschadenbasis in Höhe von 2.300,00 EUR (= Wiederbeschaffungswert gemäß Vorschadensgutachten in Höhe von 3.500,00 EUR minus vorgeblicher Restwert in Höhe von 1.200,00 EUR) erhalten.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 11.01.2023 wurde die Beklagte zu 2.) vom Kläger zur Zahlung von Schadensersatz unter Hinweis auf vorgeblich reparierte Vorschäden aufgefordert (Anlage K7 zur AG-eAkte).

Eine Zahlung der Beklagten erfolgte vorgerichtlich jedoch nicht.

Der Kläger hat erstinstanzlich behauptet, dass durch die Kollision die im eingeholten Privatgutachten der D. vom 25.11.2022 genannten Schäden am Klägerfahrzeug entstanden seien. Altschäden im überlagernden Bereich hätten nicht bestanden. Der Wiederbeschaffungswert würde 4.200,00 EUR brutto betragen.

Der Kläger war erstinstanzlich der Ansicht, dass ihm die Beklagten zum Schadensersatz auf Totalschadenbasis inkl. Sachverständigen- und vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten verpflichtet seien.

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,
1. Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, 3.709,61 € nebst 5% Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 12.02.2023 zu bezahlen.
2. Die Beklagten werden weiterhin gesamtschuldnerisch verurteilt an den Kläger außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 453,87 € nebst 5% Zinsen seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.

Die Beklagten hatten erstinstanzlich beantragt,
die Klage abzuweisen.

Die Beklagten hatten erstinstanzlich behauptet, dass durch die Zweitkollision kein weiterer Schaden am Klägerfahrzeug entstanden sei, zumal die vorhandenen Schäden mit der Zweitkollision nicht kompatibel seien. Der Wiederbeschaffungswert würde sich auf unter 3.500,00 EUR brutto belaufen.

Die Beklagten waren erstinstanzlich der Ansicht, dass sie mangels Schadensvertiefung an der linken hinteren Fahrzeugseite nicht zur Zahlung von Schadensersatz verpflichtet seien.

Das Amtsgericht Neresheim hat der Klage nach Einholung eines Schadensgutachtens des Sachverständigen Dipl.-Ing. K. in Höhe von 1.245,00 EUR nebst Unfallpauschale, vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten und Zinsen mit Urteil vom 02.10.2024 stattgegeben. Das Klägerfahrzeug hätte nach den sachverständigen Feststellungen im Jahr 2020 lediglich oberflächliche, nicht reparierte Verkratzungen an der linken hinteren Seite erlitten und sei nach dem Vorunfall noch uneingeschränkt verkehrs- und betriebssicher gewesen, was nach dem streitgegenständlichen Unfall nicht mehr der Fall gewesen sei, sodass aus technischer Sicht durch den Zweitunfall ein Mehrschaden entstanden sei. Der Wiederbeschaffungswert würde ausweislich des eingeholten Sachverständigengutachtens 2.700,00 EUR betragen, sodass sich abzüglich des Restwerts in Höhe von 1.455,00 EUR ein Schadensbetrag in Höhe von 1.245,00 EUR ergeben würde. Hinzu käme die Unfallpauschale in Höhe von 25,00 EUR. Die Kosten des Klägers für die Erstellung des aufgrund der gegenüber dem Privatsachverständigen verschwiegenen Vorschäden unbrauchbaren Privatgutachtens seien hingegen von den Beklagten nicht zu erstatten.

Hiergegen wenden sich die Beklagten mit ihrer Berufung. Sie tragen vor, dass das Amtsgericht zu Unrecht einen Schaden beim Kläger angenommen hätte. Die unbewusste Überzahlung der K.-Versicherung infolge des Erstunfalls in Höhe von 1.500,00 EUR hätte auf den Schadensersatzanspruch des Klägers aus dem Zweitunfall angerechnet werden müssen, da der Kläger ansonsten unter Verstoß gegen das sog. Bereicherungsverbot am Zweitunfall verdienen würde. Entgegen der Annahme des Amtsgerichts sei auch keine klare Abgrenzung zwischen Alt- und Neuschaden möglich.

Die Beklagten beantragen,
Das Urteil des Amtsgerichts Neresheim vom 02.10.2024 - Aktenzeichen 1 C 91/23 - wird, soweit der Klage stattgegeben wurde, aufgehoben und die Klage insgesamt abgewiesen.

Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf das erstinstanzliche Urteil sowie auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Die Parteien haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung mit Schriftsätzen vom 14.04.2025 und 23.04.2025 zugestimmt.

II.

Die zulässige Berufung ist in der Hauptsache unbegründet (dazu 1.). Lediglich die amtsgerichtliche Kostenentscheidung war abzuändern (dazu 2.).

1.) Zu Recht hat das Amtsgericht die Beklagten gesamtschuldnerisch zur Zahlung von 1.245,00 EUR zzgl. Unfallpauschale, Zinsen und entsprechender vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten verurteilt.

Der Anspruch des Klägers Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 1.245,00 EUR ergibt sich aus §§ 7 Abs. 1 bzw. 18 StVG, hinsichtlich der Beklagten zu 2.) i.V.m. § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG.

a) Zu Recht kam das Amtsgericht im Ausgangspunkt zu der Überzeugung im Sinne von § 286 ZPO, dass durch den streitgegenständlichen Zweitunfall ein neuer technischer wie rechnerischer sowie kompatibler Schaden am Klägerfahrzeug entstanden ist, der sich auf 1.245,00 EUR beziffern lässt (ausführlich zur hier vorliegenden Konstellation „nicht reparierte Altschäden im überlagernden und nicht überlangernden Bereich: Nugel, ZfS 2020, 490; Maschwitz, NZV 2024, 268; Almeroth in: Schadensersatz/ders., 1. Aufl. 2023, Rn. 637 ff. m.d.N.).

So hat der Sachverständige Dipl.-Ing. K. in der Sitzung des Amtsgerichts Neresheim vom 24.07.2024 ein Schadensgutachten mit folgenden Ergebnissen erstattet (Bl. 105 ff. d. AG-eAkte):

- Die Beschädigungen an den beiden unfallbeteiligten Fahrzeugen seien mit dem streitgegenständlichen Unfall hinsichtlich Lage und Intensität kompatibel, sie würden insbesondere an beiden Fahrzeugen jeweils bis in eine statische Höhe von 74 cm reichen.
- Der Vorschaden am Klägerfahrzeug aus dem Jahr 2020 sei nicht repariert worden, andernfalls wären auf den aktuellen Lichtbildern vom Klägerfahrzeug Instandsetzungsspuren zu erwarten.
- Nach dem Unfall im Jahr 2020 sei das Klägerfahrzeug noch uneingeschränkt verkehrs- und betriebssicher gewesen, sodass durch den streitgegenständlichen Unfall aus technischer Sicht ein zusätzlicher Schaden eingetreten sei. So hätte die hintere linke Tür des Klägerfahrzeugs nach dem ersten Unfall nur lackiert, nach dem zweiten Unfall ausgetauscht werden müssen. Darüber hinaus sei (nur) beim zweiten Unfall das Rad hinten links beaufschlagt und die Heckverkleidung seitlich links verkratzt worden.
- Der im Jahr 2020 vom damaligen Privatgutachter angegebene Restwert des Klägerfahrzeugs in Höhe von 1.200,00 EUR brutto sei nicht nachvollziehbar, was allein schon die Tatsache zeige, dass das (unreparierte) Klägerfahrzeug nach dem streitgegenständlichen Zweitunfall für 1.455,00 EUR brutto weiterverkauft wurde. Der Wiederbeschaffungswert hätte nach dem Erstunfall im Hinblick auf die seinerzeit weiterhin gegebene Verkehrs- und Betriebssicherheit sowie die bloß optischen Schäden 2.700,00 EUR betragen.

Dieses amtsgerichtliche Beweisergebnis ist für die Kammer gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO bindend. Lediglich in eng begrenzten Fällen, insbesondere wenn Rechtsfehler im Rahmen der Beweiswürdigung nach § 286 ZPO vorliegen, etwa Beweismaß oder Beweislast verkannt werden, einzelne beweiswürdigende Darlegungen nachvollziehbarer Grundlage entbehren oder ganz fehlen, gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstoßen wird oder Verfahrensfehler unterlaufen sind, wäre der Kammer eine Nachprüfung der Beweiswürdigung möglich. Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall, insbesondere hat das Amtsgericht den Sachverständigen entgegen der Ansicht der Beklagten nicht falsch verstanden. Auf dessen oben dargestellte überzeugende Argumentation kann vollumfänglich verwiesen werden.

b) Da der Restwert des Klägerfahrzeugs ausweislich des eingeholten Sachverständigengutachtens K. nach dem Erstunfall richtigerweise 2.700,00 EUR, nach dem Zweitunfall unstrittig 1.455,00 EUR betrug, hat das Amtsgericht die Beklagten in konsequenter Durchführung der Differenzhypothese folglich zu Recht u.a. zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 1.245,00 EUR verurteilt (vgl. Zur, DAR 2024, 442 [442], wonach, wenn das Fahrzeug bereits vor dem Unfall ein wirtschaftlicher Totalschaden war, nur ein Schaden bestehen kann, wenn der Restwert durch den Unfall noch weiter herabgesetzt wurde).

Entgegen der Ansicht der Beklagten war dieses Ergebnis nicht deshalb unter Wertungsgesichtspunkten zu korrigieren, weil der Kläger - wie sich nun anhand des überzeugenden Schadensgutachtens des Sachverständigen Kast herausgestellt hat - von der K.-Versicherung infolge des Erstunfalls eine Überzahlung in Höhe von 1.500,00 EUR erhalten hatte.

Abgesehen davon, dass die (unbewusste) Überzahlung der K.-Versicherung aus dem Jahr 2020 und der Zweitunfall - wie das Amtsgericht richtig ausführt - in keinerlei Zusammenhang stehen, hatte die Zahlung der K.-Versicherung (unstrittig) nicht den Zweck, künftige Haftpflichtversicherer von ihrer Schadensersatzpflicht zu entlasten, weswegen sich der Kläger im hiesigen Haftpflichtfall die seinerzeitige Überzahlung nicht anrechnen zu lassen hat (vgl. die Rechtsprechungsübersichten zu den Kriterien einer Vorteilsanrechnung bei: BeckOGK/Brand, 1.3.2022, BGB § 249 Rn. 294 ff.; MüKoBGB/Oetker, 9. Aufl. 2022, BGB § 249 Rn. 233 ff.).

c) Ein Entfallen des Schadensersatzanspruchs nach § 242 BGB für den hiesigen Fall des Verschweigens bzw. Leugnens von überlagernden, unreparierten Altschäden wird von der oberlandesgerichtlichen Rechtsprechung einhellig abgelehnt (Rechtsprechungsübersicht bei Almeroth, a.a.O., Rn. 648), da dem deutschen Zivilrecht derartige Strafgedanken fremd sind (Zur, a.a.O., [445] m.d.N.).

2.) Die unzutreffende Kostenentscheidung des Amtsgerichts war zu korrigieren.

Das Berufungsgericht kann die erstinstanzliche Kostenentscheidung mit Rücksicht auf §§ 308 Abs. 2, 525 Satz 1 ZPO auch unabhängig von dahingehenden Berufungsangriffen von Amts wegen korrigieren, wobei das Verbot der reformatio in peius im Kostenpunkt keine Anwendung findet (vgl. Zöller/Heßler, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 528 Rn. 35; BeckOK ZPO/Jaspersen, 56. Ed. 1.3.2025, ZPO § 97 Rn. 21 ff.).

Dementsprechend war die Kostenentscheidung wie tenoriert abzuändern, da der Kläger richtigerweise unter Einschluss der Nebenforderung (vgl. MüKoZPO/Schulz, 7. Aufl. 2025, ZPO § 92 Rn. 4) nur zu 64 % unterlegen war. Im Übrigen hat das Amtsgericht die Vorschrift des § 281 Abs. 3 S. 2 ZPO übersehen.

III.

1.) Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

2.) Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.


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