Gericht / Entscheidungsdatum: AG Landstuhl, Urt. v. 03.06.2025 - 2 OWi 4211 Js 4445/25
Eigener Leitsatz:
1. Das nicht auf einer amtlichen Anordnung beruhende Verkehrszeichen kann unter keinem Gesichtspunkt eine Grundlage für eine bußgeldrechtliche Ahndung darstellen.
2. Eine Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um mehr als 40 % stellt im Hinblick auf die Wahrnehmung der Fahrgeschwindigkeit regelmäßig ein verlässliches Indiz für zumindest bedingt vorsätzliches Handeln dar.
2 OWi 4211 Js 4445/25
Amtsgericht Landstuhl
Im Namen des Volkes
Urteil
In dem Bußgeldverfahren
gegen pp.
Verteidiger
wegen Verkehrsordnungswidrigkeit
hat das Amtsgericht Landstuhl aufgrund der Hauptverhandlung vom 03.06.2025, an der teilgenommen haben:
Richter am Amtsgericht
als Bußgeldrichter
Rechtsanwalt
als Verteidiger
für Recht erkannt:
1. Der Betroffene wird wegen vorsätzlicher Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 640 € verurteilt.
2. Dem Betroffenen wird für die Dauer von 1 Monat verboten, Kraftfahrzeuge jeder Art im Straßenverkehr zu führen.
Das Fahrverbot wird erst wirksam, wen der Führerschein nach Rechtskraft dieses Urteils in amtliche Verwahrung gelangt, spätestens jedoch mit Ablauf von 4 Monaten seit Eintritt der Rechtskraft.
3. Der Betroffene trägt die Kosten des Verfahrens sowie seine notwendigen Auslagen.
Angewendete Vorschriften:
§ 3 Abs. 3 lit. c Satz 1, § 49 Abs. 1 Nr. 3 StVO, §§ 24, 25 StVG, § 3 Abs. 4a, § 4 Abs. 1 Satz 1
Nr. 1 BKatV, Nr. 11.3.7 BKat
Gründe:
Dem Betroffenen ist mit Bußgeldbescheid der zentralen Bußgeldstelle bei dem Polizeipräsidium Rheinpfalz vom 04.02.2025 zur Last gelegt worden, die durch Verkehrszeichen 274-70 angeordnete zulässige Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h außerhalb geschlossener Ortschaften fahrlässig um 71 km/h überschritten zu haben. Die gemessene Geschwindigkeit habe nach Abzug der Toleranz 141 km/h betragen. Dieser Vorwurf hat indes nur im tenorierten Umfang eine Bestätigung in der Hauptverhandlung gefunden.
Der Erörterung bedarf insoweit lediglich noch das Folgende:
Die Fahrereigenschaft des Betroffenen sowie die Richtigkeit des Messergebnisses sind vorliegend nicht angezweifelt worden und stehen aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme zur Überzeugung des Gerichts fest. Indes kann dem Betroffenen lediglich der Vorwurf einer (allerdings vorsätzlichen) Überschreitung der außerhalb geschlossener Ortschaften gem. § 3 Abs. 3 lit. c Satz 1 StVO zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h um 41 km/h (nach Toleranzabzug) gemacht werden, weil die im Tatzeitpunkt durch Verkehrszeichen 274-70 angeordnete zulässige Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h nicht befolgungspflichtig war.
Aus einer E-Mail der Kreisverwaltung Kaiserslautern (Fachbereich 3.3, Verkehrswesen) vom 13.05.2025 an das erkennende Gericht ergibt sich, dass für die verfahrensgegenständliche Geschwindigkeitsbegrenzung keine verkehrsbehördliche Anordnung existiert.
Bei Regelungen durch Verkehrszeichen handelt es sich nach mittlerweile allgemeiner Auffassung um Verwaltungsakte in Gestalt von Allgemeinverfügungen (§ 35 Satz 2 VwVfG). Ob es sich bei einem Verkehrszeichen, dem keine verkehrsbehördliche Anordnung zugrundeliegt, mangels Handelns einer Behörde (§ 1 Abs. 4 VwVfG) um einen Nichtakt (Scheinverwaltungsakt) handelt, der schon aus diesem Grund keine Rechtswirkungen entfalten kann, oder „lediglich" um einen nichtigen Verwaltungsakt i.S.d. § 44 VwVfG, der gern. § 1 Abs. 1 LVwVfG RP i.V.m. § 43 Abs. 3 VwVfG nicht befolgungspflichtig ist, kann vorliegend im Ergebnis dahinstehen. Für einen Nichtakt würde zwar sprechen, dass das aufgestellte Verkehrszeichen nicht den Verwaltungsakt selbst, sondern lediglich dessen Bekanntgabe nach Maßgabe von § 39 Abs. 1, § 45 Abs. 4 StVO darstellt, sodass diese ins Leere geht, wenn es bereits an dem ihr zugrundeliegenden Verwaltungsakt fehlt. Für eine „bloße" Nichtigkeit könnte andererseits aber sprechen, dass es sich bei einem Verkehrszeichen, das zwar auf behördliche Veranlassung hin aufgestellt, jedoch von dieser nicht wirksam angeordnet wurde, um eine der Straßenverkehrsbehörde zurechenbare Maßnahme handeln könnte, bei der aufgrund der äußeren Gestaltungsform nach dem objektiven Empfängerhorizont vom Vor-liegen der Merkmale des § 35 VwVfG ausgegangen werden kann, sodass diese als (zumindest formeller) Verwaltungsakt angesehen werden muss (vgl. etwa BVerwG, NVwZ 2012, 506 (507)). Da in Rechtsprechung und Literatur anerkannt ist, dass nicht behördlich angeordnete Verkehrs-zeichen nicht befolgungspflichtig sind (vgl. etwa VGH Mannheim, ESVGH 60, 160 (161 ff.) m.w.N.; OLG Zweibrücken, VerkMitt 1977 Nr. 5; VG Koblenz, Urt. v. 16.04.2007 — 4 K 1022/06.KO, juris Rn. 20; Rebler, DAR 2010, 377 (380 f.); Sauthoff, Öffentliche Straßen, 3. Aufl. 2020, Rn. 1115), kommt es im Ergebnis auf die genaue Einordnung im vorliegenden Fall nicht an. Das nicht auf einer amtlichen Anordnung beruhende Verkehrszeichen kann unter keinem Gesichtspunkt eine Grundlage für eine bußgeldrechtliche Ahndung darstellen.
Soweit der Betroffene im Hinblick auf die innere Tatseite eingewendet hat, sich seiner Fahrgeschwindigkeit nicht bewusst gewesen zu sein, handelt es sich hierbei zur Überzeugung des Gerichts um eine Schutzbehauptung. Eine Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um mehr als 40 % stellt im Hinblick auf die Wahrnehmung der Fahrgeschwindigkeit regelmäßig ein verlässliches Indiz für zumindest bedingt vorsätzliches Handeln dar (OLG Zweibrücken, ZfSch 2020, 591 (592); DAR 2022, 401 = ZfSch 2022, 592 f.). Das Gericht ist auch nicht nach dem Zweifelssatz verpflichtet, eine nicht eindeutig widerlegbare Einlassung eines Betroffenen ungeprüft zu übernehmen, sondern hat diese anhand der festgestellten objektiven Tatumstände auf ihre Nachvollziehbarkeit zu prüfen und mit dem Beweisergebnis im Übrigen in eine Gesamtwürdigung einzustellen. Angesichts des mit 41 km/h bzw. 41 % der zulässigen Höchstgeschwindigkeit immer noch erheblichen sowohl absoluten als auch relativen Ausmaßes der Geschwindigkeits-überschreitung kann dem Betroffenen aufgrund der Fahrgeräusche, der Fahrzeugvibration und der Schnelligkeit, mit der sich die Umgebung änderte, nicht verborgen geblieben sein, dass seine Fahrgeschwindigkeit jedenfalls oberhalb der außerhalb geschlossener Ortschaften abseits von Autobahnen und Kraftfahrstraßen generell für Pkw gültigen Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h lag.
Die Rechtfolgenbemessung entspricht dem Regelsatz nach der Bußgeldkatalogverordnung (§ 3 Abs. 4a, § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 BKatV, Nr. 11.3.7 BKat). Zu einem Abweichen von diesem Regelsatz hat kein Anlass bestanden (§ 17 Abs. 3 OWiG). Insbesondere hat auch kein Anlass bestanden, das hiernach indizierte Fahrverbot in Wegfall zu bringen oder von diesem gegen angemessene Erhöhung der Geldbuße (§ 4 Abs. 4 BKatV) abzusehen.
Die Entscheidung über das Wirksamwerden des Fahrverbots beruht auf § 25 Abs. 2a StVG. Die Kostenentscheidung findet ihre Grundlage in § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 465 Abs. 1 StPO.
Von einer weitergehenden Begründung wird gern. § 77b OWiG abgesehen.
Einsender: RA H. Schneider, Kaiserslautern
Anmerkung: