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Entscheidungen

StPO

Abwesenheitsverhandlung, Verwerfungsurteil, Berufungseinlegungsfrist, Beginn

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Celle, Beschl. v. 11.05.2025 - 2 Ws 334/24

Leitsatz des Gerichts:

Fehlt es dem Verteidiger, nachdem er erklärt hatte, mangels Absprache mit der Angeklagten nicht als ihr Vertreter aufzutreten, an der erforderlichen Verteidigungsbereitschaft, bestimmt sich die Berufungseinlegungsfrist gegen das Verwerfungsurteil nicht nach § 314 Abs. 2, 2. HS. StPO, sondern nach § 314 Abs. 2, 1. HS StPO.


Oberlandesgericht Celle

Beschluss

In der Strafsache

gegen pp.

wegen Urkundenfälschung

hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Landgericht am 11. Februar 2025 beschlossen:

Auf die sofortige Beschwerde der Angeklagten wird der Beschluss des Landgerichts Lüneburg vom 13.11.2024 (Aktenzeichen: 39 NBs/8106 Js 9377/23 (78/24)) aufgehoben und die Sache an das Landgericht Lüneburg zurückverwiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen der Angeklagten im Beschwerdeverfahren trägt die Landeskasse.

Gründe:

I.

Die Angeklagte wendet sich mit ihrer sofortigen Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts, mit dem ihre Berufung als unzulässig, weil verspätet eingelegt, verworfen worden ist.

Die Staatsanwaltschaft Lüneburg erhob am 26.02.2024 Anklage zum Amtsgericht – Strafrichter – Celle, mit der sie der Angeklagten zur Last legt, im Mai 2023 in einer Apotheke in W./A. einer Mitarbeiterin ein gefälschtes Attest für Schlafmittel vorgelegt zu haben. Das Amtsgericht beraumte daraufhin Termin zur Hauptverhandlung auf den 13.06.2024 an. Nachdem der Angeklagten die entsprechende Ladung zugegangen war, wandte sie sich mit zwei Schreiben vom 26.04. sowie vom 11.06.2024 an das Amtsgericht und teilte diesem mit, dass sie nicht zur Hauptverhandlung erscheinen werde. Letzterem Schreiben war eine als „psychiatrisch-fachärztliches Attest“ bezeichnete Bescheinigung beigefügt, der sich entnehmen lässt, dass sich die Angeklagte seit Februar 2024 in ambulant-psychiatrischer Behandlung befinde und dass sie aufgrund der aktuellen Symptomatik bis auf weiteres nicht in der Lage sei, vor Gericht zu erscheinen. Die Bescheinigung enthielt weder nähere Ausführungen zu der vermeintlichen Erkrankung noch eine Diagnose.

Nachdem die Angeklagte zum ersten anberaumten Termin trotz ordnungsgemäßer Ladung – wie angekündigt – nicht erschien, erließ das Amtsgericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft gegen sie nach § 408a StPO einen Strafbefehl mit einer Geldstrafe. Nachdem dieser der Angeklagten am 20.06.2024 zugestellt wurde, legitimierte sich mit Schriftsatz vom selben Tag der Verteidiger der Angeklagten unter Vorlage einer Strafprozessvollmacht und legte Einspruch gegen den Strafbefehl ein. Daneben legte der Verteidiger abermals das bereits von der Angeklagten eingereichte Attest vor.

Nachdem durch den Verteidiger in der Folge ein weiteres, gynäkologisches Attest vorgelegt worden war, aus dem sich eine anstehende Operation ergab, terminierte das Amtsgericht die Sache weitläufig auf den 03.09.2024. Dabei ordnete der Vorsitzende mit der Ladungsverfügung das persönliche Erscheinen der Angeklagten an. Nachdem der Angeklagten auch diese Ladung ordnungsgemäß zugegangen war, erschien sie am 30.08.2024 persönlich auf der Geschäftsstelle des Amtsgerichts und überreichte dort ein Schreiben, mit dem sie abermals erklärte, nicht an der Verhandlung teilzunehmen. Dieses Schreiben versah die Angeklagte mit dem Hinweis, dass ihr Verteidiger Bescheid wisse und sie vertreten werde. Dem Schreiben fügte sie abermals eine auf den 11.06.2024 datierte ärztliche Bescheinigung bei, wonach sie auch am 03.09.2024 nicht in der Lage sei, bei Gericht auszusagen. Auch dieses Schreiben enthielt weder nähere Ausführungen zur Art der Erkrankung noch eine Diagnose.

Nach Aufruf der Sache am 03.09.2024 stellte das Amtsgericht ausweislich des Protokolls fest, dass zwar der Verteidiger der Angeklagten erschienen war, diese selbst jedoch nicht. Nachdem sowohl das Schreiben der Angeklagten vom 30.08.2024 als auch das Attest vom 11.06.2024 verlesen worden waren, erklärte der Verteidiger, dass die Angeklagte zwar eine formularmäßige Vollmacht unterschrieben habe, die auch ihre Vertretung in Abwesenheit umfasse. Ihr Nichterscheinen am heutigen Tage sei jedoch in keiner Weise mit ihm abgesprochen, weshalb er heute für sie keine Angaben zur Person oder zur Sache machen könne. Nachdem das Amtsgericht eine Viertelstunde zugewartet hatte und die Angeklagte auch nach erneutem Aufruf der Sache weiterhin nicht erschienen war, stellte das Amtsgericht fest, dass die Angeklagte zum Termin ordnungsgemäß geladen wurde. Die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft beantragte daraufhin die Verwerfung des Einspruchs gegen den Strafbefehl. Der Verteidiger stellte keinen Antrag. Sodann verwarf das Amtsgericht den Einspruch gegen den Strafbefehl. Am 04.09.2024 verfügte der Vorsitzende die Zustellung des Verwerfungsurteils an den Verteidiger sowie die formlose Übersendung an die Angeklagte. In dem Urteil heißt es, dass die Angeklagte trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht zur Hauptverhandlung erschienen sei und auch nicht durch einen Vertreter mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht vertreten worden sei. Das Nichterscheinen der Angeklagten im Haupthandlungstermin sei nicht mit dem Verteidiger abgesprochen gewesen. Ferner wird eine Erklärung des Verteidigers wiedergegeben, dass dieser deshalb keine Erklärungen zur Person und zur Sache machen könne und nicht als Vertreter der Angeklagten auftrete.

Das Urteil wurde dem Verteidiger am 10.09.2024 zugestellt. Am 16.09.2024 ging sodann ein auf den 10.09.2024 datiertes Schreiben der Angeklagten beim Amtsgericht ein, mit dem diese ihren Unmut gegen das ergangene Urteil ausdrückte und welches das Amtsgericht als Berufung auslegte.

Nachdem die Sache in der Folge beim Landgericht Lüneburg einging, wies der Vorsitzende der Berufungskammer die Angeklagte mit Schreiben vom 14.10.2024 darauf hin, dass er die Berufung für verspätet eingelegt und damit unzulässig erachte. Der Angeklagten wurde eine Frist zur Stellungnahme binnen einer Woche eingeräumt. Die Angeklagte nahm daraufhin mit Schreiben vom 17.10.2024 Stellung. Der Verteidiger teilte unter dem 24.10. 2024 mit, dass er die Interessen der Angeklagten nicht mehr vertrete, weil diese das Mandat gekündigt habe.

Am 13.11.2024 fasste das Landgericht den angegriffenen Beschluss, mit dem es die Berufung der Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Celle vom 03.09.2024 auf ihre Kosten als unzulässig verwarf. Zur Begründung hat das Landgericht darauf abgestellt, dass die Frist zur Einlegung der Berufung gemäß § 314 Abs. 2, 2. HS StPO bereits am 03.09.2024 mit der Verkündung des Urteils zu laufen begonnen habe, weil das Urteil in Anwesenheit des von der Angeklagten bevollmächtigten Verteidigers verkündet worden sei. Der Beschluss wurde der Angeklagten am 16.11.2024 zugestellt. Mit Schreiben vom selben Tag, welches am 21.11.2024 beim Landgericht einging, legte die Mutter der Angeklagten in deren Namen ein als Beschwerde bezeichnetes Rechtsmittel gegen den Beschluss ein. In dem Schreiben wird weiterhin mitgeteilt, dass die Angeklagte am 28.10.2024 schwer verunfallt sei.

Der Vorsitzende der Berufungskammer bat daraufhin mit Schreiben vom 22.11.2024 um Übersendung einer entsprechenden auf den Namen der Mutter lautenden Vollmacht, welche sodann am 27.11.2024 beim Landgericht einging. Daneben reichte die Mutter der Angeklagten u.a. einen Entlassungsbrief der Medizinischen Hochschule H. betreffend die Angeklagte zur Akte.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat mit Zuschrift vom 03.02.2025 beantragt, die zulässig erhobene sofortige Beschwerde aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zu verwerfen.

II.

1. Die gemäß §§ 322 Abs. 2, 311 Abs. 1 StPO statthafte Beschwerde ist vorliegend in zulässiger Art und Weise durch die bevollmächtigte Mutter der Angeklagten erhoben worden (vgl. BGH, NStZ 1996, 50, beck-online) und hat auch in der Sache Erfolg.

2. Das Landgericht ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Berufung der Angeklagten verspätet eingelegt worden ist.

Zwar war der seinerzeitige Verteidiger der Angeklagte tatsächlich im Hauptverhandlungstermin anwesend. Es fehlte ihm jedoch, nachdem er erklärt hatte, mangels Absprache mit der Angeklagten nicht als ihr Vertreter aufzutreten, an der erforderlichen Verteidigungsbereitschaft, sodass sich die Rechtsmittelfrist nicht nach § 314 Abs. 2, 2. HS. StPO, sondern nach
§ 314 Abs. 2, 1. HS StPO bestimmt.

Gem. §§ 412, 329 Abs. 1 StPO ist für den Fall, dass ein Verteidiger mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht zu einer umfassenden Vertretung nicht bereit ist, oder er geltend macht, hierzu aus tatsächlichen Gründen (z.B. wegen fehlender Informationen) nicht in der Lage zu sein, der Angeklagte als nicht vertreten bzw. der Verteidiger nicht als erschienener Vertreter des Angeklagten anzusehen (MüKo StPO/Quentin, 2. Aufl. 2024, StPO § 329 Rn. 27,
beck-online; Meyer Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl. 2024, § 329 Rn. 16/ § 412 Rn. 5;
OLG Celle, B. v. 06.10.2016 – 2 Ss 112/16 (nicht veröffentlicht); OLG Hamm,
B.v. 10.1.2006 – 2 Ss 509/05, BeckRS 2006, 03029; KG U. v. 18.4.1985 – 1 Ss 329/84,
JR 1985, 343).

Für die Beurteilung der Frage, ob die Verkündung des Urteils im Sinne von § 314 Abs. 2 StPO in Abwesenheit des Angeklagten bzw. in Anwesenheit eines Verteidigers mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht stattgefunden hat, kann jedoch nichts anderes gelten.

Dafür spricht zunächst der Sinn und Zweck der Vorschrift. § 329 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 S. 1 StPO sollen sowohl das rechtliche Gehör des bzw. der Angeklagten sicherstellen als auch eine effektive Verteidigung gewährleisten (vgl. BeckOK StPO/Eschelbach, 54. Ed. 1.1.2025, StPO § 329 Rn. 1, 2; KK-StPO/Paul, 9. Aufl. 2023, StPO § 329 Rn. 1, 1a). Gleiches gilt auch für § 314 Abs. 2 StPO. Mit diesen Gesetzeszweck wäre es jedoch nicht in Einklang zu bringen, wenn in einem Fall, in dem der Verteidiger aus objektiv nachvollziehbaren Gründen erklärt, mangels Kontakt zu seiner Mandantschaft von der gewährten Vollmacht keinen Gebrauch machen zu können und daher nicht als deren Vertreter aufzutreten, von einer Urteilsverkündung in Anwesenheit eines Verteidigers mit nachgewiesener Vollmacht ausgegangen werden würde. Denn bei fehlender Verteidigungsbereitschaft ist auch im Hinblick auf die Einhaltung der Berufungseinlegungsfrist das rechtliche Gehör bzw. die effektive Verteidigung betroffen.

Allein der Umstand, dass der Verteidiger vorliegend nach dieser Erklärung ausweislich des Protokolls tatsächlich im Sitzungssaal verblieb, vermag daran nichts zu ändern. Gleiches gilt auch für den Umstand, dass vorliegend das Mandat des Verteidigers erst deutlich später gekündigt worden ist.

Daneben spricht dafür auch der nahezu identisch formulierte Wortlaut der beiden Normen. Während es nach § 329 Abs. 1 StPO darauf ankommt, ob ein Verteidiger mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht erschienen ist, kommt es für die Bestimmung der Restmittelfrist nach

§ 314 Abs. 2, 2. HS StPO darauf an, ob ein Verteidiger mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht anwesend war. Vor diesem Hintergrund wäre es widersprüchlich, in den Wortlaut von § 329 Abs. 1 StPO das Erfordernis der Verteidigungsbereitschaft hineinzulesen, in den von § 314 Abs. 2, 2. HS StPO hingegen nicht.

Für die oben genannte Auslegung spricht letztlich auch ein Vergleich mit der ähnlich gelagerten Konstellation, dass ein Angeklagter, der sich vor dem Ende der Urteilsverkündung aus dem Saal entfernt oder der entfernt wird, als bei der Verkündung nicht anwesend zu gelten hat und infolgedessen die Revisionseinlegungsfrist nach § 341 Abs. 2 StPO erst mit der Zustellung des Urteils zu laufen beginnt. Die Urteilsverkündung dient insbesondere dazu, den Verfahrensbeteiligten die Kenntnis zu vermitteln, wie das Gericht entschieden und aus welchen Gründen es so erkannt hat (vgl. BGH NStZ 2000, 498, beck-online). Dieser Informationsfunktion würde vorliegend nicht entsprochen, wenn man trotz des unklaren Vertretungsverhältnisses von einem Fall des § 314 Abs. 2, 2. HS StPO ausginge.

3. Angesichts des Umstandes, dass es somit vorliegend nicht auf die Verkündung des Urteils am 04.09.2024, sondern auf die Zustellung an den Verteidiger am 10.09.2024 ankam, war das am 16.09.2024 eingelegte Rechtsmittel nicht verspätet.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 467 Abs. 1 StPO.


Einsender: 2. Strafsenat des OLG Celle

Anmerkung:


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