Gericht / Entscheidungsdatum: OVG Berlin, Beschl. v. 23.04.2025 - 1 N 17/25
Eigener Leitsatz:
1. § 23 Abs. 4 Satz 1 StVO ist verfassungsgemäß.
2. Es besteht kein Anspruch auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung zum Führen eines Kraftfahrzeugs mit einer das Gesicht verhüllenden, lediglich die Augen freilassenden Verschleierung (sog. Niqab).
In pp.
Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 27. Januar 2025 wird abgelehnt.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens.
Der Streitwert wird für die zweite Rechtsstufe auf 5.000 Euro festgesetzt.
Gründe
Die Klägerin begehrt die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung zum Führen eines Kraftfahrzeugs mit einer das Gesicht verhüllenden, lediglich die Augen freilassenden Verschleierung (sog. Niqab). Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen.
Der hiergegen gerichtete Antrag auf Zulassung der Berufung hat auf der allein maßgeblichen Grundlage des Vorbringens im Berufungszulassungsverfahren (vgl. § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) keinen Erfolg.
1. Ernstliche Richtigkeitszweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zeigt die Klägerin nicht auf.
a) Zur Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 23 Abs. 4 Satz 1 StVO, wonach, wer ein Kraftfahrzeug führt, sein Gesicht nicht so verhüllen oder verdecken darf, dass er nicht mehr erkennbar ist, hat es unter Bezugnahme auf Einwände der Klägerin ausgeführt, die Vorschrift verstoße nicht gegen das Wesentlichkeitsgebot und müsse deshalb nicht unangewendet bleiben. Die Religionsfreiheit sei zwar tangiert, die Vorschrift verbiete das Tragen einer religiösen Kopfbedeckung allerdings nicht schlechthin dauerhaft, sondern stelle eine generelle Anordnung mit temporärer Wirkung für die Zeit des Führens eines Pkw im Straßenverkehr dar. Das Bundesverwaltungsgericht habe die Schutzhelmpflicht für Kraftradfahrer als mit der Religionsausübung vereinbar erachtet. Sie führe zu keiner gezielten oder unmittelbar den Schutzbereich der Religionsfreiheit betreffenden Beschränkung. Auch in etwaigen Konfliktfällen sei die Intensität des Eingriffs in der Regel gering, weil die Helmtragepflicht die Religionsausübung nur einer eng begrenzten und für die Religionsfreiheit typischerweise nicht wesentlichen Lebenssituation einschränke. Diese Erwägungen seien wegen der vergleichbaren Interessenlage auch auf den vorliegenden Fall des Verschleierungsverbots übertragbar. Das Verhüllungsverbot ziele ebenso wie die Pflicht, einen Schutzhelm zu tragen, nicht darauf ab, religiöse Bekundungen als solche zu verbieten. Es sei angesichts der zeitlich und örtlich eingeschränkten Wirkung ebenfalls begrenzt. Die Regelung diene der Verkehrssicherheit sowie der Effektivität der Verfolgung von Verkehrsdelikten und damit der Erhaltung der öffentlichen Sicherheit.
Ohne Erfolg wendet die Klägerin hiergegen ein, im Gegensatz zum Motorradfahren, das allgemein als Hobby und Freizeitaktivität nur bei hinreichend gutem Wetter und während der entsprechenden Saison betrieben werde, handele es sich beim Autofahren nicht um eine eng begrenzte und für die Religionsfreiheit typischerweise nicht wesentliche Lebenssituation. Die Erwägungen des Verwaltungsgerichts stellt dieser Vortrag nicht hinreichend in Frage. Dass das Tragen einer Gesichtsverschleierung während des Autofahrens für die Religionsausübung typischerweise eine wesentliche Einschränkung bedeute und angesichts der zeitlich und örtlich eingeschränkten Wirkung des Verbots nur begrenzt sei, zeigt die Berufungszulassungsbegründung nicht auf. Darüber hilft auch nicht hinweg, dass die Nutzung eines Kraftfahrzeuges in der Gesellschaft wesentlich weiter verbreitet und die Angewiesenheit auf solche Kraftfahrzeuge im beruflichen oder sozialen Kontext häufig größer sein mag.
Dessen ungeachtet zeigt die Berufungszulassungsbegründung auch nicht auf, weshalb die Vorschrift gegen den verfassungsrechtlichen Wesentlichkeitsgrundsatz verstoße, wonach der parlamentarische Gesetzgeber alle wesentlichen, grundrechtsrelevanten Regelungen selbst treffen muss. Das Verwaltungsgericht hat hierzu eingehend ausgeführt und dargelegt, weshalb die fragliche Regelung durch eine entsprechende Rechtsgrundlage in § 6 Abs. 1 Nr. 9 Buchtabe a) HS 1 StVG, einem förmlichen Parlamentsgesetz, gedeckt sei. Hierauf geht die Berufungszulassungsbegründung schon nicht ein und verfehlt damit die Darlegungsanforderungen.
b) Zur Frage einer von § 46 Abs. 2 Satz 1 StVO im Ermessen der Behörde stehenden Ausnahmegenehmigung hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, eine sog. Ermessensreduzierung auf Null, bei der einzig die Erteilung der begehrten Genehmigung als ermessensfehlerfrei erscheine, liege nicht vor. Das Verhüllungsverbot könne die Klägerin mittelbar in ihrer Religionsausübung beeinträchtigen, zumal sie nach ihrem eigenen Vorbringen bei Befolgung des von ihr als verbindlich empfundenen Verschleierungsgebots in der Öffentlichkeit auf das Führen eines Kraftfahrzeugs verzichten müsse. Dieser Eingriff sei jedoch zur Sicherstellung der effektiven automatisierten Verkehrsüberwachung gerechtfertigt. Das Verhüllungsverbot diene gleichermaßen der präventiven Gefahrenabwehr und damit den Grundrechten Dritter auf körperliche Unversehrtheit (Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 GG), dem Schutz des Eigentums anderer Verkehrsteilnehmer (Artikel 14 Abs. 1 GG) und der Abwehr künftiger Verkehrsverstöße. Der mittelbare Eingriff in die Religionsausübungspraxis sei verhältnismäßig. Die hiergegen erhobenen Einwände der Klägerin führen nicht auf ernstliche Richtigkeitszweifel.
Sie wendet ein, das Verwaltungsgericht habe ihre Vorschläge, ihre Identifizierbarkeit durch ein zu führendes Fahrtenbuch, die Ausnahmegenehmigung unter der Auflage zu erteilen, nur ihr eigenes Fahrzeug zu fahren oder den Niqab mit einem eindeutig identifizierbaren QR-Code zu versehen und ihn analog zu den Vorschriften des Waffengesetzes in einem abschließbaren Schrank aufzubewahren, nicht mit der Begründung ablehnen dürfen, sie seien nicht in gleicher Weise zur Identifizierung der Klägerin geeignet. Ihr Argument, es liege in der Natur der Sache, dass verschleiertes Autofahren die Identifizierbarkeit gegenüber unverschleiertem Autofahren verschlechtere, so dass die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach § 46 Abs. 2 Satz 1 StVO niemals in Betracht komme, überzeugt schon deshalb nicht, weil sie nicht darlegt, dass ihr der Verzicht auf das Autofahren aus besonderen individuellen Gründen nicht zugemutet werden könne (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Juli 2019 - 3 C 24.17 -, BVerwGE 166, 125 ff., juris Rn. 15 zur Helmpflicht für Motorradfahrer). Ihre Auffassung, sie habe einen Anspruch auf die Ausnahmegenehmigung, ist nicht den Darlegungsanforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechend dargelegt und im Übrigen rechtsirrig.
Ihr Einwand, es bestehe entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts die Möglichkeit, die Klägerin allein anhand ihrer Augenpartie sicher zu identifizieren, geht an der Urteilsbegründung vorbei. Das Verwaltungsgericht hat ausdrücklich ausgeführt, es komme hinsichtlich der Identifizierbarkeit nicht darauf an, ob eine Person theoretisch auch anhand ihrer Augen identifizierbar sein könne (vgl. das angefochtene Urteil, juris Rn. 37). Aus der von der Klägerin angeführten Begründung zur Ablehnung des Beweisantrags Nr. 12 ergibt sich nichts anderes. Entgegen dem Vortrag der Klägerin hat das Verwaltungsgericht die mit dem Beweisantrag begehrte Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Beweis der Tatsache, dass ihre Identifizierung im Rahmen einer automatisierten Verkehrskontrolle auch mit einem Niqab, der die Augen erkennen lasse, möglich sei, nicht mit der Begründung abgelehnt, dies sei unmöglich. Das Verwaltungsgericht hat vielmehr ausgeführt, es sei gerichtsbekannt, dass auf den in hohem Maße verpixelten Fotos, die im Rahmen automatisierter Messverfahren angefertigt würden, eine solche Identifizierbarkeit nicht möglich sei, weil selbst Personen ohne Verschleierung darauf nur unscharf zu erkennen seien. Zu dieser Begründung verhält sich der Berufungszulassungsantrag unter Außerachtlassung der Darlegungsanforderungen nicht. Darüber hilft auch der nicht weiter substanziierte Einwand nicht hinweg, das Verwaltungsgericht setze sich in Widerspruch „zur Exekutive, welche in Gestalt des Bayerischen Staatsministeriums bekundet hat, dass eine Identifizierbarkeit von Fahrzeugführern auch bei Tragen einer lediglich die Augenpartie freilassenden Coronamaske ggf. unter Tragen weiter verhüllender Gegenstände wie Brille und Hut möglich ist“.
Soweit die Klägerin meint, das Verwaltungsgericht überspanne die Anforderungen an ihre Identifizierbarkeit, hält sie der Einschätzung des Verwaltungsgerichts lediglich ihre eigene entgegen, ohne darzulegen, weshalb diejenige des Verwaltungsgerichts ernstlich zweifelhaft sei. Mit ihrem Vorschlag, ein Fahrtenbuch zu führen und die Ausnahmegenehmigung nach § 46 Abs. 2 Satz 1 StVO auf das Führen ihres eigenen Fahrzeuges zu beschränken, wiederholt sie lediglich ihr bereits vom Verwaltungsgericht gewürdigtes Vorbringen aus dem erstinstanzlichen Verfahren. Dass diese Vorgehensweise - anders als vom Verwaltungsgericht angenommen - in gleicher Weise geeignet sei dem Anliegen des Verhüllungsverbots des § 23 Abs. 4 Satz 1 StVO Rechnung zu tragen, zeigt sie nicht auf. Insbesondere wird die Annahme des Verwaltungsgerichts, es fehle mangels Erkennbarkeit der Person an einem objektiven Beweismittel für die Identifikation des Fahrzeugführers, durch ihren Vortrag nicht in Frage gestellt.
Soweit das Verwaltungsgericht angenommen hat, die Klägerin könne einen Anspruch auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung auch nicht aus Artikel 9 EMRK herleiten, wonach jede Person das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit habe, zeigt die Klägerin ebenfalls keine ernstlichen Richtigkeitszweifel auf. Sie befasst sich schon nicht mit dem Argument, aus der Vorschrift folge kein weiterreichender Schutz als aus Artikel 4 GG.
Das Erstgericht hat weiter darauf hingewiesen, dass die Mitgliedstaaten einen weiten Spielraum hinsichtlich der Einschränkung religiöser Bekleidungsvorschriften hätten. Nach einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte - EGMR - vom 1. Juli 2014 - 43835/11 - (S.A.S. v. France) könne sogar das komplette Verbot der Verschleierung in der Öffentlichkeit aus Gründen des Zusammenlebens sowie des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sein.
Auf ernstliche Richtigkeitszweifel insoweit führt nicht ihr Einwand, das Verschleierungsverbot des § 23 Abs. 4 StVO sei nicht erlassen worden, um zwischenmenschliche Kommunikation zu ermöglichen, sondern diene der öffentlichen Sicherheit und wäre damit gemäß Artikel 9 Abs. 2 EMRK rechtmäßig, wenn es in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sei. Dies sei nach den Wertungen des genannten Urteils nur dann der Fall, wenn der deutsche Verordnungsgeber die Identifizierbarkeit von Kraftfahrzeugführern allgemeinen sichergestellt hätte. Daran fehle es, wie sich aus der Helmpflicht für Motorradfahrer ergebe.
Die Klägerin lässt unberücksichtigt, dass nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts das Verhüllungsverbot für Kraftfahrzeugführer auch zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer dient. Überdies verkennt sie, dass die Helmpflicht für Kraftradfahrer auf der für diese typischen Verkehrsgefahren, insbesondere bei Unfällen beruht. Hierzu hat auch schon das Verwaltungsgericht mit Blick auf den Gleichheitssatz des Artikels 3 Abs. 1 GG näher ausgeführt. Darauf geht die Klägerin unter Missachtung der Darlegungserfordernisse nicht ein. Ungeachtet dessen erschließt sich auch nicht, dass der nationale Gesetzgeber vor dem Hintergrund seines weiten Spielraums nach der Rechtsprechung des EGMR gehindert sei, insoweit zwischen Kraftfahrzeug- und Kraftradführern zu differenzieren. Auch die Berufungszulassungsbegründung zeigt dies nicht auf. Daran ändert auch der Vortrag nichts, der Verordnungsgeber habe für eineiige Zwillinge nicht die Möglichkeit verhindert, ein Fahrzeug zu führen.
Ernstliche Richtigkeitszweifel zeigt die Klägerin auch nicht hinsichtlich der Einschätzung des Verwaltungsgerichts auf, es sei nicht zu beanstanden, dass der Beklagte im Rahmen der Ausübung seines Ermessens bei der Abwägung der kollidierenden Verfassungsgüter zu dem Ergebnis gekommen sei, der Schutz der Verkehrssicherheit sei gewichtiger als der Eingriff in die Religionsausübungsfreiheit. Das Verwaltungsgericht hat insoweit ausgeführt, eine positive Ermessensentscheidung möge in den Fällen, in denen ein Antragsteller zwingend zur Bewältigung seines Lebens auf die Nutzung eines Fahrzeugs als Selbstfahrer angewiesen sei, in Betracht kommen. Ein solcher Fall liege jedoch nicht vor. Die Klägerin habe individuell nicht ausreichend dargelegt, unter allen Umständen auf das Führen eines Kraftfahrzeuges angewiesen zu sein. Eine Zwangslage, die sich wegen der zwingend erforderlichen Nutzung eines Kraftfahrzeuges und des aus religiösen Gründen als zwingend empfundenen Tragens eines Niqabs ergeben könne, liege deshalb nicht vor. Der mittelbare Eingriff in die Religionsausübungsfreiheit könne von der Klägerin selbst dadurch abgewendet werden, dass sie auf das Führen eines Kraftfahrzeugs verzichte. Dies sei ihr zumutbar. Nach ihrem eigenen Vortrag sei sie selbst nur in dem Umfang auf ein Kraftfahrzeug angewiesen, wie alle anderen Menschen auch.
Wenn sie dem entgegenhält, das „unbeschränkt gewährleistete Grundrecht der Religionsfreiheit aus Art. 4 GG“ könne der Staat nicht dadurch einschränken, dass er den Grundrechtsträger darauf „verweist, einer seitens des Staates geschaffenen beeinträchtigenden Situation auszuweichen“, stellt sie der Auffassung des Verwaltungsgerichts nur ihre eigene Einschätzung gegenüber, ohne aufzuzeigen, weshalb diejenige des Verwaltungsgerichts ernstlich zweifelhaft sei. Sie wäre gehalten gewesen, sich mit der Argumentation des Verwaltungsgerichts auseinander zu setzen. Überdies ist ihre Auffassung, die Religionsfreiheit des Artikel 4 GG setze sich stets gegen andere Verfassungsgüter durch, aus den vom Verwaltungsgericht im angefochtenen Urteil dargelegten Gründen, mit denen sie sich ebenfalls nicht hinreichend auseinandersetzt, verfehlt.
2. Der Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO ist nicht begründet dargelegt. Besondere tatsächliche und rechtliche Schwierigkeiten, die über das Maß der in vergleichbaren Fällen üblichen Schwierigkeiten in einer Weise hinausgingen und es erforderlich machten, ein Berufungsverfahren durchzuführen, zeigt das Berufungszulassungsvorbringen mit dem Vorbringen nicht auf, es sei zu prüfen, ob § 23 Abs. 4 StVO dem Wesentlichkeitsvorbehalt entspreche, wenn die Ausübung der Religionsfreiheit der Klägerin hierdurch beim Autofahren gänzlich unmöglich gemacht werde und die Ausnahmegenehmigung des § 46 Abs. 2 StVO faktisch nicht zur Anwendung komme, da eine absolut sichere Identifizierbarkeit bei einer Ausnahme vom Verschleierungsverbot nicht möglich sei. Es wird auch nicht durch den Vortrag aufgezeigt, es müsse geklärt werden, inwieweit eine vollständige oder nur eine hinreichende Identifizierbarkeit gegeben sein müsse, damit die Bußgeldbehörden im Zweifel insbesondere einen per automatisierter Verkehrskontrolle festgestellten Geschwindigkeitsverstoß ahnden könnten und inwieweit eine Identifizierbarkeit rein über die Augenpartie gegeben sei. Soweit entscheidungserheblich, lassen sich diese Fragen auch ohne die Durchführung eines Berufungsverfahrens klären, wie sich aus den unter 1. dargelegten Gründen ergibt.
3. Die Grundsatzrüge (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) greift nicht durch. Hierfür wäre erforderlich, dass eine bisher weder höchstrichterlich noch obergerichtlich beantwortete konkrete und zugleich entscheidungserhebliche Rechts- oder Tatsachenfrage aufgeworfen und erläutert wird, warum sie über den Einzelfall hinaus bedeutsam ist und im Interesse der Rechtseinheit und Rechtsfortbildung der Klärung in einem Berufungsverfahren bedarf. Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine abstrakte, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche Rechtsfrage mit einer über den Einzelfall hinausgehenden allgemeinen Bedeutung aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder im Interesse der Rechtsfortbildung in einem Berufungsverfahren geklärt werden muss. Diesen Anforderungen wird das Berufungszulassungsvorbringen nicht gerecht.
Die von der Klägerin für klärungsbedürftig erachtete Frage der Verfassungsmäßigkeit des Verhüllungsverbots des § 23 Abs. 4 StVO, „auch wenn eine Ausnahme für religiöse Zwecke hiervon faktisch nicht in Betracht kommt“, sowie die Frage, inwieweit eine hinreichende Identifizierbarkeit von Niqabträgerinnen im Rahmen automatisierter Verkehrskontrollen gegeben ist, damit eine Ahndung von Verkehrsverstößen mit hinreichender Sicherheit möglich ist, lassen sich, soweit vorliegend entscheidungserheblich, auch ohne die Durchführung eines Berufungsverfahrens klären. Auch dies ergibt sich aus den unter 1. dargelegten Gründen. Dessen ungeachtet arbeitet die Berufungszulassungsbegründung nicht heraus, inwieweit es auf diese Frage aus der insoweit maßgeblichen Sicht des Verwaltungsgerichts entscheidungserheblich ankommt.
4. Einen Verfahrensfehler im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO zeigt die Klägerin nicht auf. Sie erhebt der Sache nach eine Aufklärungsrüge nach § 86 Abs. 1 VwGO, indem sie sich gegen die Ablehnung verschiedener Beweisanträge in der mündlichen Verhandlung wendet.
a) Hinsichtlich des Beweisantrags Nr. 4, mit dem das Verwaltungsgericht es abgelehnt hat, ein Sachverständigengutachten zum Beweis der Tatsache einzuholen, „dass die Identifizierung der Antragstellerin auch mit einem Niqab, der die Augen erkennen lässt, möglich ist“, lässt die Klägerin außer Acht, dass dieser Antrag nicht nur abgelehnt wurde, weil das Verwaltungsgericht es als gerichtsbekannt angesehen hat, dass diese Fotos in hohem Maß „verpixelt“ und selbst Personen ohne Verschleierung darauf nur unscharf zu erkennen seien, sondern - auch - weil das Verwaltungsgericht erkennbar davon ausging, dass der Beweisantrag in der allgemein gehaltenen Formulierung im Verfahren nicht entscheidungserheblich sei und als wahr unterstellt werden könne. Hierauf geht das Berufungszulassungsvorbringen nicht ausreichend ein und verfehlt damit die Darlegungsanforderungen. Soweit die Klägerin meint, diese Begründungen seien nicht tragfähig, weil ihr Beweisantrag anders auszulegen gewesen sei, muss sie sich entgegenhalten lassen, dass sie gehalten gewesen wäre, ihren Beweisantrag zu präzisieren, zumal ihr bekannt war, dass das Verwaltungsgericht den allgemein formulierten Antrag für unzureichend erachtete. Die Aufklärungsrüge ist kein Mittel, um Versäumnisse eines anwaltlich vertretenen Beteiligten in der Tatsacheninstanz zu kompensieren. Auf die von der Klägerin in den Vordergrund gerückte Sachkunde des Gerichts zur Frage der Qualität sog. Blitzerfotos kommt es vor diesem Hintergrund insoweit nicht an.
b) Hinsichtlich des Beweisantrags Nr. 5, mit dem das Verwaltungsgericht es abgelehnt hat, ein Sachverständigengutachten zum Beweis der Tatsache einzuholen, dass die Identifizierung der Klägerin auch durch einen individualisierten Niqab möglich sei, ist ein Verfahrensfehler nicht dargelegt.
Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, der Beweisantrag werde abgelehnt, weil das Beweismittel ungeeignet sei zur Beantwortung der hier entscheidungserheblichen Frage, ob die Klägerin im Rahmen automatisierter Messverfahren identifizierbar sei; selbst wenn der Niqab mit einem fälschungssicheren Code versehen werde, könne hierdurch lediglich der Niqab als solcher, nicht aber die Klägerin als dessen Trägerin identifiziert werden.
Daran geht die Argumentation der Klägerin vorbei, wenn sie entgegenhält, es sei gerade Inhalt des Beweisantrags die Identifizierbarkeit der Antragstellerin über einen individualisierten Niqab zu belegen. Das Verwaltungsgericht hat in diesem Zusammenhang auch nicht darauf abgestellt, dass im Rahmen automatisierter Messverfahren erstellte QR-Codes nicht ausgelesen werden könnten.
c) Hinsichtlich des Beweisantrags Nr. 12, mit dem das Verwaltungsgericht es abgelehnt hat, ein Sachverständigengutachten zum Beweis der Tatsache einzuholen, dass die Identifizierung der Klägerin im Rahmen einer automatisierten Verkehrskontrolle auch mit einem Niqab möglich sei, der die Augen erkennen lasse, meint die Klägerin das Verwaltungsgericht hätte diesen mangels eigener Sachkunde nicht ablehnen dürfen, weil es über diese nicht verfüge. Ein Verfahrensfehler ist hiermit nicht dargelegt.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts können die Tatsacheninstanzen einen Beweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens im Allgemeinen nach tatrichterlichem Ermessen gemäß § 98 VwGO in entsprechender Anwendung des § 412 ZPO oder mit dem Hinweis auf die eigene Sachkunde verfahrensfehlerfrei ablehnen. Das Tatsachengericht muss seine Entscheidung für die Beteiligten und das Rechtsmittelgericht aber nachvollziehbar begründen und ggf. angeben, woher es seine Sachkunde hat. Wie konkret der Hinweis auf die eigene Sachkunde des Gerichts zu sein hat, hängt dabei von den Umständen des Einzelfalls ab (BVerwG, Urteil vom 4. Oktober 2012 - 1 C 13.11 -, BVerwGE 144, 230 ff., juris Rn. 11 m.w.N.).
Hier hat das Verwaltungsgericht zur Begründung der Sachkunde angeführt, die Qualität der „Blitzerfotos“ sei „gerichtsbekannt“ und damit der Sache nach auf die spezifische Sachkenntnis des Spruchkörpers Bezug genommen. Dies genügt in Anbetracht der konkreten Umstände zur Darlegung der eigenen Sachkunde. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die mit dem Fall befasste Kammer des Verwaltungsgerichts seit Jahrzehnten schwerpunktmäßig mit verschiedenen Bereichen des Straßenverkehrsrechts, einschließlich des Rechts der Fahrerlaubnisse, der Fahrerlaubnisprüfungen und des Personenbeförderungsrechts befasst ist. In diesen Verfahren mag zwar nicht unmittelbar um die Rechtmäßigkeit verhängter Bußgelder wegen Verkehrsverstößen gestritten werden, derartige Fragen stehen aber regelmäßig im Hintergrund, etwa bei Fahrtenbuchauflagen oder personenbeförderungsrechtlichen Erlaubnissen.
Der Einwand der Klägerin, das Gericht habe allenfalls Kenntnis von „Blitzerfotos“, die den Mitgliedern des Spruchkörpers aufgrund eigener Verkehrsverstöße bekannt geworden seien, trifft deshalb in der Sache nicht zu. Aus dem gleichen Grund rechtfertigt auch das Argument, das Verwaltungsgericht sei nicht in einer Bußgeldstelle tätig, nicht die Annahme fehlender Sachkunde. Der Vortrag, das Verwaltungsgericht habe keine nachweisbare Kenntnis von der Funktionsweise moderner Blitzeranlagen, die zunehmend auf Digitalfotografie setzten und mit besserer Kammertechnik hochauflösende Bilder erzeugen könnten, rechtfertigt keine andere Einschätzung, weil schon nicht dargelegt ist, dass sämtliche Blitzeranlagen mit derart moderner Technik ausgestattet sind.
d) Hinsichtlich des Beweisantrags Nr. 13, mit dem das Verwaltungsgericht es abgelehnt hat, ein Sachverständigengutachten zum Beweis der Tatsache einzuholen, „dass die Identifizierung der Antragstellerin im Rahmen einer automatisierten Verkehrskontrolle auch durch einen individualisierten Niqab möglich ist“, ist ein Verfahrensfehler nicht dargelegt.
Auch insoweit hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, dass durch ein solches Verfahren lediglich der Niqab als derjenige der Klägerin, nicht aber die Klägerin als dessen Trägerin identifiziert werden könne. Im Übrigen sei nicht erkennbar, dass, etwa durch eine Auflage, sichergestellt werden könne, dass nur die Klägerin diesen Niqab trage. Hierfür sei auch ein abschließbarer Schrank nicht ausreichend.
Der Einwand der Klägerin, das Verwaltungsgericht nehme damit die Beweiswürdigung vorweg, geht wie schon beim Beweisantrag Nr. 5 an der Begründung des Verwaltungsgerichts vorbei.
e) Hinsichtlich des Beweisantrags Nr. 14, mit dem das Verwaltungsgericht es abgelehnt hat, ein Sachverständigengutachten zum Beweis der Tatsache einzuholen, „dass Nikabträgerinnen nicht häufiger Verstöße gegen die Höchstgeschwindigkeit begehen als unverschleierte Frauen“, liegt kein Verfahrensfehler vor.
Das Verwaltungsgericht hat ihn u.a. mit der selbstständig tragenden Begründung abgelehnt, die Beweistatsache sei nicht entscheidungserheblich. Im Rahmen präventiver Gefahrenabwehr sollten prognostisch bestehende Gefahren abgewendet werden, ob sich diese Gefahren realisierten, sei hierfür nicht entscheidend.
Dieser Begründung kann die Klägerin nicht mit Erfolg entgegenhalten, das Beweisergebnis sei entscheidungserheblich. Sie verkennt, dass bei der Feststellung von Verfahrensmängeln im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO vom materiell-rechtlichen Standpunkt der Vorinstanz auszugehen ist, selbst wenn dieser rechtlich verfehlt sein sollte (OVG Bautzen, Beschluss vom 20. November 2000 - 3 B 784/99 -, juris Rn. 2).
5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
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