Gericht / Entscheidungsdatum: AG Büdingen, Beschl. v. 11.04.2025 – 60 OWi (9/25)
Eigener Leitsatz:
Ein Bußgeldverfahren ist wegen eines Verfahrenshindernisses gemäß § 206a StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG einzustellen wenn die Annahme der Zuständigkeit der Verwaltungsbehörde auf einem schwerwiegenden und offenkundigen Mangel (vorliegend handelte anstelle des zuständigen Regierungspräsidiums der Magistrat der Stadt) beruht, weshalb der Bußgeldbescheid nichtig ist und nicht Grundlage des gerichtlichen Verfahrens nach Einlegung eines Einspruchs sein kann.
In der Bußgeldsache
wegen Verkehrsordnungswidrigkeit
wird das Verfahren wegen eines Verfahrenshindernisses gemäß § 206a StPO i. V. m. § 46 Abs. 1 OWiG auf Kosten der Staatskasse eingestellt.
Die notwendigen Auslagen d. Betroffenen werden der Staatskasse auferlegt (§ 467 Abs. 1 StPO i. V. m. § 46 Abs. 1 OWiG).
Gründe
I.
Der Betroffene ist Geschäftsführer einer GmbH. Mit einem Fahrzeug dieser GmbH soll eine Ordnungswidrigkeit begangen worden sein. Der Vorwurf lautete, dass mit dem Pkw mit dem Kennzeichen pp. am 18.04.2024 um 7:31 Uhr in pp, pp. in Fahrtrichtung pp. die zulässige Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 7 km/h überschritten worden sein soll.
Am 19.04.2024 wurde die GmbH als Zeuge angeschrieben und um Mitteilung der Personalien des Fahrers gebeten. Mangels Reaktion wurde die GmbH mit Schreiben des Magistrats der Stadt pp., Ordnungsamt (im Folgenden: Verwaltungsbehörde) vom 10.06.2024 erneut an die Beantwortung erinnert und darauf hingewiesen, dass dieser anderenfalls als Fahrzeughalterin gemäß § 130 Abs. 1, § 9 OWiG eine Ordnungsmäßigkeit von mindestens 250 € auferlegt werden könne. Auch hierauf erfolgte keine Reaktion.
Mit Schreiben der Verwaltungsbehörde vom 26.06.2024 wurde der Betroffene, als Geschäftsführer der GmbH, im Bußgeldverfahren angehört. Er habe als Inhaber eines Unternehmens vorsätzlich die Aufsichtsmaßnahmen unterlassen, die erforderlich seien, um in dem Betrieb Zuwiderhandlungen gegen Pflichten zu verhindern, die den Inhaber als solchen treffen und deren Verletzung mit Strafe oder Geldbuße bedroht ist. Er habe ordnungswidrig gehandelt, da eine Zuwiderhandlung begangen worden sei, die durch gehörige Aufsicht hätte verhindert oder wesentlich erschwert werden können (§ 130 OWiG). Auch hierauf erfolgte keine Reaktion des Betroffenen.
Mit Bußgeldbescheid der Verwaltungsbehörde vom 05.08.2024 ist gegen den Betroffenen eine Geldbuße i.H.v. 250 € festgesetzt worden. Darin wird dem Betroffenen vorgeworfen, seit dem 29.04.2024 als Inhaber eines Betriebs oder Unternehmens vorsätzlich die Aufsichtsmaßnahmen unterlassen zu haben, die erforderlich seien, um in dem Betrieb oder Unternehmen Zuwiderhandlungen gegen Pflichten zu verhindern, die den Inhaber als solchen treffen und deren Verletzung mit Strafe oder Geldbuße bedroht ist. Er habe ordnungswidrig gehandelt, da eine Zuwiderhandlung begangen worden sei, die durch gehörige Aufsicht hätte verhindert oder wesentlich erschwert werden können. Der Betroffene habe trotz mehrfacher Aufforderung den für die Verkehrsordnungswidrigkeit tatsächlich Verantwortlichen nicht benannt. Dieser Bußgeldbescheid ist dem Betroffenen am 10.08.2024 zugestellt worden. Am 15.08.2024 ist über den Verteidiger des Betroffenen Einspruch eingelegt worden.
II.
Das Verfahren ist wegen eines Verfahrenshindernisses gemäß § 206a StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG einzustellen. Die Verwaltungsbehörde war vorliegend für den Erlass des Bußgeldbescheides nicht zuständig. Die Annahme der Zuständigkeit der Verwaltungsbehörde beruht auf einem schwerwiegenden und offenkundigen Mangel, weshalb der Bußgeldbescheid nichtig ist und nicht Grundlage des gerichtlichen Verfahrens nach Einlegung eines Einspruchs sein kann.
Sachlich zuständig für die Verfolgung und Ahndung von Ordnungswidrigkeiten ist gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 2, § 35 OWiG die fachlich zuständige oberste Landesbehörde, falls durch Gesetz keine andere Zuständigkeit bestimmt ist. Eine ausdrückliche gesetzlich Zuständigkeitsbestimmung für die Verfolgung und Ahndung von Ordnungswidrigkeiten nach § 130 OWiG ist nicht vorhanden. Die Verwaltungsbehörde leitet ihre sachliche Zuständigkeit aus § 131 Abs. 3 OWiG her (vgl. Bl. 39 d.A.). Nach dieser Norm gelten für Ordnungswidrigkeit nach § 130 OWiG auch die Verfahrensvorschriften entsprechend, die bei der Verfolgung der Handlung, zu der aufgefordert worden ist, anzuwenden wären. Dies soll sich nach herrschender Meinung auch auf die Zuständigkeit der Behörde beziehen. Danach ist für Verfahren nach § 130 OWiG die Behörde zuständig, die auch für die Verfolgung und Ahndung der Ordnungswidrigkeit (hier dem Höchstgeschwindigkeitsverstoß) zuständig ist.
Nach § 3 Abs. 1 der Hessischen VRZustVO ist zuständige Verwaltungsbehörde für die Verfolgung und Ahndung von Ordnungswidrigkeiten nach den §§ 24, 24a und 24c des Straßenverkehrsgesetzes
1.in der Stadt Frankfurt am Main die Oberbürgermeisterin oder der Oberbürgermeister als örtliche Ordnungsbehörde und
2.im Übrigen das Regierungspräsidium Kassel als Bezirksordnungsbehörde.
§ 3 Abs. 2 S. 2 der Hessischen VRZustVO regelt darüber hinaus, dass Unbeschadet der Zuständigkeit nach Abs. 1 Nr. 2 auch die Bürgermeister als örtliche Ordnungsbehörden für die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten nach den §§ 24, 24a und 24c des Straßenverkehrsgesetzes einschließlich der Erteilung von Verwarnungen, der Erhebung von Verwarnungsgeldern, der Einstellung von Verfahren und der Kostenentscheidungen nach § 25a Abs. 2 des Straßenverkehrsgesetzes zuständig sind. Allerdings ist die Zuständigkeit der örtlichen Ordnungsbehörde bei Kostenentscheidungen nach § 25 Abs. 2 StVG ausdrücklich in den Fällen ausgeschlossen, in denen der Betroffene sich zur Sache nicht geäußert hat.
Dem entspricht auch die ständige Praxis, wonach die örtlichen Ordnungsbehörden zwar zunächst für die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten sowie für das Verwarnungsverfahren zuständig sind. Für die Ahndung von Ordnungswidrigkeiten durch Bußgeldbescheid (falls eine Verwarnung nicht möglich ist oder nicht zustande kommt) sind sie ausdrücklich nicht zuständig, weshalb die Verfahren regelmäßig von den örtlichen Ordnungsbehörden an das Regierungspräsidium abgegeben werden, wenn der Erlass eines Bußgeldbescheides erforderlich ist. Gleiches gilt bei Halterhaftungsbescheide nach § 25a Abs. 2 des Straßenverkehrsgesetzes, wenn sich der Betroffene nicht geäußert hat.
Damit lässt sich keine Zuständigkeit der örtlichen Ordnungsbehörde für die Ahndung einer Ordnungswidrigkeit nach § 130 OWiG aus § 131 Abs. 3 OWiG herleiten.
Hinzu kommt vorliegend, dass ausweislich des Bußgeldbescheides, Bl. 45 der Akte, der Magistrat der Stadt Ortenberg und nicht der Bürgermeister (als Ordnungsbehörde) gehandelt hat. Mithin ist zu konstatieren, dass die Behörde vorliegend sachlich nicht zuständig war. Zuständig für eine solche Ahndung ist das Regierungspräsidium Kassel als Bezirksordnungsbehörde (§ 131 Abs. 3 OWiG i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 2 der Hessischen VRZustVO). Wenn man hingegen davon ausgeht, dass § 131 Abs. 3 OWiG sich nicht auf die Regelungen zur Zuständigkeit bezieht, wäre gemäß § 36 Abs.1 Nr. 2 OWiG grundsätzlich die fachlich zuständige oberste Landesbehörde zuständig.
Nimmt eine Behörde fälschlicherweise ihre Zuständigkeit an und erlässt einen Bußgeldbescheid, führt dies nicht automatisch zu dessen Nichtigkeit. Nur wenn die Annahme der Zuständigkeit auf einem schwerwiegenden und offenkundigen Mangel beruht oder die Verwaltungsbehörde in Kenntnis ihrer Unzuständigkeit einen Bußgeldbescheid erlässt, ist dieser nichtig. Nur dann kann er auch nicht Grundlage des gerichtlichen Verfahrens nach Einlegung eines Einspruchs sein, was zur Einstellung des Verfahrens wegen Fehlens einer Prozessvoraussetzung gem. §§ 46 OWiG iVm §§ 206a, 260 Abs. 3 StPO führen würde (Inhofer, in BeckOK OWiG, Graf, 45. Edition, Stand: 01.01.2025 § 36 Rn. 9 m.w.N.).
Wenn allerdings anstatt der zuständigen höheren eine niedrigere Behörde gehandelt hat, führt dies im Allgemeinen zur Nichtigkeit. Denn ist die Kompetenz einer höheren Verwaltungsbehörde vorbehalten, die eine höhere Gewähr für die Richtigkeit bietet und eine einheitliche Handhabung sicherstellen soll, so darf diese Absicht des Gesetzgebers nicht durch untergeordnete Instanzen vereitelt werden (Lampe, in Karlsruher Kommentar zum OWiG, 5. Auflage 2018, § 36 Rn. 33 m.w.N.).
Bereits deshalb ist vorliegend von der Nichtigkeit des Bußgeldbescheides auszugehen. Es hat eine niedrigere Behörde gehandelt. Zuständig wäre das Regierungspräsidium als Bezirksordnungsbehörde und nicht der Landrat als Kreisordnungsbehörde und erst recht nicht der Bürgermeister als örtliche Ordnungsbehörde. Damit hat die Stadt pp. eine Zuständigkeit angenommen, die tatsächlich gemäß der einschlägigen Verordnung zwei Ebenen höher angesiedelt ist. Hinzu kommt, dass vorliegend nicht einmal der Bürgermeister als örtliche Ordnungsbehörde (in Verkennung der in § 3 der Hessischen VRZustVO geregelten Zuständigkeit), sondern vielmehr der Magistrat den Bußgeldbescheid erlassen hat. Darüber hinaus ist sogar die Zuständigkeit der örtlichen Ordnungsbehörde für Kostenentscheidungen nach § 25a Abs. 2 des Straßenverkehrsgesetzes ausgeschlossen, wenn sich der Betroffene (wie hier der Fall ist) nicht zur Sache geäußert hat. Auch deshalb hätte die Verwaltungsbehörde ihre (angenommene) Zuständigkeit kritisch prüfen müssen.
Damit beruht die Annahme der Zuständigkeit auch auf einem schwerwiegenden und offenkundigen Mangel.
Auch wenn es für die hiesige Entscheidung nicht von Relevanz ist, weist das Gericht auf folgende Aspekte hin:
Nach Aktenlage wäre fraglich, ob ein hinreichender Tatverdacht vorliegt. Zum einen ist nicht ersichtlich, welche Maßnahmen ein Geschäftsführer unternehmen kann, um zu verhindern, dass seine Mitarbeiter keine geringfügigen Ordnungswidrigkeiten im Straßenverkehr begehen. Die Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 7 km/h ist eine geringfügige Ordnungswidrigkeit die auch besonnenen Verkehrsteilnehmern sowie Arbeitnehmern, die durch Ihren Vorgesetzten eindringlich zur Einhaltung der Straßenverkehrsvorschriften mit Dienstfahrzeugen angehalten werden, passieren kann. Mangels Ermittlungen der Verwaltungsbehörde (jedenfalls ist der Akte hierzu nichts zu entnehmen und solche sind auch in Anbetracht der Tatsache, dass der Sitz des Unternehmens in pp. und mithin weit außerhalb des Zuständigkeitsbereiches der Stadt pp. liegt) ist vorliegend weder ersichtlich, dass der Geschäftsführer keine Maßnahmen ergriffen hat bzw. dass und welche Maßnahmen dafür sorgen könnten, auch solche geringfügigen Ordnungswidrigkeiten vollständig auszuschließen.
Falls die Verwaltungsbehörde die Aufsichtspflichtverletzung daran anknüpft, dass der Geschäftsführer, trotz mehrfacher Aufforderung, den Fahrzeugführer zur Tatzeit nicht benannt hat, vermag dies den Tatbestand des § 130 OWiG nicht zu erfüllen. Vorausgesetzt werden Aufsichtsmaßnahmen, die erforderlich sind, um Zuwiderhandlungen gegen Pflichten zu verhindern.
Die Pflichtverletzung, an die die Verwaltungsbehörde anknüpft, ist die Höchstgeschwindigkeitsüberschreitung um 7 km/h am 18.04.2024. Naturgemäß kann das Tun oder Unterlassen des Geschäftsführers ab dem 29.04.2024 keinen Einfluss auf die bereits begangene Zuwiderhandlung haben. Die Akte enthält auch keine Feststellungen dahin, dass das ein Handeln des Geschäftsführers nach dieser Pflichtverletzung geeignet gewesen wäre, weitere Zuwiderhandlungen seiner Mitarbeiter (für die sich bislang kein Beleg findet) zu vermeiden. Das Unterlassen der Nennung des Fahrers führt lediglich dazu, dass dessen Ordnungswidrigkeit (Zuwiderhandlung) nicht geahndet werden konnte. Wenn es zukünftig zu weiteren Ordnungswidrigkeiten von Mitarbeitern des Geschäftsführers kommt, mag sich dies anders darstellen. Wenn diese nämlich darauf vertrauen, dass der Geschäftsführer der Verwaltungsbehörde den jeweiligen Fahrzeugführer zur Tatzeit erneut nicht mitteilt, dann könnte ggfs. von einem Unterlassen von erforderlichen Aufsichtsmaßnahmen ausgegangen werden, die erforderlich sind, um Zuwiderhandlungen zu verhindern.
Im Übrigen würden auch Bedenken hinsichtlich der Höhe des festgesetzten Bußgeldes bestehen. Denn die Höhe der Geldbuße wegen einer Aufsichtspflichtverletzung richtet sich wesentlich nach der Bedeutung und Schwere der im Betrieb begangenen Zuwiderhandlung (vgl. Göhler, OWiG, 14. Aufl., § 130 Rn 28a). Soweit die Bußgeldkatalogverordnung ein Regelsatz für einen Verstoß vorsieht, ist dieser grundsätzlich auch im Rahmen der Ahndung der Aufsichtspflichtverletzung heranzuziehen (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 28.02.2007 - 322 Ss 39/07 -, NStZ-RR 2007, 215).
Der ursprünglich Verkehrsverstoß, um den es vorliegend geht, wird regelmäßig mit einer Geldbuße i.H.v. 30 € geahndet, wie sich aus Nr. 11.3.1 des Bußgeldkataloges ergibt (vgl. Bl. 9 d.A.). Die Erhebung eines Bußgeldes i.H.v. 250 € erscheint deshalb unangemessen. Dass der Geschäftsführer mehrfach aufgefordert wurde, den Fahrer zu benennen, rechtfertigt jedenfalls keine höhere Geldbuße.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 Abs. 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG.
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