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Entscheidungen

StGB/Nebengebiete

Täter-Opfer-Ausgleich, Wiedergutmachung, Wiedergutmachungserfolg

Gericht / Entscheidungsdatum: BayObLG, Urt. v. 17.03.2025 - 203 StRR 613/24

Leitsatz des Gerichts:

1. Im Falle von Sexualstraftaten darf der Tatrichter nicht schematisch beurteilen, ob und wie sich vorhergehende sexuelle Handlungen auf das subjektive Erleben der Tat durch das Opfer ausgewirkt haben. Demgemäß verbietet sich jede generalisierende Betrachtung einer vorhergehenden intimen oder einer andauernden Beziehung; geboten ist eine Beurteilung der Auswirkungen der Tat auf den Geschädigten oder die Geschädigte im konkreten Fall.
2. Ein „Wiedergutmachungserfolg“ ist keine zwingende Voraussetzung für die Annahme eines Täter-Opfer-Ausgleichs. Äußert sich das Opfer nicht zu einem vereinbarten Ausgleich oder Bemühungen des Täters, so kann auch daraus nicht in jedem Fall, insbesondere nicht im Rahmen von persönlichen Beziehungen, auf eine Zurückweisung durch das Opfer mit der Konsequenz eines nicht erfolgreichen Ausgleichs geschlossen werden. Vielmehr kommt es im Einzelfall darauf an, ob das Schweigen des Verletzten als eine solche inhaltliche Ablehnung zu beurteilen ist.


Bayerisches Oberstes Landesgericht

203 StRR 613/24

IM NAMEN DES VOLKES

Urteil
des Bayerischen Obersten Landesgerichts - 3. Strafsenat

In dem Strafverfahren
gegen pp.

wegen Vergewaltigung

aufgrund der Hauptverhandlung vom 17. März 2025, an der teilgenommen haben:
pp.

1. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 8. Juli 2024 wird als unbegründet verworfen.
2. Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen und die notwendigen Auslagen der Nebenklägerin trägt die Staatskasse.

-
Gründe:

I.

Das Amtsgericht Schwabach hat den Angeklagten am 8. Februar 2024 wegen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Das Landgericht Nürnberg-Fürth hat mit Urteil vom 8. Juli 2024 die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Berufung der Staatsanwaltschaft als unbegründet verworfen. Die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth rügt mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten und auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Revision die Verletzung materiellen Rechts. Das von der Generalstaatsanwaltschaft München vertretene Rechtsmittel ist unbegründet.

II.

Die zulässige Revision der Staatsanwaltschaft erweist sich als unbegründet.

1. Das Amtsgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:

Der Angeklagte hatte seit dem Jahr 2021 eine sexuelle Beziehung zur Geschädigten unterhalten und hielt sich des öfteren in ihrer Wohnung auf. Am 1. August 2022 legte er sich alkoholbedingt enthemmt zu der bereits neben ihrem 5 jährigen Sohn schlafenden Geschädigten ins Bett, zog ihr Nachthemd hoch, drang mit seinem Penis in die Scheide der Zeugin ein und vollzog mit mehreren Stoßbewegungen den vaginalen Geschlechtsverkehr. Dabei wusste er, dass die Geschädigte fest schlief, nahm billigend in Kauf, dass diese den Geschlechtsverkehr nicht wollte, und nutzte ihren Zustand bewusst für die Ausführung des Aktes. Als die Geschädigte erwachte und ihn von sich wegstieß, ließ der Angeklagte von ihr ab, ohne dass es zu einem Samenerguss gekommen war.

2. Das Landgericht hat bei der Strafzumessung zugunsten des Angeklagten auch berücksichtigt, dass die Tat innerhalb einer über einem Jahr andauernden Beziehung stattfand, und daneben die Voraussetzungen eines Täter-Opfer-Ausgleichs gemäß § 46a Nr. 1 StGB bejaht.

3. Es bestehen keine rechtlichen Bedenken gegen die Wirksamkeit der Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch.

4. Die Nachprüfung des Rechtsfolgenausspruchs auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat keinen Rechtsfehler zum Vorteil oder zum Nachteil (vgl. § 301 StPO) des Angeklagten ergeben. Der näheren Erörterung bedürfen mit Blick auf die Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft die Ausführungen des Tatrichters zur strafmildernden Erwägung der Vorbeziehung und die Annahme eines Täter-Opfer-Ausgleichs gemäß § 46a Nr. 1 StGB .

a) Die Strafzumessungserwägungen des Landgerichts halten der revisionsrechtlichen Überprüfung stand. In der Rechtsprechung und Literatur ist mittlerweile geklärt, dass der Tatrichter im Falle von Sexualstraftaten nicht schematisch beurteilen darf, ob und wie sich vorhergehende sexuelle Handlungen auf das subjektive Erleben der Tat durch das Opfer ausgewirkt haben (BGH, Beschluss vom 16. Juli 2024 – 5 StR 164/24 –, juris Rn. 24; vgl. auch Art. 46 lit. a der Istanbul-Konvention). Eine Entscheidung darf nicht auf Vermutungen zum typischen Verhalten in derartigen Situationen gegründet werden (vgl. BGH a.a.O.). Vielmehr hat das Gericht die Auswirkung der Tat anhand des vom individuellen Tatopfer empfundenen Leids in jedem Einzelfall zu bestimmen (BGH a.a.O.). Demgemäß verbietet sich jede generalisierende Betrachtung einer vorhergehenden intimen oder einer andauernden Beziehung (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Januar 2023 – 5 StR 386/22-, juris Rn. 25; MüKoStGB/Renzikowski, 4. Aufl. 2021, StGB § 177 Rn. 201, 206; BeckOK StGB/Ziegler, 64. Ed. 1.02.2025, StGB § 177 Rn. 141; a.A. im Sinne einer ausschließlich strafschärfenden Betrachtung Hörnle in: Leipziger Kommentar zum StGB, 13. Auflage, § 177 StGB Rn. 273).

Wenn das Landgericht hier ausgehend von den Angaben des Opfers einen immensen Vertrauensbruch innerhalb der Beziehung, eine Herabwürdigung der Person zum bloßen Sexualobjekt und eine monatelange psychische Beeinträchtigung (Urteil S. 15) erkannt hat, gleichwohl mit Blick auf die Tatumstände im konkreten Fall die Vertrautheit von Täter und Opfer als entlastend beurteilt hat, ist dagegen mit Blick auf den eingeschränkten Prüfungsmaßstab des Senats revisionsrechtlich nichts zu erinnern. Denn die von der Staatsanwaltschaft angegriffene Erwägung des Tatrichters basiert nicht auf einer vom Einzelfall losgelösten schematischen Bewertung, sondern auf einer nach § 46 Abs. 2 StGB zulässigen Beurteilung der Auswirkungen der Tat auf die Geschädigte.

b) Auch die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 46a Nr. 1 StGB und die Ausübung des tatrichterlichen Ermessens werden im Gesamtzusammenhang der Ausführungen noch hinreichend belegt.

aa) Ob das Tatgericht die Voraussetzungen des § 46a StGB annimmt, hat es in wertender Betrachtung zu entscheiden (st. Rspr., vgl. BGH, Beschluss vom 10. Februar 2022 – 1 StR 403/21 –, juris Rn. 4 m.w.N.). Dazu hat es hinreichende Feststellungen zu treffen, welche Schäden das Opfer durch die Tat erlitten hat und welche Folgen fortbestehen. § 46a Nr. 1 StGB verlangt, dass der Täter im Bemühen, einen Ausgleich mit dem Opfer zu erreichen, die Tat „ganz oder zum überwiegenden Teil“ wieder gutgemacht hat, wobei es aber auch ausreichend sein kann, dass der Täter dieses Ziel ernsthaft erstrebt (BGH, Urteil vom 25. Juli 2024 – 1 StR 471/23 –, juris Rn. 16 m.w.N.). Dies erfordert grundsätzlich einen kommunikativen Prozess zwischen Täter und Opfer, bei dem das Bemühen des Täters Ausdruck der Übernahme von Verantwortung sein und das Opfer die Leistung des Täters als friedensstiftenden Ausgleich akzeptieren muss (st. Rspr.; vgl. BGH a.a.O. Rn. 16 m.w.N.). Ein kommunikativer Prozess in diesem Sinne setzt voraus, dass das Verhalten des Täters im Verfahren Ausdruck der Übernahme von Verantwortung” ist, um die friedensstiftende Wirkung der Schadenswiedergutmachung zu entfalten (BGH a.a.O. Rn. 16). Die Bemühungen des Täters müssen zumindest den Versuch der Einbeziehung des Opfers in den kommunikativen Prozess enthalten (BGH, Urteil vom 7. Dezember 2005 – 1 StR 287/05 –, juris Rn. 9). Bloß einseitige Bemühungen des Täters ohne den Versuch einer Einbindung des Opfers sind nicht ausreichend (st. Rspr., vgl. BGH, Urteil vom 28. Mai 2015 – 3 StR 89/15 –, juris Rn. 11 m.w.N.). Der kommunikative Prozess setzt andererseits keine persönliche Begegnung oder Besprechung des Täters mit seinem Opfer voraus. Eine Verständigung über vermittelnde Dritte, etwa den Verteidiger und einen Bevollmächtigten kann genügen (st. Rspr., vgl. BGH, Beschluss vom 12. Juli 2023 – 6 StR 275/23 –, juris Rn. 6 m.w.N.). Bei Sexualdelikten und im Falle von traumatisierten Opfern kann eine Einschaltung von Dritten als opferschonendes Vorgehen ratsam sein (vgl. BGH a.a.O. Rn. 6).

bb) Ein „Wiedergutmachungserfolg“ ist keine zwingende Voraussetzung für die Annahme eines Täter-Opfer-Ausgleichs (st. Rspr., vgl. BGH, Urteil vom 25. Juli 2024 – 1 StR 471/23 –, juris Rn. 19 m.w.N.; ausführlich Kinzig in Schönke/Schröder, 30. Aufl., StGB § 46a Rn. 2). Äußert sich das Opfer nicht zu einem vereinbarten Ausgleich oder Bemühungen des Täters, so kann auch daraus nicht in jedem Fall, insbesondere nicht im Rahmen von persönlichen Beziehungen, auf eine Zurückweisung durch das Opfer mit der Konsequenz eines nicht erfolgreichen Ausgleichs geschlossen werden. Vielmehr kommt es im Einzelfall darauf an, ob das Schweigen des Verletzten als eine solche inhaltliche Ablehnung zu beurteilen ist (detailliert BGH, Urteil vom 24. August 2017 – 3 StR 233/17-, juris Rn. 14 ff.; BGH, Urteil vom 19. Dezember 2002 – 1 StR 405/02 –, BGHSt 48, 134-147, juris Rn. 22). Die Anwendbarkeit des Strafmilderungsgrundes soll nicht ausschließlich vom Willen des Opfers abhängen; nach der Vorstellung des Gesetzgebers sollte dem Täter in den Fällen, in denen eine vollständige Wiedergutmachung nicht möglich wäre, eine realistische Chance eingeräumt werden, in den Genuss der Strafmilderung zu gelangen, etwa bei Verweigerung der Mitwirkung durch das Opfer. Als einschränkendes Kriterium fordert die Vorschrift aber das Bemühen des Täters, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen, als Rahmenbedingung (vgl. BT-Drs. 12/6853, S. 21). Das bedeutet, dass das Bemühen des Täters gerade darauf gerichtet sein muss, zu einem friedensstiftenden Ausgleich mit dem Verletzten zu gelangen; der Täter muss demnach in dem ernsthaften Bestreben handeln, das Opfer "zufriedenzustellen" (BGH, Urteil vom 15. Januar 2020 – 2 StR 412/19 –, juris Rn. 14; BGH, Urteil vom 31. Mai 2002 – 2 StR 73/02-, juris Rn. 24), ohne dass ihn vorrangig eine anderweitige Motivation antreibt.

cc. Gemessen daran durfte das Landgericht die Voraussetzungen von § 46a StGB bejahen. Nach den Feststellungen des Landgerichts hat sich der von Anfang an geständige Angeklagte bei der Geschädigten in der ersten Instanz entschuldigt (Urteil S. 10, 15) und ihr ungeachtet einer schwierigen Beweislage (Urteil S. 15) von vorne herein eine Aussage erspart. Zudem hat er, obgleich in beschränkten finanziellen Verhältnissen lebend, sich ihr gegenüber „verpflichtet“, an sie eine Zahlung von 3500.- Euro als Entschädigung zu leisten (Urteil S. 17) und bereits einen Betrag von 1000.- Euro bezahlt (Urteil S 17, 18). Die Geschädigte ihrerseits hat bei ihrer gerichtlichen Einvernahme die erstinstanzlich ausgesprochene Freiheitsstrafe von zwei Jahren als gerechten Schuldausgleich beurteilt und ein darüber hinaus gehendes Strafverfolgungsinteresse verneint (Urteil S. 15). Der Senat kann daher den Urteilsgründen noch hinreichend entnehmen, dass das Landgericht die gebotene wertende Entscheidung getroffen hat und dass die Geschädigte die finanzielle Entschädigung angenommen und die Vereinbarung als friedensstiftende Konfliktregelung innerlich akzeptiert hat (vgl. auch BGH, Urteil vom 24. August 2017 – 3 StR 233/17-, juris; Maier in MüKoStGB, 4. Aufl. 2020, StGB § 46a Rn. 29).

c) Die Entscheidung des Landgerichts, die Freiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen, ist mit Blick auf den eingeschränkten Prüfungsmaßstab ebenfalls nicht zu beanstanden.

aa) Bei der Entscheidung über die Strafaussetzung ist dem Tatrichter ein weiter Beurteilungsspielraum zuerkannt, in dessen Rahmen das Revisionsgericht jede rechtsfehlerfrei begründete Entscheidung hinzunehmen hat (st. Rspr., vgl. BGH, Beschluss vom 10. Mai 2016 – 4 StR 25/16-, juris Rn. 3). Hat das Tatgericht die für und gegen die Aussetzung sprechenden Umstände gesehen und gewürdigt, ist dessen Entscheidung auch dann hinzunehmen, wenn eine andere Bewertung denkbar gewesen wäre (BGH a.a.O.).

bb) Diesen Anforderungen ist die Berufungskammer gerecht geworden. Sie hat im Rahmen der Prognose (§ 56 Abs. 1 StGB) auf die stabilen Lebensbedingungen des Angeklagten und die vom Bewährungshelfer geschilderte Konsolidierung abgestellt und hinsichtlich § 56 Abs. 2 StGB das Verhalten des Angeklagten nach der Tat nebst des Täter-Opfer-Ausgleichs als besondere Umstände gewürdigt. Der von der Staatsanwaltschaft besorgte Erörterungsmangel zur Verteidigung der Rechtsordnung liegt ebenfalls nicht vor. Strafaussetzung zur Bewährung kann nach § 56 Abs. 3 StGB nur versagt werden, wenn sie für das allgemeine Rechtsempfinden unverständlich erscheinen müsste und dadurch das Vertrauen der Bevölkerung in die Unverbrüchlichkeit des Rechts erschüttert und von der Allgemeinheit als ungerechtfertigtes Zurückweichen vor der Kriminalität angesehen werden könnte (BGH, Urteil vom 6. Juli 2017 - 4 StR 415/16-, juris Rn. 29). Hierfür bieten die Urteilsgründe keinen Anhalt, nachdem die Geschädigte die erstinstanzlich ausgesprochene Bewährungsstrafe als gerechten Schuldausgleich empfand. Die Revision der Staatsanwaltschaft war somit zurückzuweisen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 und 2 StPO.


Einsender: 3. Strafsenat des BayObLG

Anmerkung:


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