Diese Homepage verwendet Cookies, um Inhalte und Anzeigen zu personalisieren, Funktionen für soziale Medien anbieten zu können und die Zugriffe auf die Website zu analysieren. Außerdem gebe ich Informationen zu Ihrer Nutzung meiner Website an meine Partner für soziale Medien, Werbung und Analysen weiter.

OK Details ansehen Datenschutzerklärung

Entscheidungen

StGB/Nebengebiete

Motorisierter Krankenfahrstuhl, Fahrerlaubnispflicht, Urteilsgründe, Anforderungen

Gericht / Entscheidungsdatum: KG, Beschl. v. 07.03.2025 – 3 ORs 8/25121 SRs 5/25

Leitsatz des Gerichts:

1. Ausschließlich bei unter die Legaldefinition des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Fahrerlaubnis – Verordnung (FeV) fallenden Fahrzeugen handelt es sich um fahrerlaubnisfrei zu führende Krankenfahrstühle. Allein der Wegfall eines der in der Legaldefinition aufgeführten Merkmale lässt die Qualifizierung als motorisierter Krankenfahrstuhl entfallen.
2. Allein aus dem Umstand, dass auf dem Heck eines Fahrzeuges ein Geschwindigkeitsaufkleber angebracht ist, kann nicht darauf geschlossen werden, dass das betreffende Fahrzeug bauartbedingt tatsächlich über eine entsprechende Motorisierung verfügt. Insofern ist eine weitere Sachaufklärung geboten.


3 ORs 8/25121 SRs 5/25

In der Strafsache
gegen pp.

wegen fahrlässigen Fahrens ohne Fahrerlaubnis

hat der 3. Strafsenat des Kammergerichts am 7. März 2025 einstimmig gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:

Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts vom 16. Oktober 2024 mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht hat die Angeklagte am 28. Februar 2024 wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 30,00 Euro verurteilt und ein Fahrverbot von sechs Monaten verhängt. Gegen dieses Urteil hat die Angeklagte Berufung mit dem Ziel des Freispruchs eingelegt. Das Landgericht hat das amtsgerichtliche Urteil am 16. Oktober 2024 dahin abgeändert, dass es die Angeklagte wegen fahrlässigen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 30,00 Euro verurteilt und das Fahrverbot entfallen lassen hat. Hinsichtlich des Tatvorwurfes des unerlaubten Entfernens vom Unfallort wurde das Verfahren gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt. Gegen dieses Urteil hat die Angeklagte Revision eingelegt, mit der sie die Verletzung materiellen Rechts rügt. Insbesondere trägt sie vor, das Berufungsgericht habe zu Unrecht Tatidentität im Sinne des § 264 StPO angenommen und daher auch keine Verurteilung wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis vornehmen dürfen. Ferner sei unklar, welches genaue geschichtliche Geschehen den der Angeklagten gemachte Tatvorwurf umfasse. Darüber hinaus liege weder eine Straftat noch eine Ordnungswidrigkeit vor. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Revisionsbegründungsschrift vom 17. Oktober 2024 Bezug genommen.

Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt mit ihrer Zuschrift vom 30. Januar 2025 die Revision als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.

Die Gegenerklärung des Verteidigers vom 18. Februar 2025 lag dem Senat vor.

II.

Der zulässigen Revision der Angeklagten kann der Erfolg nicht versagt bleiben.

1. Die auf die Sachrüge gebotene umfassende Überprüfung des Urteils ergibt einen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten, der zur Aufhebung des angegriffenen Urteils führt.

a) Entgegen der Auffassung der Angeklagten mangelt es vorliegend allerdings nicht an einer Verfahrensvoraussetzung. Das Landgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die angeklagte Tat auch eine Verurteilung wegen fahrlässigen Fahrens ohne Fahrerlaubnis umfassen kann, denn es ist insoweit Tatidentität im Sinne des § 264 StPO gegeben. Die Kognitionspflicht gebietet, dass der durch die zugelassene Anklage abgegrenzte Prozessstoff durch vollständige Aburteilung des einheitlichen Lebensvorgangs erschöpft wird. Der Unrechtsgehalt der Tat muss ohne Rücksicht auf die dem Eröffnungsbeschluss zugrunde gelegte Bewertung ausgeschöpft werden, soweit keine rechtlichen Gründe entgegenstehen. Fehlt es daran, so stellt dies einen sachlich – rechtlichen Mangel dar, der gegebenenfalls zur Aufhebung des Urteils führt (vgl. BGH, Urteil vom 30. September 2020 – 5 StR 99/20 –, juris).

Bezugspunkt dieser Prüfung ist die Tat im Sinne von § 264 StPO, also ein einheitlicher geschichtlicher Vorgang, der sich von anderen ähnlichen oder gleichartigen unterscheidet und innerhalb dessen der Angeklagte einen Straftatbestand verwirklicht haben soll. Die Tat als Prozessgegenstand ist dabei nicht nur der in der Anklage umschriebene und dem Angeklagten darin zur Last gelegte Geschehensablauf; vielmehr gehört dazu das gesamte Verhalten des Angeklagten, soweit es mit dem durch die Anklage bezeichneten geschichtlichen Vorgang nach der Lebensauffassung ein einheitliches Vorkommnis bildet. Die prozessuale Tat wird in der Regel durch Tatort, Tatzeit und das Tatbild umgrenzt und insbesondere durch das Täterverhalten sowie die ihm innewohnende Angriffsrichtung und durch das Tatopfer bestimmt (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteil vom 10. Juni 2020 – 5 StR 435/19 –, juris). Auch sachlich – rechtlich selbständige Taten können prozessual eine Tat im Sinne des § 264 StPO sein (vgl. KG, Beschluss vom 4. November 2019 – (4) 121 Ss 101/19 (192/19) –).

Nach den vorstehenden Grundsätzen ist vorliegend Tatidentität gegeben. Der angeklagte und in den Urteilsgründen festgestellte Sachverhalt umfasst das Befahren des REWE – Parkplatzes sowie das gesamte Geschehen auf diesem Kundenparkplatz. Hieran ändert auch der Umstand, dass die Taten materiell – rechtlich in Tatmehrheit zueinanderstehen, nichts. Dass die zum Unfall führenden Gesetzesverletzungen und die sich daran anschließende Unfallflucht ungeachtet ihrer sachlich – rechtlichen Selbständigkeit einen einheitlichen Lebensvorgang und damit verfahrensrechtlich eine Tat bilden, entspricht der Rechtsprechung des BGH (vgl. BGHSt 23,141; BGH, Beschluss vom 22. Juli 1971 – 4 StR 184/71 –, BeckRS 1971, 1234). Die einzelnen Handlungen gehen nicht nur äußerlich ineinander über, sondern sind auch innerlich – strafrechtlich – derart miteinander verknüpft, dass der Unrechts- und Schuldgehalt der Unfallflucht nicht ohne Berücksichtigung der Umstände, unter denen es zum Unfall gekommen ist, gewürdigt werden kann.

Auch das Fahren ohne Fahrerlaubnis ist innerlich derart mit der sich anschließenden Unfallflucht verknüpft. Vorliegend ist dem konkreten Anklagesatz des Strafbefehls neben dem Befahren des Parkplatzes und den dortigen Geschehnissen auch zu entnehmen, dass die Angeklagte ihre Fahrerlaubnis im Jahr 2020 zurückgegeben hat. Somit ist auch der Umstand erfasst, dass die Angeklagte ohne Fahrerlaubnis gefahren ist, wobei es insoweit keine Rolle spielt, dass die Staatsanwaltschaft dies ggf. rechtlich unzutreffend gewürdigt hat.

b) Die Urteilsgründe halten jedoch der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Denn die Feststellungen zur tatsächlichen bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit des von der Angeklagten gesteuerten Fahrzeuges und die diesbezüglich vorgenommene Beweiswürdigung sind lückenhaft.

Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Fahrerlaubnis – Verordnung (FeV) sind motorisierte Krankenfahrstühle fahrerlaubnisfrei. Eine Prüfbescheinigung nach § 5 Abs. 4 Satz 1 FeV ist nicht erforderlich. Nach im Fahrerlaubnis- und Zulassungsrecht übereinstimmender Legaldefinition sind motorisierte Krankenfahrstühle einsitzige, nach der Bauart zum Gebrauch durch körperlich behinderte Personen bestimmte Kraftfahrzeuge mit Elektroantrieb, einer Leermasse von nicht mehr als 300 kg einschließlich Batterien jedoch ohne Fahrer, einer zulässigen Gesamtmasse von nicht mehr als 500 kg, einer bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit von nicht mehr als 15 km/h, und einer Breite über alles von maximal 110 cm (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 FeV, § 2 Nr. 13 Fahrzeug – Zulassungsverordnung). Die Definition ist abschließend, alle genannten Merkmale müssen kumulativ vorhanden sein. Die Bezeichnung motorisierte Krankenfahrstühle ist nicht Bestandteil der Legaldefinition, sondern der Gegenstand, auf den sie sich bezieht (vgl. Koehl in Hentschel/König, Straßenverkehrsrecht 48. Aufl., FeV § 4 Rn. 27).

Das Tatgericht hat zutreffend erkannt, dass schon allein der Wegfall eines Merkmals die Fahrerlaubnisfreiheit entfallen lässt. Ausweislich der Urteilsgründe mangelte es vorliegend am Merkmal der „bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit von nicht mehr als 15 km/h“. Den getroffenen Feststellungen ist insoweit zu entnehmen, dass es sich „bei dem Fahrzeug, das mit dem Versicherungskennzeichen 802NBD versehen war um einen so genannten Krankenfahrstuhl handelte, der das Aussehen eines kleinen Personenkraftwagens hat“ und „auf dessen Heck ein großer runder Aufkleber mit der Aufschrift „25“ für die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 25km/h angebracht“ war. Weitere Feststellungen zur tatsächlichen bauartbedingen Höchstgeschwindigkeit des Fahrzeuges enthält das Urteil nicht

Auch die vorgenommene Beweiswürdigung ist in diesem entscheidenden Punkt lückenhaft.

Zwar ist die Beweiswürdigung Sache des Tatgerichts (§ 261 StPO). Ihm allein obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (st. Rspr., vgl. BayObLG, Beschluss vom 7. Juni 2022 – 202 ObOWi 678/22 –, juris). Die Prüfung durch das Revisionsgericht ist darauf beschränkt, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich – rechtlicher Hinsicht nur der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, sie gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder überhöhte Anforderungen an die richterliche Überzeugungsbildung gestellt wurden oder sich auf nichtexistierende Erfahrungssätze stützt (st. Rspr., vgl. zuletzt nur BGH, Urteile vom 23. März 2023 – 3 StR 277/22 – und 16. März 2023 – 4 StR 252/22 –; BGH, Beschluss vom 2. März 2023 – 2 StR 119/22 –; Senat, Beschluss vom 31. Juli 2020 – 3 Ws (B) 174/20 –, jeweils bei juris).

Das Tatgericht stützt seine Überzeugung zur bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit des Fahrzeuges ausschließlich darauf, dass das Fahrzeug einen Aufkleber mit der Aufschrift „25“ gemäß § 58 Straßenverkehrs – Zulassungs – Ordnung (StVZO) trug. Allein aus diesem Umstand kann jedoch nicht darauf geschlossen werden, dass das Fahrzeug bauartbedingt tatsächlich über eine entsprechende Motorisierung verfügt. Die Berufungskammer leitet diesen Umstand ausschließlich aus der Bezugnahme auf die sich hierzu in der Akte befindenden Lichtbilder ab, ohne dass insoweit eine weitere Aufklärung erfolgt wäre. Allein vom Vorhandensein des Aufklebers, der im Übrigen vom Fahrzeughalter selbst anzubringen ist (vgl. Koehl in Hentschel/König, a.a.O., StVZO, § 58 Rn. 1), kann nicht darauf geschlossen werden, welche Höchstgeschwindigkeit (mehr oder weniger als 25 km/h) das Fahrzeug tatsächlich erzielen kann. Angesichts der Vielzahl der sich im Umlauf befindenden und verwendeten Aufkleber und Beschilderungen kann hieraus kein rechtlicher Rückschluss auf die tatsächliche Höchstgeschwindigkeit eines Fahrzeuges gezogen werden.

c) Da sich aus der Gesamtheit der Urteilsgründe auch keine weiteren Angaben zur Beschaffenheit des Fahrzeuges (einsitzig, Elektroantrieb etc.) ergeben, bleibt dem Revisionsgericht die Prüfung verschlossen, ob die Ausnahmevorschrift des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 FeV aus anderen Gründen fällt.

2. Auf dem Rechtsfehler beruht das Urteil.

3. Der Senat hebt daher das angefochtene Urteil mit den zugehörigen Feststellungen auf und verweist die Sache gemäß § 349 Abs. 4 i.V.m. § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO zu neuer Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an eine andere Strafkammer des Landgerichts Berlin I zurück.

4. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat noch auf Folgendes hin:

Sofern das neue Tatgericht feststellen sollte, dass es sich bei dem Fahrzeug unter Berücksichtigung der Legaldefinition des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 FeV nicht um einen Krankenfahrstuhl handelt, folgt der Senat der Auffassung der Berufungskammer, dass eine Strafbarkeit wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in Betracht kommt. Das Tatgericht hat insoweit auch zu Recht geprüft, ob die Betroffene Inhaberin einer Prüfbescheinigung im Sinne der Fahrerlaubnis – Verordnung ist, was sie u.U. zum Führen eines Krankenfahrstuhls mit einer höheren Höchstgeschwindigkeit berechtigen würde und eine Strafbarkeit wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis entfallen ließe.


Einsender: RiKG U. Sandherr, Berlin

Anmerkung:


zurück zur Übersicht

Die Nutzung von Burhoff-Online ist kostenlos. Der Betrieb der Homepage verursacht aber für Wartungs-, Verbesserungsarbeiten und Speicherplatz laufende Kosten.

Wenn Sie daher Burhoff-Online freundlicherweise durch einen kleinen Obolus unterstützen wollen, haben Sie hier eine "Spendenmöglichkeit".