Gericht / Entscheidungsdatum: OLG München, Beschl. v. 29.04.2025 - 1 AR 392/24
Eigener Leitsatz:
1. Bei der Gewährung einer Pauschgebühr ist für die Bewertung, ob die gesetzlichen Gebühren zumutbar sind, eine Gesamtbetrachtung des Verhältnisses zwischen den vom Anwalt erbrachten Tätigkeiten einerseits und den gesetzlichen Gebühren sowie etwaigen zusätzlichen Zahlungen des Mandanten oder Dritter an den Anwalt andererseits vorzunehmen. Dies gilt auch dann, wenn sich der Antrag nur auf einzelne Verfahrensabschnitte bezieht.
2. Zahlungen, die ein beigeordneter Rechtsanwalt von dem Mandanten oder von Dritten für seine Tätigkeit in dem betroffenen Verfahren erhalten hat, sind bei der Prüfung, ob ihm die gesetzlichen Gebühren i. S. v. § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG zumutbar sind, zu berücksichtigen, soweit sie nicht nach § 58 Abs. 3 RVG auf diese angerechnet wurden.
3. Zu anrechenbaren Zahlungen für die Bewertung der Frage, ob einem Pflichtverteidiger die gesetzlichen Pflichtverteidigergebühren i. S. v. § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG zugemutet werden können, zählen auch Einkünfte, die dem Pflichtverteidiger aus einer kommerziellen Zweitverwertung des Pflichtverteidigungsmandats, wie z.B. in Podcasts bzw. Live-Veranstaltungen, die das Verfahren zum Gegenstand haben, zustehen.
Oberlandesgericht München
1 AR 392/24
In dem Strafverfahren
gegen pp.
Verteidiger:
u. a.
hier: Antrag von Herrn Rechtsanwalt pp.. auf Bewilligung einer Pauschvergütung
erlässt das Oberlandesgericht München - 1. Strafsenat - durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht pp. als Einzelrichter am 29. April 2025 folgenden
Beschluss
Der Antrag von Herrn Rechtsanwalt pp, ihm für seine Tätigkeit als Pflichtverteidiger des Angeklagten pp. in dem Verfahren 1 JKLs 33 Js 2388/20 vor dem Landgericht München II eine Pauschgebühr in Höhe von 72.916,00 EUR zu bewilligen, wird abgelehnt.
Gründe:
I.
Der Antragsteller wurde dem Angeklagten pp.. in dem o. g. Strafverfahren am zweiten Hauptverhandlungstag, dem 24.08.2021, als Pflichtverteidiger beigeordnet; zuvor war er als Wahlverteidiger mandatiert. Der Angeklagte pp., der sich seit dem 23.01.2020 in Untersuchungshaft befand, wurde zusätzlich durch einen Wahlverteidiger und einen weiteren Pflichtverteidiger verteidigt.
Die Staatsanwaltschaft München II hatte am 22.02.2021 Anklage gegen den Mandanten des Antragstellers und einen Mitangeschuldigten zum Landgericht München II – Jugendschwurgericht - wegen des Vorwurfs gemeinschaftlichen Mordes in drei tateinheitlichen Fällen erhoben.
Die Hauptverhandlung fand an insgesamt 80 Tagen statt. Der Antragsteller nahm an 79 Terminen teil, 24 davon dauerten zwischen fünf und acht Stunden, 12 über acht Stunden.
Die beiden Angeklagten wurden am 06.03.2023 verurteilt. Die Verteidiger des Angeklagten PP. legten gegen dessen Verurteilung Revision ein. Diese wurde mit Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 07.02.2024 verworfen.
Mit Schriftsatz an das Oberlandesgericht München vom 13.11.2024 beantragte Herr Rechtsanwalt pp., ihm für seine Tätigkeit als Pflichtverteidiger in dem vorgenannten Verfahren eine Pauschvergütung in Höhe von 72.916,00 EUR zu bewilligen. Zur Begründung führte er aus, dass seine Tätigkeit durch die festgesetzten Pflichtverteidigergebühren in Höhe von 57.671,00 EUR nicht angemessen vergütet sei, da es sich um eine besonders umfangreiche und besonders schwierige Strafsache gehandelt habe. Hierfür verwies er auf einen vom Senat im Parallelverfahren 1 AR 206/24 erlassenen Beschluss vom 18.09.2024, durch den dem weiteren Pflichtverteidiger des Angeklagten PP., Herrn Rechtsanwalt Dr. pp, eine Pauschgebühr i.H.v. von 65.684,00 EUR bewilligt worden war, sowie auf den jener Entscheidung zugrunde liegenden Antrag. Der Antragsteller teilte mit, dass er den geltend gemachten Anspruch an die Pp. GmbH abgetreten habe und die Auszahlung an diese erfolgen möge. Für weitere Einzelheiten wird auf die Antragsbegründung vom 13.11.2024 Bezug genommen.
Frau Bezirksrevisorin hat sich in ihrer Stellungnahme vom 19.02.2025 gegen die Bewilligung einer Pauschvergütung ausgesprochen. Sie führte im Wesentlichen aus, dass mit Blick auf die Entscheidungen des Senats in mehreren Parallelverfahren aus Gründen der Gleichbehandlung zwar grundsätzlich die Bewilligung einer Pauschgebühr in Höhe von 61.393,00 EUR anzuregen gewesen wäre, deren Zusammensetzung in der Stellungnahme im Einzelnen erläutert wird. Allerdings habe der Antragsteller in seinem Vergütungsfestsetzungsantrag vom 24.08.2023 gegenüber dem Landgericht München II angegeben, von Seiten des Mandanten für die Verteidigung im Ermittlungsverfahren ein Honorar i.H.v. 20.000,00 EUR erhalten zu haben, das bei der Festsetzung der gesetzlichen Vergütung gemäß § 58 Abs. 3 S. 1 i. V. m. § 17 Nr. 10 RVG nicht angerechnet worden sei. Zahlungen des Mandanten oder Dritter an den Pflichtverteidiger müssten bei der Prüfung, ob diesem die gesetzlichen Gebühren i. S. v. § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG zumutbar seien, berücksichtigt werden. Da der Antragsteller zusätzlich zu den gesetzlichen Gebühren ein Honorar von 20.000,00 EUR erhalten habe und die Summe beider Beträge über der beantragten Pauschgebühr liege, könne von einer Unzumutbarkeit der Pflichtverteidigergebühren keine Rede sein.
Die Pp. GmbH als Zessionarin des geltend gemachten Anspruchs hat zu dem Schreiben der Bezirksrevisorin vom 19.02.2025 mit Schriftsatz vom 08.04.2025 Stellung genommen. Sie ist der Ansicht, dass die von Seiten des Mandanten an den Antragsteller geleistete Zahlung bei der Entscheidung keine Berücksichtigung finden dürfe, weil sich der Pauschantrag und die von der Bezirksrevisorin berechnete Pauschgebühr ausschließlich auf das gerichtliche Verfahren bezögen, es sich bei der Zahlung des Mandanten aber um ein Honorar für die Verteidigung im Ermittlungsverfahren gehandelt habe. Für das Ermittlungsverfahren habe der Antragsteller keine Vergütung gegenüber der Staatskasse geltend gemacht. Es sei daher nicht ersichtlich, weshalb eine Pauschgebühr für das gerichtliche Verfahren, das ebenfalls besonders umfangreich und schwierig gewesen sei, nicht bewilligt werden sollte.
Der Antragsteller hat von der ihm eingeräumten Möglichkeit, sich ebenfalls zu der Stellungnahme der Bezirksrevisorin zu äußern, keinen Gebrauch gemacht.
II.
Der Antrag war zurückzuweisen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen für die Bewilligung einer Pauschgebühr nicht vorliegen.
1. Gemäß § 51 Abs. 1 S. 1 RVG ist dem beigeordneten Anwalt auf Antrag eine Pauschgebühr zu bewilligen, wenn die im Vergütungsverzeichnis bestimmten Gebühren wegen des besonderen Umfangs oder der besonderen Schwierigkeit der Sache nicht zumutbar sind.
Besonders umfangreich ist eine Strafsache, wenn der objektive Aufwand für eine sachgerechte Verteidigung erheblich über dem Zeitaufwand liegt, den der Verteidiger einem durchschnittlichen Verfahren gleicher Art zu widmen hat. Wesentliche Kriterien hierfür sind insbesondere der Umfang der Akten, die Anzahl der Angeklagten, Zeugen und Sachverständigen sowie die Anzahl und Dauer erforderlicher Besprechungen mit dem Mandanten (Kapischke in Ahlmann/Kapischke/ Pankatz/Rech/Schneider/Schütz, RVG, 11. Auflage 2024, § 51, Rn 12).
Besonders schwierig ist ein Strafverfahren, wenn es aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen objektiv deutlich über das normale Maß einer vergleichbaren Sache hinaus kompliziert ist. Insbesondere können Komplikationen der Beweislage, prozessuale Besonderheiten und komplexe Rechtsfragen die Sache besonders schwierig machen (Kapischke, a. a. O., Rn 13).
Die gesetzlichen Gebühren sind für den Verteidiger in der Regel zumutbar: Die Bestellung zum Pflichtverteidiger ist eine besondere Form der Indienstnahme Privater zu öffentlichen Zwecken. Dass der Vergütungsanspruch des Pflichtverteidigers unter den Rahmengebühren des Wahlverteidigers liegt, ist durch einen gemeinwohlorientierten Interessenausgleich gerechtfertigt, sofern die Grenze der Zumutbarkeit für den Pflichtverteidiger gewahrt ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 06.11.1984 - 2 BvL 16/83). Dabei ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, die Bewilligung einer Pauschgebühr nicht nur von besonderen Schwierigkeiten oder einem besonderen Umfang des Verfahrens abhängig zu machen, sondern zusätzlich die Unzumutbarkeit der gesetzlichen Gebühren vorauszusetzen (BVerfG, Beschluss vom 20.03.2007 – 2 BvR 51/07). Die Bewilligung einer Pauschvergütung ist daher eine Ausnahme, die bei besonders umfangreichen oder besonders schwierigen Verfahren unzumutbare Sonderopfer des beigeordneten Rechtsanwalts vermeiden soll (so auch BGH, Beschluss vom 01.06.2015 - 4 StR 267/11).
2. Die genannten Voraussetzungen für die Bewilligung einer Pauschgebühr sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt.
a) Das Verfahren wies zwar einen besonderen Umfang auf. Dies folgt bereits daraus, dass die Verfahrensakten bei Anklageerhebung ca. 12.500 Seiten umfassten; hinzu kamen mehrere Beiakten sowie elektronische Datenträger. Der Aktenumfang lag damit weit über dem eines durchschnittlichen Jugendschwurgerichtsverfahrens.
b) Wie erläutert reicht ein besonderer Umfang oder eine besondere Schwierigkeit des Verfahrens für die Bewilligung einer Pauschgebühr nach § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG allerdings nicht aus. Hinzukommen muss, dass die gesetzlichen Gebühren dem Antragsteller unzumutbar sind. Das ist hier nicht der Fall:
(1) Die Pflichtverteidigergebühren belaufen sich – wie von der Bezirksrevisorin in ihrer Stellungnahme vom 19.02.2025 im Einzelnen dargestellt – auf 57.438,00 EUR.
Dem Antragsteller ist darin zuzustimmen, dass ihm allein dieser Betrag wegen des besonderen Verfahrensumfangs nicht zuzumuten wäre. Bei gleicher Sachlage wie im Parallelverfahren zu dem korrespondierenden Antrag des weiteren Pflichtverteidigers Dr. pp. (1 AR 206/24) hätte der Senat dem Antragsteller deshalb eine Pauschgebühr bewilligt, bei der anstelle der Pflichtverteidigergebühren für die Positionen VV RVG 4101 (Grundgebühr: 216,00 EUR) und 4119 (Verfahrensgebühr für das gerichtliche Verfahren: 424,00 EUR) jeweils die fünffache Wahlverteidigerhöchstgebühr anzusetzen gewesen wäre (VV RVG 4101: 495 x 5 = 2.475,00 EUR; VV RVG 4119: 949 x 5 = 4.745,00 EUR). Die Pauschgebühr hätte sich damit auf insgesamt 64.018,00 EUR belaufen (für die Aufschlüsselung dieses Betrags wird auf die Darstellung auf Seite 3 der Stellungnahme der Bezirksrevisorin verwiesen, wobei der dort für die Position VV RVG 4119 angesetzte Betrag von 2.120,00 EUR auf einem offensichtlichen Rechenfehler beruht und richtigerweise 4.745,00 EUR lauten müsste).
(2) Der vorliegende Fall unterscheidet sich allerdings insofern von dem Sachverhalt im Parallelverfahren 1 AR 206/24, als der hiesige Antragsteller zusätzlich zu den gesetzlichen Gebühren von Seiten des Mandanten ein Pauschalhonorar für die Verteidigung im Ermittlungsverfahren in Höhe von 20.000,00 EUR erhalten hat. Diese Zahlung wurde nach § 58 Abs. 3 RVG nicht auf die gesetzliche Vergütung angerechnet.
Zahlungen, die ein beigeordneter Rechtsanwalt von dem Mandanten oder von Dritten für seine Tätigkeit in dem betroffenen Verfahren erhalten hat, sind bei der Prüfung, ob ihm die gesetzlichen Gebühren i. S. v. § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG zumutbar sind, zu berücksichtigen, soweit sie nicht nach § 58 Abs. 3 RVG auf diese angerechnet wurden (OLG Hamm, Beschluss vom 16.10.2012 - III–5 RVGs 101/12, BeckRS 2012, 24463). Ist der Rechtsanwalt unter Berücksichtigung dieses Betrags zumutbar vergütet, liegt ein auszugleichendes Sonderopfer nicht vor (Stollenwerk in Schneider/Volpert/Fölsch, Gesamtes Kostenrecht, 3. Auflage 2021, Rn 25).
So liegt der Fall hier: Unter Berücksichtigung der dem Antragsteller zusätzlich zu den gesetzlichen Gebühren zugeflossenen Zahlung von Seiten des Mandanten über 20.000,00 EUR hat er (netto) insgesamt 77.438,00 EUR (bzw. nach eigener Darstellung 77.671,00 EUR) für seine Verteidigertätigkeit in diesem Verfahren erhalten. Diese ist damit auch unter Berücksichtigung des besonderen Verfahrensumfangs insgesamt zumutbar vergütet; sie liegt nur geringfügig unter den einfachen Wahlverteidigerhöchstgebühren i.H.v. 84.186,00 EUR, die regelmäßig die Höchstgrenze für eine Pauschgebühr bilden (OLG Köln, Beschluss vom 10.04.2019 – 1 RVGs 15/19).
Der von der Zessionarin in ihrem Schriftsatz vom 08.04.2025 erhobene Einwand, die Zahlung des Mandanten müsse unberücksichtigt bleiben, weil es sich um ein Honorar für die Verteidigung im Ermittlungsverfahren handele, der Pauschantrag sich aber ausschließlich auf das gerichtliche Verfahren beziehe, greift nicht durch: Für die Bewertung, ob die gesetzlichen Gebühren zumutbar sind, ist eine Gesamtbetrachtung des Verhältnisses zwischen den vom Anwalt erbrachten Tätigkeiten einerseits und den gesetzlichen Gebühren sowie etwaigen zusätzlichen Zahlungen des Mandanten oder Dritter an den Anwalt andererseits vorzunehmen. Dies gilt auch dann, wenn sich der Antrag nur auf einzelne Verfahrensabschnitte bezieht. Hat der Antragsteller - wie hier - für die Verteidigung im Ermittlungsverfahren ein Pauschalhonorar vom Mandanten erhalten, das die gesetzlichen Gebühren für jenen Verfahrensabschnitt um ein Vielfaches übersteigt, kann dieser Umstand bei der Zumutbarkeitsprüfung nicht deshalb ausgeblendet werden, weil ein Pauschantrag nur für die übrigen Verfahrensabschnitte gestellt wird.
Etwas anderes folgt entgegen der Ansicht der Zessionarin auch nicht daraus, dass der Antragsteller für das Ermittlungsverfahren keine Vergütung gegenüber der Staatskasse geltend gemacht hat: Wäre dem Antragsteller für das Ermittlungsverfahren kein Honorar vom Mandanten zugeflossen und hätte er daher den Pauschantrag auch auf seine diesbezügliche Tätigkeit erstreckt (dies wäre ggf. gemäß § 51 Abs. 1 Satz 4, 48 Abs. 6 RVG möglich gewesen, obwohl seine Beiordnung erst am zweiten Hauptverhandlungstag, also nach Abschluss des Ermittlungsverfahrens erfolgte), wäre - entsprechend der Handhabung im Parallelverfahren 1 AR 206/24 – die im vorliegenden Fall unzumutbar niedrige Verfahrensgebühr für das vorbereitende Verfahren i. H. v. 177,00 EUR (VV RVG Nr. 4105) durch die fünffache Wahlverteidigerhöchstgebühr (5 x 362,50 EUR = 1.812,50 EUR) ersetzt worden und insgesamt eine Pauschgebühr i. H. v. 65.830,50 EUR zu bewilligen gewesen (= 1.812,50 EUR Verfahrensgebühr für das vorbereitende Verfahren + 64.018,00 EUR für die übrigen Tätigkeiten, vgl. unter (1)). Da der dem Antragsteller tatsächlich für die Verteidigung zugeflossene Betrag von 77.671,00 EUR somit über der Summe liegt, die ihm – ohne die Zahlung des Mandanten für das Vorverfahren - hypothetisch als Pauschvergütung zu bewilligen gewesen wäre, liegt kein ausgleichsbedürftiges Sonderopfer vor.
(3) Da die Bewilligung einer Pauschgebühr aus den vorstehend erläuterten Gründen schon aufgrund des dem Antragsteller zusätzlich zu den gesetzlichen Gebühren zugeflossenen Mandantenhonorars i.H.v. 20.000,00 EUR ausscheidet, ist nur mehr ergänzend anzumerken, dass eine Unzumutbarkeit der gesetzlichen Gebühren i. S. v. § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG hier auch deshalb zu verneinen wäre, weil der Antragsteller seine Verteidigertätigkeit in diesem Verfahren zur Erzielung weiterer Einkünfte fruchtbar gemacht hat, die ohne seine Beteiligung an dem Verfahren nicht möglich gewesen wären.
(a) Der Antragsteller gestaltet allgemeinkundig gemeinsam mit einer Hörfunkmoderatorin eine Podcast-Serie unter dem Titel „Bayern3 True Crime“. In den einzelnen Folgen spricht der Antragsteller mit der Moderatorin über Kriminalfälle bzw. Gerichtsverhandlungen. Häufig handelt es sich dabei um Fälle, an denen er selbst als Verteidiger mitgewirkt hat (Quelle: wikipedia.de). In insgesamt sechs Folgen zwischen August 2021 und März 2023 ging es dabei um das vorliegende Verfahren (sog. „Dreifachmord von Starnberg“). Der Antragsteller berichtet darin ausführlich über Erkenntnisse aus dem bzw. Einblicke in das Verfahren, die nur Verfahrensbeteiligten zugänglich sind.
Darüber hinaus gestaltet der Antragsteller gemeinsam mit dem Nachrichtensprecher pp.. Live-Veranstaltungen, in denen das hiesige Verfahren im Rahmen eines zwischen beiden ausgetragenen „unterhaltsamen Wettkampfes um die Stimmen des Publikums“ (Quelle: augsburger-allgemeine.de) mit dem Antragsteller in der Rolle des Verteidigers und pp. in der Rolle der Justiz „verhandelt“ wird. Dabei werden unter anderem verpixelte Filmausschnitte und Originalaufnahmen aus der Mordnacht gezeigt (Quelle wie vorstehend).
Da der Podcast, dessen einzelne Folgen unter anderem auf der kommerziellen Streaming-Plattform spotify.com abrufbar sind, seit 2020 mehr als 50 Millionen Aufrufe generiert hat und deutschlandweit im Jahr 2023 zu den Top Ten in der Kategorie „True Crime“ gehörte (Quelle: wikipedia.de), liegt es auf der Hand, dass der Antragsteller aus seiner Mitwirkung daran in nicht unerheblichem Umfang Einkünfte bezogen hat. Dasselbe gilt für die Auftritte im Rahmen der Abendveranstaltungen mit pp, für die Eintrittskarten – wie Webseiten einschlägiger Anbieter zu entnehmen ist - aktuell zwischen 39,99 EUR und 99,99 EUR (sog. „VIP-Paket“) kosten.
(b) Einkünfte des Antragstellers aus den geschilderten Tätigkeiten sind für die Bewertung der Frage, ob ihm die gesetzlichen Pflichtverteidigergebühren i. S. v. § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG zugemutet werden können, ebenfalls zu berücksichtigen, soweit die Podcasts bzw. Live-Veranstaltungen das hiesige Verfahren zum Gegenstand haben.
Rechtsprechung zur Frage der Berücksichtigungsfähigkeit derartiger Einkünfte bei der Entscheidung über Pauschgebührenanträge existiert bislang nicht (was unschwer damit zu erklären sein dürfte, dass Fälle, in denen Strafverteidiger Erkenntnisse aus Verfahren, an denen sie selbst beteiligt waren, medial zu Unterhaltungszwecken kommerzialisieren, singulär sind).
Die Berücksichtigung von Einkünften aus einer derartigen kommerziellen Zweitverwertung von Pflichtverteidigungsmandaten bei der Entscheidung über Pauschgebührenanträge steht sowohl mit dem Wortlaut als auch mit dem Sinn und Zweck von § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG im Einklang: Die Beschränkung von Pauschgebühren auf Fälle, in denen die gesetzlichen Gebühren dem Anwalt wegen des besonderen Umfangs oder der besonderen Schwierigkeit nicht zuzumuten sind, soll den Ausnahmecharakter der Regelung zum Ausdruck bringen und den Anwendungsbereich auf Fälle beschränken, in denen die gegenüber den Gebühren eines Wahlverteidigers geringeren Pflichtverteidigergebühren dazu führen würden, dass der beigeordnete Anwalt durch seine Inanspruchnahme für öffentliche Zwecke ein Sonderopfer erleidet (BT-Drs 15/1971, S. 201). Ein solches Sonderopfer liegt aber nicht vor, wenn dem Pflichtverteidiger infolge seiner Beiordnung zusätzlich zu den gesetzlichen Gebühren weitere finanzielle Vorteile zugeflossen sind, die er ohne sie nicht hätte erzielen können.
Gestützt wird diese Ansicht durch den Rechtsgedanken der Vorteilsausgleichung im Schadenersatzrecht. Danach muss sich der Geschädigte auf seinen Schadenersatzanspruch Vorteile anrechnen lassen, die ihm in adäquat-kausalem Zusammenhang mit dem Schadensereignis zugeflossen sind, wenn dies weder ihn unbillig belastet noch den Anspruchsgegner unangemessen entlastet (vgl. Oetker in Münchener Kommentar BGB, 9. Auflage 2022, § 249, Rn 235). Zwar geht es im vorliegenden Fall nicht um einen Schadenersatzanspruch, sondern um einen öffentlich-rechtlichen Vergütungsanspruch. Wie erläutert ist § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG allerdings Ausdruck der Verpflichtung des Staates, zurechenbar von ihm verursachte Sonderopfer Privater auszugleichen (sog. Aufopferungsanspruch) und es ist anerkannt, dass die Grundsätze der Vorteilsausgleichung auch auf Aufopferungsansprüche anwendbar sind (vgl. Schenke, Staatshaftung und Aufopferung – Der Anwendungsbereich des Aufopferungsanspruchs, NJW 1991, 1777, 1785).
Für § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG folgt daraus, dass die gesetzlichen Gebühren dem Pflichtverteidiger zugemutet werden können, wenn sie aufgrund des besonderen Umfangs oder der besonderen Schwierigkeit des Verfahrens zwar für sich genommen außer Verhältnis zu dem mit der Verteidigung verbundenen Aufwand stehen, dem Antragsteller aber aus einer kommerziellen Zweitverwertung seiner Verteidigertätigkeit – wie hier durch die Mitwirkung an Unterhaltungsformaten, die tragend auf Einblicken in das Verfahren aus der Perspektive des Verteidigers beruhen - zusätzliche Einkünfte zugeflossen sind, durch die sich die Beiordnung für ihn bei einer wirtschaftlichen Gesamtschau „bezahlt gemacht“ hat. Denn derartige Einkünfte stehen in adäquat-kausalem Zusammenhang mit der Pflichtverteidigertätigkeit und ihre Berücksichtigung bei der Prüfung der Zumutbarkeit der gesetzlichen Gebühren begründet weder eine unangemessene Entlastung der Staatskasse noch eine unbillige Belastung des Verteidigers im Sinne der oben genannten Kriterien für einen Vorteilsausgleich: Zwar beruhen solche Einkünfte auf einer Tätigkeit außerhalb des Verfahrens und sind mit zusätzlichem Arbeitsaufwand verbunden. Der Antragsteller wird durch ihre Berücksichtigung bei der Zumutbarkeitsprüfung gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG gleichwohl deshalb nicht unbillig belastet, weil sie ohne die Pflichtverteidigertätigkeit nicht möglich gewesen wären: Die Rolle des Antragstellers sowohl bei den Podcasts als auch bei den Live-Veranstaltungen beschränkt sich nicht auf die Beantwortung allgemeiner Rechtsfragen im Zusammenhang mit dem Fall (die auch einem nicht an dem Verfahren beteiligten Strafrechtler möglich wäre), sondern das Alleinstellungsmerkmal, das die Popularität beider Formate begründet, besteht gerade darin, dass der Antragsteller dem Publikum aus seiner Rolle als Verteidiger Einblicke in einen „echten“, aufsehenerregenden Kriminalfall aus der Praxis gewährt, die nur unmittelbaren Verfahrensbeteiligten zugänglich sind. So geht der Antragsteller in dem Podcast etwa dezidiert auf einzelne Beweismittel ein und erläutert ausführlich, weshalb diese aus seiner Sicht nicht geeignet seien, den Tatnachweis zu erbringen. Im Rahmen der Live-Veranstaltungen werden – wie oben ausgeführt – zusätzlich verpixelte Filmausschnitte und Originalaufnahmen aus der Mordnacht gezeigt.
(c) Weitere Aufklärung zur Höhe der Einkünfte, die der Antragsteller aus den genannten Tätigkeiten erzielt hat, war nicht erforderlich, weil ihm die gesetzlichen Gebühren bereits aus dem unter Ziffer (2) erläuterten Grund zumutbar sind.
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