Gericht / Entscheidungsdatum: LG Ravensburg, Beschl. v. 30.07.2024 - 2 Qs 61/24
Eigener Leitsatz:
1. Die StPO sieht weder eine besondere Form für Durchsuchungsanordnungen nach §§ 102, 105 StPO vor noch deren Unterzeichnung.
2. Für die Zulässigkeit einer regelmäßig in einem frühen Stadium der Ermittlungen in Betracht kommenden Durchsuchung genügt der über bloße Vermutungen hinausreichende, auf bestimmte tatsächliche Anhaltspunkte gestützte konkrete Verdacht, dass eine Straftat begangen worden ist und der Verdächtige als Täter oder Teilnehmer in Betracht kommt. Gemessen an diesen Maßstäben liegen sachlich zureichende Gründe für eine Durchsuchung vor, wenn sich aus einer sichergestellten, an den Beschuldigten adressierten Postsendung und der festgestellten Gesamtmenge an Cannabis der Verdacht ergibt, dass der Beschuldigte mit Cannabis in nicht geringer Menge Handel getrieben hat.
3. Der Zweck der (körperlichen) Untersuchung nach § 81 a Abs. 1 S. 1 StPO darf nur die Feststellung verfahrenserheblicher Tatsachen sein, für deren Vorliegen bereits bestimmte Anhaltspunkte bestehen. Das ist nicht der Fall, wenn die mit der Untersuchung begehrten Feststellungen für das Verfahren nicht von Bedeutung sind, wenn also z.B. die körperliche Untersuchung mit Blutentnahme zum Zwecke des Nachweises von Substanzen im Körper auf die Feststellung von Umgang mit Cannabis gerichtet ist, der aber nach Inkrafttreten des Konsumcannabisgesetzes gerade nicht mehr unter das Betäubungsmittelgesetz gefällt.
2 Qs 61/24
Landgericht Ravensburg
- 2. Große Strafkammer
als Beschwerdekammer -
Beschluss
vom 30. Juli 2024
in der Beschwerdesache des pp.
- Verteidiger:
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge
1. Auf die Beschwerde des Beschuldigten wird festgestellt, dass die Anordnung der Blutentnahme im Beschluss des Amtsgerichts Ravensburg vom 12. April 2024 rechtswidrig war.
2. Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet verworfen.
3. Der Beschwerdeführer trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Die Gebühr für das Beschwerdeverfahren wird um ein Drittel ermäßigt. Von den notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers trägt die Staatskasse ein Drittel.
Gründe:
Die Staatsanwaltschaft Ravensburg führt gegen den Beschuldigten ein Ermittlungsverfahren wegen-Handels mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge. Am 6. Oktober 2023 wurden bei Leerung eines Postkastens in 23 Luftpolsterumschläge, in denen sich Betäubungsmittel befanden, aufgefunden und sichergestellt. Darunter befand sich ein an den Beschuldigten unter seiner damaligen Wohnanschrift am pp. adressiertes Einschreiben, in dem sich 49,73 Gramm Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von 16,6 % THC befanden.
Das Amtsgericht - Ermittlungsrichter - Ravensburg hat am 19. März 2024 auf Antrag der Staatsanwaltschaft zunächst die Durchsuchung der Wohnung des Beschuldigten unter der auf der Sendung angegebenen Adresse am pp. zur Suche nach Betäubungsmitteln, Betäubungsmittelutensilien und schriftlichen Unterlagen, Handys und sonstigen Speichermedien sowie anderen Gegenständen, die Aufschluss über den illegalen Umgang mit Betäubungsmitteln geben könnten, angeordnet. Daneben wurde zugleich die körperliche Untersuchung des Beschuldigten gemäß § 81a StPO mit Entnahme und Untersuchung einer Blutprobe zum Nachweis von Substanzen, deren Erwerb und Besitz nach dem Betäubungsmittelgesetz nicht erlaubt sind, angeordnet.
Nach Bekanntwerden der aktuellen Wohnanschrift des Beschuldigten hat das Amtsgericht - Ermittlungsrichter - Ravensburg auf Antrag der Staatsanwaltschaft am 12. April 2024 die oben genannten Anordnungen in einem bis auf das Durchsuchungsobjekt, das durch die aktuelle Wohnung des Beschuldigten im pp. ersetzt wurde, gleichlautenden Beschluss erneut getroffen.
Die Durchsuchung der Wohnung des Beschuldigten erfolgte am 12. Juni 2024. Der Beschuldigte gab in diesem Rahmen freiwillig eine Urinprobe zur Untersuchung auf Betäubungsmittel ab.
Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 1. Juli 2024 hat der Beschuldigte Beschwerde gegen den „Durchsuchungsbeschluss (BI. 63)" eingelegt. Zur Begründung wird vorgebracht, dass dieser nicht unterschrieben und daher unheilbar rechtswidrig sei. Außerdem sei die Anordnung der Blutentnehme rechtswidrig erfolgt, da es an einem Kausalzusammenhang zwischen der Blutentnahme als Beweismittel und der Tatbestandsverwirklichung fehle.
Das Amtsgericht Ravensburg hat der Beschwerde mit Beschluss vorn 10. Juli 2024 nicht abgeholfen und die Akten zur Entscheidung vorgelegt.
Dem Beschuldigten wurde am 23. Juli 2024 ergänzend rechtliches Gehör gewährt. Ergänzend zum Beschwerdevorbringen macht der Beschuldigte mit Schriftsatz vom 25. Juli 2024 einen Verstoß gegen den Grundsatz der Aktenvollständigkeit und -wahrheit geltend.
Die gemäß § 304 Absatz 1 StPO statthafte Beschwerde ist zulässig und hat teilweise Erfolg.
1. Das Rechtsmittel des Beschuldigten ist als Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Ravensburg vorn 12. April 2024 auszulegen. Soweit sich der Beschwerdeschriftsatz auf den „Durchsuchungsbeschluss (BI. 63)" bezieht; ergibt sich aus dem weiteren Vorbringen, dass sich der Beschuldigte gegen die gerichtliche Entscheidung insgesamt und alle enthaltenen Anordnungen wendet.
Die Beschwerde ist dabei in Form des Antrags auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Anordnungen zur Durchsuchung und körperlichen Untersuchung zulässig, § 304 Abs. 1 StPO. Dass beide Anordnungen. im Zeitpunkt der Einlegung der Beschwerde nach Vollzug der Durchsuchung und Abwendung der körperlichen Untersuchung durch Abgabe einer Urinprobe bereits erledigt waren, steht der Zulässigkeit des Rechtsmittels nicht entgegen. So fordert das Gebot. des effektiven Rechtsschutzes aus Artikel 19 Abs. 4 GG, dass bei tiefgreifenden; tatsächlich jedoch nicht mehr fortwirkenden Grundrechtseingriffen auch dann die Berechtigung des Eingriffs gerichtlich überprüft werden kann, wenn sich die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene die gerichtliche Entscheidung in der von der Prozessordnung gegebenen Instanz kaum erlangen kann (BVerfG, Beschluss vom 30. April 1997 - 2 BvR 81/90 u.a., NJW 1997, 2163). Ein schwerwiegender Grundrechtseingriff ist sowohl mit der Durchsuchung, von Wohnräumen (BVerfG, Beschluss. vom 30.April 1997 - 2 BvR 817/90 u.a., NJW 1997, 2163) als auch mit körperlichen Untersuchungen i.S.d. § 81a StPO, zu deren Durchsetzung Zwangsmittel zulässig sind (OLG Celle, Beschluss vom 13. Dezember 2011 — 2 Ws 341/1.1, BeckRS 2012, 5263; KG Beschluss vom 30.Oktober 2013 — 4 Ws 117-119/13, BeckRS 2014, 5725), verbunden.
2. Die zulässige Beschwerde bleibt, soweit sie gegen die Anordnung der Durchsuchung gerichtet ist, in der Sache ohne Erfolg, da der Beschluss insoweit formell und materiell rechtmäßig ergangen ist.
a) Der Durchsuchungsbeschluss ist in nach § 105 StPO ordnungsgemäßem Verfahren ergangen und in Inhalt und Form nicht zu beanstanden. Soweit der Beschuldigte vorträgt, dass der Beschluss nicht unterschrieben und daher rechtswidrig sei, geht dieses Vorbringen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht fehl. So ergibt sich aus den von der Staatsanwaltschaft vorgelegten Akten bereits auf den ersten Blick, dass es sich bei den unter Bl. 63 - 64 abgelegten Unterlagen lediglich um einen Ausdruck des-Beschlussentwurfes handelt, den die Staatsanwaltschaft am 11. April 2024 per E-Mail an das Amtsgericht Ravensburg übermittelt hat Entgegen dem Vorbringen des Beschwerdeführers bestehen keine Zweifel daran, dass der zuständige Ermittlungsrichter den Beschluss, inhaltlich wie von der Staatsanwaltschaft im Entwurf beantragt, am 12. April 2024 erlassen hat Während sich der Beschluss im Original im Ermittlungsordner der Polizei befindet, liegt den Akten der Staatsanwaltschaft eine Ausfertigung des Beschlusses (BI. 68 f. d.A.) bei.
Lediglich ergänzend wird darauf hingewiesen, dass das Gesetz weder eine besondere Form für Durchsuchungsanordnungen nach §§ 102, 105 StPO vorsieht, noch die Unterzeichnung von Entscheidungen im Beschlussweg vorschreibt (vgl. BGH in NStZ 1985, 492; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., vor § 33 Rn. 6 m.w.N.).
b) Darüber hinaus lagen die materiellen Voraussetzungen für die Anordnung einer Durchsuchung vor. Für die Zulässigkeit einer regelmäßig in einem frühen Stadium der Ermittlungen in Betracht kommenden Durchsuchung genügt der über bloße Vermutungen hinausreichende, auf bestimmte tatsächliche Anhaltspunkte gestützte konkrete Verdacht, dass eine Straftat begangen worden ist und der Verdächtige als Täter oder Teilnehmer in Betracht kommt (st. Rspr.; vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. September 2006, NJW 2007, 1443, m.w.N.). Gemessen an diesen Maßstäben lagen zum Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Beschlusses sachlich zureichende Gründe für eine Durchsuchung vor. So ergibt sich aus der sichergestellten, an den Beschuldigten adressierten Postsendung und der festgestellten Gesamtmenge an Cannabis der Verdacht, dass der Beschuldigte mit Cannabis in nicht geringer Menge Handel getrieben hat. Soweit der Durchsuchungsbeschluss auf die Strafvorschriften des Betäubungsmittelgesetzes Bezug nimmt, steht dies der Rechtmäßigkeit der Anordnung nicht entgegen. So ist das Handeltreiben mit Cannabis in nicht geringer Menge nach in Krafttreten des Gesetzes zum Umgang mit Konsumcannabis (KCanG), was die Kammer nach § 2 Absatz 3 StGB zu berücksichtigen hat, zwar nicht mehr nach dem Betäubungsmittelgesetz, jedoch weiterhin nach dem - hier milderen - § 34 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 KCanG strafbar (vgl. BGH, Beschluss vorn 24. April 2024 — 5 StR 136/24-juris). Der Tatverdacht ist durch die Beschlussbegründung hinreichend konkretisiert.
Die Durchsuchung war ausgehend von diesem Anfangsverdacht zum Zwecke des Auffindens von Beweismitteln, die Aufschluss über den unerlaubten Umgang des Beschuldigten mit Cannabis, insbesondere An- und Verkaufsaktivitäten, geben können, geeignet und unter Berücksichtigung des erheblichen Grundrechtseingriffs sowie der Stärke des Tatverdachts insgesamt verhältnismäßig. Mildere Mittel zur Erzielung des der Durchsuchung gleichkommenden, Zwecks sind nicht ersichtlich.
3. Soweit sich die Beschwerde gegen die Anordnung der körperlichen Untersuchung richtet, ist diese begründet. Es war die Rechtswidrigkeit der Anordnung festzustellen, da der Untersuchungszweck nicht von § 81a Abs. 1 S. 1 StPO erfasst ist.
So darf Zweck der Untersuchung nach § 81 a Abs. 1 S. 1 StPO nur die Feststellung verfahrenserheblicher Tatsachen sein, für deren Vorliegen bereits bestimmte Anhaltspunkte bestehen. Hierbei handelt es sich insbesondere um solche Tatsachen, die, wenn auch nur mittelbar, die Straftat, die Täterschaft und die Schuld des jeweiligen Beschuldigten beweisen oder die Rechtsfolgenentscheidung beeinflussen können (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 19. Juli 2016 — 5 Ws 249/16, BeckRS 2016, 14582 Rn. 19; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 81a, Rn. 6).
Dies ist vorliegend nicht der Fall, da die mit der Untersuchung begehrten Feststellungen für das Verfahren nicht von Bedeutung sind: So ordnet der Beschluss vom 12. April 2024 die körperliche Untersuchung mit Blutentnahme zum Zwecke des Nachweises von Substanzen im Körper an, deren Erwerb und Besitz nach dem Betäubungsmittelgesetz nicht erlaubt sind. Der Umgang mit Cannabis, der dem Beschuldigten nach dem bisherigen Ermittlungsergebnis zur Last liegt, fällt nach Inkrafttreten des Konsumcannabisgesetzes gerade nicht mehr unter das Betäubungsmittelgesetz. Unabhängig hiervon handelt es sich bei dem Nachweis einer Substanz, deren Erwerb und Besitz nach dem Betäubungsmittelgesetz strafbar wäre, nicht um eine verfahrenserhebliche Tatsache. Dabei verkennt die Kammer nicht, dass sich aus der Untersuchung einer Blutprobe grundsätzlich Hinweise auf das Konsumverhalten von Beschuldigten ergeben können, die etwa mit. Blick auf die Abgrenzung von Eigenkonsums- und Weiterverkaufsanteilen oder zur. Beurteilung einer etwaigen Suchtmittelproblematik für den Tatnachweis und die Rechtsfolgenentscheidung von Bedeutung sein können. Im konkreten Fall lässt das Ergebnis der Untersuchung einer aufgrund der Anordnung vom 12. April 2024 entnommenen Blutprobe jedoch keine entsprechen den Rückschlüsse mehr zu. So ist sowohl der Konsum von Cannabis als auch der Konsum anderer Betäubungsmittel durch Blutuntersuchungen grundsätzlich nur für einen Zeitraum von Stunden oder wenigen Tagen nachweisbar. Auch soweit eine Blutuntersuchung auf Abbauprodukte von bestimmten Substanzen Hinweise auf einen gelegentlichen oder sogar regelmäßigen Konsum geben-kann, erstreckt-sich-dies keinesfalls bis auf den sechs Monate-zurückliegenden Tatzeitpunkt. Erkenntnisse dazu, ob der Beschuldigte.im Tatzeitpunkt regelmäßigen Umgang mit Betäubungsmitteln und Cannabis pflegte und ein Zusammenhang mit der ihm zur Last gelegte Tat bestand, waren mit Blick auf den Zeitablauf durch die angeordnete Durchsuchung nicht mehr zu erlangen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 und Abs. 4 StPO.
Einsender: RA P. Bass, Bonn
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