Gericht / Entscheidungsdatum: LG Frankfurt (Oder), Beschl. v. 27.03.2025 - 23 Qs 11/25
Eigener Leitsatz:
Zur Unzulässigkeit der Anordnung der Begutachtung des Verteidigers, ob dieser die auf einem Bild vom Verkehrsverstoß abgebildete Person ist.
Landgericht Frankfurt (Oder)
Beschluss
In dem Bußgeldverfahren
gegen pp.
wegen Ordnungswidrigkeit
hier: Beschwerde des Rechtsanwalts pp. gegen den Beweisbeschluss vom 16. Dezember 2024
hat das Landgericht Frankfurt (Oder) - 3. große Strafkammer als Beschwerdekammer – durch pp. am 27.März 2025 beschlossen:
1. Auf die Beschwerde des Rechtsanwalts D. gegen den Beschluss des Amtsgerichts Fürstenwalde/Spree vom 16. Dezember 2024 wird der Beschluss insoweit aufgehoben, als dieser die Anordnung der Begutachtung des Beschwerdeführers betrifft.
2. Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Beschwerdeführer entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Gründe:
I.
Rechtsanwalt pp. wendet sich gegen den Beschluss des Amtsgerichts Fürstenwalde/Spree vom 16. Dezember 2024.
Gegen den Betroffenen pp. erließ die Zentrale Bußgeldstelle am 14. Juni 2024 wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 41 km/h einen Bußgeldbescheid. Mit Schriftsatz vom 17. Juni 2024 legte der Betroffene durch seinen Rechtsanwalt pp. Einspruch ein.
Auf den Einspruch hat das Amtsgericht Fürstenwalde/Spree mit Verfügung vom 28. Oktober 2024 einen Termin zur Durchführung der Hauptverhandlung auf den 16. Dezember 2024 14:00 Uhr bestimmt und sowohl den Verteidiger als auch den Betroffenen zum Termin geladen.
In der Hauptverhandlung beschloss das Gericht, die Hauptverhandlung auszusetzen. Weiterhin erließ das Amtsgericht den mit der Beschwerde angefochtenen Beweisbeschluss und ordnete unter anderem an, dass zur Klärung der Frage, ob die auf dem Lichtbild abgebildete Person der Betroffene oder der Beschwerdeführer sei, ein fotometrisches Gutachten unter Einbeziehung des Beschwerdeführers einzuholen.
Am 16. Dezember 2024 vermerkte die Vorsitzende, dass ausweislich des Internetauftritts des Beschwerdeführers dieser eindeutig, das Fahrzeug geführt habe. Der Betroffene und der Beschwerdeführer hätten im Hauptverhandlungstermin offensichtlich Rollen getauscht.
Am 18. Dezember 2024 verfügte die Vorsitzende, dass sie Einsicht in die Homepage des Beschwerdeführers genommen habe. Als Verteidiger sei wohl der Beschwerdeführer aufgetreten. Es sei jedoch unklar, ob der Betroffene persönlich im Termin gewesen war.
Rechtsanwalt D legte mit Schriftsatz vom 23. Dezember 2024 Beschwerde gegen die gerichtliche Anordnung, ihn vom gerichtlich bestellten Sachverständigen auf die Fahrereigenschaft untersuchen zu lassen, ein.
Mit Verfügung vom 9. Januar 2025 hat das Amtsgericht der Beschwerde nicht abgeholfen.
Eine Vorlage an das Landgericht Frankfurt (Oder) zur Entscheidung erfolgte am 24. Februar 2025.
II.
Die gemäß §§ 46 OWiG, 304 StPO zulässige Beschwerde ist begründet.
Die Beschwerde ist vorliegend auch nicht nach § 305 S.1 StPO ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift unterliegen Entscheidungen des erkennenden Gerichts, die der Urteilsfällung vorausgehen und nicht dem Anwendungsbereich des § 305 S. 2 StPO unterfallen, nicht der Beschwerde. Der Urteilsfällung vorausgehend sind solche Entscheidungen, die in einem inneren Zusammenhang mit dem Urteil stehen, seiner Vorbereitung dienen und keine weiteren Verfahrenswirkungen erzeugen (KG Berlin, Beschluss vom 10. Mai 2012, 4 Ws 42/12, juris, Rn. 5). Maßnahmen hingegen, die eine vom Urteil nicht umfasste, selbständige Beschwer eines Verfahrensbeteiligten bewirken sowie vom erkennenden Gericht nicht bei Erlass des Urteils und auch nicht im Rahmen einer Urteilsanfechtung nachprüfbar sind, bleiben selbständig anfechtbar (OLG Köln BeckRS 2024, 17212; Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt, 68. Aufl., § 305, Rn. 4). Dies ist hier der Fall. Der Verteidiger ist selbst nicht Betroffener und selbst beschwert. Die Anordnung der Begutachtung betreffend seine Person ist im Rahmen einer Urteilsanfechtung nicht möglich.
Nach § 77 Abs. 1 S. 1 OWiG bestimmt das Gericht den Umfang der Beweisaufnahme unbeschadet der Pflicht, die Wahrheit von Amts wegen zu erforschen. Im gerichtlichen Bußgeldverfahren gilt uneingeschränkt der Grundsatz der Amtsaufklärung (BGHSt. 25, 365, 368 = NJW 1974, 2295; OLG Koblenz VRS 51, 443, VRS 73, 301; BayObLGSt. 1970, 58; OLG Karlsruhe NStZ 1988, 226).
In Bußgeldverfahren ist der Richter jedoch nicht befugt, den Umfang der Beweisaufnahme nach freiem Ermessen zu bestimmen (ebenso Göhler/Seitz/Bauer Rn. 4); sein Ermessen ist vielmehr gebunden und wird durch die Pflicht zur Sachaufklärung begrenzt (KG VRS 39, 434; OLG Koblenz VRS 48, 120; OLG Stuttgart Justiz 1970, 115). Der Umfang der Aufklärungspflicht reicht soweit, wie die dem Gericht aus den Akten, durch Anträge oder Beweisanregungen oder auf sonstige Weise bekannt gewordenen Tatsachen zum Gebrauch von Beweismitteln drängen oder ihn nahelegen (BGHSt. 3, 169, 175 = NJW 1952, 1343; 10, 116, 118 = NJW 1957, 598; 23, 176, 187 = NJW 1970, 523; 30, 131, 140 = NJW 1981, 2267; OLG Hamm JMBINW 1980, 70; NStZ 1984, 462 = VRS 67, 450, 453; OLG Koblenz VRS 48, 120; 51, 443; 55, 130; OLG Stuttgart NJW 1981, 2525; Meyer-Goßner/Schmitt § 244 Rn. 12).
Die Entscheidung nach § 77 OWiG ist eine Ermessensentscheidung, die das Beschwerdegericht folglich nur eingeschränkt, nämlich auf Ermessensfehler zu überprüfen befugt ist. Das Beschwerdegericht kann mithin nur überprüfen, ob der Tatrichter sein Ermessen verkannt, die Grenzen seines Ermessens überschritten oder von seinem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. Das Beschwerdegericht kann also nicht eine eigene Ermessensentscheidung, die genauso gut hätte getroffen werden können, an die Stelle einer ermessensfehlerfreien Ermessensentscheidung des Ausgangsgerichts treffen. Ist allerdings die Entscheidung des Ausgangsgerichts ermessensfehlerhaft, so hat das Beschwerdegericht nach § 309 Abs. 2 StPO in der Sache zu entscheiden.
Gemessen an diesen Anforderungen leidet die Entscheidung des Amtsgerichts an Ermessensfehlgebrauch. Für die Sachaufklärung ist die Einbeziehung des Beschwerdeführers nicht erforderlich. Auf die Frage, ob der Betroffene oder der Beschwerdeführer der Fahrer war, kommt es nicht an. Das Gericht hat eine Sachentscheidung hinsichtlich des Betroffenen zu treffen und zu entscheiden, ob dieser als Fahrzeugführer identifiziert werden kann. Die Entscheidung der Kammer bedeutet jedoch nicht, dass der Sachverständige gehindert wäre, Fotos von dritten Personen, die sich in der Akte befinden, hinzuzuziehen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 467 StPO analog.
Einsender: RA T. Dils, Bautzen
Anmerkung: