Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Hamm, Beschl. v. 13.02.2025 - 2 ORs 65/24
Eigener Leitsatz:
Die indizielle Bedeutung eine Regelbeispiels wird entkräftet, wenn die Tat in ihrem Unrechts- und Schuldgehalt derart vom Normalfall des Regelbeispiels abweicht, dass die Bewertung der Tat als besonders schwerer Fall und die Anwendung des modifizierten Strafrahmens als unangemessen erscheint.
OBERLANDESGERICHT HAMM
BESCHLUSS
III-2 ORs 65/24 OLG Hamm
Strafsache
Gegen pp.
Verteidiger:
wegen Verstoßes gegen das KCanG.
Auf die (Sprung-)Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts -Strafrichter - Schwerte vom 23. August 2024 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm
am 13. Februar 2025 durch
nach Antrag und Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft sowie des Angeklagten bzw. seines Verteidigers einstimmig gemäß § 349 Abs. 2 und Abs. 4 StPO beschlossen:
Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch mit den dazu getroffenen Feststellungen aufgehoben.
Im Übrigen wird die Revision mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass der Angeklagte des Überlassens von Cannabis zum unmittelbaren Verbrauch schuldig ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an eine andere Abteilung des Amtsgerichts - Strafrichter - Schwerte zurückverwiesen.
Gründe:
Der Angeklagte ist durch Urteil des Amtsgerichts - Strafrichter - Schwerte vom 23.08.2024 wegen Verstoßes gegen § 34 KCanG zu einer Geldstrafe in Höhe von 110 Tagessätzen zu je 15,- € verurteilt worden.
Nach den Feststellungen des Amtsgerichts hat der Angeklagte der zur Tatzeit (der Tattag wird im angefochtenen Urteil offensichtlich versehentlich mit dem 05.04.2024 angegeben; Tattag war hingegen der 05.04.2023) noch minderjährigen Zeugin pp. einen Joint mit Cannabis gegeben, den beide sodann konsumierten.
Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 29.08.2024 ein - zunächst unbenanntes - Rechtsmittel eingelegt, das er mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 12.10.2024 als Revision bezeichnet und mit der Verletzung formellen und materiellen Rechts begründet hat.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat mit Zuschrift vom 02.12.2024 beantragt, die Revision mit der Maßgabe als offensichtlich unbegründet zu verwerfen, dass der Angeklagte wegen Überlassung von Cannabis zum unmittelbaren Verbrauch verurteilt ist:
Der Angeklagte hat hierzu mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 17.01.2025 Stellung genommen.
Die (Sprung-)Revision des Angeklagten ist zulässig und hat teilweise Erfolg. Unter Verwerfung der weitergehenden Revision als unbegründet war das angefochtene Urteil im Schuldspruch abzuändern und im Rechtsfolgenausspruch aufzuheben; im Umfang der Aufhebung war die Sache nach § 354 Abs. 2 StPO zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts -Strafrichter - Schwerte zurückzuverweisen.
1. Auf die Sachrüge hin war der Schuldspruch nach den getroffenen Feststellungen dahingehend zu ändern, dass der Angeklagte der Überlassung von Cannabis zum Unmittelbaren Verbrauch gemäß § 34 Abs. 1 Nr. 8 KCanG i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 8 KCanG schuldig ist. Nach den Feststellungen hat der Angeklagte der Zeugin den Joint mit Cannabis zum unmittelbaren Verbrauch an Ort und Stelle überlassen. Die vom Amtsgericht angenommene Abgabe gemäß § 34 Abs. 1 Nr. 7 KCanG hätte eine Abgabe von Cannabis zur freien Verfügung vorausgesetzt (vgl. Patzak/Fabricius, Betäubungsmittelgesetz, 11. Aufl. 2024, § 34 KCanG Rz 133).
Da die zur Beurteilung der Strafbarkeit maßgeblichen Feststellungen bereits rechtsfehlerfrei getroffen worden sind, konnte der Schuldspruch durch den Senat entsprechend § 354 Abs. 1 StPO geändert werden. Dem stand auch nicht die Hinweispflicht nach § 265 StPO entgegen, da der Angeklagte sich nicht anders als geschehen hätte verteidigen können.
Im Übrigen war die Revision, soweit sie den Schuldspruch betrifft, nach § 349 Abs. 2 StPO als offensichtlich unbegründet zu verwerfen, da die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung insoweit keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat.
2.
Das angefochtene Urteil weist jedoch auf die Sachrüge hin durchgreifende Rechtsfehler im Rechtsfolgenausspruch zu Lasten des Angeklagten auf, auf denen es beruht.
Die Strafzumessung unterliegt nur in begrenztem Umfang der revisionsrechtlichen Überprüfung. Es ist grundsätzlich Aufgabe des Tatgerichts auf der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den es in der Hauptverhandlung von den Taten und der Täterpersönlichkeit gewonnen hat, die wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände festzustellen, sie zu bewerten und gegeneinander abzuwägen. Ein Eingriff des Revisionsgerichts ist nur möglich, wenn die Strafzumessungserwägungen des Tatgerichts in sich fehlerhaft sind, insbesondere gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstoßen, wenn das Tatgericht von einem falschen Strafrahmen ausgegangen ist oder sich die Strafe soweit nach oben oder unten von ihrer Bestimmung löst, gerechter Schuldausgleich zu sein, dass sie nicht mehr innerhalb des Spielraums liegt, der dem Tatgericht bei der Strafzumessung eingeräumt ist (zu vgl. OLG Hamm, Urteil vom 10.02.2015 -111-5 RVs 76/14 - , juris).
Das Amtsgericht hat der Strafzumessung den erhöhten Strafrahmen des besonders schweren Falles § 34 Abs. 3 Nr. 3 a KCanG zugrunde gelegt, dabei jedoch nicht geprüft, ob eine Ausnahme von der Regelwirkung vorliegt, so dass von dem Nornnalstrafrahmen auszugehen gewesen wäre. Die indizielle Bedeutung des Regelbeispiels wird entkräftet, wenn die Tat in ihrem Unrechts- und Schuldgehalt derart vom Normalfall des Regelbeispiels abweicht, dass die Bewertung der Tat als besonders schwerer Fall und die Anwendung des modifizierten Strafrahmens als unangemessen erscheint (vgl. Patzak/Fabricius, a.a.O. § 29 BtMG Rz 1536; Fischer, StGB, 71. Aufl. 2024, § 46 Rz 91). Dies ist der Fall, wenn die dem Angeklagten günstigen Strafzumessungsfaktoren jeweils für sich oder in ihrer Gesamtheit so gewichtig sind, dass sie bei der gebotenen Gesamtabwägung die Indizwirkung des Regelbeispiels entkräften.
Zu einer derartigen Prüfung bestand vorliegend anhand der überwiegend strafmildernden Faktoren Anlass.
Auch die konkrete Strafzumessung weist Rechtsfehler auf. So hat das Amtsgericht zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt, er habe die hilflose Lage der Zeugin ausgenutzt, ohne dass dies durch hinreichende Feststellungen belegt ist. Allein eine unfallbedingte Erregung ist keine hilflose Lage; auch bezüglich eines „Ausnutzens" sind im Urteil keine Umstände dargelegt worden, die dies belegen.
Einsender: RA Dr. P. R. Gülpen, Troisdorf,
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