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Entscheidungen

OWi

Bußgelderhöhung, Berücksichtigung von Nachtatverhalten

Gericht / Entscheidungsdatum: KG, Beschl. v. 10.03.2025 – 3 ORbs 20/25122 SsBs 5/25

Leitsatz des Gerichts:

1. Auch wenn das OWiG keine § 46 Abs. 2 Satz 2 StGB entsprechende Vorschrift enthält, unterfallen § 17 Abs. 3 Satz 1 OWiG („Vorwurf, den der Täter trifft“) nicht nur die Umstände, die die Begehung der Ordnungswidrigkeit betreffen, sondern auch solche, die das Nachtatverhalten betreffen.
2. Erscheint ein von fehlender Unrechtseinsicht getragenes Nachtatverhalten im Kern nicht als Ausfluss der Selbstbelastungsfreiheit, kann es grundsätzlich bei der Bemessung der Geldbuße berücksichtigt werden.
3. In einem solchen Fall muss der Tatrichter in den Urteilsgründen darlegen, ob das Verhalten des Betroffenen eine die Rechtsordnung missachtende Einstellung belegt. Ist dies der Fall, rechtfertigt ein solches Verhalten eine angemessene, aber nicht mathematisch bestimmbare (vorliegend: 25%) Erhöhung der Regelgeldbuße.


3 ORbs 20/25 - 122 SsBs 5/25

In der Bußgeldsache
gegen pp.

wegen Verkehrsordnungswidrigkeiten

hat der 3. Senat für Bußgeldsachen des Kammergerichts am 10. März 2025 beschlossen:

1. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts T. vom 12. November 2024 wird die Verfolgung mit Zustimmung der Generalstaatsanwaltschaft Berlin nach Anhörung des Betroffenen gemäß §§ 46 Abs. 1 OWiG, 154a Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 1 StPO hinsichtlich der Verurteilung zu 1) auf das vorsätzliche Überschreiten der zulässigen innerörtlichen Höchstgeschwindigkeit um 33 km/h in Tateinheit mit dem Nicht-bei-sich-Führen der Zulassungsbescheinigung I beschränkt. Der Schuldspruch des verbotenen Rechtsüberholens entfällt.
2. Die weitergehende Rechtsbeschwerde wird nach §§ 79 Abs. 3 Satz 1, 349 Abs. 2 StPO mit der Maßgabe verworfen, dass die Geldbußen hinsichtlich des Schuldspruches zu 1) auf 580,00 Euro und hinsichtlich des Schuldspruches zu 2) auf 250,00 Euro festgesetzt werden.
3. Der Betroffene hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

I.

Die Polizei in B. hat am 21. November 2023 gegen den Betroffenen einen Bußgeldbescheid wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen innerörtlichen Höchstgeschwindigkeit in zwei tateinheitlichen Fällen davon in einem Fall in weiterer Tateinheit mit verbotenem Rechtsüberholen sowie in Tatmehrheit mit dem Nicht-bei-sich-Führen der Zulassungsbescheinigung I erlassen, Geldbußen von 215 Euro und von 10 Euro sowie ein Fahrverbot von einem Monat mit einer Wirksamkeitsbestimmung nach § 25 Abs. 2a StVG angeordnet. Dagegen hat der Betroffene rechtzeitig Einspruch einlegt.

Das Amtsgericht T. hat den Betroffenen am 12. November 2024 entsprechend einem mit der Ladung erteilten rechtlichen Hinweis wegen vorsätzlichen Überschreitens der zulässigen innerörtlichen Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h um 33 km/h in Tateinheit mit verbotenem Rechtsüberholen und mit dem Nicht-bei-sich-Führen der Zulassungsbescheinigung I zu einer Geldbuße von 650,00 Euro und wegen vorsätzlichen Überschreitens der zulässigen innerörtlichen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um 23 km/h in Tateinheit mit dem Nicht-bei-sich-Führen der Zulassungsbescheinigung I zu einer weiteren Geldbuße von 280,00 Euro verurteilt, ein Fahrverbot von einem Monat verhängt sowie eine Wirksamkeitsbestimmung nach § 25 Abs. 2a StVG angeordnet.

Nach den Urteilsgründen ist das Gericht von folgenden Feststellungen und Wertungen ausgegangen:

Am 19. Oktober 2023 um 23.31 Uhr befuhr der Betroffene mit dem Fahrzeug, amtliches Kennzeichen xxx, die Bundesautobahn (BAB) 100 Richtung Süden, ohne die erforderliche Zulassungsbescheinigung I bei sich zu führen.

Unmittelbar nach der Auffahrt auf die BAB fiel er einer Zivilstreife auf, deren Besatzung - die Zeugen G. und B. - aufgrund seines Fahrverhaltens das im Fahrzeug verbaute Messsystem Provida 2000 startete und ihm nachfuhr. Während der Messzeit von 12 Sekunden legte der Betroffene mit seinem Fahrzeug 377, 81 Meter zurück. Die Auswertung der Daten mit dem Geschwindigkeitsauswertungsprogramm ViDistA ergab unter Berücksichtigung eines Toleranzabzuges von 6, 5 km/h eine Geschwindigkeit von 113 km/h. Der Betroffene, dem aufgrund der deutlich langsamer fahrenden weiteren Fahrzeuge auf der BAB sowie der deutlich erkennbaren Beschilderung der Verkehrszeichen mit der Nummer 274 seine überhöhte Geschwindigkeit erkennbar war, nahm die Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h um 33 km/h billigend in Kauf.

Nach Verlassen der BAB befuhr er den S.-damm/L.-weg. Die Zeugen G. und B. folgten ihm. Der Betroffene beschleunigte erneut sein Fahrzeug auf 73 km/h unter vorsätzlicher Missachtung der zulässigen innerörtlichen Geschwindigkeit von 50 km/h.

Danach entschlossen sich die Zeugen, den Betroffenen anzuhalten, der erst nach mehrfacher Aufforderung bereit war, den Motor seines Fahrzeuges auszuschalten. Sie gaben ihm die Tatvorwürfe bekannt und belehrten ihn.

Der Betroffene verhielt sich zunehmend patzig und provokativ, diese sollten sich doch besser um die Demonstranten in der Sonnenallee kümmern, doch das würden die Zeugen sich nicht trauen. Sie, die Zeugen, würden „unschuldige Bürger ärgern“, „das könnt Ihr“, sie, die Zeugen, hätten „offenbar nichts anderes zu tun“.

Im Rahmen der Festsetzung der Geldbußen hat das Tatgericht die jeweils tateinheitlich begangenen Handlungen nicht bußgelderhöhend berücksichtigt. Es hat eine 25% Erhöhung der jeweiligen Geldbuße wegen des Verhaltens des Betroffenen gegenüber den Polizeibeamten, den Zeugen G. und B., vorgenommen.

Gegen das Urteil hat der Betroffenen gestützt auf eine allgemeine Sachrüge Rechtsbeschwerde eingelegt, die der Verteidiger auf den Schuldspruch zu 1), soweit der Betroffene wegen vorsätzlicher Überschreitung der zulässigen innerörtlichen Höchstgeschwindigkeit um 33 km/h in Tateinheit mit dem verbotenen Rechtsüberholen verurteilt worden ist, und gegen die Höhe der Geldbußen beschränkt hat. Er trägt zur Begründung im Wesentlichen vor:

Die Geschwindigkeitsmessung sei fehlerhaft gewesen. Er, der Verteidiger, habe beantragt, zum Beweis über die „Tatsache der Unkorrektheit der Messung“ ein Sachverständigengutachten einzuholen. „Dieses wird belegen, dass die Beginnmessung des auswärtigen Gerätes nicht korrekt durch enge Anlegung am Heck erfolgt ist, sondern links zu weit außerhalb des Fahrzeuges und somit nicht vorschriftsmäßig. Außerdem ist die Messung schräg erfolgt.“ Dazu wird in der Rechtsbeschwerdebegründung weiter ausgeführt: Zu Beginn der Messung hätten sich das Fahrzeug des Betroffenen und das Verfolgerfahrzeug nicht in einem Fahrstreifen befunden und daher sei es zu einer unzulässigen Schrägmessung gekommen. Das unkorrekte Anlegen der Linien am Fahrzeug des Betroffenen führe unweigerlich zu einer falsch festgestellten Geschwindigkeit. Entgegen der Ansicht des Gerichts werde die Messung in einem solchen Fall nicht verworfen.

Hinsichtlich der Bemessung der Geldbußen bemängelt der Verteidiger die Nicht-Berücksichtigung der tateinheitlich verwirklichten Verkehrsordnungswidrigkeiten als unzulässig. Die Erhöhung der Geldbußen um 25% wegen des Nachtatverhaltens sei nach BGH Rechtsprechung unzulässig. Solche Äußerungen müssten die Beamten hinnehmen.

Ferner habe das Gericht keine Feststellungen zur Leistungsfähigkeit des Betroffenen getroffen. Diese Lücke führe zur Aufhebung der Geldbußen.

Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin hat der Beschränkung der Verfolgung hinsichtlich der Verurteilung zu 1) auf das vorsätzliche Überschreiten der zulässigen innerörtlichen Höchstgeschwindigkeit um 33 km/h in Tateinheit mit dem Nicht-bei-sich-Führen der Zulassungsbescheinigung I nach §§ 46 Abs. 1 OWiG, 154a Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 StPO zugestimmt und im Übrigen die Verwerfung der Rechtsbeschwerde als offensichtlich unbegründet beantragt. Der Betroffene hatte Gelegenheit zur Stellungnahme.

II.

Die Rechtsbeschwerde hat aus dem Tenor ersichtlichen geringen Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet.

1. Das Rechtsmittel ist zulässig.

a) Der Verteidiger hat nach § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 344 StPO die Rechtsbeschwerde auf den Schuldspruch zu 1), soweit der Betroffene wegen vorsätzlicher Überschreitung der zulässigen innerörtlichen Höchstgeschwindigkeit um 33 km/h in Tateinheit mit dem verbotenen Rechtsüberholen verurteilt worden ist, sowie hinsichtlich der Verurteilung zu 2) auf die Höhe der festgesetzten Geldbuße wirksam beschränkt. Soweit er sich des Weiteren hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruches zu 1) ausschließlich gegen die Höhe der Geldbuße wendet, ist die Beschränkung hingegen unwirksam, weil dieser die Wechselwirkung zwischen der Geldbuße und des angeordneten Fahrverbotes von einem Monat entgegensteht (vgl. Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 19. Juni 2024 - I ORbs 60/24 -, juris). Daher erstreckt sich die Überprüfung des Senats insoweit auf die gesamte Rechtsfolgenentscheidung.

b) Mit Zustimmung der Generalstaatsanwaltschaft Berlin und nach Anhörung des Betroffenen hat der Senat die Verfolgung hinsichtlich der Verurteilung zu 1) auf das vorsätzliche Überschreiten der zulässigen innerörtlichen Höchstgeschwindigkeit um 33 km/h in Tateinheit mit dem Nicht-bei-sich-Führen der Zulassungsbescheinigung I nach §§ 46 Abs. 1 OWiG, 154a Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 StPO beschränkt. Den Urteilsgründen ist bereits zu entnehmen, dass das verbotene Rechtsüberholen bei der Festsetzung der Geldbuße nicht beträchtlich ins Gewicht gefallen ist.

c) Soweit der Rechtsbeschwerdebegründung eine Verfahrensrüge wegen der behaupteten fehlerhaften Bescheidung des Beweisantrages auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Beweis der Tatsache „der Unkorrektheit der Messung“ nach § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG entnommen werden kann, ist diese unzulässig, weil sie nicht die Darlegungsanforderungen nach §§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 344 Abs. 2 Satz 2 StPO erfüllt. Der Sache nach handelt es sich insoweit um eine Aufklärungsrüge. Die daher notwendige Darlegung einer exakten Bezeichnung der aufzuklärenden Tatsache (vgl. Bauer in Göhler OWiG 19. Aufl., § 77 Rn. 8 m.w.N.) fehlt. Nach dem Antrag ist lediglich das Beweisziel - nämlich die Unkorrektheit der Messung - und nicht - wie erforderlich - eine Tatsache unter Beweis gestellt worden.

2. Die Rechtsbeschwerde ist hinsichtlich des Schuldspruches zu 1) unbegründet.

Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts, dessen Überzeugungsbildung das Rechtsbeschwerdegericht nur darauf prüft, ob sie auf rechtsfehlerhaften Erwägungen beruht. Dies ist namentlich der Fall, wenn sie mit gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen oder unbezweifelbarem Erfahrungswissen unvereinbar ist, Widersprüche oder sonstige Verstöße gegen die Gesetze der Logik enthält oder Lücken aufweist, sich insbesondere nicht mit naheliegenden alternativen Geschehensabläufen befasst, obwohl sich dies nach dem Beweisergebnis aufdrängt (vgl. BGH, Urteil vom 16. November 2006 - 3 StR 139/06 -, juris). Um dem Rechtsbeschwerdegericht diese Nachprüfung zu ermöglichen, müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen, verstandesmäßig einsichtigen Tatsachengrundlage beruht und dass die vom Gericht gezogene Schlussfolgerung nicht etwa lediglich eine Annahme ist oder sich als bloße Vermutung erweist, die letztlich nicht mehr als einen – wenn auch möglicherweise schwerwiegenden – Verdacht zu begründen vermag (vgl. Senat, Beschluss vom 19. Februar 2014 - 3 Ws (B) 67/14 – m.w.N.). Diesen Maßstäben wird die Beweiswürdigung des Amtsgerichts gerecht.

a) Die den Schuldspruch der vorsätzlichen Überschreitung der zulässigen innerörtlichen Geschwindigkeit um 33 km/h tragenden Tatsachen hat das Tatgericht fehlerfrei beweiswürdigend festgestellt.

Das Amtsgericht geht zutreffend davon aus, dass die Geschwindigkeitsmessung mit einem standardisierten Messverfahren erfolgt ist. In einem solchen Fall genügt es grundsätzlich, wenn der Tatrichter – wie vorliegend geschehen – in den Urteilsgründen das angewandte Verfahren, das Messergebnis und den vorgenommenen Toleranzabzug mitteilt (vgl. BGHSt 39, 291; 43, 277; Senat, Beschluss vom 6. März 2019 - 3 Ws (B) 47/19 -, juris). Dies gilt nur dann nicht, wenn es konkrete Anhaltspunkte dafür gibt, dass die Gebrauchsanweisung für das Messgerät nicht eingehalten worden ist, oder sonstige Fehlerquellen konkret behauptet werden (vgl. Senat, Beschluss vom 6. März 2019 a.a.O. m.w.N.).

Die Polizeibeamten haben mit dem im Dienstfahrzeug verbauten Geschwindigkeitsmesssystem Provida 2000 die Geschwindigkeit des Betroffenen gemessen. Die gewonnenen Daten sind mit dem Auswertungsprogramm ViDistA ausgewertet worden. Die Urteilsgründe weisen des Weiteren die gefahrene Geschwindigkeit und die nach Toleranzabzug der Verurteilung zugrunde gelegte gefahrene Geschwindigkeit des Betroffenen aus.
Mit den Einwendungen der Verteidigung gegen die Messung, sofern sie nicht urteilsfremd sind, hat sich das Gericht in den Urteilsgründen (UA S. 6) auseinandergesetzt. Nach dem oben dargestellten, eingeschränkten rechtsbeschwerderechtlichen Überprüfungsmaßstab ist die Überzeugung des Tatrichters nicht zu beanstanden.

b) Es begegnet überdies keinen Bedenken, dass das Amtsgericht bei der festgestellten Geschwindigkeitsüberschreitung von einer vorsätzlichen Begehungsweise ausgegangen ist. Bei der Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit drängt sich eine vorsätzliche Begehungsweise umso mehr auf, je massiver deren Ausmaß ist. Insoweit kann auf den Erfahrungssatz zurückgegriffen werden, dass jedenfalls bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung von 40 % – wie vorliegend Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h um 33 km/h - von bedingtem Vorsatz auszugehen ist, sofern nicht besondere Umstände eine abweichende Wertung veranlassen (vgl. Senat, Beschlüsse vom 31. Mai 2019 – 3 Ws (B) 161/19 – und vom 6. März 2019 a.a.O. m.w.N.). Derartige besondere Umstände legt die Rechtsbeschwerde nicht dar.

3. Die Überprüfung der Rechtsfolgenentscheidungen führt lediglich zu einer Anpassung der Geldbußen; i.Ü. sind sie nicht zu beanstanden.

Grundsätzlich liegt die Bemessung der Rechtsfolgen im Ermessen des Tatgerichts und die Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht beschränkt sich lediglich darauf, ob dieses von rechtlich zutreffenden Erwägungen ausgegangen ist und von seinem Ermessen rechtsfehlerfrei Gebrauch gemacht hat (vgl. Senat, Beschluss vom 12. März 2019 – 3 Ws (B) 53/19 –, juris). Dabei hat der Senat die Entscheidung des Tatgerichts bis zur Grenze des Vertretbaren hinzunehmen (vgl. Senat DAR 2021, 698; DAR 2021, 477).

Diesem Maßstab hält die Begründung zur Festsetzung der Geldbußen von 650,00 Euro und 280,00 Euro nicht stand. Dennoch bedurfte es nicht der Aufhebung der Rechtsfolgen und Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht, da der Senat von der Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, aufgrund der fehlerfreien Feststellungen nach § 79 Abs. 6 1. Var. OWiG selbst zu entscheiden. Er hat die Geldbußen wie aus dem Tenor ersichtlich neu festgesetzt.

Dazu im Einzelnen:

a) Ausgangspunkt für die Bestimmung der Rechtsfolgen für Verkehrsordnungswidrigkeiten ist der aufgrund § 26a StVG erlassene Bußgeldkatalog-Verordnung (BKatV). Die dieser Rechtsverordnung zu entnehmenden Regelsätze sind für das Gericht bindend und dienen der weitestmöglichen Gleichbehandlung gleichartiger Fälle (Mitsch in KK-OWiG 5. Aufl., § 17 Rn. 103 m.w.N.). Sie stellen Zumessungsrichtlinien dar und gehen von gewöhnlichen Tatumständen und durchschnittlichen wirtschaftlichen Verhältnissen aus, die als angemessen gelten (vgl. Senat VRS 77,75; OLG Köln VRS 78,61; OLG Frankfurt, Beschluss vom 19. Januar 2017 a.a.O.; OLG Hamm, Beschluss vom 10. Juli 2019 - III - 3 RBs 82/19; Thoma in Göhler a.a.O., § 17 Rn. 29; Engelhardt/Rübenstahl in Esser/Rübenstahl/Saliger/Tsambikakis, Wirtschaftsstrafrecht, § 17 OWiG Rn. 25).

Dem folgend ist das Amtsgericht zutreffend von den in der Bußgeldkatalog-Verordnung ausgewiesenen Regelsätzen bei der Bestimmung der Geldbußen ausgegangen. Für die Zuwiderhandlung zu 1) war gemäß §§ 41 Abs. 1, 49 Abs. 3 Nr. 4 OWiG, 1 BKatV Anhang I lfd. Nr. 11.3.6 Tabelle 1 c) von einem Regelsatz von 260,00 Euro und hinsichtlich der Zuwiderhandlung zu 2) gemäß §§ 3 Abs. 3, Abs. 1 Nr. 3 OWiG, 1 BKatV Anhang I lfd. Nr. 11.3.4 Tabelle 1 c) von einem solchen von 115,00 Euro auszugehen.

Da die Regelungen des BKatV zugleich auch beachtliche Ausnahmen zur Bestimmung der Regelsätze enthalten, hat das Amtsgericht wegen der vorsätzlichen Begehungsweise der Handlungen nach § 3 Abs. 4a BKatV die Regelsätze jeweils verdoppelt.

Dem Verteidiger ist zuzugeben, dass § 3 Abs. 5 OWiG eine Regelung hinsichtlich der Berücksichtigung tateinheitlich begangener Verkehrsverstöße bei der Bestimmung der Geldbuße vorsieht. Ob das Gericht die Geldbuße tatsächlich wegen der tateinheitlichen Verwirklichung eines weiteren Tatbestandes angemessen erhöht, steht nach § 3 Abs. 5 Satz 2 BKatV im gerichtlichen Ermessen.

Das Amtsgericht hat erkennbar sein Ermessen ausgeübt und sich für eine Nichtberücksichtigung entschieden (UA S. 9). Selbst wenn - wie der Verteidiger meint - der Richter das Ermessen fehlerhaft ausgeübt haben sollte, wäre dies unschädlich, weil der Betroffene dadurch nicht beschwert ist.

Bereits wegen des zu beachtenden Verböserungsverbotes nach §§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 358 Abs. 2 Satz 1 StPO hat der Senat die tateinheitlich verwirklichte Zuwiderhandlung nicht bei der Festsetzung der Geldbußen berücksichtigt (vgl. BayObLG NJW 1998, 3237; OLG Oldenburg NStZ 1997, 397).

b) Bei der Entscheidung über ein Abweichen von den Regelsätzen bleiben auch unter dem Regime der Bußgeldkatalog-Verordnung die Kriterien des § 17 Abs. 3 OWiG maßgeblich (vgl. Senat, Beschluss vom 10. März 2014 - 3 Ws (B) 78/14 -, juris). Für die Zumessung sind nach § 17 Abs. 3 Satz 1 OWiG die Bedeutung der Ordnungswidrigkeit, die sich grob in den Regelsätzen widerspiegelt, und der Vorwurf, der den Täter trifft, entscheidend. Nach § 17 Abs. 3 Satz 2 1.HS. OWiG spielen auch die wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen eine Rolle. Demnach darf der Tatrichter nicht schematisch vorgehen, sondern hat die Umstände des Einzelfalls bei der Bemessung der Geldbuße zu beachten (vgl. König in Hentschel/König/Dauer Straßenverkehrsrecht 48. Aufl., § 24 Rn. 64a).

aa) Zwar können auch die wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen Bedeutung bei der Bestimmung der Geldbuße haben, aber aufgrund der Regel-Ausnahme-Systematik der BKatV sind solche Umstände - entgegen der Auffassung des Verteidigers - nicht von vornherein Gegenstand der Amtsaufklärung (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 17. Dezember 2018 - 1 Rb 10 Ss 644/18 -, juris). Es obliegt vielmehr dem Betroffenen unter dem Regime der BKatV durch eigenen konkreten Sachvortrag, den Tatrichter zur weiteren Aufklärung der wirtschaftlichen Verhältnisse zu veranlassen (vgl. Senat, Beschluss vom 27. April 2020 – 3 Ws (B) 49/20 –, juris). Dies hat der Rechtsbeschwerdeführer versäumt. Dass der Betroffene arbeitssuchend ist, bedeutet nicht zwingend, dass von unterdurchschnittlichen wirtschaftlichen Verhältnissen auszugehen ist.

bb) Der Einwand des Rechtsbeschwerdeführers, sein Nachtatverhalten hätte bei der Bestimmung der Geldbußen unberücksichtigt bleiben müssen, trifft in dieser Pauschalität nicht zu.

Es ist allgemein anerkannt, dass unter das Tatbestandsmerkmal „der Vorwurf, der den Täter trifft“, nicht nur die Umstände fallen, die die Begehung der Ordnungswidrigkeit, sondern auch das Nachtatverhalten des Täters umfassen, auch wenn das Ordnungswidrigkeitenrecht anders als das Strafrecht in § 46 Abs. 2 Satz 2 StGB dies nicht ausdrücklich normiert hat (vgl. Rebmann/Roth/Hermann, OWiG §17 Rn. 19 m.w.N.). Demnach ist das vorliegende von fehlender Unrechtseinsicht getragene Nachtatverhalten des Betroffenen grundsätzlich geeignet, die Bestimmung der Geldbußen für die vorsätzlich begangenen Zuwiderhandlungen zu beeinflussen, es sei denn, es ist im Kern als Ausdruck seines Rechts, sich selbst nicht zu belasten und nicht zu seiner Überführung beizutragen zu müssen, zu bewerten. So darf z.B. ein (auch hartnäckiges) Leugnen der Zuwiderhandlung, Schweigen zum Vorwurf, zulässiges Prozessverhalten oder vergleichbares Verhalten nach der obergerichtlichen Rechtsprechung nicht zu Lasten des Betroffenen berücksichtigt werden (vgl. BayObLG zfs 2023, 287; König DAR 2024, 367).

Die Berücksichtigung sonstigem von fehlender Unrechtseinsicht getragenes Nachtatverhalten orientiert sich an dem anerkannten Zweck einer Geldbuße, den Betroffenen zur Respektierung der geltenden Rechtsordnung anzuhalten. Danach ist es angebracht, Tätern, die das Unrecht ihrer Handlung erkennbar einsehen mit einer entsprechenden milderen Geldbuße zu begegnen (vgl. OLG Oldenburg, Beschluss vom 26. November 2018 - 2 Ss (OWi) 286/18 -, juris; Mitsch in KK-OWiG 5. Aufl., § 17 Rn. 69), andernfalls auf eine erhöhte Geldbuße zu erkennen, sofern das Verhalten den Schluss auf eine die Rechtsordnung missachtende Einstellung rechtfertigt (vgl. Senat NZV 1992, 249; OLG Köln NZV 1995, 327).

Dieser Maßstab erfordert vom Tatgericht eine zurückhaltende und differenzierte Berücksichtigung des auf fehlender Unrechtseinsicht basierendem Nachtatverhaltens.

Vorliegend hat das Tatgericht ohne die erforderliche differenzierte Bewertung und damit fehlerhaft das gesamte Nachtatverhalten des Betroffenen (s.o. S. 3) als bußgelderhöhend bewertet. Seine Äußerung, sie, die Zeugen, würden „unschuldige Bürger ärgern“, macht zwar die fehlende Einsicht in sein Verhalten deutlich, kommt aber dem Leugnen seines Fehlverhaltens gleich (vgl. BayObLG zfs a.a.O.) und durfte keine nachteilige Berücksichtigung finden. Hinsichtlich der weiteren Äußerungen des Betroffenen gegenüber den Zeugen (s.o. S. 3) ist den Urteilsgründen die Begründung für die bußgelderhöhende Bewertung nicht ausreichend zu entnehmen.

Diese Fehler führen aber nicht zur Aufhebung und Zurückverweisung der Sache. Denn den Urteilsgründen sind sowohl die Umstände des Nachtatverhaltens als auch das Verhalten gegenüber den Zeugen hinreichend zu entnehmen und der Senat macht daher von der Möglichkeit Gebrauch macht, in der Sache selbst zu entscheiden (§ 79 Abs. 6 1. Var. OWiG).

Der Senat hat eine umfassende Gesamtschau der weiteren Äußerungen und dem Auftreten des Betroffenen gegenüber den Zeugen vorgenommen und bewertet dies als bußgelderhöhendes Nachtatverhalten. Dabei hat er durchaus bedacht, dass eine Verkehrskontrolle eine Ausnahmesituation darstellen kann, die den Betroffenen zu unbedachten und von seinem Gegenüber hinzunehmende Äußerungen verleitet haben kann (vgl. König DAR 2024, 367), auch wenn den persönlichen Verhältnissen zu entnehmen ist, dass ihm das Begehen von Verkehrsverstößen, die vorliegend nicht mehr bußgelderhöhend bewertet werden durften, nicht fremd ist. Das längere Nichtbefolgen der Aufforderung, den Motor abzustellen, um damit das Gespräch mit den Zeugen zu erschweren, das rechtmäßige Vorgehen der Polizeibeamten dadurch grundlos nachhaltig in Frage zu stellen, ihnen sowohl ihre fachliche wie persönliche Kompetenz abzusprechen, ihnen die fehlerhafte Handhabung des Opportunitätsgrundsatzes zu unterstellen, das Verfolgungsinteresse des Staates repräsentiert durch die Zeugen zu negieren, zeigen nicht nur ein distanzloses, unangemessenes, die Zeugen herabwürdigendes Verhalten, sondern lässt den Schluss - auch unter Berücksichtigung der wiederholten vorsätzlichen Missachtung der innerstädtischen Geschwindigkeitsregeln während der Fahrt - auf eine die Rechtsordnung missachtende Einstellung des Betroffenen zu und dass er sich durch eine niedrigere Geldbuße nicht wird beeindrucken lassen, sich zukünftig regelkonform zu verhalten.

Dieses Nachtatverhalten stellt ein Abweichen vom Regelfall dar, dessen bußgelderhöhende Berücksichtigung allerdings nicht - entgegen der Ansicht des Tatgerichts - durch eine mathematische Berechnung der Erhöhung der Regelsätze (hier jeweils 25%, UA S. 9) zu erfolgen hat (vgl. Thoma in Göhler OWiG 9. Aufl., § 17 Rn. 28j m.w.N.). Der Senat erhöht die Geldbußen angemessen und setzt die Geldbuße für die Handlung zu 1) auf 580,00 Euro und für die Handlung zu 2) auf 250,00 Euro fest.

c) Der Senat erhält das einmonatige Fahrverbot aufrecht. Denn der Gesetzgeber sieht für innerorts begangene Geschwindigkeitsüberschreitungen von 33 km/h nach § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BKatV in Verbindung mit Nr. 11.3.6 des Anhangs (Tabelle 1) zur laufenden Nr. 11 der Anlage (BKat) zu § 1 Abs. 1 BKatV regelmäßig die Anordnung eines einmonatigen Fahrverbots neben der Verhängung einer Geldbuße vor. Der Senat hat nicht verkannt, dass es sich bei der Anordnung des Fahrverbotes um eine Ermessensentscheidung handelt. Die Urteilsgründen weisen aber keinen Grund aus, von dem Fahrverbot ausnahmsweise abzusehen.

Dies kann nur dann erfolgen, wenn der Sachverhalt so erheblich vom Regelfall abweicht und deswegen Ausnahmecharakter besitzt, dass die Verhängung der regelhaften Sanktionen der BKatV eine unangemessene Härte darstellt (vgl. Senat, Beschluss vom 12. März 2019 a.a.O. m.w.N.). Auf ein Fahrverbot kann somit im Ausnahmefall insbesondere dann verzichtet werden, wenn dem Betroffenen in Folge des Fahrverbots Arbeitsplatz- und oder sonstiger wirtschaftlicher Existenzverlust droht und diese Konsequenz nicht durch zumutbare Vorkehrungen abgewendet oder vermieden werden kann (vgl. Senat, Beschluss vom 25. März 2015 - 3 Ws (B) 19/15 -, juris m.w.N.). Dass die Anordnung des Fahrverbots für den Betroffenen eine solche ganz außergewöhnliche Härte darstellen würde, die er auch nicht durch ihm zumutbare Maßnahmen abfedern kann (vgl. Senat NJW 2016, 1110 m.w.N.), ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Die Aufklärung von Amts wegen zur Feststellung fahrverbotsfeindlicher Umstände war nach dem obigen Maßstab nicht geboten. Auch insoweit obliegt es dem Betroffenen, entsprechende Umstände vorzutragen (Senat, Beschluss vom 27. April 2020 – 3 Ws (B) 49/20 –a.a.O.), was nicht geschehen ist.

d) Da die Voraussetzungen des § 25 Abs. 2a StVG gegeben waren, war die entsprechend schon vom Amtsgericht zuerkannte Begünstigung der Viermonatsregel aufrechtzuerhalten.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 46 Abs. 1 OWiG, 473 Abs. 4 StPO. Der Betroffene hat zwar einen Teilerfolg erzielt, der sich jedoch kostenrechtlich nicht auswirkt. Denn es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass er das Rechtsmittel nicht eingelegt hätte, wenn schon die Entscheidung des Amtsgerichts Tiergarten so gelautet hätte wie die des Senates.


Einsender: RiKG U. Sandherr, Berlin

Anmerkung:


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