Gericht / Entscheidungsdatum: LG Hamburg, Urt. v. 11.10.2024 – 704 NBs 41/24
Eigener Leitsatz:
Beauftragt ein Verteidiger in einem Sexualstrafverfahren einen aussagepsychologischen Sachverständigen und übermittelte ihm eine aktenbasierte sachverständige Einschätzung des kindlichen Opferzeugen, die er im Rahmen der Akteneinsicht erhalten hatte, wobei er den Namen des Kindes nicht geschwärzt hat, ist zwar der Tatbestand des § 203 StGB erfüllt, die Weitergabe des Namens ist aber nach § 32f Abs. 5 StPO gerechtfertigt.
In pp.
Die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Amtsgerichts Hamburg vom 22. Februar 2024 wird verworfen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last.
Gründe
(abgekürzt nach Rechtskraft gemäß § 267 Abs. 5 StPO)
I.
Der Angeklagte ist durch Urteil des Amtsgerichts Hamburg vom 22. Februar 2024 vom Vorwurf der Verletzung von Privatgeheimnissen aus rechtlichen Gründen freigesprochen worden. Hiergegen hat die Staatsanwaltschaft Hamburg mit Schriftsatz vom 26. Februar 2024 form- und fristgerecht Berufung eingelegt und diese mit weiterem Schriftsatz vom 24. April 2024 ausführlich begründet. Sie sieht die rechtlichen Bedenken des Amtsgerichts als nicht tragfähig an und erstrebt die Verurteilung des Angeklagten zu einer Geldstrafe.
Die Berufung der Staatsanwaltschaft war erfolglos.
II.
Zu dem gegen den Angeklagten erhobenen Tatvorwurf hat die Kammer folgende Feststellungen getroffen:
Der Angeklagte ist zugelassener Rechtsanwalt und in dem Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Hamburg zu dem Aktenzeichen pp. (Sexualdelikt zum Nachteil des Kindes R.H.) als Verteidiger des dortigen Beschuldigten mandatiert. Unter dem 5.8.2020 fertigte die Hamburger Diplom-Psychologin pp. im Auftrag der Staatsanwaltschaft Hamburg eine 11-seitige "vorläufige sachverständige Stellungnahme" zur Glaubwürdigkeit des kindlichen Opfers nach aussagepsychologischen Maßstäben allein anhand des Aktenmaterials. Gegenstand der Stellungnahme war die Beurteilung, ob Angaben des kindlichen Opferzeugen anlässlich zweier polizeilicher Anhörungen aus dem Jahre 2020 Erlebnisbezug begründen können. In der an die Staatsanwaltschaft Hamburg übersandten Stellungnahme waren Vor- und Nachnamen sowie das Geburtsdatum des kindlichen Opferzeugen klar ausgeschrieben sowie die angeblichen Tathandlungen benannt worden. Der Angeklagte, dem diese Stellungnahme von der Staatsanwaltschaft Hamburg zur Kenntnisnahme übersandt worden war und der die Ergebnisse der Verfasserin anzweifelte, übersandte diese - in Absprache mit seinem Mandanten - zwischen dem 19.1.2022 und 5.2.2022 per E-Mail bzw. per Link bei Dropbox an den Rechtspsychologen Prof. Dr. pp. mit der Bitte um Beurteilung, ob in der Stellungnahme der Diplom-Psychologin ... methodische Fehler zu erkennen seien. Bei Prof. Dr. pp. handelt es sich um einen am Institut für Psychologie der Christain-Albrechts-Universität Kiel lehrenden anerkannten Experten auf dem Gebiet der Aussagepsychologie, der seit mehr als 30 Jahren aussagepsychologische Gutachten erstellt - ganz überwiegend für Staatsanwaltschaften und Gerichte - und der im Rahmen der ihm dienstlich bekannt werdenden Verfahren der ärztlichen Schweigepflicht unterliegt. Der Angeklagte übersandte dabei die Stellungnahme der Diplom-Psychologin ... ohne jegliche Änderungen, insbesondere ließ er Vor- und Zunamen sowie das Geburtsdatum des kindlichen Opferzeugen ungeschwärzt. Prof. Dr. pp. gab sodann unter dem 5.2.2022 eine eigene gutachterliche Stellungnahme ab, welche der Angeklagte noch am selben Tag an die Staatsanwaltschaft Hamburg zur Kenntnisnahme und mit der Anregung weiterleitete, Prof. Dr. pp. offiziell mit der Exploration des kindlichen Opfers und der anschließenden Erstellung eines aussagepsychologischen Gutachtens zu beauftragen.
III.
Der festgestellte Sachverhalt ist unstreitig.
Die Staatsanwaltschaft hat in dem Vorgehen des Angeklagten, insbesondere der Weitergabe der ungeschwärzten Personaldaten des kindlichen Opferzeugen, eine Strafbarkeit nach § 203 StGB gesehen und den Angeklagten unter dem 21.4.2023 wegen Verletzung von Privatgeheimnissen angeklagt. In der daraufhin anberaumten Hauptverhandlung vom 22.2.2024 hat das Amtsgericht Hamburg den Angeklagten aus rechtlichen Gründen mit der Argumentation freigesprochen, dass der Angeklagte schon nicht tatbestandsmäßig gehandelt habe, da die Tathandlung des "Offenbarens" gemäß § 203 Abs. 3 StGB bei der Zugänglichmachung von Geheimnissen gegenüber berufsmäßig tätigenden Gehilfen nicht erfüllt sei und der beauftragte Psychologe Prof. Dr. pp. hierzu zähle, weil er durch seine Beauftragung im Rahmen einer (sonstigen) Hilfstätigkeit an der Verteidigungsaufgabe des Angeklagten als Rechtsanwalt mitgewirkt habe.
IV.
Die Kammer hat das Vorgehen des Angeklagten - anders als das Amtsgericht - als tatbestandsmäßig im Sinne des § 203 StGB, jedoch nicht als rechtswidrig angesehen und damit den Freispruch aus rechtlichen Gründen im Ergebnis bestätigt.
1. Der Angeklagte hat zwar tatbestandsmäßig gehandelt.
a) Der von dem Angeklagten beauftragte Gutachter Prof. Dr. pp. zählt nicht zu dem durch § 203 Abs. 1 S. 1 StGB erfassten Personenkreis der "berufsmäßig tätigen Gehilfen". Als solche werden nach herrschender Meinung, der sich die Kammer anschließt, nur Personen angesehen, die in den organisatorischen und weisungsgebundenen internen Bereich der vertrauensbegründenden Sonderbeziehung einbezogen sind (vgl. Beck-OK StGB v. Heintschel-Heinegg/Kudlich, 64. Auflage Rz 38: LK-StGB/Schünemann § 203 StGB Rn. 78; SK-StGB/Hoyer, § 230 StGB Rn. 48; Schönke/Schröder/Eisele § 230 StGB Rn. 24 f.; Lackner/Kühl/Heger § 230 StGB Rn. 11; Fischer StGB 71. Auflage Rz. 40; NK-StGB/Kargl § 203 StGB Rn. 38a.). Dies ist bei dem einmalig beauftragten, externen Gutachter Prof. Dr. pp. nicht der Fall.
b) Der von dem Angeklagten beauftragte Gutachter Prof. Dr. pp. zählt als "sonstige Person" zwar zu dem in § 203 Abs. 1 S. 2 StGB erfassten Personenkreis, sein Handeln - Weitergabe der Personaldaten - war nach Auffassung der Kammer jedoch nicht erforderlich im Sinne dieser Norm, da sich mit einer einfachen Schwärzung der Personaldaten ein milderes Mittel der Informationsweitergabe bei weitestgehendem Schutz der Persönlichkeitsrechte des kindlichen Opferzeugen angeboten hätte. Einer sich aufdrängenden Frage nach der Zeugnisverweigerungsberechtigung des Sachverständigen bzw. der Einschätzung der kognitiven Fähigkeiten des Kindes im Hinblick auf sein Alter hätte nach Auffassung der Kammer problemlos mit einer Namenskürzung (R.H.) oder dem Zusatz "der/die 10-jährige" o.ä. begegnet werden können.
2. Der Angeklagte hat damit zwar tatbestandsmäßig, jedoch nicht rechtswidrig gehandelt, da sich Befugnisse zum Offenbaren von Geheimnissen bzw. Einzeldaten aus einfachgesetzlichen Regelungen ergeben können und solche hier einschlägig sind. Erfolgt nämlich die Mitteilung /Weitergabe aufgrund einer gesetzlichen Vorgabe ist das darin liegende Offenbaren als rechtmäßig einzuordnen und das Handeln damit nicht "unbefugt" im Sinne des § 203 StGB Abs. 1 S. 1 StGB, wobei sich vorliegend eine eindeutige Grundlage für ein Offenbarungsrecht aus der besonderen gesetzlichen Bestimmung des § 32f Abs. 5 S. 2 StPO, das qualifizierte Mitteilungspflichten und Auskunftsrechte enthält, ergibt. § 32f Abs. 5 S. 1 StPO normiert dabei eine datenschutzrechtliche Zweckbindung dergestalt, dass grundsätzlich Akten, Dokumente, Ausdrucke oder Abschriften, die im Rahmen einer Akteneinsicht überlassen wurden, weder ganz oder teilweise verbreitet werden noch Dritten zu verfahrensfremden Zwecken übermittelt oder zugänglich gemacht werden dürfen. Damit ist eine Übermittlung oder das Zugänglichmachen an Dritte allein zu Verfahrenszwecken grundsätzlich möglich, wobei nach § 32f Abs. 5 S. 2 StPO personenbezogene Daten einen erweiterten Schutz erfahren, da diese nur zu demjenigen Zweck verwendet werden dürfen, für den die Akteneinsicht gewährt wurde.
Hiernach war der Angeklagte zur Weitergabe der Personaldaten des kindlichen Opferzeugen an den externen Sachverständigen befugt. Vorliegend war dem Angeklagten die Stellungnahme der Diplom-Psychologin pp. nämlich im Rahmen des Rechts auf Akteneinsicht und rein zu Verteidigungszwecken überlassen worden. Die Weitergabe an den Sachverständigen Prof. Dr. pp. erfüllte dieses. Nach Auffassung der Kammer definiert sich der Verteidigungszweck dabei durch die - aus Sicht des Verteidigers! - erforderlichen Handlungen die für eine sachgemäße Verteidigung notwendig sind oder mit ihr im Zusammenhang stehen und muss die Einbindung weiterer Personen zum Zwecke einer effektiven Verteidigung grundsätzlich dem sachgemäßen Ermessen des Verteidigers überlassen bleiben, so dass letztlich nicht entscheidend ist, ob die Weitergabe der geschützten Daten im engeren Sinne erforderlich war, sondern ob der Verteidiger dies im Rahmen seiner Verteidigungsstrategie bei Abwägung der Mandanteninteressen und den Persönlichkeitsrechten Dritter nach Ausübung pflichtgemäßen Ermessens für sachgerecht halten durfte (vgl. Gesetzesbegründung zu § 32f StPO in BT-Drucks. 18/9416, S. 55f.; MüKo- Kämpfer/Travers, StPO 2. Aufl. § 147 Rz. 44f; Beck-OK StPO § 147 Rz. 33; Meyer-Goßner/Schmitt, § StPO, § 32f Rz. 17; Travers/Schwerdtfeger, StV 2021, 750 ff.).
Das von dem Angeklagten im vorliegenden Fall ausgeübte Ermessen erweist sich unter Anlegung dieser Maßstäbe als rechtsfehlerfrei, als er entschied, den ihm bekannten, hochkompetenten und seit über 30 Jahre mit der Erstellung aussagepsychologischer Gutachten befassten, seinerseits zur Verschwiegenheit verpflichteten Sachverständigen Prof. Dr. pp. die sachverständige Einschätzung der Diplom-Psychologin pp. zu weiteren Prüfung in ungeschwärzter Form, also mit allen von ihm selbst für wichtig gehaltenen Informationen, zu überlassen. Anhaltspunkte für willkürliches oder rechtsmißbräuchliches Verhalten liegen nicht vor. Nach Auffassung der Kammer war hier die Weitergabe auch der ungeschwärzten Stellungnahme der Diplom-Psychologin pp. die allein anhand vorhandenen Aktenmaterials ohne vorherigen Kontakt zu der Auskunftsperson und ohne Exploration erfolgt war, zum Zwecke einer sachverständigen Überprüfung und Untersuchung einer belastenden Zeugenaussage in einem Sexualprozess im Sinne pflichtgemäßer Wahrnehmung der Mandanteninteressen sachgerecht, wenn nicht sogar geboten.
IV.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO. Die Berufung der Staatsanwaltschaft war erfolglos, so dass die Kosten und die notwendigen Auslagen der Staatskasse anheimfallen.
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