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Entscheidungen

StPO

KCanG, Prognosegutachten, Strafaussetzung zur Bewährung

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 18.03.2025 – 3 Ws 46/25

Leitsatz des Gerichts:

Raum für eine Auslegung dergestalt, dass eine vormalige Verurteilung nach dem BtMG, die nunmehr nach dem KCanG erfolgen würde, oder auch nach Inkrafttretens des KCanG erfolgte Verurteilungen, in den Anwendungsbereich von § 454 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 StPO fallen, besteht nicht.


In pp.

Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Darmstadt wird der Beschluss des Landgerichts Fulda - Strafvollstreckungskammer - vom 16.12.2024 aufgehoben.
Die Vollstreckung des Restes der Gesamtfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 15.01.2020 wird nicht zur Bewährung ausgesetzt.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Verurteilte zu tragen.

Gründe

I.

Mit dem Beschluss vom 16.12.2024 hat das Landgericht Fulda - Strafvollstreckungskammer - die Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 15.01.2020, rechtskräftig seit dem 18.06.2020, ohne vorherige Einholung eines Prognosegutachtens zur Bewährung ausgesetzt. Gegen diesen Beschluss wendet sich die Staatsanwaltschaft Darmstadt mit ihrer sofortigen Beschwerde vom 18.12.2024.

Gegen den Verurteilten wird eine Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren und 10 Monaten aus dem genannten Urteil vollstreckt. Im Urteil wurde eine Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 9 Monaten für unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln (Marihuana) in nicht geringer Menge gem. § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG festgesetzt. Einbezogen wurde in die Gesamtstrafenbildung eine Geldstrafe (60 Tagessätze) wegen Urkundenfälschung aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Groß-Gerau vom 26.02.2019.

Der mannigfach vorbestrafte Verurteilte konnte nach mehrfachem Vollstreckungsaufschub und erlassenem Haftbefehl erst am 16.04.2022 festgenommen werden und befindet sich seither in wechselnden Anstalten in Haft.

Am 04.09.2024 waren 2/3 dieser Strafe verbüßt; das Strafende notiert auf den 16.12.2025. Die Anstaltsstellungnahmen zu einer bedingten Entlassung verhalten sich im Ergebnis durchweg negativ.

II.

Die sofortige Beschwerde ist gemäß der §§ 454 Abs. 3 S. 1 und Abs. 1, 311 StPO zulässig und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung.

Ein Verfahrensfehler liegt nicht vor. Die Strafvollstreckungskammer musste vor ihrer Entscheidung kein Prognosegutachten gem. § 454 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 StPO einholen. Der Verurteilte wurde zwar zu einer (Einzel-)Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren Dauer verurteilt (3 Jahre und 9 Monate). Die Straftat fiel, fällt aber nach - weitgehend zum 01.04.2024 erfolgten - Inkrafttreten des KCanG nunmehr nicht unter die in § 66 Abs. 3 S. 1 StGB genannten. Nach jener Norm sind Verbrechen nach § 66 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. a) oder b) StGB vom Anwendungsbereich erfasst. Gem. § 66 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. b) StGB sind bei vorsätzlichen Straftaten gegen das Betäubungsmittelgesetz, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht sind, folglich vom Weiterverweis erfasst. Die Verurteilung des Landgerichts Darmstadt wegen eines vorsätzlichen Verbrechens nach § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG, wobei die Strafdrohung von einem bis 15 Jahren reichte, erfüllte damit bis Inkrafttreten des KCanG die genannten Voraussetzungen. Nunmehr unterfälltunerlaubtes Handeltreiben mit Cannabis in nicht geringer Menge nicht mehr dem BtMG, sondern § 34 KCanG, vorliegend gem. § 34 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 3 S. 1, S. 2 Nr. 4 KCanG. Maßgeblich ist die nunmehrige Einordnung. Denn § 454 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 StPO verweist auf die jeweils geltende Regelung in § 66 Abs. 3 S. 1 StGB und von ebenda wird (dynamisch) weiterverwiesen. Der Gesetzgeber hat die Folgen der Herausnahme von Cannabis aus dem Anwendungsbereich des BtMG bedacht und etwa für die Führungsaufsicht (§ 38 KCanG) oder für die Fortgeltung der Anwendung der §§ 35-38 BtMG bei cannabisbezogener Abhängigkeitserkrankung reglementiert. Hinsichtlich der Strafvollstreckung hat er einen etwaigen Straferlass in Art. 316p EGStGB geregelt. Raum für eine Auslegung dergestalt, dass eine vormalige Verurteilung nach dem BtMG, die nunmehr nach dem KCanG erfolgen würde, oder auch nach Inkrafttretens des KCanG erfolgte Verurteilungen, in den Anwendungsbereich von § 454 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 StPO fallen, besteht nicht. Anderenfalls würde nicht dem Willen des Gesetzgebers Rechnung getragen. Dessen neue Gefahrenbeurteilung (siehe Begründung BReg zum Gesetzentwurf, BT-Drs. 20/8704, S. 68), die sich eben auch in der Entscheidung zur Nichtaufnahme des KCanG in § 66 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. b) StGB niederschlägt, würde ansonsten unterminiert. Für hiesiges Gesetzesverständnis spricht schließlich: Das Prognosegutachten nach § 454 Abs. 2 StPO soll die Entscheidung, ob die weitere Vollstreckung einer Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt werden kann (§ 454 Abs. 1 StPO), vorbereiten, vgl. BGH NJW 2000, 1663. Folgend der gesetzgeberischen Konzeption ist es seit dem 31.01.1998 bei bestimmten, nach gesetzgeberischer Würdigung eher schwerwiegenden, Straftaten regelmäßig geboten - außer es ist auszuschließen, dass die durch die Tat zutage getretene Gefährlichkeit fortbesteht respektive die Strafkammer keine Entlassung „erwägt“ - ein Sachverständigengutachten einzuholen. Zuvor war ein Gutachten gem. § 454 Abs. 1 S. 5 StPO a.F. nur bei vollstreckter lebenslanger Freiheitsstrafe einzuholen. Mit der Neuregelung sollte nach den Gesetzesmaterialien nunmehr auch bei sonstigen „gefährlichen Verurteilten“ (vgl. Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drs. 13/9062, S. 14: „Denn dem erhöhten Sicherungsbedürfnis der Allgemeinheit sollte bei all jenen gefährlichen Verurteilten Rechnung getragen werden, die wegen schwerwiegender Delikte mit Freiheitsstrafen belegt wurden.“) ein Prognosegutachten zum „wirksamen Schutzes der Bevölkerung vor Rückfalltaten“ obligatorisch werden, siehe Begründung BReg zum Gesetzentwurf, BT-Drs. 13/8586, S. 1, 10; Beschlussempfehlung Rechtsausschuss, BT-Drs. 13/8989, S. 2, 8. § 454 Abs. 2 S. 1 StPO gilt in unveränderter Fassung seit dem 31.01.1998. Anders als die Verfahrensnorm, erfuhr § 66 Abs. 3 S. 1 StGB mannigfache Änderungen, ohne dass der Gesetzgeber einen Novellierungsbedarf für die Verfahrensnorm bejahte. Insofern bestehen auch keine Gründe für die Annahme einer unbewussten Nichtregelung. Denn schließlich hat der Gesetzgeber durch die Änderungen im materiellen Recht (zu § 66 Abs. 3 S. 1 StGB) seine jeweils changierenden Bewertungen von besonders „gefährlichen Verurteilten“ angepasst.

Folglich ist die veränderte Gefahrenbewertung des Gesetzgebers in Bezug auf Cannabis bei der in die Zukunft gerichteten Entscheidung des § 454 Abs. 1 StPO zu berücksichtigen.

Entgegen der Strafvollstreckungskammer kann der Senat folgend den zutreffenden Erwägungen in der Zuschrift der Generalstaatsanwaltschaft vom 27.01.2025 keine günstige Legalprognose gem. § 57 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, S. 2 StGB stellen. Voraussetzung ist zwar nicht die Gewissheit künftiger Straffreiheit; erforderlich ist aber, dass eine naheliegende Chance für ein positives Ergebnis besteht, vgl. Fischer, StGB, 72. Aufl., § 57 Rn. 14. Dazu müssen tragfähige tatsächliche Anhaltspunkte für eine solche Erwartung vorliegen, vgl. jüngst Senat, Beschluss vom 23.01.2024, Az. 3 Ws 1/24 m.w.N.

Soweit der Verurteilte an einem sozialen Trainingskurs teilgenommen hat, und eine weitere Behandlungsbedürftigkeit seitens der Anstalt verneint wurde, sowie die erst gegen Ende letzten Jahres eingesetzten vollzugsöffnenden Maßnahmen, insgesamt sechs Ausgänge, beanstandungsfrei verliefen, mag dies für eine positive Prognose sprechen. Die ferner von der Strafvollstreckungskammer für eine positive Legalprognose herangezogenen Umstände sind jedoch teils abweichend zu gewichten. Das Nichtvorhandensein einer Suchtproblematik ist schlicht neutral einzustellen. Das als beanstandungsfrei gewertete Vollzugsverhalten, wobei der angefochtene Beschluss insoweit eine Auseinandersetzung mit dem in der Verlegungsverfügung der Justizvollzugsanstalt Stadt1 vom 31.05.2023 angeführten Verdachts seiner Integration in kriminelle Strukturen vermissen lässt, kann ohnehin nur bedingt Rückschlüsse auf sein extramurales Verhalten geben. Auch die Annahme einer stabilen Entlassungssituation berücksichtigt zum einen nicht, dass ein berufliches Fortkommen nicht nachweislich besteht und zum anderen hat ihn auch bisher seine familiäre Anbindung nicht von der Begehung von Straftaten bewahrt.

Deutlich gewichtiger sind jedoch die gegen eine günstige Legalprognose einzustellenden Umstände. Erstens handelt es sich bei dem Indexdelikt nicht um eine Spontan- oder Konflikttat, vgl. Appl, in: Karlsruher-Komm, 9. Aufl., § 454 Rn. 12a. Hinzu tritt, dass der anwaltlich vertretene Verurteilte weiterhin nicht die strafrechtliche Relevanz seines Verhaltens für sich angenommen hat und daher mangels erkennbarer Tataufarbeitung eine Wiederholungsgefahr insoweit nicht auszuräumen ist. Der Verurteilte hat zwar, siehe Anhörungsvermerk vom 06.09.2024, nunmehr die Verantwortung für den „Drogenanbau“ erklärt, aber zugleich seine Absicht des Handeltreibens erneut in Abrede gestellt. Nach seinem Dafürhalten scheint seine Tathandlung nach Inkrafttreten des KCanG „strafloses Verhalten“ zu sein (siehe sein Schreiben vom 14.06.2024; mithin nach Abschluss des sozialen Trainings).

Weiter spricht entschieden sein krimineller Lebenswandel gegen eine bedingte Entlassung. Bereits kurz nach Erlangung der Strafmündigkeit fiel der Verurteilte strafrechtlich auf und beging hochfrequent Straftaten, die zu mehr als ein Dutzend Verurteilungen geführt haben. Der von etlichen Straftaten aus einem breiten Deliktsbereich, auch Gewaltdelikten, geprägte Lebenswandel erfuhr auch durch bisherige Inhaftierungen keinen Abbruch. Diesem eingeschliffenen normmissachtenden Verhalten folgend kam es auch zu Bewährungsversagen.

Nach alledem war der angefochtene Beschluss aufzuheben und gem. § 309 Abs. 2 StPO die Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung zu versagen.

Die durch das erfolgreiche Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft entstandenen Kosten des Beschwerdeverfahrens gehören zu den vom Verurteilten zu tragenden Verfahrenskosten nach § 465 StPO; von seinen notwendigen Auslagen wird er nicht entlastet, vgl. Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 473 Rn. 15.


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