Gericht / Entscheidungsdatum: LG Potsdam, Beschl. v. 13.02.2025 – 25 Qs 46/24
Leitsatz des Gerichts:
1. Bei widersprüchlichen oder unklaren Angaben des Beschwerdeführers ist der durch Auslegung des Antrags zu ermittelnde, dem wirklichen Willen des Beschwerdeführers entsprechende Willen maßgeblich, so wie er der Antragsschrift im Ganzen zu entnehmen ist.
2. Die Übersendung eines unterschriebenen und eingescannten Beschwerdeschreibens als Anhang zu einer gewöhnlichen E-Mail genügten dem Schriftformerfordernis des § 410 Abs. 1 Satz 1 StPO, wenn das Schreiben innerhalb der Rechtsmittelfrist ausgedruckt und zur Akte genommen wurden.
Beschluss
In dem Strafverfahren
gegen pp.
wegen Unerlaubten Entfernens vom Unfallort
hat das Landgericht Potsdam - 5. Strafkammer - durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht, die Richterin und die Richterin am Landgericht am 13. Februar 2025 beschlossen:
1. Der Beschluss des Amtsgerichts Luckenwalde vom 26. April 04.2024 (20 Cs 30/24) wird aufgehoben.
Es wird festgestellt, dass der Einspruch des Beschwerdeführers vom 4. April 2024 fristgerecht eingelegt und auch im Übrigen zulässig war.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die hieraus entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last.
Gründe:
I.
Gegenstand des hiesigen Verfahrens ist eine sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers.
Mit Strafbefehl des Amtsgerichts Luckenwalde vom 23. Februar 2024 (20 Cs 30/24), dem Beschwerdeführer am 22. März 2024 zugestellte, wurde der Beschwerdeführer zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 30,00 Euro (=750,00 Euro) verurteilt und ein dreimonatiges Fahrverbot gegen ihn verhängt. Dem 88-jährigen, gesundheitlich beeinträchtigten Beschwerdeführer wird zur Last gelegt, auf einem Parkplatz gegen ein Geländer gefahren zu sein und sich vom Unfallort entfernt zu haben, ohne die erforderlichen Feststellungen zu ermöglichen.
Der Beschwerdeführer sandte an die E-Mail-Adresse des Amtsgerichts Luckenwalde am 4. April 2024 zwei E-Mails, denen jeweils ein Schreiben mit Anlagen in PDF-Format angehängt war. Die als „Einspruch“ bezeichneten Schreiben, mit denen der Beschwerdeführer sich gegen den Strafbefehl wendet, tragen - wie auch der Betreff der E-Mail - das Aktenzeichen des Verfahrens, enthalten einen Briefkopf mit Adresse und enden mit dem Namen des Beschwerdeführers in Druckbuchstaben, dem sein Namenszug folgt. Die E-Mails vom 4. April 2024 samt PDF-Anlage wurden beim Amtsgericht am selben Tag ausgedruckt, zur Akte genommen und dem Strafrichter als Posteingang vorgelegt.
Das Amtsgericht Luckenwalde verwarf mit Beschluss vom 26. April 2024 (20 Cs 30/24), zugestellt am 2. Mai 2024, den Einspruch wegen Formmangels als unzulässig. Der Einspruch genüge weder dem Schriftformerfordernis des § 410 Abs. 1 Satz 1 StPO noch den Anforderungen des § 32a StPO für die Einreichung als elektronisches Dokument. Eine einfache E-Mail genüge nicht. Das Amtsgericht nimmt Bezug auf den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 12. Mai 2022 (5 StR 398/21).
Mit seinem als sofortige Beschwerde bezeichneten Schreiben vom 6. Mai 2024 brachte der Beschwerdeführer Wiedereinsetzungsgründe vor. Seinen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wies das Amtsgericht Luckenwalde mit Beschluss vom 16. Dezember 2024 (20 Cs 30/24), dem Beschwerdeführer am 23. Dezember 2024 zugestellt, als unbegründet zurück.
Mit dem am 30. Dezember 2024 eingegangenen, an das Amtsgericht gerichtete Schreiben vom 24. Dezember 2024 erklärte der Beschwerdeführer, „auf eine weitere Verfolgung meiner Rechte zu verzichten“. Er beantrage „stattdessen“, erstens für die Geldstrafe und Verfahrenskosten die Gewährung einer Ratenzahlung und, zweitens, dass „von Ihrer Seite auf das 3monatliche Fahrverbot verzichtet wird“. Als Begründung für die Zahlungserleichterung legte er seine angespannten wirtschaftlichen Verhältnisse dar. Zum beantragten „Verzicht“ des Amtsgerichts auf das Fahrverbot trug er zusätzlich persönliche Umstände dazu vor, weshalb ihn das Fahrverbot besonders schwer treffe (Arzt- und Kliniktermine, die fehlende öffentliche Verkehrsinfrastruktur am Wohnort).
II.
Die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den seinen Einspruch als unzulässig verwerfenden Beschluss des Amtsgerichts Luckenwalde vom 26. April 2024 (20 Cs 30/24) ist gemäß § 411 Abs. 1 Satz 1, Halbsatz 2, §§ 311 ff. StPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie hat auch in der Sache Erfolg.
1. Der Beschwerdeführer hat am 6. Mai 2024 sofortige Beschwerde gegen den Beschluss vom 26. April 2024 (20 Cs 30/24) eingelegt. Bei verständiger Würdigung seines Schreibens vom 24. Dezember 2024 hat er an dem eingelegten Rechtsmittel festgehalten. Es war insbesondere nicht als Erklärung einer vollständigen oder teilweisen Rechtsmittelrücknahme zu verstehen.
Das Schreiben vom 24. Dezember 2024 ist auslegungsbedürftig, da die Erklärung des Beschwerdeführers, er „verzichte“ auf seine Rechte, im Widerspruch zu seiner „stattdessen“ beantragten Aufhebung (als „Verzicht“ bezeichnet) des Fahrverbots durch das Amtsgericht steht.
Maßgeblich ist in Fällen von Widersprüchen und Unklarheiten der durch Auslegung des Antrags zu ermittelnde, dem wirklichen Willen des Beschwerdeführers entsprechende Willen, so wie er der Antragsschrift im Ganzen zu entnehmen ist (vgl. BGH, Urteile vom 29. November 2006 - 5 StR 324/06 -, Rn. 18, und vom 17. Juli 1997 - 1 StR 208/97 -, BGHSt 43, 149-152, Rn. 6, jeweils juris). Es ist nach dem aus den Willensäußerungen des Beschwerdeführers erkennbaren Sinn und Ziel seines Rechtsmittels zu fragen. Führt die Auslegung zu keinem eindeutigen Ergebnis, darf eine Rechtsmittelbeschränkung nicht angenommen werden (BGH, Beschluss vom 21. Oktober 1980 - 1 StR 262/80 -, BGHSt 29, 359-369, Rn. 19, juris). Für die Auslegung bzw. Umdeutung sind die Rechtskenntnisse des Erklärenden beachtlich (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Januar 2019 - 5 StR 499/18 -, Rn. 4, juris). Rechtsunkundigkeit darf dem Rechtsmittelführer insoweit nicht zum Nachteil gereichen (vgl. Cirener, in: BeckOK StPO, Stand: 1. Januar 2025, StPO, § 300, Rn. 1).
Daran gemessen ist das primäre Begehren und Rechtsschutzziel des Beschwerdeführers auf die Aufhebung des Fahrverbots gerichtet.
Dies ergibt sich aus der Begründung seines Schreibens vom 24. Dezember 2024, in dem er - zusätzlich zu den sich bereits anhand der Akte ergebenden Strafempfindlichkeit (hohes Alter, schwere Vorerkrankungen, Gesundheitszustand) - auf weitere persönliche Härteumstände (wirtschaftliche Verhältnisse, Arzt- und Kliniktermine, fehlende öffentliche Verkehrsinfrastruktur am Wohnort) verweist. Die Aufhebung des Fahrverbots und eine Berücksichtigung der von ihm vorgetragenen Belastungen sind jedoch nur im Rahmen einer Sachbefassung durch das Amtsgericht zu erreichen, in deren Rahmen das Amtsgericht bei der von ihm zu treffenden Ermessensentscheidung neben dem Übermaßverbot insbesondere den inneren Zusammenhang zwischen Hauptstrafe und Nebenstrafe zu beachten hat: Eine Aufhebung des Fahrverbots als Nebenstrafe ist nicht isoliert von der Hauptstrafe erreichbar (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 3. Juni 2021 - 3 Ws (B) 140/21 -, Rn. 5, juris). Eine isolierte Anfechtung würde die gesetzliche Systematik der Strafzumessung unterlaufen, bei der Haupt- und Nebenstrafe in einem Gesamtkontext beurteilt werden. Haupt- und Nebenstrafe stehen in Wechselwirkung zueinander; zusammen dürfen sie das Maß der Tatschuld nicht überschreiten. Das Fahrverbot ist deshalb, ebenso wie die Hauptstrafe und in Wechselwirkung mit ihr, entsprechend den Erfordernissen der Schuldangemessenheit nach den allgemeinen Strafzumessungsregeln unter Berücksichtigung seiner Warnfunktion zu verhängen und zu bemessen, um zusammen mit der Hauptstrafe den Strafzweck zu erreichen. Erforderlich ist eine Gesamtschau. Nur wenn danach feststeht, dass der mit der Nebenstrafe verfolgte Strafzweck mit der Hauptstrafe allein nicht erreicht werden kann, darf ein Fahrverbot verhängt werden (von Heintschel-Heinegg/Huber, in: MüKoStGB, 4. Aufl. 2020, StGB, § 44, Rn. 11).
Das Rechtsschutzziel des Beschwerdeführers, der eine Aufhebung des Fahrverbots in einem Termin zur Hauptverhandlung erreichen kann, war danach in dem zulässigen Rechtsmittel zu erkennen - der Aufrechterhaltung der sofortigen Beschwerde vom 6. Mai 2024 gegen die Verwerfung seines Einspruchs. Ihm gereicht nicht zum Nachteil, dass er in seinem Schreiben vom 24. Dezember 2024 nicht ausdrücklich weiter Bezug auf den Einspruch, sondern die Sachentscheidung (Geldstrafe, Fahrverbot) nimmt, da er klar zum Ausdruck bringt, das Fahrverbot nicht zu akzeptieren und in der Sache damit bei verständiger Würdigung sein Einspruchsbegehren weiterverfolgt.
2. Die sofortige Beschwerde gegen die Einspruchsverwerfung hat Erfolg.
Der Einspruch gegen den Strafbefehl wurde insbesondere formwahrend eingelegt.
Die in PDF-Format an die E-Mails vom 4. April 2024 angehängten Schreiben, die innerhalb der Rechtsmittelfrist ausgedruckt und zur Akte genommen wurden, genügten dem Schriftformerfordernis des § 410 Abs. 1 Satz 1 StPO.
Zwar hat das Amtsgericht richtigerweise betont, dass eine einfache E-Mail den Anforderungen des § 410 Abs. 1 Satz 1 StGB grundsätzlich nicht genügt. Das Amtsgericht hat jedoch übersehen, dass der Ausdruck eines Schreibens im E-Mail-Anhang die Schriftform erfüllen kann, wenn dem Schriftstück der Inhalt der Erklärung, die abgegeben werden soll, und die Person, von der sie ausgeht, schon im Zeitpunkt des Eingangs der Erklärung bei Gericht hinreichend zuverlässig entnommen werden kann. Dies ist jedenfalls bei einem unterschriebenen, hiernach eingescannten und ausgedruckten Papierdokument, wenn feststeht, dass es sich nicht bloß um einen Entwurf handelt und keine ernstlichen Zweifel an der Urheberschaft des Berechtigten bestehen, der Fall (vgl. Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 15. Januar 2024 - 2 Ws 187/23 (S) -, Rn. 8, juris; OLG Koblenz, Beschluss vom 18. November 2021 - 3 OWi 32 SsBs 199/21 -, BeckRS 2021, 37047, Rn. 15-18 m. w. N.; LG Karlsruhe, Beschluss vom 16. Januar 2024 - 16 Qs 6/24 -, Rn. 5, juris; Eckstein, in: MüKoStPO, 2. Aufl. 2024, StPO, § 410, Rn. 11).
Der vom Amtsgericht herangezogenen Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist nichts anderes zu entnehmen. Der Senat hat vielmehr ausdrücklich offen gelassen, ob auch im Strafverfahren ein unter Missachtung der Vorgaben des § 32a Abs. 3 StPO im Anhang einer einfachen E-Mail eingereichtes elektronisches Dokument durch Ausdruck und Aufnahme in die Akte zu einem formwirksamen Papierdokument werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Mai 2022 - 5 StR 398/21 -, Rn. 24 a. E., juris)
Den genannten Anforderungen der obergerichtlichen Rechtsprechung wurden die den E-Mails vom 4. April 2024 als PDF-Datei beigefügten Schreiben jeweils gerecht. Sie tragen einen Briefkopf mit Namen, vollständiger Anschrift und Kontaktdaten des Beschwerdeführers, nennen das Aktenzeichen des Verfahrens, sind als Einspruch bezeichnet und unterschrieben. Die Urheberschaft des Beschwerdeführers ist unzweifelhaft. Die Unterschrift gleicht dem in der Akte befindlichen Namenszug aus Erklärungen im Ermittlungsverfahren. Zudem hat der Beschwerdeführer an ihn gerichtete ärztliche Verordnungen und private Korrespondenz beigefügt. Beide E-Mails wurden auch am 4. April 2024 ausgedruckt und vorgelegt.
Der Einspruch ist damit auch innerhalb der zweiwöchigen Frist des § 410 Abs. 1 Satz 1 StPO eingelegt worden. Die Einspruchsfrist gegen den am 22. März 2024 zugestellten Beschluss vom 26. April 2024 (20 Cs 30/24) endete gemäß § 43 Abs. 1 StPO mit Ablauf des 5. April 2024.
3. Zusätzlich zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses war zum Zwecke der Klarstellung auszusprechen, dass der Beschwerdeführer den Einspruch vom 4. April 2024 rechtzeitig und zulässig eingelegt hat, um der gemäß § 410 Abs. 3 StPO gesetzlich eintretenden Wirkung des Einspruchs Ausdruck zu verleihen.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 Abs. 1 StPO analog.
Einsender: VorsRi A. Gerlach, Potsdam
Anmerkung: