Gericht / Entscheidungsdatum: OLG München, Beschl. v. 18.03.2025 - 9 St 71/23
Eigener Leitsatz:
Sprechen Umstände aus der Hauptverhandlung dafür, dass sich ein Richter während der Hauptverhandlung willentlich mit verfahrensfremden Inhalten beschäftigt hat und infolgedessen sein uneingeschränktes Interesse nicht der dem Kernbereich richterlicher Tätigkeit unterfallenden Beweisaufnahme bzw. der Kenntnisnahme von damit im Zusammenhang stehenden Erklärungen der Prozessbeteiligten galt, ist das geeignet, die Besorgnis der Befangenheit zu begründen.
Oberlandesgericht München
9 St 71/23
BESCHLUSS
vom 18. März 2025
Der 9. Strafsenat des Oberlandesgerichts München hat unter Mitwirkung der pp.
in dem Strafverfahren gegen pp. u.a.
wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung u.a.
beschlossen:
Die Ablehnung des Ergänzungsrichters Richter am Oberlandesgericht pp. durch die Angeklagten pp. vom 12. März 2025 wird für begründet erklärt.
Gründe:
Am 56. Hauptverhandlungstag, der am 11.03.2025 stattfand, setzte das Gericht die Beweisaufnahme durch die Inaugenscheinnahme der Tondateien mehrerer überwachter Gespräche fort. Am Nachmittag fand ab 15:03 Uhr eine zunächst bis 15:25 Uhr verfügte, tatsächlich bis 15:31 Uhr dauernde Sitzungspause statt, bevor Ausschnitte eines weiteren Telefonats vorgespielt wurden, die insgesamt über eine Stunde dauerten. Anschließend gab die Vorsitzende das für den nächsten Sitzungstag vorgesehene Programm bekannt und erteilte schließlich der Bundesanwaltschaft das Wort zur Abgabe mehrerer Stellungnahmen zu an vorherigen Hauptverhandlungstagen gestellten Anträgen verschiedener Verteidiger. Zunächst verlas Staatsanwältin pp. eine Stellungnahme des Generalbundesanwalts zu einem Antrag der Verteidigung des Angeklagten pp., wobei sie einleitend darauf hinwies, dass die Stellungnahme auch schriftlich übergeben werde. Nachdem Staatsanwältin pp. wenige Sätze der Stellungnahme ausgeführt hatte, ertönten aus dem Laptop des Ergänzungsrichters, RiOLG pp., eine Tonfolge sowie daran anschließend wenige von einer männlichen Stimme gesprochene Worte, darunter das Wort „Tagesschausprecher“, bevor die Vorsitzende RiOLG pp. aufforderte, das auszumachen und weitere Geräusche kurz danach nicht mehr vernehmbar waren. Während Staatsanwältin pp. mit ihren Ausführungen fortfahren wollte, unterbrach Rechtsanwalt pp. und beantragte die Unterbrechung der Hauptverhandlung sowie die Einholung einer dienstlichen Äußerung des RiOLG pp. dazu, was dies gewesen sei, Er wies darauf hin, dass es ein Ablehnungsgrund sei, wenn sich ein Richter nicht mit seiner vollen Aufmerksamkeit der Sitzung widme und führte aus, dass die dienstliche Äußerung seinem Mandanten ermöglichen solle zu prüfen, ob ein Ablehnungsantrag gestellt werde. Mehrere weitere Verteidiger schlossen sich dem Antrag des Rechtsanwalts pp. an. Rechtsanwalt pp. erklärte, er kenne die gehörten Töne von „bild.de".
Nach Diskussionen zu dem weiteren Vorgehen, weiteren Anträgen, zwei Sitzungsunterbrechungen von 17:05 Uhr bis 17:25 Uhr und von 17:34 Uhr bis 17:49 Uhr entschied die Vorsitzende, dass die Stellungnahmen der Bundesanwaltschaft zurückgestellt werden. Weiterhin forderte sie RiOLG pp. auf, bis zum nächsten Tag 9:00 Uhr, Eingang auf der Geschäftsstelle, eine dienstliche Stellungnahme zu den Ursachen der Störgeräusche aus seinem Laptop abzugeben und unterbrach die Hauptverhandlung bis zum Fortsetzungstermin am 12.03.2025. Die Möglichkeit der Stellung von Ablehnungsgesuchen im Hinblick auf den vorangegangenen Vorfall stellte die Vorsitzende für alle Angeklagten bis zum Erhalt der dienstlichen Stellungnahme des RiOLG pp. zurück.
RiOLG pp. übersandte der Vorsitzenden Richterin am selben Tag um 18:37 Uhr eine E-Mail mit einer dienstlichen Stellungnahme, die wie folgt lautet:
„Am 25.02.2025 erfolgte ein Hardware-Refresh, in dessen Rahmen ich ein neues Djenstlaptop der Marke Lenovo erhielt, mit dessen Handhabung und Standardeinstellungen ich noch nicht so vertraut bin.
Während der heutigen Pause zwischen 15:05 Uhr und 15:25 Uhr habe ich auf dem Dienstlaptop die Nachrichtenseite von Bild-Online geöffnet, um mich über die tagesaktuellen Geschehnisse zu informieren. Ich wollte zum Ende der Pause die Seite schließen und klickte hierzu das Kreuzsymbol der Seite rechts oben an, Sodann begab ich mich samt Laptop in den Sitzungssaal.
Während der Sitzung schreibe ich möglichst wörtlich in einem Word-Dokument ein Protokoll für mich zur Gedächtnisstütze mit. Dies tat ich auch nach der Sitzungspause. Als zum Sitzungsende Frau Staatsanwältin pp. erklärte, ihre dienstliche Stellungnahme werde schriftlich den Verfahrensbeteiligten übergeben, sah ich keinen Grund mehr zum weiteren Mitschreiben, wollte die Worddatei speichern und anschließend minimieren.
Dabei muss ich offensichtlich auf ein Symbol der Taskleiste o.ä. gekommen sein, so dass eine Nachricht aufploppte und mit dem offensichtlich laut geschalteten Lautsprecher des Laptops anlief. Ich war selber völlig überrascht davon und schaffte es erst umständlich nach einigen Momenten, die irgendwo im Hintergrund unwillentlich angelaufene Nachricht stumm zu machen
Der Verhandlung habe ich stets mit voller Aufmerksamkeit gefolgt. "
Nach Bekanntgabe der Stellungnahme durch die Vorsitzende zu Beginn des 57Hauptverhandlungstages am 12.03.2025 lehnten die Verteidiger der Angeklagten pp. RiOLG pp. jeweils für ihre Mandanten wegen Besorgnis der Befangenheit ab.
Rechtsanwalt pp. führte für die Angeklagte pp. unter anderem aus, diese müsse darauf vertrauen können, dass alle Richter dem gesamten Verlauf der Hauptverhandlung die volle Aufmerksamkeit widmen. Das Abspielen eines Videos von einer Boulevard-Nachrichtenseite von der Richterbank aus, so dass man habe hören können, dass es um einen Unfall eines Tagesschausprechers gehe, habe bei der Angeklagten das Vertrauen in das Gericht erschüttert. Diese frage sich, ob die Richter ihre Aufgaben tatsächlich ernst nähmen. Die dienstliche Stellungnahme des RiOLG pp. sei nicht geeignet, die Sorgen von Frau pp. auszuräumen. Diese sei bemerkenswert unkonkret gehalten. Teilweise äußere RiOLG pp. nur, was er habe tun wollen, nicht was er getan habe. Die darin enthaltenen Darstellungen seien aus naher ausgeführten Gründen teilweise nicht plausibel. Nach Wahrnehmung von Frau pp. entspreche auch die Angabe, dass RiOLG pp. möglichst wörtlich in einem Word-Dokument mitschreibe, nicht den Tatsachen. Frau pp. nehme bei Herrn RiOLG pp. kein eifriges Mitschreiben während der Hauptverhandlung, vielmehr in hohem Maße geschlossene Augen wahr und zweifele daran, dass dies ein Zeichen außergewöhnlicher Konzentration sei. Der Konsum, von bild.de sei rein privat und habe absolut hinter den Dienstpflichten zurückzustehen. Ein Richter habe während der Hauptverhandlung kein Fenster mit bild.de geöffnet zu haben, weder im Vordergrund noch im Hintergrund. Frau pp. habe daher gute Gründe zu befürchten, dass Herr RiOLG pp. zumindest für eine bestimmte Zeit seine Dienstpflichten nicht so ernst genommen habe, wie er dies müsste.
Rechtsanwalt pp. führte für den Angeklagten pp. unter anderem aus, dieser habe mehrere Gründe, Zweifel an der Neutralität und Unbefangenheit des abgelehnten Richters zu hegen. Der dienstlichen Stellungnahme des abgelehnten Richters mangele es gänzlich an Plausibilität. Sie sei nach dem Eindruck des Mandanten ersichtlich von dem Versuch geleitet, ein Ausscheiden und einen persönlichen Makel als unaufmerksam geltender Richter um jeden Preis zu verhindern. Ein Richter, der während der Hauptverhandlung im Internet auf bild.de surfe, vermittle den Eindruck des Desinteresses an der Sachaufklärung. Auch soweit der abgelehnte Richter behaupte, er schreibe während der Sitzung möglichst wörtlich mit, sei dies nach der Wahrnehmung von Herrn pp. und seiner Verteidiger jedenfalls in dieser Absolutheit nicht richtig. Dies ergebe sich schon daraus, dass RiOLG Pp. während der Hauptverhandlung des Öfteren die Augen über einen längeren Zeitraum schließe. Dass der abgelehnte Richter nach der Sitzungspause möglichst wörtlich mitgeschrieben habe, sei jedenfalls nicht erkennbar gewesen, Die dienstliche Äußerung sei derart unglaubhaft, dass bereits das damit nach dem Eindruck des Mandanten verfolgte Interesse des abgelehnten Richters, weiter an dem Verfahren mitzuwirken, die Besorgnis der Befangenheit begründe. Auch der Schlusssatz sei von einem überobligatorischen Rechtfertigungsbedürfnis geprägt.
Rechtsanwältin Pp. führte für den Angeklagten pp. unter anderem aus, der Vortrag des abgelehnten Richters in seiner dienstlichen Stellungnahme sei in Teilen objektiv unrichtig und in Teilen unbeachtlich. Der Vortrag zu den vermeintlich versehentlichen Handlungen sei unplausibelr Die Symbole für „Speichern" und „Minimieren" befänden sich im Word-Dokument an der oberen Seite, die Taskleiste sei standardmäßig am unteren Rand des Bildschirms, Das Verhalten des abgelehnten Richters sei grob unsachlich und erwecke den Eindruck, dieser habe sich schon vor Abschluss der Beweisaufnahme endgültig festgelegt. Auch der Umstand, dass der abgelehnte Richter sein Verhalten im Rahmen der dienstlich abgegebenen Stellungnahme versuche zu rechtfertigen oder abzumildern, indem er technisch nicht nachvollziehbare Abläufe oder Vorgänge schildere, sei nicht geeignet, das Venrauen in seine Unvoreingenommenheit zu fördern. Der Angeklagte pp. befürchte, dass der Richter auch bei künftigen Beweiserhebungen oder einer Einlassung sich erneut fremdbeschäftigen und nicht mit der erforderlichen Aufmerksamkeit folgen werde.
Auf die einzelnen Ablehnungsgesuche wird im Übrigen Bezug genommen (Anlagen 57.1, 57.2 und 57.3 zum Protokoll).
Der abgelehnte Richter nahm am 13 03.2025 zu den Ablehnungsanträgen dienstlich Stellung wie folgt:
„Ich sehe mich nicht als befangen an.
Ich weiß nicht, welches Nachrichtenvideo zum Ende des Sitzungstages vom 11.03.2025 auf meinem neuen Diensflaptop mit Ton anlief und welche konkrete Fehlbedienung meinerseits dies auslöste.
Auf meine dienstliche Stellungnahme vom 11.03.2025 nehme ich Bezug. Ich möchte sie um drei Punkte ergänzen:
1. Hauptsächlich bin ich als Richter in einem Beschlusssenat (1. Strafsenat) tätig. Dabei arbeite ich im Büro, wo sich mein Laptop in einer Alf Dockingstation befindet. Ich schreibe auf einer großen Tastatur, die per Kabel an der Dockingstation angeschlossen ist, und lese die von mir im Fachprogramm ForumStar zu fertigenden Beschlüsse auf zwei großen externen Monitoren. Ich bekam bislang weder eine Einweisung auf das neue Laptop (das ohne sichtliche Bedienungsanleitung in meinem Büro aufgebaut worden war) noch auf das auf dem Laptop installiert und mir neue Betriebssystem Windows 11. Außerhalb der Dockingstation kam das neue Laptop erstmals am 11.03.2025 im aufgeklappten Zustand während der Sitzung durch mich zum Einsatz. Da ich mir weiterhin Gedanken mache, wie es zur o.g. Fehlbedienung kommen konnte, stellte ich am 11 03.2025 nach der Sitzung und dem Absenden meiner ersten dienstlichen Stellungnahme fest, dass das neue Laptop offenbar über einen TouchscreenBildschirm verfügt. Unter Umständen bin ich mit meiner Hand versehentlich an den Bildschirm gekommen (z.B. an das in der Taskleiste mittig angebrachte Symbol des Microsoft Edge Browsers) und habe dadurch das Video gestartet.
2. Rechtsanwalt pp. äußerte laut im Sitzungssaal im unmittelbaren Anschluss an das Loslaufen des Videos, er meine es als ein ihm bekanntes BildVideo zur Verletzung des Nachrichtensprechers Schröder erkannt zu haben. Eine Google-Recherche meinerseits in einer Sitzungspause am 12.03.2025 gegen 14:30 Uhr ergab, dass es zwei Videos von Bild über die Verletzung des Nachrichtensprechers gibt, einmal veröffentlicht vor 23 Stunden, das andere veröffentlicht vor 21 Stunden (Screenshot.Ausdruck als Anlage anbei). Das in den Ablehnungsanträgen in Bezug genommene Video vom 11.03.2025 um Uhr kann damit meines Erachtens nicht das Video sein, das Rechtsanwalt pp. erkannt haben will.
3. Für die durch meine Fehlbedienung des Laptops verursachten Irritationen und Umstände möchte ich mich bei allen Verfahrensbeteiligten entschuldigen.“
Am 18.03.2025 nahmen die Verteidiger der Angeklagten pp. für ihre Mandanten zu der dienstlichen Stellungnahme des abgelehnten Richters Stellung. Der Angeklagte pp. lehnte RiOLG Pp. zudem aufgrund des Inhalts der dienstlichen Äußerung vom 13.03.2025 erneut wegen Besorgnis der Befangenheit ab.
Die Ablehnungsanträge vom 12.03.2025 gegen RiOLG Pp. sind zulässig und begründet.
1. Die Ablehnungsanträge sind zulässig. Sie wurden, nachdem die Vorsitzende die Möglichkeit der Ablehnung bis zum Erhalt der dienstlichen Stellungnahme des abgelehnten Richters zurückgestellt hatte, unverzüglich im Sinne des § 25 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 StPO unter Beibringung der gebotenen Glaubhaftmachung gemäß § 26 Abs. 2 S. 1 StPO gestellt.
2. Die Ablehnungsanträge sind begründet.
a) Nach dem Gesetzeswortlaut des § 24 Abs. 2 StPO findet die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen.
Dies ist anzunehmen, wenn der Ablehnende bei verständiger Würdigung des Sachverhalts Grund zu der Annahme hat, dass der abgelehnte Richter ihm gegenüber eine innere Haltung einnimmt, die die gebotene Sachlichkeit und Neutralität vermissen lässt und seine Unparteilichkeit oder Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann (BGH, Beschluss v. 23.01.2018— I StR 36/17, NStZ-RR 2018, 83; Beschluss v. 15.05.2018 - 1 StR 159/17, BeckRS 2018, 24407, Rn, 60). Die Besorgnis der Befangenheit kann auch darin begründet liegen, dass ein Richter sich in der Hauptverhandlung mit privaten oder sonst verfahrensfremden Dingen befasst und damit mangels uneingeschränkten Interesses an der dem Kernbereich richterlicher Tätigkeit unterfallenden Beweisaufnahme (S 261 StPO) auf ein bestimmtes Ergebnis festgelegt erscheint (vgl. BGH, Urteil v. 17.06.2015 - 2 StR 228/14, NJW 2015, 2986).
Maßgeblich ist eine objektivierende Wertung aus dem Blickwinkel eines vernünftigen Angeklagten bei der ihm zumutbaren ruhigen Prüfung der Sachlage (BGH, Beschluss v. 23.01.2018, a.a.O.). Auf rein subjektive Betrachtungen einschließlich etwaiger Vermutungen, Fehlvorstellungen und irrationaler Gedankengänge kann eine Richterablehnung nicht gestützt werden (zum Ganzen KK-StPO/Heil, StPO, 9. Auflage 2023, S 24 Rn. 4-6; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Auflage 2024, S 24 Rn, 8 f., jeweils m.w.N.).
b) Im vorliegenden Fail ertönten während der laufenden Hauptverhandlung aus dem Dienstlaptop des Ergänzungsrichters RiOLG Pp. eine Tonfolge sowie daran anschließend wenige von einer männlichen Stimme gesprochene Worte, darunter das Wort „Tagesschausprecher"
Dieser Sachverhalt konnte von allen Verfahrensbeteiligten wahrgenommen werden und bedarf daher keiner gesonderten Glaubhaftmachung.
Mit den Ablehnungsanträgen glaubhaft gemacht wurde, dass es sich bei der wahrnehmbaren Sequenz um den Beginn eines am 11.03.2025 veröffentlichten Videos auf „bild,de" handelte, das sich mit einer Verletzung des Tagesschaumoderators Thorsten Schröder befasste. Hiervon konnte sich der Senat auch durch eigene Wahrnehmung nach Aufruf des Videos überzeugen.
c) Dieser Vorfall ist jedenfalls geeignet, die Besorgnis der Befangenheit zu begründen, wenn RiOLG Pp. sich während der Hauptverhandlung willentlich mit verfahrensfremden Inhalten beschäftigt hat und infolgedessen uneingeschränktes Interesse nicht der dem Kernbereich richterlicher Tätigkeit unterfallenden Beweisaufnahme bzw. der Kenntnisnahme von damit im Zusammenhang stehenden Erklärungen der Prozessbeteiligten galt. Denn ein derartiges Verhalten kann im Sinne der oben genannten Rechtsprechung die Befürchtung der Angeklagten nähren, der Richter habe sich bereits auf ein bestimmtes Ergebnis festgelegt, und ist daher geeignet, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen.
d) Die angebrachten Ablehnungsgesuche machen den vorgenannten Ablehnungsgrund im Sinne des § 26 Abs. 2 S. 1 StPO hinreichend glaubhaft.
(1) Für die Glaubhaftmachung bedarf es nicht der vollen Uber-zeugung des Gerichts von der Richtigkeit der behaupteten Tatsachen; es reicht vielmehr aus, dass durch die beigebrachten Beweismittel in einem hinreichenden Maße die Wahrscheinlichkeit ihrer Richtigkeit dargetan wird (BGH, Urteil vom 30.10.1990 - 5 StR 447/90, NStZ 1991, 144).
(2) Zwar hält der Senat ein unabsichtliches Anlaufen des Videos nicht für ausgeschlossen. Dies ist jedoch nach den dienstlichen Stellungnahmen, die hierfür keine plausible Erklärung liefern und an entscheidenden Stellen vage bleiben, unwahrscheinlich. Hinweise auf eine technische Fehlfunktion des Laptops liegen nicht vor.
RiOLG Pp. führte in seinen Stellungnahmen vom 1 1.03,2025 und 13.03.2025 aus, dass er „selbst völlig überrascht" vom Anlaufen des Nachrichtenbeitrags gewesen sei und er nicht wisse, „welche konkrete Fehlbedienung meinerseits dies auslöste". Sein sodann geschildertes Vorgehen bzw. seine Vermutung, wie es versehentlich zum Starten des Beitrags gekommen sein könnte, sind nicht ohne Weiteres nachvollziehbar. Zwar können Browser so eingestellt werden, dass bei deren öffnen eine zuvor durch Schließen beendete Sitzung wiederhergestellt und damit durch einen (Fehl-)Klick auf das Browsersymbol in der Taskleiste ein angesehenes Video erneut abgespielt wird. Weder ergibt sich aber aus der dienstlichen Stellungnahme, dass RiOLG Pp. das angespielte Video in der Pause angeschaut hat, noch dass sein Browser entsprechend eingestellt ist. Auch ist unklar und wurde von diesem trotz Ausführungen von Rechtsanwältin Pp. hierzu in der dienstlichen Stellungnahme zu den Ablehnungsgesuchen nicht ausgeführt. Über welche konkreten Bedienschritte RiOLG Pp. das Word-Dokument speichern und minimieren wollte, wobei es zu einem Bedienfehler gekommen sein soll.
(3) Die Ablehnungsgesuche nennen auch darüber hinaus Umstände, warum durch die von RiOLG Pp. geschilderten bzw. vermuteten Bedienschritte ein Anlaufen des Nachrichtenbeitrags mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht ausgelöst werden konnte. Auch wenn in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen ist, dass die in den Ablehnungsanträgen genannte Zeit der angeblich erstmaligen Veröffentlichung des Videos auf „bild.de" um 17.05 Uhr nicht zutreffend sein kann, da der Vorfall bereits gegen 16.50 Uhr, jedenfalls deutlich vor 17.05 Uhr, passierte, tragen die Gesuche Umstände vor, die geeignet sind. die Richtigkeit des Vorbringens in den dienstlichen Stellungnahmen nachhaltig zu erschüttern (BGH, Beschluss vom 08.06.2016 - 5 StR 48/16, BeckRS 2016, 12690).
(4) Die dienstlichen Stellungnahmen des abgelehnten Richters vermochten das aus Sicht eines vernünftigen Angeklagten bei der ihm zumutbaren ruhigen Prüfung der Sachlage berechtigt erscheinende Misstrauen gegen ihn letztlich nicht auszuräumen. In diesen geht er auf viele der in den Ablehnungsgesuchen angesprochenen Vorwürfe und Themen nicht ein. Ob auf ihren Inhalt allein oder in der Gesamtschau eine Ablehnung gestützt werden könnte, kann dahinstehen.
(5) Auch die von RiOLG Pp. in seiner Stellungnahme vom 13.03.2025 vorgebrachte Entschuldigung ist vorliegend nicht geeignet, die Besorgnis der Befangenheit auszuräumen, denn sie bezieht sich nicht auf ein im Sinne des erweckten Anscheins unbedachtes Fehlverhalten (vgl. BGH, Urteil v. 17.06.2015, a.a.O.), sondern auf die durch den Vorfall verursachten Irritationen und Umstände. Den Ablehnungsgesuchen vom 12.03.2025 war damit stattzugeben.
Das weitere Ablehnungsgesuch des Angeklagten pp. vom 18,03.2025 ist mit dieser Entscheidung gegenstandlos geworden. Einer Entscheidung hierüber bedarf es nicht mehr.
Einsender: RA M. N. Wandt, Markt Schwaben
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