Gericht / Entscheidungsdatum: LG Halle, Beschl. v. 21.02.2025 - 3 Qs 135/24
Eigener Leitsatz:
1. Die Annahme der Eilkompetenz der Staatsanwaltschaft für die mündliche Anordnung einer Durchsuchung scheidet aus, wenn sich der angeschuldigte Wohnungsinhaber sowohl zum Zeitpunkt der ersten Kontaktaufnahme der Polizei mit der Bereitschaftsstaatsanwältin um 3:25 Uhr, zum Zeitpunkt der Anordnung um 4:45 Uhr als auch noch bei Beginn der Durchsuchungsmaßnahme um 8:55 Uhr in polizeilichem Gewahrsam befindet.
2. Wird dennoch unter Missachtung des Richtervorbehalts die Durchsuchung vom Staatsanwalt angeordnet, unterliegen die gewonnenen Ergebnisse einem Beweisverwertungsverbot.
Landgericht Halle
3 Qs 135/24
hat die 3. Große Strafkammer des Landgerichts Halle als Beschwerdekammer am 21.02. 2025 beschlossen:
Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den Beschluss des Amtsgerichts Merseburg vom 06.11.2024 (Az.: 13 Ls 565 Js 31343/23 (24/24)) wird als unbegründet verworfen.
Die Staatskasse trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Betroffenen.
Gründe
I.
Die Staatsanwaltschaft Halle hat dem Angeschuldigten mit Anklageschrift vom 05.06.2024 vorgeworfen, mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unerlaubt Handel getrieben zu haben. Um sich eine dauerhafte Einnahmequelle von erheblichem Umfang zu verschaffen habe der Angeschuldigte in seiner Wohnung unter der Anschrift pp. Metamphetamin vorrätig gehalten, um es an erwerbsinteressierte Betäubungsmittelkonsumenten zu verkaufen. Dies ergebe sich aufgrund einer am 01.08.2023 erfolgten polizeilichen Durchsuchung ab 8:55 Uhr, die zuvor von einer Bereitschaftsstaatsanwältin aus Thüringen um 4.15 Uhr angeordnet worden sei.
Mit Beschluss vom 06.11.2024 lehnte das Amtsgericht Merseburg die Eröffnung des Hauptverfahrens aus tatsächlichen Gründen ab. Zur Begründung führte das Amtsgericht Merseburg im Wesentlichen aus, dass als Beweismittel nur die im Rahmen der Wohnungsdurchsuchung eingesetzten Beamten und die dort sichergestellten Betäubungsmittel vorhanden seien. Diese Beweismittel würden jedoch einem Beweisverwertungsverbot unterliegen, da hier gegen den Richtervorbehalt des §§ 105 StPO verstoßen worden sei und eine Abwägung ergebe, dass hier der Rechtsverstoß so erheblich sei, dass nur ein Verwertungsverbot in Betracht komme. Auf die weitere ausführliche Begründung wird hier zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen. Gegen den am 14.11.2024 zugestellten Beschluss legte die Staatsanwaltschaft Halle mit Verfügung vom 19.11.2024 sofortige Beschwerde beim Amtsgericht ein bei dem sie am 19.11.2024 einging. Zur Begründung führte die Staatsanwaltschaft im Wesentlichen aus, dass ein Verwertungsverbot nicht vorliegen würde und verweist auf aktuelle Rechtsprechung des BGH vom 19.07.2023 (BGH 5. Strafsenat, Beschluss vom 19.07.2023, Az. 5 SDR 165 / 23). Der Angeschuldigte erhielt rechtliches Gehör. Er ist der Ansicht, dass die Entscheidung des Bundesgerichtshofs hier nicht einschlägig sei.
Die fristgerecht und damit zulässige sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Halle ist unbegründet. Das Amtsgericht Merseburg hat zu Recht die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen den Angeschuldigten abgelehnt, da ein Beweisverwertungsverbot vorliegt. Die Kammer teilt insoweit vollumfänglich die Begründung des Beschlusses des Amtsgerichts Merseburg aus dem Beschluss vom 06.11.2024. Die Durchsuchung am 01.08.2023 war rechtswidrig. Die Interessenabwägung ergibt hier ausnahmsweise, dass ein Beweisverwertungsverbot anzunehmen ist.
Ergänzend zu der Begründung des Amtsgerichts Merseburg ist auszuführen, dass hier die diensthabende Staatsanwältin sich über die Anordnungskompetenz des § 105 StPO hinweggesetzt hat und den Richtervorbehalt nach Aktenlage in grober Weise verkannt hat.
Grundsätzlich sind Durchsuchungsanordnungen nur durch einen Richter zu erlassen.
Eine Durchsuchungsanordnung durch einen Staatsanwalt nach § 105 Abs. 1 StPO ist ausnahmsweise nur zulässig, wenn Gefahr im Verzug vorliegt. Gefahr im Verzug liegt jedoch nur vor, wenn eine vorgesehene richterliche Anordnung nicht eingeholt werden kann, ohne dass der Zweck der Maßnahme gefährdet wird. Dabei meint Gefahr im Verzug einen Zustand, bei dem der drohende Eintritt eines Schadens oder der Verlust eines Beweismittels nur dadurch abgewendet werden kann, dass die Strafverfolgungsbehörden, anstelle einer anderen Stelle -hier der zuständige Ermittlungsrichter-, durch sofortiges Handeln eingreifen.
Dieser Fall lag hier für die Staatsanwältin am 01.08.2023 ersichtlich nicht vor. Die notwendige nachträgliche Dokumentation Ihrer Eilanordnung vom 1.08.2023 ,4:45 Uhr ist nicht erfolgt.
Es ist hier schon kein Grund ersichtlich, warum die Staatsanwältin Gefahr im Verzug für die von ihr getroffene Durchsuchungsanordnung nicht bereits bei dem Telefonat mit dem Polizeibeamten um 3.25 Uhr angenommen hat oder zumindest in einem zeitlich überschaubaren Zeitraum danach die mündliche Durchsuchungsanordnung erfolgt ist. Offenbar ging die Staatsanwältin um 3.25 Uhr selbst nicht von einer Gefahrenlage aus, die ein sofortiges Handeln erforderlich machte, da ihre Durchsuchungsanordnung erst 80 Minuten später erfolgte.
Die Gründe für das staatsanwaltschaftliche Handeln bleiben hier im Dunkeln. Warum die Staatsanwältin hier Eilkompetenz angenommen hat, ergibt sich aus der Akte nicht. Der vorliegende Sachverhalt ist auch nicht mit dem vom Bundesgerichtshof am 19.07.2023 entschiedenen Sachverhalt zu vergleichen. In dem vom Bundesgerichtshof zu entscheidenden Fall hatte die Staatsanwältin einen Vermerk gefertigt, aus dem sich ergibt, dass der Einsatzleiter der Ermittlungsbehörde von ihr zuvor nach der Eilbedürftigkeit befragt wurde und sie zur Antwort erhalten habe, dass weitere Person in der Wohnung sein könnten, die Beweismittel vernichten könnten. Von einem solchen Fall war vorliegend nicht auszugehen. Der Wohnungsinhaber - der Angeschuldigte - war sowohl zum Zeitpunkt der ersten Kontaktaufnahme der Polizei mit der Bereitschaftsstaatsanwältin um 3:25 Uhr, zum Zeitpunkt der Anordnung um 4:45 Uhr als auch noch bei Beginn der Durchsuchungsmaßnahme um 8:55 Uhr in polizeilichem Gewahrsam. Aus welchen Tatsachen sich hier ergeben sollte, dass hier ein sofortiges Handeln vonnöten war und hier nicht bis um 6:00 Uhr zugewartet werden konnte, um eine richterliche Anordnung des zuständigen Ermittlungsrichters einzuholen, ergibt sich weder aus der Akte noch ist es sonst dokumentiert.
Jedenfalls kann von einer dynamischen Zugriffslage, wie sie dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall zugrunde lag, keine Rede sein. Ob überhaupt von der Bereitschaftsstaatsanwältin Überlegungen angestellt wurden, bis 6:00 Uhr abzuwarten und sie insoweit eine Prüfung vorgenommen hat, ist nicht dokumentiert und ergibt sich auch sonst nicht aus der Akte. Eine Gefahrenlage lag nicht vor.
Ausnahmsweise führt hier der Verstoß gegen den Richtervorbehalt des § 105 Abs. 1 StPO zu einem Verwertungsverbot für die mittels der Durchsuchung gewonnenen Beweismittel. Ein Beweisverwertungsverbot ist von Verfassung wegen zumindest bei schwerwiegenden, bewussten oder willkürlichen Verfahrensverstößen, bei denen die grundrechtliche Sicherung planmäßig oder systematisch außer Acht gelassen worden sind, geboten. Dies kommt in Betracht, wenn der Richtervorbehalt bewusst missachtet oder seine Voraussetzungen in gleichwertig grober Weise verkannt wurden (siehe BGH, Beschluss vom 19.07.2023, 5 StR 165/23 Rd.30, zitiert nach Juris).
Im hier zu entscheidenden Fall hat nach Aktenlage die die Durchsuchung anordnende Staatsanwältin in grober Weise den Richtervorbehalt verkannt. Ob überhaupt Überlegungen angestellt wurden, bis um 6:00 Uhr zuzuwarten, um den originär zuständigen Ermittlungsrichter einzuschalten und eine Durchsuchung zu beantragen, ist nicht dokumentiert und auch sonst nicht ersichtlich. Aufgrund welcher genauen Informationen der Polizeibeamten die Durchsuchungsanordnung getroffen worden ist, ist durch die Staatsanwältin ebenfalls nicht dokumentiert. Es ist für die Kammer nicht ersichtlich, aus welchen Gründen und auf welchen Tatsachen die Staatsanwältin hier ihre Eilzuständigkeit angenommen hat.
Für eine Eilanordnung ist zu beachten, dass sie schon ihrem Wesen nach nur Eingriffe zu legitimieren vermag, die im unmittelbaren Fortgang ins Werk gesetzt werden. Nur für solche keinen Aufschub duldenden Maßnahmen besteht die Zuständigkeit der Ermittlungsbehörden, nur für solche darf sie ausgeübt werden und kann dann auch nur ein unverzügliches Handeln gestatten (BGH., a.a.O,). Davon kann hier keine Rede sein.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 StPO.
Einsender: RA J. R. Funk, Braunschweig
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