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Entscheidungen

StPO

Pflichtverteidiger, rückwirkende Bestellung, Zulässigkeit, zeitnahe Bestellungsentscheidung, Absehen von der Bestellung

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Bochum, Beschl. v. 17.2.2025 - 11 Qs 4/25

Eigener Leitsatz:

1. Der Beschuldigte ist unverteidigt, wenn er noch keinen Verteidiger hat oder der gewählte Verteidiger bereits mit dem Antrag auf Pflichtverteidigerbestellung ankündigt, das Wahlmandat mit der Bestellung niederzulegen.
2. Von dem Grundsatz, dass die Bestellung eines Pflichtverteidigers nach Einstellung des Verfahrens grundsätzlich nicht mehr nach Abschluss des Verfahrens in Betracht kommt, ist eine Ausnahme zu machen, wenn der Beschuldigte einen Antrag auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers gestellt hat, die Voraussetzungen einer notwendigen Verteidigung zum Zeitpunkt der Antragstellung offensichtlich vorgelegen haben, das Gebot der unverzüglichen Pflichtverteidigerbestellung missachtet wurde und dies auf behördeninteme Vorgänge zurückzuführen ist.
3. Die Möglichkeit, nach § 141 Abs. 2 Satz 3 StPO von einer Bestellung in denjenigen Fällen abzusehen, in denen beabsichtigt ist, das Verfahren alsbald einzustellen, gilt ausdrücklich nur für die Fälle des § 141 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 und nicht für Fälle einer notwendigen Verteidigung nach § 141 Abs. 1 Satz 1 StPO.


II -11 Qs 4/25

Landgericht Bochum

Beschluss

In dem Beschwerdeverfahren
betreffend pp-

Verteidiger:

hat die 11. große Strafkammer des Landgerichts Bochum auf die sofortige Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Recklinghausen vom 06.01.2025 - Az: 37 Ds 209/24 - durch die Vorsitzende Richterin am Landgericht, den Richter am Landgericht und die Richterin am 17.02.2025 beschlossen:

Auf die sofortige Beschwerde des vormals Beschuldigten wird der Beschluss des Amtsgerichts Recklinghausen vom 06.01.2025, Az.: 37 Ds 209/24 (671 Js 224/24), aufgehoben.
Dem Beschwerdeführer wird rückwirkend zum 28.11.2024 Rechtsanwalt pp. als Pflichtverteidiger bestellt.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie die dem Beschwerdeführer entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe:

I.

Die Staatsanwaltschaft Bochum hat unter dem 13.08.2024 gegen den Beschwerdeführer Anklage wegen versuchten Diebstahls bei dem Amtsgericht -Strafrichter - Recklinghausen erhoben.

Der bereits mehrfach straffällig gewordene Beschwerdeführer soll am Morgen des 27.03.2024 auf dem Grundstück pp. ein Fallrohr, zwei Schellen und ein Befestigungsstück, welche alle aus Kupfer bestanden, von dem dort gelegenen Einfamilienhaus abmontiert haben und eine der Schellen in seine Westentasche verbracht haben. Die anderen Teile soll er für den Abtransport auf den Boden gelegt haben, um diese dann mitzunehmen und für sich zu behalten.

Dabei wurde er von dem Zeugen pp. entdeckt und festgehalten.

Mit Eröffnungsbeschluss des Amtsgerichts Recklinghausen vom 24.09.2024 wurde das Verfahren gegen den Beschwerdeführer eröffnet und letztlich Hauptverhandlungstermin auf den 29.11.2024 bestimmt. Die Ladung des Beschwerdeführers erfolgte laut Zustellungsurkunde erfolgreich an seiner
Privatanschrift pp.

Mit bei dem Amtsgericht Recklinghausen am 28.11.2024 eingegangenen Schriftsatz vom selben Tag zeigte der Verteidiger pp. seine Beauftragung durch den Beschwerdeführer unter anwaltlicher Versicherung ordnungsgemäßer Vollmacht an. Unter dem Hinweis, dass sich der Beschwerdeführer derzeit in Haft in der JVA Gelsenkirchen befinde, beantragte er seine Beiordnung als Pflichtverteidiger. Ferner beantragte er den Termin am 29.11.2024 aufzuheben, da er erst am 28.11.2024 von diesem Kenntnis erlangt habe.

Mit Beschluss des Amtsgerichts Recklinghausen vom 28.11.2024 stellte das Gericht das Verfahren gegen den Beschwerdeführer mit Blick auf die rechtskräftig verhängte Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Bottrop, mit dem er am 07.06.2024, rechtskräftig seit dem 26.06.2024, wegen des Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu je 30,00 Euro verurteilt worden war (Az.31 Cs 72 Js 496/24 - 132/24), gemäß § 154 Abs. 2 StPO vorläufig ein.

Über den Antrag auf Beiordnung als Pflichtverteidiger entschied das Amtsgericht nicht. Es wies den Verteidiger mit Verfügung vom 06.12.2024 darauf hin, dass nach erfolgter Einstellung des Verfahrens eine rückwirkende Bestellung aus Sicht des Gerichts nicht mehr in Betracht kommen würde und erbat eine Stellungnahme zu einer etwaigen Rücknahme des Antrags binnen einer Woche.

Mit Schriftsatz vom 17.12.2024 teilte der Verteidiger mit, an seinem Beiordnungsantrag festzuhalten, da aus seiner Sicht die Voraussetzungen der Pflichtverteidigerbeiordnung im Zeitpunkt der Antragstellung vorgelegen hätten, sodass darüber hätte entschieden werden müssen.

Mit Beschluss vom 06.01.2025 wies das Amtsgericht Recklinghausen den Antrag auf die Beiordnung von Rechtsanwalt pp. zurück und begründete dies damit, dass eine rückwirkende Bestellung des Verteidigers nicht in Betracht komme, da dies dem Zweck der notwendigen Verteidigung zuwiderliefe.

Mit fristgerecht eingegangenem Schriftsatz vom 10.01.2025 hat der Verteidiger pp. gegen diese Entscheidung sofortige Beschwerde eingelegt und zur Begründung darauf verwiesen, dass zum Zeitpunkt der Antragstellung auf Beiordnung als Pflichtverteidiger durch die Inhaftierung des Beschwerdeführers ein Fall der notwendigen Verteidigung vorgelegen habe und deshalb auch über seinen rechtzeitig gestellten Antrag entschieden hätte werden müssen.

Das Amtsgericht Recklinghausen hat die Verfahrensakte mit Verfügung vom 17.01.2025 an die Staatsanwaltschaft Bochum zur Weiterleitung an das Beschwerdegericht übersandt.

Die Verfahrensakte ist am 29.01.2025 bei dem Landgericht Bochum nebst Stellungnahme der Staatsanwaltschaft Bochum vom 25.01.2025 eingegangen. Die Staatsanwaltschaft hat ausgeführt, dass im Zeitpunkt des Bekanntwerdens der Inhaftierung des Beschwerdeführers ein Pflichtverteidiger zwar beizuordnen gewesen wäre, eine nachträgliche Bestellung nach Abschluss des Verfahrens indes nicht mehr erfolgen könne, da dadurch der Zweck der Pflichtverteidigung - die Sicherung der Verteidigungsrechte des Beschuldigten/Angeklagten - nicht mehr erreicht werden könne.

Mit Verfügung des Landgerichts Bochum vom 03.02.2025 wurde dem Verteidiger Gelegenheit zur Stellungnahme zu der Verfügung der Staatsanwaltschaft Bochum binnen einer Woche gegeben.

II.

Die sofortige Beschwerde ist zulässig, insbesondere gemäß § 142 Abs. 7 StPO statthaft und in der Frist des § 311 Abs. 2 StPO eingelegt. In der Sache hat sie Erfolg. Das Amtsgericht hat zu Unrecht den Antrag des Beschwerdeführers auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers zurückgewiesen.

1. Gemäß § 141 Abs. 1 StPO hätte dem Beschwerdeführer unverzüglich nach Antragstellung ein Pflichtverteidiger bestellt werden müssen.

a) Die Voraussetzungen des § 140 StPO für die Beiordnung eines Pflichtverteidigers lagen bis zur Einstellung des Verfahrens und bereits im Zeitpunkt der rechtzeitigen Antragstellung vor.

Zum Zeitpunkt der Antragstellung war ein Fall der notwendigen Verteidigung gemäß § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO gegeben. Der Beschwerdeführer war zum Zeitpunkt der Antragstellung am 28.11.2024 in einer Anstalt, der JVA Gelsenkirchen, inhaftiert.

b) Der Beschwerdeführer war auch unverteidigt im Sinne des § 141 Abs. 1 StPO.

Er ist unverteidigt, wenn der Beschwerdeführer noch keinen Verteidiger hat oder der gewählte Verteidiger bereits mit dem Antrag auf Pflichtverteidigerbestellung ankündigt, das Wahlmandat mit der Bestellung niederzulegen (vgl. BeckOK StPO/Krawczyk, 54. Ed. 1.1.2025, StPO § 141 Rn. 2). Durch diese Regelung soll der Vorrang der Wahlverteidigung aufrechterhalten werden. Grundsätzlich ist in dem Bestellungsantrag indes bereits konkludent die Ankündigung enthalten das Wahlmandat niederzulegen (vgl. BeckOK StPO/Krawczyk, 54. Ed. 1.1.2025, StPO § 141 Rn. 2). So liegt der Fall hier. Der Verteidiger hat ausdrücklich und erkennbar im Namen des Beschwerdeführers um seine Beiordnung als Pflichtverteidiger nachgesucht, wobei diesem Vorbringen zu entnehmen ist, dass das Wahlmandat im Falle der Beiordnung niedergelegt werden soll.

2. Der zwischenzeitliche Abschluss des Verfahrens durch Einstellung steht einer Beiordnung ausnahmsweise und aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalles nicht entgegen.

Dem Grunde nach zutreffend stellt das Amtsgericht fest, dass die Bestellung eines Pflichtverteidigers nach Einstellung des Verfahrens grundsätzlich nicht mehr in Betracht kommt. Denn im Falle einer Einstellung des Verfahrens, sei es auch nur nach § 154 StPO, kann das Ziel, dem Beschuldigten eine angemessene Rechtsverteidigung zu ermöglichen, nicht mehr erreicht werden.

Von diesem Grundsatz sind aber im Einzelfall Abweichungen zuzulassen und die Rechtslage anders zu beurteilen. Ein solcher Einzelfall liegt hier vor.

Ein solcher Einzelfall liegt vor, wenn der Beschuldigte einen Antrag auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers gestellt hat, die Voraussetzungen einer notwendigen Verteidigung zum Zeitpunkt der Antragstellung offensichtlich vorgelegen haben, das Gebot der unverzüglichen Pflichtverteidigerbestellung missachtet wurde und dies auf behördeninteme Vorgänge zurückzuführen ist (vgl. LG Bonn (13. große Strafkammer), Beschluss vom 23.12.2024 - 63 Qs 61/24 (930 Js 309/24); LG Amberg (1. Strafkammer), Beschluss vom 27.05.2024 -11 Qs 43/24).

Der Beschwerdeführer hat einen Tag vor dem angesetzten Hauptverhandlungstermin, am 28.11.2024, den Antrag auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers gestellt. Zu diesem Zeitpunkt lag auch ein Fall der notwendigen Verteidigung im Sinne des § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO (siehe unter II. 1. a.) vor. Das nunmehr über die Inhaftierung und somit den Grund der notwendigen Pflichtverteidigung in Kenntnis gesetzte Gericht hat am selben Tag - nach Rücksprache mit der Staatsanwaltschaft - das Verfahren nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt und nicht über den Antrag auf Pflichtverteidigerbestellung entschieden. Eine Entscheidung wäre ihm ungleich möglich gewesen. Über den Beiordnungsantrag ist folglich nicht unverzüglich gemäß § 141 Abs. 1 Satz 1 StPO entschieden worden, da eine Entscheidung über diesen weder vor noch zusammen mit der Einstellungsentscheidung getroffen wurde.

Der Grundsatz der grundsätzlich nicht rückwirkenden Beiordnung darf vor diesem Hintergrund nicht insofern missbraucht werden, dass vor der Entscheidung des bereits gestellten Beiordnungsantrags auf die Einstellung des Verfahrens hingewirkt und so planmäßig die Verfahrensrechte der Beschuldigten unterlaufen werden (vgl. LG Bonn (13. große Strafkammer), Beschluss vom 23.12.2024 - 63 Qs 61/24 (930 Js 309/24).

Auch § 141 Abs. 2 Satz 3 StPO steht im vorliegenden Fall der Beiordnung nicht entgegen. Die Möglichkeit, von einer Bestellung in denjenigen Fällen abzusehen, in denen beabsichtigt ist, das Verfahren alsbald einzustellen, gilt ausdrücklich nur für die Fälle des § 141 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 und nicht für Fälle einer notwendigen Verteidigung nach § 141 Abs. 1 Satz 1 StPO, demzufolge einem Angeklagten unverzüglich ein Pflichtverteidiger zu bestellen ist, wenn er dies ausdrücklich beantragt (vgl. LG Wuppertal, Beschluss vom 08.04.2024, Az. 26 Qs 333/23). Eine entsprechende Anwendung des § 141 Abs. 2 Satz 3 StPO auch auf Fälle einer ausdrücklichen Antragsstellung nach § 141 Abs. 1 Satz 1 StPO kommt nicht in Betracht, da aufgrund des eindeutigen Wortlautes keine planwidrige Regelungslücke ersichtlich ist (AG Wuppertal Beschl. v. 8.5.2024 - 722 Js 1914/24, BeckRS 2024, 11985).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 Abs. 1 StPO analog.


Einsender: RA T. F. Schubert, Marl

Anmerkung:


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