Diese Homepage verwendet Cookies, um Inhalte und Anzeigen zu personalisieren, Funktionen für soziale Medien anbieten zu können und die Zugriffe auf die Website zu analysieren. Außerdem gebe ich Informationen zu Ihrer Nutzung meiner Website an meine Partner für soziale Medien, Werbung und Analysen weiter.

OK Details ansehen Datenschutzerklärung

Entscheidungen

StPO

Klageerzwingungsantrag, Zulässigkeit, Schilderung des Sachverhalts, Prüfung der Entscheidung, Ausnahme, effektiver Rechtsschutz, Aufarbeitung des Sachverhalts

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Schleswig, Beschl. v. 21.02.2025 – 1 Ws 3/25

Leitsatz des Gerichts:

1. Ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung muss eine aus sich selbst heraus verständliche Schilderung des Sachverhalts enthalten, der bei Unterstellung des hinreichenden Tatverdachts die Erhebung der öffentlichen Klage in materieller und formeller Hinsicht rechtfertigt und muss auch in groben Zügen den Gang des Ermittlungsverfahrens und den Inhalt der angegriffenen Bescheide wiedergeben.
2. Genügt ein Klageerzwingungsantrag diesen strengen Anforderungen nicht, so ist das Oberlandesgericht grundsätzlich nicht gehalten, die angefochtene Einstellungsentscheidung durch einen Rückgriff auf die Akten oder sonstige Anlagen zu prüfen.
3. Eine Prüfung ist aber zur Wahrung eines effektiven Rechtsschutzes im Rahmen der verfassungsrechtlich verankerten Rechtsschutzgarantie aus Art. 19 Abs. 4 GG dann geboten, wenn ein Antragsteller aufgrund seines Alters, einer spezifischen Täter-Opfer-Konstellation oder sonstiger Umstände seine Rechte ersichtlich nicht wahrnehmen kann, die Tat im Einzelfall schwer wiegt und es der staatsanwaltschaftlichen Einstellungsentscheidung an Begründungstiefe fehlt. Liegt es so, ist jedenfalls eine summarische Prüfung des Akteninhaltes und eine darauf beruhende Bewertung des hinreichenden Tatverdachts nach § 170 Abs. 1 StPO durch das Oberlandesgericht veranlasst.
4. Gleiches gilt, wenn von der umfassenden und rechtswirksamen Aufarbeitung des Sachverhalts in Zukunft weitere für den Verletzten bedeutende Entscheidungen abhängen wie z. B. in einem Fall von Kindesmisshandlung tragfähige familiengerichtliche Entscheidungen und ein effektives und rechtzeitiges Handeln durch Jugendamt und Familiengericht.


In pp.

1. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung wird als unzulässig verworfen.
2. Der Senat hat gleichwohl in der vorliegenden Konstellation zur Wahrung des effektiven Rechtsschutzes des Antragstellers gemäß Art. 19 Abs. 4 GG den Sachverhalt ausgehend von der Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft summarisch geprüft.

Tatbestand

Der Entscheidung des Senats lag zusammengefasst folgender Sachverhalt zugrunde:

Der Antragsteller, ist unmittelbar nach seiner Geburt Opfer wiederholter und schwerster körperlicher Misshandlungen und einer dauerhaften Vernachlässigung jedenfalls in Form einer Mangelernährung geworden. Diese haben nach fachkundiger Einschätzung des Jugendamts bereits zu einer frühkindlichen seelischen Beeinträchtigung mit ersichtlichen Auffälligkeiten und möglicherweise auch zu einer dauerhaften Schädigung geführt. Allein tatverdächtig sind die Beschuldigten, seine leiblichen Eltern. Diese hatten, als der Antragsteller etwa vier Wochen alt war und infolge der vorangegangenen Misshandlungen vermutlich einen Krampfanfall erlitten hatte, den Notruf alarmiert, wobei sie auch Symptome (Atemstillstand) angaben, die nicht den Tatsachen entsprachen. Dies führte zu einer - zunächst laienhaft durch den Kindsvater durchgeführten - medizinisch nicht indizierten Reanimationsbehandlung, wodurch bei dem Antragsteller ein Kammerflimmern eintrat. Bei der Aufnahme im Krankenhaus wurden multiple Verletzungen bei dem Antragsteller festgestellt, die weder auf ein einmaliges Unfallgeschehen oder aber eine Erkrankung des Antragstellers zurückzuführen waren. So ergab eine rechtsmedizinische Untersuchung multiple Frakturen an den Rippen und Beinen, mehrere Schädelbrüche, Hämatome an der Stirn und am Unterkiefer, Einblutungen im Hirngewebe, am Auge und im Augenweiß sowie am Penisschaft. Bei Krankenhausausnahme war der Antragsteller unterernährt; das Gewicht lag 90 Gramm unter dem Geburtsgewicht auf der 5%-Perzentile. Das Jugendamt hat den Antragsteller in Obhut genommen; der Kindsmutter wurde die elterliche Sorge entzogen. Der Antragsteller lebt seither in einer Pflegefamilie und zeigte jedenfalls zu Anfang Symptome, die auf die vorangegangenen Misshandlungen zurückzuführen waren, so insbesondere eine signifikante Berührungsempfindlichkeit.

Neben der rechtsmedizinischen Begutachtung des Antragstellers, der (unergiebigen) Auswertung von Speichermedien und der Vernehmung der am Notfalleinsatz Beteiligten sowie der zuständigen Mitarbeiterin des Jugendamtes hat die Staatsanwaltschaft mehrere Monate nach der Tataufdeckung die Wohnung der tatverdächtigen Eltern aufgrund gerichtlicher Anordnung (unergiebig) durchsucht. Unmittelbar im Anschluss hieran wurden die Beschuldigten durch die Kriminalpolizei verantwortlich vernommen. Die Beschuldigten, die gemeinsam und ohne Beteiligung anderer denkbarer Tatverdächtiger die Obhut für den Antragsteller ausgeübt haben, haben übereinstimmend angegeben, sie hätten die Verletzungen nicht herbeigeführt und könnten sich diese nicht erklären. Diese seien möglicherweise später bzw. bei der Reanimation entstanden. Allein das Hämatom an der Stirn hatte der Kindsvater – nachdem er hierfür zunächst zwei abweichende Darstellungen abgegeben hatte – als Sturzgeschehen geschildert. Er habe den Kinderwagen die Treppe des Mehrfamilienhauses hochgetragen, sei hierbei gestolpert und dabei sei der Antragsteller aus dem Kinderwagen gefallen. Diese Darstellung ist rechtsmedizinisch nachgestellt und als nicht plausibel widerlegt worden. Weitere Ermittlungen – so vor allem im Umfeld der Beschuldigten (Familie; Freunde; Nachbarn) - sind nicht erfolgt.

Die Staatsanwaltschaft hat das Verfahren mangels hinreichenden Tatverdachts gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Es lasse sich nicht nachweisen, welcher der beiden Beschuldigten die Verletzungen herbeigeführt habe. Konkretisierbare Anhaltspunkte für ein strafbares Unterlassen lägen nicht vor. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Antragstellers hat der Generalstaatsanwalt mit derselben inhaltlichen Begründung als unbegründet zurückgewiesen. Die Beschuldigten seien mit dem Antragsteller auch jeweils allein gewesen.

Der Senat hat den Antrag auf gerichtliche Entscheidung als unzulässig verworfen, gleichwohl eine summarische Prüfung des Akteninhalts und Bewertung des Beweisergebnisses vorgenommen.

Entscheidungsgründe

Der Antrag lässt eine abschließende materielle Prüfung der Strafbarkeit der Beschuldigten im Klageerzwingungsverfahren nicht zu, weil er unzulässig ist (hierzu unter 1.). Allerdings bietet der erhobene Tatvorwurf unter Berücksichtigung der besonderen Täter-Opfer-Konstellation, der Schutzbedürftigkeit des Antragstellers und der Tatschwere im Rahmen der Rechtsschutzgarantie aus Art. 19 Abs. 4 GG Anlass, die getroffene Einstellungsentscheidung einer Vertretbarkeitsprüfung zu unterziehen (hierzu unter 2.).

1. Die Oberlandesgerichte — so auch der Senat in ständiger Rechtsprechung — folgern aus dieser Vorschrift zunächst, dass der Antrag auf gerichtliche Entscheidung eine aus sich selbst heraus verständliche Schilderung des Sachverhalts enthalten muss, der bei Unterstellung des hinreichenden Tatverdachts die Erhebung der öffentlichen Klage in materieller und formeller Hinsicht rechtfertigt. Des Weiteren ist erforderlich, dass die Antragsbegründung auch in groben Zügen den Gang des Ermittlungsverfahrens und den Inhalt der angegriffenen Bescheide wiedergibt und sich auch mit der Einstellungsbegründung auseinandersetzt. Dadurch soll das Oberlandesgericht in die Lage versetzt werden, ohne Rückgriff auf die Ermittlungsakten eine Schlüssigkeitsprüfung vorzunehmen. Aus diesem Grund sind auch Bezugnahmen auf Anlagen und Aktenbestandteile unzulässig. Wenn die Antragsbegründung diesen Anforderungen — wie hier — nicht genügt, ist der Antrag schon deshalb unzulässig (vgl. zu allem die Rechtsprechungsnachweise bei Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Auflage, § 172 Rn. 26 ff). Diese Auslegung des § 172 Abs. 3 Satz 1 StPO ist vom Bundesverfassungsgericht mehrfach als verfassungsrechtlich unbedenklich bezeichnet worden (vgl. u. a. Nichtannahmebeschluss vom 22. Mai 2017 - 2 BvR 1107/16 -, juris, dort Rn.17).

So liegt es hier. Dem Antrag fehlt es an einer hinreichenden Sachverhaltsdarstellung; die ergangenen Entscheidungen werden nur als Anlagen beigefügt. Damit lässt sich dem Antrag ohne Rückgriff auf die Akte bzw. diese Anlagen nicht entnehmen, welchen konkreten Sachverhalt der Antragsteller den Beschuldigten in strafrechtlicher Hinsicht zur Last legt und aufgrund welcher Beweismittel ein hinreichender Tatverdacht begründet sein könnte. Ebenso wenig teilt der Antragsteller den Inhalt der angefochtenen Entscheidung nachvollziehbar mit. Dem Senat ist daher eine inhaltlich konkrete Prüfung eines etwaigen Tatvorwurfs, aufgrund dessen gemäß § 175 StPO eine Anklageerhebung hätte angeordnet werden können, nicht möglich, weil hierzu eine vollständige Erschließung des Akteninhalts, Bewertung des Beweisergebnisses und eine darauf beruhende rechtliche Einordnung des komplexen Tatvorwurfs erforderlich wäre.

Selbst wenn man den Antrag unter Berücksichtigung des Alters des Antragstellers als Prozesskostenhilfegesuch auslegt, wäre auch dieses abzulehnen. Für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe in einem Klageerzwingungsverfahren gelten nach § 172 Abs. 3 Satz 2 StPO dieselben Vorschriften wie in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten.

Nach § 114 ZPO ist demnach — unter anderem — für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe Voraussetzung, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat. Auch hieran fehlt es, weil auch im Prozesskostenhilfeverfahren keine umfassende und originäre Sichtung und Auswertung des Akteninhalts durch den Senat erfolgt. Zwar sind an die Qualität der Darlegung geringere Anforderungen zu stellen, es ist aber unerlässlich, dass der Antragsteller ein aus sich heraus verständliches Geschehen darlegt, aufgrund dessen bei Unterstellung des hinreichenden Tatverdachts die Erhebung der öffentlichen Klage in materieller und formeller Hinsicht jedenfalls möglich erscheint. Anderenfalls würden an die Bewilligung von Prozesskostenhilfe gänzlich andere Anforderungen gestellt als an einen Klageerzwingungsantrag, was in der Sache nicht gerechtfertigt ist.

2. Gleichwohl hat der Senat zur Wahrung des effektiven Rechtsschutzes des Antragstellers, einem zur Tatzeit Säugling und jetzt Kleinkind, gemäß Art. 19 Abs. 4 GG den Sachverhalt ausgehend von der Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft X vom … jedenfalls summarisch geprüft. Der Antragsteller ist unmittelbar nach seiner Geburt Opfer wiederholter und schwerster körperlicher Misshandlungen und einer dauerhaften Vernachlässigung jedenfalls in Form einer Mangelernährung geworden. Zudem hat dies nach fachkundiger Einschätzung des Jugendamts bereits zu einer frühkindlichen seelischen Beeinträchtigung mit ersichtlichen Auffälligkeiten geführt. Allein tatverdächtig sind die Beschuldigten, seine leiblichen Eltern. Der Antragsteller kann aufgrund seines Alters seine Rechte nicht selbst wahrnehmen und wird dies innerhalb der absoluten Verjährungsfrist der in Betracht kommenden Delikte absehbar auch nicht können. Diese Umstände gebieten es trotz der prozessualen Unzulässigkeit des Antrages, das Rechtsschutzbegehren des Antragstellers jedenfalls dahingehend zu prüfen, ob die angefochtenen Entscheidungen der Staatsanwaltschaft eine Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO jedenfalls als vertretbar erscheinen lassen.

So liegt es hier nicht, denn die Einstellungsentscheidung der Staatsanwaltschaft ist weder tatsächlich noch rechtlich vertretbar. Der Kernaussage des Klageerzwingungsantrages, die Einstellung des Ermittlungsverfahrens sei verfrüht und fehlerhaft erfolgt, schließt sich der Senat an.

Der Staatsanwaltschaft bleibt es unabhängig von einer sie bindenden Entscheidung des Senats aufgrund der nachfolgenden Erwägungen unbenommen, die Ermittlungen wieder aufzunehmen bzw. das Ermittlungsergebnis erneut einer tatsächlichen und rechtlichen Würdigung zu unterziehen sowie prozessuale Maßnahmen zu ergreifen. Die umfassende und rechtswirksame Aufarbeitung des Sachverhalts ist schon deshalb unerlässlich, damit in Zukunft tragfähige familiengerichtliche Entscheidungen zum Kindeswohl des Antragstellers getroffen werden können und auch, um möglichen weiteren Kindern der Beschuldigten von Geburt an den erforderlichen Schutz durch Jugendamt und Familiengericht zukommen zu lassen.

Im Einzelnen:

[…]

Der Senat sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab, weil sie für den Kern der Entscheidung, soweit diese von allgemeinem Interesse sein kann, nicht von Bedeutung sind.


Einsender:

Anmerkung:


zurück zur Übersicht

Die Nutzung von Burhoff-Online ist kostenlos. Der Betrieb der Homepage verursacht aber für Wartungs-, Verbesserungsarbeiten und Speicherplatz laufende Kosten.

Wenn Sie daher Burhoff-Online freundlicherweise durch einen kleinen Obolus unterstützen wollen, haben Sie hier eine "Spendenmöglichkeit".