Gericht / Entscheidungsdatum: LG Berlin I, Beschl. v. 10.01.2025 - 520 Qs 67/24
Eigener Leitsatz:
Je weiter die festgestellte Blutalkoholkonzentration von der Grenze zur absoluten Fahruntüchtigkeit (1,1 ‰) entfernt ist, desto höher sind die Anforderungen an die für das Vorliegen einer relativen Fahruntüchtigkeit festzustellenden alkoholbedingten Ausfallerscheinungen (für Rückwärtsfahren an einer Rotlicht zeigenden LZA, um einen Bekannten zu grüßen, verneint).
Landgericht Berlin I
520 Qs 67/24
Beschluss
In dem Ermittlungsverfahren
gegen pp.
Verteidiger:
hat das Landgericht Berlin I - 20. große Strafkammer - durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht, den Richter am Landgericht und die Richterin am Landgericht am 10. Januar 2025 beschlossen:
1. Auf die Beschwerde des Beschuldigten wird der Beschluss des Amtsgerichts Tiergarten vom 28.11.2024 aufgehoben.
2. Der Führerschein des Beschuldigten ist ihm auszuhändigen.
3. Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels einschließlich der hierfür notwendigen Aus-lagen des Beschuldigten zu tragen.
Gründe:
I.
Mit dem Beschluss vom 18.11.2024 hat das Amtsgericht Tiergarten die Fahrerlaubnis des Be-schuldigten vorläufig entzogen und die Beschlagnahme des Führerscheins bestätigt.
Gegen den Beschluss wendet sich der Beschuldigte mit Schreiben vom 28.11.2024. Mit weiterem Schreiben vom 10.01.2025 wurde das Rechtsmittel weiter begründet.
Der Beschwerde hat das Amtsgericht Tiergarten nicht abgeholfen.
II.
Die Beschwerde des Beschuldigten ist statthaft und auch sonst zulässig, §§ 304, 306 Abs. 1 StPO und hat in der Sache Erfolg.
Die für eine vorläufige Entziehung gemäß § 111a StPO erforderlichen dringenden Gründe für die Annahme, dem Beschwerdeführer werde im Hauptverfahren die Fahrerlaubnis gemäß § 69 StGB entzogen sind derzeit nicht gegeben.
Ein dringender Tatverdacht im Hinblick auf § 315c Abs. 1 Nr. 1a StGB ist nach Aktenlage nicht gegeben. § 315c Abs. 1 Nr. 1a StGB setzt voraus, dass der Täter „infolge des Genusses alkoholischer Getränke oder anderer berauschender Mittel nicht in der Lage ist, das Fahrzeug sicher zu führen“. Eine solche Fahruntüchtigkeit ergibt sich ab einer Blutalkoholkonzentration von 1,1 %o oder unterhalb einer Blutalkoholkonzentration von 1,1 %o bei vorhandenen alkoholbedingten Ausfallerscheinungen.
Vorliegend hatte der Beschuldigte zum Tatzeitpunkt eine BAK von 0,46 %o. Gemäß der Sachverhaltsdarstellung der Polizei sei der Beschuldigte an einer rotabstrahlenden Lichtzeichenanlage rückwärts gefahren, um einen Bekannten am Straßenrand zu grüßen. Hierbei sei er in das etwa 1,5 m hinter ihm stehende Fahrzeug des Zeugen pp. hineingefahren und habe dieses beschädigt. Dieses Verhalten stellt nach einer Gesamtbetrachtung nach Aktenlage keinen alkoholbedingten Umstand dar, der auf eine Fahruntüchtigkeit hinweist.
Voraussetzung für den Schluss aus Fehlverhaltensweisen auf eine alkoholbedingte Fahrunsicherheit ist die sichere Feststellung, dass sie Folgen des Alkoholgenusses sind. Bei der Beurteilung kommt es wesentlich darauf an, ob es sich um einen alkoholtypischen Fahrfehler handelt, also um einen solchen, der in symptomatischer Weise auf die nach Alkoholgenuss typischerweise auftretenden physiologischen (z.B. Verlängerung der Reaktionszeit; Beeinträchtigung des Gleichgewichtssinns; Einengung des Gesichtsfelds; Müdigkeit) und psychische (z.B. Kritiklosigkeit, erhöhte Risikobereitschaft und Selbstüberschätzung) Folgen hinweist. Je weiter die festgestellte Blutalkoholkonzentration von der Grenze zur absoluten Fahruntüchtigkeit (1,1 ‰) entfernt ist, desto höher sind die Anforderungen an die für das Vorliegen einer relativen Fahruntüchtigkeit festzustellenden alkoholbedingten Ausfallerscheinungen.
Anzeichen für physiologische Folgen des Alkoholgenusses sind nach Aktenlage nicht ersichtlich. Insbesondere konnten solche auch durch die Polizei nicht festgestellt werden, zumal der ärztliche Bericht über die Blutentnahme vom 30.10.2024 ausführt, dass eine Beeinflussung durch Alkohol nicht merkbar sei. Vielmehr handelt es sich mit großer Wahrscheinlichkeit um einen nicht alkoholbedingten Fahrfehler durch Außerachtlassung der straßenverkehrsrechtlichen Sorgfaltspflichten.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 467 StPO analog.
Einsender: RA L. H. Kroll, Berlin
Anmerkung: