Gericht / Entscheidungsdatum: LG Hagen, Beschl. v. 31.01.2025 - 43 Qs 8/25
Eigener Leitsatz:
1. Die rückwirkende Bestellung eines Pflichtverteidigers, namentlich nach Einstellung des Verfahrens, ist i.d.R. nicht zulässig.
2. Ob etwas anderes gilt, wenn durch ein justizinternes schuldhaftes Verhalten die Entscheidung über einen gestellten Beiordnungsantrag verzögert worden ist, bleibt offen. Denn "unverzüglich" im Sinne des § 141 Abs. 1 StPO bedeutet nicht „sofort", sondern vielmehr ohne schuldhaftes Zögern. Ein solches schuldhaftes Zögern nicht vor, wenn zwischen dem Eingang des Antrags und der Einstellung des nur eine Woche, vergangen ist.
43 Qs 8/25
Landgericht Hagen
Beschluss
In dem Ermittlungsverfahren
gegen pp.
Verteidiger:
wegen des Verdachts des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln
hier: Beschwerde gegen Ablehnung der Beiordnung eines Pflichtverteidigers hat die 3. große Strafkammer des Landgerichts Hagen auf die Beschwerde des Beschuldigten vom 20.01.2025 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Hagen vom 15.01.2025 durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht, den Richter am Landgericht und den Richter am 31.01.2025 beschlossen:
Die sofortige Beschwerde des früheren Beschuldigten vom 20.01.2025 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Hagen vom 15.01.2025 wird auf seine Kosten (§ 473 Abs.1 StPO) als unbegründet verworfen.
Gründe
I.
Die Staatsanwaltschaft Hagen ermittelte gegen den Beschwerdeführer wegen des Verdachts des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln. Im Rahmen einer am 18.12.2024 durchgeführten Durchsuchung gab der Beschuldigte an, sich durch Rechtsanwalt pp. verteidigen zu lassen.
Mit Schriftsatz vom 23.12.2024, eingegangen bei der Staatsanwaltschaft am gleichen Tage, meldete sich der Verteidiger des Beschwerdeführers zur Akte und beantragte, ihm Akteneinsicht zu gewähren. Ferner beantragte er Namens und in Auftrag seines Mandanten seine Beiordnung als Pflichtverteidiger.
Mit Verfügung vom 30.12.2024 stellte die Staatsanwaltschaft Hagen das Verfahren gegen den Beschwerdeführer nach § 170 Abs. 2 StPO ein, da keine für eine Überführung geeigneten Beweismittel gefunden wurden. Zu diesem Zeitpunkt war der Schriftsatz des Verteidigers vom 23.12.2024 noch nicht zur Akte gelangt.
Durch Beschluss vom 15.01.2025 wies das Amtsgericht Hagen den Beiordnungs-antrag zurück. Gegen diesen Beschluss wendet sich der frühere Beschuldigte mit der sofortigen Beschwerde vom 20.01.2025.
Die Staatsanwaltschaft hat mitgeteilt, dass keine Bedenken gegen eine Beiordnung bestehen.
II.
Die gemäß §§ 142 Abs. 7 Satz 1, 311 StPO statthafte sofortige Beschwerde ist zulässig, aber nicht begründet.
Das Amtsgericht Hagen hat den Antrag auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers zu Recht abgelehnt. Auch das Beschwerdevorbringen rechtfertigt keine abweichende Entscheidung.
Die für den Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 23.12.2024 beantragte Beiordnung eines Pflichtverteidigers kam nicht in Betracht, weil nach der eine Woche später mit Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 30.12.2024 erfolgten Einstellung des Verfahrens gegen den Beschwerdeführer nach § 170 Abs. 2 StPO eine Verteidigertätigkeit in diesem Verfahren nicht mehr entfaltet werden konnte. Eine nachträgliche Beiordnung als Pflichtverteidiger nach Abschluss des Verfahrens kommt - wie das Amtsgericht zutreffend ausgeführt hat - grundsätzlich nicht in Betracht. Die Regelung der §§ 140 ff. StPO gelten nämlich nicht dem Kosteninteresse des Beschwerdeführers oder des Verteidigers, sondern verfolgen den öffentlichen Zweck, ein rechtsstaatliches Verfahren auch für diejenigen Personen zu sichern, die sich nicht selbst verteidigen können. Dieser Zweck kann schlechthin nicht mehr erreicht werden, sobald das Verfahren abgeschlossen ist (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 24.10.2012 - 3 Ws 215/12, Rn. 17 m.w.N.; OLG Hamm, Beschluss vom 10.07.2008 - 4 Ws 181/08, Rn. 5). Die vorgenannte Rechtsprechung gilt auch nach Inkrafttreten der Neuregelung des § 141 StPO am 13.12.2019, durch welche u.a. die PKH-Richtlinie EU 2016/1919 vom 26.10.2016 umsetzt wurde, fort (so auch KG Berlin, Beschluss vom 30.08.2021 — 2 Ws 60/21 Vollz, Rn. 18; OLG Bremen, Beschluss vom 23.09.2020 — 1 Ws 120/20, Rn. 6; OLG Braunschweig, Beschluss vom 02.03.2021 —1 Ws 12/21, Rn. 9 ff.).
Ob dies gleichfalls noch gelten kann, wenn durch ein justizinternes schuldhaftes Verhalten die Entscheidung über einen gestellten Beiordnungsantrag verzögert wird (ablehnend OLG Hamm, Beschluss vom 24.10.2012 — 3 Ws 215/12, Rn. 18), braucht hier nicht entschieden zu werden, da ein derart schuldhaftes Verhalten im vorliegenden Fall nicht gegeben ist. Die in der Beschwerdebegründung angegebenen Rechtsprechungsnachweise sind daher im vorliegenden Fall auch nicht einschlägig. Zwar regeln die §§ 141 Abs. 1, 142 Abs. 1, Abs. 2 StPO, dass auf Antrag ein Pflichtverteidiger unverzüglich bestellt werden muss, wenn die Voraussetzungen des § 140 StPO gegeben sind. Unverzüglich im Sinne dieser Vorschrift bedeutet jedoch nicht „sofort", sondern vielmehr ohne schuldhaftes Zögern (Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl. 2024, § 141 Rn. 7). Ein solches schuldhaftes Zögern lag hier indes nicht vor.
Zwischen dem Eingang des Schriftsatzes am 23.12.2024 und der Einstellung des Verfahrens am 30.12.2024 verging nur eine Woche, was bereits grundsätzlich nicht als unangemessen lang zu bewerten ist. Zusätzlich ist hier zu berücksichtigen, dass in diesen Zeitraum auch noch die Weihnachtsfeiertage fielen. Unverständlich ist vor diesem Hintergrund das Vorbringen der Verteidigung, dass die Antragstellung weit vor Einstellung erfolgt sei. Die Staatsanwaltschaft Hagen hat das Verfahren zudem ohne weitere Ermittlungshandlungen gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.
Einsender: RA E. Besecke, Magdeburg
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