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Entscheidungen

StGB/Nebengebiete

Vergewaltigung, Drohen mit einem empfindlichen Übel, Rückkehr nach Syrien

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Hamm, Beschl. v. 28.01.2025 – III-3 Ws 442/24

Leitsatz des Gerichts:

Die Inaussichtstellung der Veranlassung der Rückkehr einer Frau in Lebensverhältnisse in einem Land, in der ihr wesentliche Lebens- und Bildungschancen genommen werden, kann eine Drohung mit einem empfindlichen Übel im Sinne von § 177 Abs. 2 Nr. 5 StGB sein.


In pp.

1. Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben, soweit darin die Eröffnung des Hauptverfahrens bzgl. Ziff. 2) der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Essen vom 05.09.2024 - 712 Js 100/24 - abgelehnt und soweit das Hauptverfahren vor dem Amtsgericht - Schöffengericht - Gelsenkirchen eröffnet wurde. Die Anklage der Staatsanwaltschaft Essen vom 05.09.2024 - 712 Js 100/24 wird (auch) hinsichtlich des Anklagevorwurfs zu Ziff. 2) zugelassen. Das Hauptverfahren wird hinsichtlich dieses Vorwurfs sowie bzgl. der bereits in dem angefochtenen Beschluss zugelassenen Vorwürfe zu Ziff. 3) und 4) der Anklage vor dem Landgericht - VI. große Strafkammer - Essen eröffnet.
2. Die Bestimmung der Besetzung der großen Strafkammer in der Hauptverhandlung (§ 76 Abs. 2 Satz 2 GVG) bleibt dieser vorbehalten.
3. Die weitergehende Beschwerde wird verworfen.
4. Die Gebühr für das Beschwerdeverfahren wird auf die Hälfte ermäßigt. Die Landeskasse hat die Hälfte der dem Angeklagten im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten. Im Übrigen (soweit die Beschwerde Erfolg hat) bleibt die Kosten- und Auslagenentscheidung der endgültigen Entscheidung in der Hauptsache vorbehalten.

Gründe

I.

Die Staatsanwaltschaft Essen hat gegen den Angeklagten am 05.09.2024 Anklage wegen zwei Fällen der Vergewaltigung (§ 177 Abs. 2 Nr. 5 i.V.m. Abs. 6 Nr. 1 StGB) sowie wegen zwei Fällen der (vorsätzlichen) Körperverletzung (§ 223 StGB) erhoben und die Eröffnung des Hauptverfahrens vor dem Landgericht Essen - große Strafkammer - beantragt. Dem Angeklagten legt die Staatsanwaltschaft Folgendes zur Last:

"Im Folgenden wird aus der Anklageschrift zitiert; aufgrund § 353d Nr. 3 StGB ist dieser Text bis auf Weiteres entfernt"

Nach Zustellung der Anklageschrift an den Angeklagten bzw. seinen Verteidiger nebst Gewährung der Möglichkeit zur Stellungnahme hat das Landgericht Essen mit dem angefochtenen Beschluss die Eröffnung des Hauptverfahrens bzgl. der Vergewaltigungsvorwürfe (Ziff. 1 und 2 der Anklage) "aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen" abgelehnt und im Übrigen die Anklage zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren vor dem Amtsgericht - Schöffengericht - Gelsenkirchen eröffnet.

Die Strafkammer führt zur Begründung aus, dass sich der Aussage der von der Staatsanwaltschaft als Zeugin benannten Geschädigten nicht entnehmen lasse, dass sie bei den genannten Taten einen ablehnenden Willen geäußert habe. Den ersten Geschlechtsverkehr habe sie als einvernehmlich bezeichnet. Bzgl. des zweiten habe sie lediglich geschildert, dass sie sich dabei "verkrampft" habe. Der Angeklagte habe sie nicht mit körperlicher Gewalt gezwungen, er habe jedoch immer gesagt, dass er sich scheiden lassen würde, wenn die Geschädigte nicht mit ihm schlafe. Dann müsse sie zurück nach Syrien. Deshalb habe sie das Geschehen über sich ergehen lassen. Insoweit meint die Strafkammer, dass es sich hierbei nicht um ein empfindliches Übel handele. Die Ehe sei von der Geschädigten ohnehin als unglücklich bewertet worden und es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass die angedrohte Scheidung als massiver Verlust empfunden wurde. Wörtlich heißt es: "Die Äußerung des verständlichen Wunsches nach ehelichem Geschlechtsverkehr verbunden mit der Ankündigung, ansonsten die Scheidung einzureichen, rechtfertigt nicht die Annahme einer (versuchten) Vergewaltigung gem. § 177 Abs. 2 Nr. 5 und Abs. 6 StGB. Vielmehr ist darin der Versuch zu sehen, die Ehe zu retten, indem der andere Ehepartner die Möglichkeit erhält, seine Haltung zu überdenken, bevor es aus nachvollziehbaren Gründen zur Trennung kommt [...]." Auch die angedrohten ausländerrechtlichen Folgen stellten kein empfindliches Übel für die Geschädigte dar, da ihr in Syrien keine Verfolgung drohe und eine Abschiebung nach Syrien nicht vom Willen des Angeklagten abhänge sondern im Falle einer Scheidung im Ermessen der Ausländerbehörde liege.

Der angefochtene Beschluss ist der Staatanwaltschaft am 08.11.2024 zugestellt worden. Hiergegen hat die Staatsanwaltschaft Essen am 13.11.2024 per (nicht unterschriebenem) Telefax sofortige Beschwerde eingelegt und diese am 20.11.2025 bzgl. der Nichteröffnung des Hauptverfahrens hinsichtlich der Vergewaltigungsvorwürfe begründet. Sie führt in der Beschwerdebegründung u.a. aus, dass die Rückführung der Geschädigten, die nicht mehr Jungfrau sei, ein empfindliches Übel darstelle und beruft sich insoweit auf eine (zeitlich bzw. bezgl. des Fundorts nicht näher bezeichnete Rede eines oder einer (der Vorname "P." ist laut Wikipedia ein weiblicher wie männlicher Vorname) "P. J. der K.", wonach Frauen, die vergewaltigt wurden, von ihren Familien im Namen der Ehre getötet würden und Überlebende sexueller Gewalt durch ihre Familien und von der Gesellschaft stigmatisiert würden. Da die Zeugin nur aufgrund des Familiennachzugs nach Deutschland gekommen sei, gebe der Angeklagte mit seiner Scheidungsankündigung durchaus vor, auf eine Ausweisung der Zeugin Einfluss zu haben, auch wenn das Ausländeramt noch "zwischengeschaltet" würde.

Die Generalstaatsanwaltschaft vertritt das Rechtsmittel und hat beantragt, den angefochtenen Beschluss aufzuheben, die Anklage zuzulassen und das Hauptverfahren vor dem Landgericht - große Strafkammer - Essen zu eröffnen.

Dem Senat sind verschieden lange (und teilweise auch verschieden paginierte) Aktenausdrucke der E-Akte vorgelegt worden. Deswegen und weil sich auch bestimmte in der Anklageschrift aufgeführte Informationen (etwa, dass der Geschlechtsverkehr bis zum "Samenerguss" durchgeführt worden sei) aus den vorgelegten Unterlagen nicht nachvollziehen ließen, hat der Senat mit der Generalstaatsanwaltschaft am 10.12.2024 telefonisch Kontakt aufgenommen und um Überprüfung gebeten, ob die Akten vollständig vorgelegt worden seien. Diese bat daraufhin um Rücksendung der Akten zwecks Überprüfung. Mit Verfügung vom 13.01.2025 hat sie den Vorgang erneut vorgelegt und mitgeteilt, dass die Staatsanwaltschaft Essen mitgeteilt habe, dass weitere Aktenbestandteile dort nicht vorhanden seien. Sie bezieht sich auf den Antrag aus ihrer Antragsschrift. Das Begleitschreiben ist dem Verteidiger per beA mit Verfügung vom 21.01.2025 zur Kenntnisnahme übermittelt worden.

II.

Die statthafte (§ 210 Abs. 2 StPO) und zulässige sofortige Beschwerde hat nur teilweise Erfolg.

1. Die sofortige Beschwerde ist dahin auszulegen, dass sie sich allein gegen die Nichtzulassung der Anklage bzgl. der Vergewaltigungsvorwürfe und die Eröffnung vor dem AG- Schöffengericht - Gelsenkirchen anstelle des Landgerichts - große Strafkammer - Essen richtet. Trotz der uneingeschränkten Beschwerdeeinlegung und der uneingeschränkten Antragstellung der Generalstaatsanwaltschaft zeigen die jeweiligen Begründungen von Staatsanwaltschaft und Generalstaatsanwaltschaft, dass sie sich nicht gegen die Zulassung der Anklage bzgl. der Körperverletzungsvorwürfe wenden.

Die für eine Beschwerde erforderliche Schriftform (§ 306 Abs. 1 StPO) wurde eingehalten. Insoweit reicht es, wenn der Urheber der Erklärung dieser hinreichend zuverlässig entnommen werden kann und feststeht, dass es sich nicht um einen Entwurf handelt. Nicht unbedingt notwendig ist die handschriftliche Unterzeichnung (Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt, StPO, 67. Aufl., Einl. Rdn. 128 m.w.N.). So verhält es sich jedenfalls hier. Die per Telefax übermittelte sofortige Beschwerde enthält den (gedruckten) Namenszug der Staatsanwältin sowie beigefügt eine ausgedruckte "Signaturübersicht" in welcher bzgl. der sofortige Beschwerde die Signatur eben dieser Staatsanwältin aufgeführt ist (die Akten werden bei der Staatsanwaltschaft Essen per E-Akte, beim Landgericht offenbar in Papierform geführt).

2. Die sofortige Beschwerde ist nur teilweise begründet.

Ein hinreichender Tatverdacht i.S.v. § 203 StPO besteht - wenn auch aus teilweise anderen Gründen als von der Strafkammer angenommen - bzgl. des Anklagepunkts zu Ziff. 1) nicht, sondern nur bzgl. des Anklagevorwurfs zu Ziff. 2). Ob die Auffassung zutrifft, dass bei einer Teilablehnung der Eröffnung oder der Eröffnung vor einem Gericht niedriger Ordnung der hinreichende Tatverdacht bzgl. der Vorwürfe, bzgl. derer das Ausgangsgericht bereits die Anklage zugelassen hat, nicht mehr vom Beschwerdegericht zu prüfen ist, wenn dies - wie hier - vom Beschwerdeangriff ausgenommen wurde (so etwa: KG Berlin NStZ-RR 2005, 26, 27; OLG Saarbrücken, Beschl. v. 30.10.2001- 1 Ws 151/01 = BeckRS 2001, 13486; vgl. auch OLG Hamburg, Beschl. v. 23.09.2002 - 2 Ws 182/02 = BeckRS 2002, 30283780) oder ob das Beschwerdegericht bei seiner Entscheidung über die Eröffnung das in der Eröffnungsentscheidung liegende Wahrscheinlichkeitsurteil stets in vollem Umfang zu überprüfen hat (so etwa: BGH, Beschl. v. 15.10.2013 - StB 16/13 = BeckRS 2014, 528; OLG Celle NStZ 2017, 495; Ritscher in: BeckOK-StPO, 53. Ed., § 210 Rdn. 7 m.w.N.) kann dahinstehen, da vorliegend jedenfalls auch bzgl. der Tatvorwürfe zu Ziff. 3 und 4) der Anklage ein hinreichender Tatverdacht vorliegt (dazu unten). Der Senat neigt allerdings der erstgenannten Auffassung zu, dass dann, wenn es sich bei den zugelassenen Anklagepunkten um selbständige Taten handelt, die einer eigenständigen Bewertung zugänglich sind und wenn die Anklagezulassung vom Beschwerdeangriff ausgenommen wurde, eine Überprüfung des hinreichenden Tatverdachts durch das Beschwerdegericht nicht geboten ist. Es liegt dann kein Fall vor, in dem der angegriffene und der vom Angriff ausgenommene Teil des Eröffnungsbeschlusses nicht selbständig beurteilt werden können, ohne eine Überprüfung der Eröffnungsentscheidung im Übrigen erforderlich zu machen. Für diese Auffassung spricht schon der Wortlaut des § 210 Abs. 2 StPO. Soweit die Anklage zugelassen wurde, wurde die Eröffnung des Hauptverfahrens ja gerade nicht abgelehnt. Es würde auch der gesetzgeberischen Konzeption einer möglichst begrenzten Anfechtungsmöglichkeit der Eröffnungsentscheidung widersprechen, wollte man auch nicht angefochtene Teile gleichwohl und entgegen der Disposition der Anklagebehörde zur Überprüfung des Beschwerdegerichts stellen. Ein Bedürfnis hierfür besteht jedenfalls dann nicht, wenn das Hauptverfahren vom Beschwerdegericht ohnehin vor dem höherrangigen Gericht eröffnet wird (vgl. § 269 StPO).

Ein hinreichender Tatverdacht ist zu bejahen, wenn bei vorläufiger Tatbewertung auf Grundlage des Ermittlungsergebnisses nach Maßgabe des Akteninhalts die Verurteilung in einer Hauptverhandlung mit vollgültigen Beweismitteln wahrscheinlich ist. Hierbei wird ein geringerer Grad der Wahrscheinlichkeit vorausgesetzt, als dies beim dringenden Tatverdacht im Sinne des § 112 Abs. 1 Satz 1 oder § 126 a Abs. 1 StPO der Fall ist. Die für eine Verurteilung notwendige volle richterliche Überzeugung ist nicht erforderlich (vgl. nur: BGH, Beschl. v. 30.06.2022 - StB 25/22 = BeckRS 2022, 19845; OLG Hamm, Beschl. v. 08.10.2024 - III-4 Ws 154/24 - juris m.w.N.).

Im Einzelnen:

a) Zum Anklagevorwurf zu Ziff. 1.)

aa) Unzutreffend ist zwar die Auffassung der Strafkammer, dass die Inaussichtstellung von Scheidung und Rückführung nach Syrien bei dem gebotenen individuell-objektiven Maßstab, wonach auf den Opferhorizont abzustellen ist und der Individualität des Bedrohten und der Frage, weshalb gerade von ihm in seiner konkreten Situation ein Standhalten gegenüber der Drohung erwartet werden kann, entscheidende Bedeutung zukommt (OLG Karlsruhe, Beschl. v. 17.01.2019 - 2 Ws 341/18 - juris - m. Anm. Riedel jurisPR-StrafR 8/2019 Anm. 4; Altvater/Coen in: LK-StGB, 13. Auf., § 240 Rdn. 84, jew. m.w.N.), hier keine Drohung mit einem empfindlichen Übel darstellen könne. Es ist im vorliegenden Fall zu berücksichtigen, dass die (damals 24-jährige) Zeugin die Ehe mit dem Angeklagten offenbar nur oder jedenfalls wesentlich auch deswegen eingegangen ist, um im Wege des Familiennachzugs nach Deutschland kommen zu können. Der Angeklagte befindet sich schon mehrere Jahre in Deutschland. Die Zeugin hat zum Kennenlernen zwischen ihr und dem Angeklagten angegeben, dass zwischen ihren Eltern und dem Angeklagten ein entfernter Verwandtschaftsgrad bestehe und man sich im Februar 2023 über einen Videochat kennen gelernt habe. Sie und der Angeklagte hätten dort alle zwei Tage miteinander gesprochen. Manchmal sei er in den Gesprächen nett gewesen, teilweise aber auch nicht. Er habe ihr versprochen, in Deutschland zur Schule gehen zu können und Deutsch zu lernen. Im Oktober 2023 habe man in Syrien standesamtlich geheiratet, wobei der Angeklagte per Videochat zugeschaltet gewesen sei. Der Umstand, dass die Zeugin, den Angeklagten, den sie nicht persönlich kannte, und der schon beim Kennenlernen im Videochat nur teilweise "nett" zu ihr war, gleichwohl geheiratet hat, deutet im Zusammenhang mit dem in Aussicht gestellten Schulbesuch darauf hin, dass die Zeugin sich in ihrer Heimat derart unwohl oder diskriminiert fühlte, dass sie eine Ehe mit dem Angeklagten unter diesen Umständen vorzog, um nach Deutschland zu gelangen. Im Umkehrschluss bedeutet das aber auch, dass die Rückkehr in ihr Heimatland grundsätzlich geeignet sein könnte, ein empfindliches Übel darzustellen. Insoweit wären im weiteren Verfahren freilich noch die konkreten Umstände, die sie bei einer Rückkehr erwarteten (etwa: Möglichkeit oder Unmöglichkeit eines offenbar erwünschten Schulbesuchs, bzw. Studienwunsches - vgl. Bl. 5. d.A. etc.) zu ermitteln und aufzuklären. Dass der Zeugin bei Rückkehr nach Syrien derartige erhebliche Unzuträglichkeiten durchaus drohen ist aber naheliegend und wahrscheinlich in dem o.g. Sinne, angesichts des Umstands, dass die Zeugin die Umstände, wie Heirat eines nicht persönlich bekannten Mannes, Verlassen des Heimatlandes etc. auf sich nahm. Der Inaussichtstellung solcher diskriminieren Lebensverhältnisse einer jungen Frau, der wesentliche Lebens- und Bildungschancen genommen werden, müsste die Zeugin nach dem Dafürhalten des Senats auch nicht in "besonnener Selbstbehauptung" (vgl. Fischer, StGB, 71. Aufl. § 240 Rdn. 32a) standhalten. Das Nachgeben des Tatopfers, stellt dann keine "ungewöhnliche (Extrem-)Reaktion von Überängstlichen" dar, welche bei der gebotenen individuell-objektiven Betrachtungsweise auszuklammern wäre (vgl. Altvater/Coen in: LK-StGB, 13. Aufl., § 240 Rdn. 84).

Ist dem so, so handelt es sich durchaus um ein Übel, auf das der Angeklagte nach dem Vorstellungsbild der Geschädigten Einfluss hat, denn nach ihrer Auffassung hängt ihr Aufenthaltsrecht erkennbar mit dem stattgefundenen Familiennachzug, also der Ehe, zusammen, wie auch ihre mehrfache Frage (s. Eindrucksvermerk, Bl. 17 d.A.), ob sie im Falle der Scheidung wieder in ihre Heimat zurück müsse, zeigt. Unerheblich ist dabei, ob der Angeklagte Däne (so die Personalien in der Anklageschrift) oder Syrer (so die Konkretisierung der Anklageschrift) ist. Insofern käme es auf die Frage, ob der Zeugin im Falle einer Rückkehr nach Syrien Tod oder Diskriminierung gedroht hätten, nicht an.

Nur ergänzend und im Hinblick auf die Beschwerdebegründung der Staatsanwaltschaft macht der Senat diesbezüglich darauf aufmerksam, dass die bisherigen knappen Ermittlungen nichts dafür ergeben haben, dass der Angeklagte der Zeugin auch in Aussicht gestellt hat, ihre durch ihn angeblich stattgefundene Vergewaltigung in ihrem Umfeld in Syrien publik zu machen. Woher man in Syrien also gewusst haben sollte, dass sie Opfer einer Sexualstraftat gewesen sein soll und nicht lediglich als geschiedene Ehefrau zurückkehrt, erschließt sich nicht aus den Akten. Auch dürfte für die Darlegung einer von der Staatsanwaltschaft angenommenen Verfolgungssituation in Syrien ein Redeausschnitt eines Mitglieds einer syrischen Frauenrechtsorganisation anstelle etwa offizieller Auskünfte des Auswärtigen Amtes o.ä., noch dazu ungeachtet der Betrachtung des konkreten Umfelds, in das die Zeugin, die nach ihren Angaben in Syrien kein Kopftuch trug (was für ein eher gemäßigtes Umfeld sprechen könnte), zurückkehren würde (städtisch/ländlich, islamistisch /liberal etc.), nur wenig aussagekräftig sein. Dies ist bisher völlig unausermittelt.

bb) Die bisherigen Ermittlungen, die im Wesentlichen aus dem polizeilichen Vermerk über die Anzeigeerstattung am 10.06.2024, Bl. 2 ff.; der polizeilichen Zeugenvernehmung der Zeugin vom 10.06.2024, Bl. 7 ff., einer Fotodokumentation der Körperverletzung (Bl. 13), einem Eindrucksvermerk (Bl. 15-17), einem Vermerk über das polizeiliche Aufsuchen des Angeklagten in seiner Wohnung nebst (Gefährder-)Ansprache (Bl. 18-21) und Schlussbericht (Bl. 28-29) bestehen (der Angeklagte hat über seinen Verteidiger erklären lassen, dass er sich im Ermittlungsverfahren nicht einlassen wolle), ergeben gleichwohl aus tatsächlichen Gründen keinen hinreichenden Tatverdacht in dem o.g. Sinne bzgl. des ersten Vergewaltigungsvorwurfs.

Die erste angeklagte Tat soll ein durch Drohung mit Trennung und "Rücksendung der Geschädigten" nach Syrien erzwungener Geschlechtsverkehr gewesen sein, welcher gleichzeitig der erste Geschlechtsverkehr der Geschädigten überhaupt, nach ihrer Einreise aus Syrien am 00.04.2024, gewesen sein soll. Gerade diesen ersten Geschlechtsverkehr bezeichnete die Geschädigte in ihrer polizeilichen Zeugenvernehmung vom 10.06.2024 als "einvernehmlich". Wörtlich heißt es: "In der ersten Woche war es noch in Ordnung. Er ist jedoch mehrfach aggressiv gewesen und hat mich angeschrien. Er hat mich zu diesem Zeitpunkt jedoch noch nicht geschlagen. Wir haben in der ersten Woche miteinander geschlafen. Dies geschah einvernehmlich aber er hat mich auch angeschrien. Ich war vorher noch Jungfrau. Daher hat es danach geblutet. Während des Geschlechtsverkehrs sollte alles so laufen, wie er das möchte. Ich hatte da kein Mitspracherecht". Mit keinem Wort erwähnt die Zeugin hier, dass der Angeklagte bereits zu diesem Zeitpunkt den Geschlechtsverkehr als solchen oder aber auch nur die Fortsetzung eines bereits begonnenen Geschlechtsverkehrs mit der Trennungs- oder Rückführungsdrohung durchgesetzt hat. Sofern aggressives Verhalten bzw. Anschreien erwähnt wird, ist schon nicht ersichtlich, dass dies dazu diente, die Zeugin zur Aufnahme oder Fortsetzung des Geschlechtsverkehrs zu bewegen. Auch aus der weiteren Zeugenvernehmung ergeben sich dafür keine Anhaltspunkte. Zwar heißt es an viel späterer Stelle der Vernehmung ganz allgemein: "Er hat mich nicht mit körperlicher Gewalt zum Geschlechtsverkehr gezwungen. Er hat mir jedoch immer gesagt, dass er sich scheiden lassen würde, wenn ich nicht mit ihm schlafe. Dann müsse ich zurück nach Syrien. Er war dabei sehr aggressiv. Er hat sich vor mir aufgebaut und hat mir mit der Rückführung nach Syrien gedroht. Dann habe ich das Ganze über mich ergehen lassen." Dass dies aber bereits vor dem ersten Geschlechtsverkehr ebenfalls schon der Fall war, ist nicht erkennbar. Eine Veranlassung dazu bestand nicht, da dieser erste Geschlechtsverkehr nach Angaben der Zeugin ohnehin "einvernehmlich" (bzw. "in Ordnung") war. Das zeigen die Angaben Bl. 9 d.A., die offenbar im Zusammenhang damit standen, dass die Zeugin nach der unangenehmen Erfahrung des als schmerzhaft empfundenen ersten Geschlechtsverkehrs dem Angeklagten "versucht" hatte, zu erklären, dass sie "alles ein bisschen langsamer angehen" wolle, da sie keine Erfahrung habe. Insoweit hat die Zeugin weiter ausgesagt, dass der Angeklagte ihr "dann" (Bl. 9 d.A.) gedroht habe, sie wieder nach Syrien zu schicken. Die gleichsam resümierende, ohne auf einzelne Vorgänge eingehende, allgemeine Bekundung gegen Ende der Vernehmung, der Angeklagte habe "immer" die o.g. Drohung ausgesprochen, vermag deswegen nicht über die ausdrückliche und eindeutige Bekundung, der erste Geschlechtsverkehr sei einvernehmlich gewesen, hinwegzuhelfen. Sie ist vielmehr erkennbar bezogen auf nach dem ersten, einvernehmlichen, Geschlechtsverkehr folgendes Geschehen.

Die Angaben der Zeugin bei der Anzeigeerstattung, die sich aus dem polizeilichen Vermerk Bl. 5 f. d.A. ergeben, lassen auch keine Rückschlüsse darauf zu, dass bereits der erste Geschlechtsverkehr unter Einfluss einer Drohung stattgefunden hat. Die Schilderung der Zeugin ist dort allgemein gehalten und es wird nicht bzgl. der Taten differenziert. Die Formulierung "Falls sie in manchen Situationen keinen Geschlechtsverkehr mit ihm haben möchte, droht er damit [...]" könnte eher darauf hindeuten, dass es auch Situationen der Geschlechtsverkehrsanbahnung ohne Drohung gab ("manche").

Der Angeklagte selbst hat, als er auf der Polizeiwache vorstellig wurde (Bl. 5 d.A.) angegeben, dass seine Frau lüge. Im weiteren Ermittlungsverfahren hat er keine Einlassung abgegeben. Daher ergibt sich auch hieraus nichts, für einen hinreichenden Tatverdacht.

b) Zum Anklagevorwurf zu Ziff. 2.)

aa) Bzgl. der zweiten angeklagten Tat kann ein hinreichender Tatverdacht hinsichtlich einer Tat nach § 177 Abs. 2 Nr. 5, Abs. 6 Nr. 1 StGB noch bejaht werden.

Die bisherigen Ermittlungen sind äußerst dürftig und nur (was den vorliegenden Tatvorwurf zu Ziff. 2) angeht) so gerade eben bis zur Anklagereife durchgeführt worden. Dies war - zumindest den ermittelnden Polizeibeamten - auch ansatzweise bewusst. Denn es heißt am Ende des Eindrucksvermerks (Bl.17 d.A.): "Insgesamt wird die Vernehmung nach umfassender Sachverhaltserforschung beendet. Einige Fragen können jedoch nicht im Detail geklärt werden, da die Fragen nicht konkret beantwortet werden beziehungsweise zum Weinen der Geschädigten führen". Trotz dieser zutreffenden Erkenntnis wurden weitere Ermittlungen nicht mehr durchgeführt, um Widersprüche und Unklarheiten aufzuklären.

Gleichwohl ist ein hinreichender Tatverdacht in dem o.g. Sinne noch zu bejahen. Anhand der bisherigen Beweisergebnisse lässt sich zwar nicht vollständig ausschließen, dass es mehr als nur zwei (strafrechtlich relevante) sexuelle Geschehen zwischen dem Angeklagten und der Zeugin gegeben hat und dass sich der Anklagevorwurf zu 2) in dieser Form nicht hinreichend konkretisieren lässt, sondern es sich hierbei um eine Zusammenfassung von Umständen aus verschiedenen sexuellen Geschehen handelt:

Die Zeugin hat in ihrer polizeilichen Vernehmung angegeben, dass sie und der Anklagte "zweimal" miteinander geschlafen hätten (Bl. 11 d.A.). Allerdings schildert sie auch: "Immer wenn er danach [Anm. d. Senats: nach den ersten beiden Malen, Ende April/Anfang Mai] Geschlechtsverkehr haben wollte, verkrampfte sich mein Körper und ich begann zu zittern". Gerade das Zittern wird aber von der Anklageschrift im Zusammenhang mit der angeklagten zweiten Tat geschildert. So wie es die Zeugin schildert, trat dies aber nach den ersten beiden Malen auf und steht im Zusammenhang mit dem bloßen Ansinnen weiterer (also späteren als den ersten beiden Malen) sexueller Handlungen, die aber nicht angeklagt wurden.

Auch, dass der Geschlechtsverkehr bis zum "Samenerguss" durchgeführt wurde, lässt sich den Akten nicht entnehmen.

bb) Trotz dieser Unrichtigkeiten in der Konkretisierung lässt sich aber die zweite angeklagte Tat noch hinreichend aus den Akten nachvollziehen. Diesen lässt sich zunächst entnehmen, dass der Angeklagte (mindestens) einmal mit der Zeugin Geschlechtsverkehr unter dem Einfluss der genannten Drohung durchgeführt hat.

Dass es sich hierbei mit großer Wahrscheinlichkeit um den zweiten Geschlechtsverkehr gehandelt haben muss, ergibt sich aus der Aussage der Zeugin, dass sie dem Angeklagten beim zweiten Mal versucht habe, zu erklären, dass sie "alles ein bißchen langsamer angehen" wolle, da sie noch keine Erfahrung habe und dass sie noch etwas Zeit brauche. Der Angeklagte habe dann mit dem Rückschicken nach Syrien gedroht, wenn sie nicht mache, was er wolle. Er habe auch seine Mutter in Syrien angerufen und diese habe der Zeugin gesagt, dass sie ihrem Sohn geben solle, was er will (dies Geschehen wird in der Anklage offenbar dem "Nachgang" der ersten Tat zugeordnet). Er habe dann wieder mit ihr schlafen wollen. Sie habe sich verkrampft und angefangen zu bluten. Daraufhin habe er sie angeschrien und sei sehr aggressiv gewesen (Bl. 9 d.A.).

Die denkbare Auslegung, dass es unmittelbar nach dem Anruf bei der Mutter nicht zu dem geschilderten Geschlechtsverkehr gekommen ist (was dann einen Rücktritt vom Versuch bzgl. des zweiten Geschehens nahelegen würde), sondern die Bekundung der Zeugin "Er wollte dann wieder mit mir schlafen" sich auf neues (drittes - und damit nicht angeklagtes -) Geschehen bezieht, hält der Senat nach dem gegenwärtigen Ermittlungsstand für nicht überwiegend wahrscheinlich, weil dann davon auszugehen gewesen wäre, dass dies auch in der Aussage zum Ausdruck gekommen wäre (etwa: "Einige Tage später wollte er dann wieder mit mir schlafen" o.ä.). Eine entsprechende Aufklärung wäre ggf. in der Hauptverhandlung nachzuholen.

Dass dieses zweite Geschehen zeitlich auch Ende April/Anfang Mai stattgefunden hat, ergibt sich aus der polizeilichen Vernehmung der Zeugin (Bl. 11 d.A.), wo beide Male Geschlechtsverkehr zeitlich so zugeordnet werden.

Der Senat hat keine durchgreifenden Bedenken gegen die Glaubhaftigkeit der Angaben der Zeugin, trotz der kleineren Unklarheiten und Widersprüche, welche zumindest den ermittelnden Polizeibeamten aufgefallen waren. Deren Klärung muss der mit den besseren Erkenntnismöglichkeiten ausgestatteten Hauptverhandlung vorbehalten bleiben.

cc) Hinsichtlich der Nötigungseignung der Äußerungen des Angeklagten verweist der Senat auf die Ausführungen oben II.1.a.

c) Zu den Anklagepunkten zu Ziff. 3) und 4):

Die Strafkammer hat hier zutreffend die Anklage zugelassen. Der hinreichende Tatverdacht ergibt sich hier sowohl aus der polizeilichen Vernehmung der Zeugin als auch aus ihren Angaben bei der Anzeigeerstattung bei der Polizei nebst den dort aufgenommenen Lichtbildern von den Verletzungen.

III.

Da ein hinreichender Tatverdacht bzgl. des Vorwurfs der Vergewaltigung bzgl. Anklagevorwurf zu Ziff. 2) zu bejahen ist, ist die Anklage insoweit zuzulassen und das Hauptverfahren insgesamt vor dem insoweit örtlich und sachlich (gem. § 74 Abs. 1 S. 2 GVG) zuständigen Landgericht Essen - große Strafkammer - zu eröffnen. Bereits das Landgericht hat für die Körperverletzungsvorwürfe (vertretbar) eine Straferwartung von mehr als zwei Jahren angenommen, was sich aus der Eröffnung vor dem Schöffengericht ergibt (vgl. § 25 GVG). Da die Mindeststrafe für eine Vergewaltigung nach § 177 Abs. 6 StGB bei zwei Jahren Freiheitsstrafe liegt, war wegen der Gesamtstraferwartung - auch unter Berücksichtigung einer etwaigen Gesamtstrafenbildung gem. §§ 53, 54 StGB - die Eröffnung vor der großen Strafkammer auszusprechen.

Eine Zurückverweisung der Sache an eine andere Kammer war nicht auszusprechen. § 210 Abs. 3 S. 1 StPO ist im Lichte des Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG dahin auszulegen, dass das Beschwerdegericht das Strafverfahren in der Regel bei dem Spruchkörper belassen muss, der nach der Verfahrensordnung und der Geschäftsverteilung dafür zuständig ist und deshalb auch bisher damit befasst war. Nur wenn besondere Gründe vorliegen, kann das Beschwerdegericht bestimmen, dass die Hauptverhandlung vor einem anderen Gericht stattzufinden hat. Solche besonderen Gründe sind nicht schon immer dann gegeben, wenn das Beschwerdegericht die Beweissituation anders beurteilt als das Ausgangsgericht und daher das Hauptverfahren eröffnet. Sie liegen aber vor, wenn eine unvoreingenommene Verhandlung nur vor einem anderen Spruchkörper zu erwarten ist oder wenn zu besorgen ist, dass das Ausgangsgericht die dem Nichteröffnungsbeschluss zu Grunde liegende Bewertung so verinnerlicht hat, dass es selbst von einem anderslautenden Beschwerdeentscheid nicht mehr zu überzeugen ist (vgl. OLG Bremen, Beschl. v. 19.03.2024 - 1 Ws 28/24 - juris m.w.N.).

Ein solcher Fall liegt hier nicht vor.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 4 StPO. Soweit die Beschwerde Erfolg hat, bleibt insoweit eine Kostenentscheidung der verfahrensabschließenden Entscheidung vorbehalten (vgl. OLG Hamm a.a.O.).


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