Gericht / Entscheidungsdatum: LG Köln, Beschl. v. 30.01.2025 - 111 Qs 6/25
Eigener Leitsatz:
1. Eine nachträgliche, rückwirkende Bestellung eines Pflichtverteidigers für ein eingestelltes Verfahren ist in der Regel unzulässig und zwar auch dann, wenn der Wahlverteidiger oder der Rechtsanwalt, den der Beschwerdeführer als den zu bestellenden Pflichtverteidiger benannt hatte, rechtzeitig und auch begründet seine Bestellung beantragt hatte. Eine Ausnahme ist dann anzunehmen, soweit der Antrag auf Beiordnung gestellt worden ist und pflichtwidrig eine unverzügliche Entscheidung über diesen unterlassen worden ist.
2. Aus dem Recht des Beschuldigten auf ein faires Verfahren ergibt sich die Verpflichtung auf zeitnahe Entscheidung über seinen Pflichtverteidigerantrag. Die Bemessung dieser Prüfungs- und Überlegungsfrist kann dabei nicht starr erfolgen. Sie muss vielmehr an den Umständen des Einzelfalls und Zweck der Pflichtverteidigung ausgerichtet sein, der darin besteht, im öffentlichen Interesse dafür zu sorgen, dass ein Beschuldigter in den vom Gesetz bestimmten Fällen rechtskundigen Beistand erhält und dass ein ordnungsgemäßer Verfahrensablauf gewährleistet ist.
111 Qs 6/25
Landgericht Köln
Beschluss
In dem Ermittlungsverfahren
gegen pp.
- Beschwerdeführer -
Verteidigerin:
hat die 11. große Strafkammer des Landgerichts Köln auf die sofortige Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Köln vom 20.01.2025 - Az: 506 Gs 222/25 -durch die Vorsitzende Richterin am Landgericht, den Richter am Landgericht und den Richter am 30.01.2025 beschlossen:
Auf die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers wird der Beschluss aufgehoben.
Dem Beschwerdeführer wird Rechtsanwältin pp. als Pflichtverteidigerin beigeordnet.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers werden der Staatskasse auferlegt.
Gründe:
Die gemäß § 304 StPO statthafte sofortige Beschwerde ist zulässig und begründet.
Das gegen den Beschwerdeführer geführte Verfahren wurde zwar mit Verfügung vom 11.10.2024 gemäß § 154 Abs.1 StPO eingestellt, jedoch wurde der Antrag auf Beiordnung pflichtwidrig nicht unverzüglich beschieden.
Allgemein gilt: Für die Führung der Verteidigung besteht nach Einstellung des Verfahrens grundsätzlich kein Bedürfnis mehr. Die Bestellung eines Pflichtverteidigers dient nicht dem Kosteninteresse des Verurteilten oder seines Verteidigers, sondern allein dem Zweck, im öffentlichen Interesse dafür zu sorgen, dass der Betroffene in schwerwiegenden Fällen rechtskundigen Beistand erhält und der ordnungsgemäße Verfahrensablauf gewährleistet wird. Dieser Zweck kann nach der Einstellung des Verfahrens nicht mehr erreicht werden. Eine nachträgliche, rückwirkende Bestellung für das eingestellte Verfahren ist daher in der Regel unzulässig und zwar auch dann, wenn der Wahlverteidiger oder der Rechtsanwalt, den der Beschwerdeführer als den zu bestellenden Pflichtverteidiger benannt hatte, rechtzeitig und auch begründet seine Bestellung beantragt hatte (OLG Köln, Beschluss vom 28. 01. 2011 - 2 Ws 74/11; OLG Brandenburg, Beschluss vom - 4 Ws 181/08).
Eine Ausnahme ist dann anzunehmen, soweit der Antrag auf Beiordnung gestellt worden ist und pflichtwidrig eine unverzügliche Entscheidung über diesen unterlassen worden ist.
Dies ist vorliegend der Fall. Der Verteidiger muss grundsätzlich unverzüglich nach Antragsstellung bestellt werden (s. auch LG Heilbronn NStZ 2023, 571; LG Bochum NStZ-RR 2023, 352 (353)). Denn aus dem Recht des Beschuldigten auf ein faires Verfahren ergibt sich die Verpflichtung auf zeitnahe Entscheidung über den Antrag (OLG Hamm NStZ-RR 2011, 86). Die Bemessung dieser Prüfungs- und Überlegungsfrist kann dabei nicht starr erfolgen, da dies sonst vom Gesetzgeber hätte geregelt werden können. Sie muss vielmehr an den Umständen des Einzelfalls und Zweck der Pflichtverteidigung ausgerichtet sein, der darin besteht, „im öffentlichen Interesse dafür zu sorgen, dass ein Beschuldigter in den vom Gesetz bestimmten Fällen rechtskundigen Beistand erhält und dass ein ordnungsgemäßer Verfahrensablauf gewährleistet ist (BeckOK StPO Krawczyk, 53. Ed. 1.10.2024 § 141 Rn. 1; LG
Das Polizeipräsidium Köln leitete den Beiordnungsantrag vom 30.08.2024 Eingangsstempel am 02.09.2024 - verspätet an die zuständige Staatsanwaltschaft Köln weiter, sodass nicht rechtzeitig über diesen entschieden werden konnte. Erst mit Verfügung vom 15.01.2025 wurde auf den Beiordnungsantrag seitens der Staatsanwaltschaft Köln reagiert. Mit Verfügung vom 24.01.2025 wurde seitens der Staatsanwaltschaft mitgeteilt, dass der Antrag auf Beiordnung verspätet an diese weitergeleitet worden sei. Bei hypothetisch unterstellter rechtzeitiger Weiterleitung durch das Polizeipräsidium an die zuständige Staatsanwaltschaft wäre die unverzügliche Entscheidung über den Beiordnungsantrag vor dem 11.10.2024 - dem Datum der Einstellung - zu erwarten gewesen. Dem Polizeipräsidium und der Staatsanwaltschaft sind zwar eine ausreichende Bearbeitungszeit sowie der Postweg von 3 Tagen zuzubilligen und bei der Bewertung der Unverzüglichkeit zu berücksichtigen. Im hiesigen Einzelfall ist jedoch die zuzubilligende Bearbeitungszeit aufgrund der Zeitspanne zwischen dem Eingangsstempel der Polizei und der Einstellungsentscheidung von über einem Monat deutlich überschritten.
Zum Zeitpunkt des Antrags auf Beiordnung vom 30.08.2024 lagen die Voraussetzung für eine Beiordnung gemäß § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO im Übrigen vor, da sich der Beschwerdeführer in anderer Sache in Haft befand.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 467 Abs. 1 StPO.
Einsender: RÄin H. Thelen, Leverkusen
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