Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Celle, Beschl. v. 27.01.2025 - 2 Ws 14/25
Leitsatz des Gerichts:
Sieht das Gericht auf den Widerrufsantrag der Staatsanwaltschaft hin von einem Widerruf ab und verlängert es stattdessen lediglich nach § 56f Abs. 2 S. 1 Nr. 2 StGB die Bewährungszeit ist die sofortige Beschwerde nach § 453 Abs. 2 S. 3 StPO das statthafte Rechtsmittel.
Oberlandesgericht Celle
Beschluss
2 Ws 14/25
In der Strafvollstreckungssache
gegen pp.
wegen Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a.
hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Landgericht am 27. Januar 2025 beschlossen:
Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Köln vom 30.12.2024 gegen den Beschluss des Landgerichts Hannover vom 11.12.2024 wird als unzulässig verworfen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Verurteilten im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Landeskasse.
Gründe:
I.
Die Staatsanwaltschaft Köln wendet sich gegen den Beschluss des Landgerichts Hannover vom 11.12.2024, mit dem dieses den gestellten Widerrufsantrag abgelehnt und stattdessen die Bewährungszeit verlängert hat.
Das Landgericht Duisburg – Jugendkammer – hat den Verurteilten am 5. März 2018 wegen diverser Betäubungsmittelstraftaten, u.a. Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, zu zwei Gesamtfreiheitsstrafen von zwei Jahren bzw. einem Jahr und neun Monaten verurteilt.
Nach Verbüßung von jeweils zwei Drittel dieser Gesamtfreiheitsstrafen hat das Landgericht Hannover mit Beschluss vom 9. Februar 2021 die Vollstreckung der noch nicht vollstreckten Reste der beiden Gesamtfreiheitsstrafen aus dem vorgenannten Urteil mit Wirkung zum 17. Februar 2021 zur Bewährung ausgesetzt. Daneben hat es die Bewährungszeit auf drei Jahre festgesetzt, den Verurteilten der Aufsicht und Leitung der Bewährungshilfe unterstellt, wobei die namentliche Bestellung gesondert erfolgen sollte, und dem Verurteilten mehrere Weisungen erteilt. Der Beschluss ist in Rechtskraft erwachsen.
Nachdem die Staatsanwaltschaft Köln am 24.04.2024 von einem bei der Staatsanwaltschaft Hannover laufenden Ermittlungsverfahrens wegen einer Betäubungsmittelstraftat Kenntnis erlangte, regte sie gegenüber dem Landgericht an, den Verurteilten darauf hinzuweisen, dass ein Straferlass derzeit nicht in Betracht komme. Das Landgericht erteilte den entsprechenden Hinweis mit Schreiben vom 13.05.2024, welches dem Verurteilten am 16.05.2024 zugestellt worden ist. In der Folge erfragte das Landgericht mehrfach bei der Staatsanwaltschaft Hannover den Sachstand des Ermittlungsverfahrens, bis das Amtsgericht Hameln mit Schreiben vom 10.09.2024 den mittlerweile rechtskräftigen Erlass eines Strafbefehls mitteilte. Durch diesen wurde der Verurteilte wegen des am 18.08.2023 begangenen versuchten Erwerbs von Betäubungsmitteln (30,31 g brutto Amphetamin) mit einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 15,00 Euro belegt. Daneben wurden diverse Gegenstände eingezogen.
Mit Verfügung vom 05.11.2024 beantragte die Staatsanwaltschaft Köln den Widerruf der Bewährung.
Das Landgericht hat den Verurteilten daraufhin mit Verfügung vom 15.11.2024 im Hinblick auf die Nachverurteilung und den Widerrufsantrag schriftlich zur Frage des Widerrufs angehört. Der Verurteilte hat von der Gelegenheit zur Stellungnahme keinen Gebrauch gemacht.
Unter dem 11.12.2024 erließ das Landgericht sodann den angegriffenen Beschluss, mit dem es statt des Widerrufs die Bewährungszeit um ein Jahr verlängert hat. Die Akte wurde daraufhin mit Verfügung vom 12.12.2024 gem. § 41 StPO zum Zwecke der Zustellung an die Staatsanwaltschaft Köln übersandt, wo sie am 23.12.2024 einging.
Mit Verfügung vom 30.12.2024 erhob die Staatsanwaltschaft ihr gegen den Beschluss gerichtetes Rechtsmittel, welches sie als Beschwerde bezeichnet hat. In der Sache ist sie der Auffassung, dass der landgerichtliche Beschluss sich nicht hinreichend mit der einschlägigen Nachverurteilung auseinandergesetzt habe und eine tragfähige Begründung für die Verlängerung der Bewährungszeit vermissen lasse. Die Akte nebst Rechtsmittel ging am 06.01.2025 beim Landgericht ein.
Das Landgericht hat daraufhin am 08.01.2025 einen Nichtabhilfebeschluss gefasst, darin seine Beweggründe für die Ablehnung des Widerrufs dargelegt und die Sache dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.
Die Generalstaatsanwaltschaft Celle hat mit Verfügung vom 21.01.2025 Stellung genommen und darin darauf hingewiesen, dass sie das Rechtsmittel als sofortige Beschwerde erachte, die jedoch als unbegründet zu verwerfen sei.
II.
Das als sofortige Beschwerde auszulegende Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft Köln gegen den Beschluss der 6. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hannover vom 11.12.2024 ist bereits unzulässig, weil verspätet erhoben.
1. Gemäß § 453 Abs. 2 Satz 3 StPO können der Widerruf der Strafaussetzung, der Erlass der Strafe, der Widerruf des Erlasses, die Verurteilung zu der vorbehaltenen Strafe und die Feststellung, dass es bei der Verwarnung sein Bewenden hat, mit der sofortigen Beschwerde angefochten werden. Im Gegensatz dazu ist gegen die übrigen, nachträglich durch das Gericht zu treffenden Entscheidungen nach § 453 Abs. 1 StPO, die sich auf eine Strafaussetzung zur Bewährung oder eine Verwarnung mit Strafvorbehalt beziehen, gemäß § 453 Abs. 2
Satz 1 StPO die (einfache) Beschwerde statthaft.
Umstritten ist die Frage, welches Rechtsmittel der Staatanwaltschaft für den Fall offensteht, dass das Gericht auf ihren Widerrufsantrag hin die Bewährungszeit lediglich nach § 56f Abs. 2 S. 1 Nr. 2 StGB. verlängert (vgl. insoweit KK-StPO/Appl, 9. Aufl. 2023, StPO § 453 Rn. 16, 17 m.w.N.)
a) Eine Ansicht geht davon aus, dass der Staatsanwaltschaft gegen die Ablehnung des Widerrufs der Strafaussetzung zur Bewährung nur die - im Prüfungsumfang eingeschränkte - einfache Beschwerde nach § 453 Abs. 2 S. 1 StPO zusteht (OLG Köln NStZ 1995, S. 151f., beck-online). Nach dieser Ansicht handelt es sich bei § 453 Abs. 2 S. 3 StPO um eine eng auszulegende Ausnahmevorschrift, die eine enumerative Aufzählung enthält, die abschließend diejenigen Entscheidungen nach § 453 Abs. 1 StPO aufführt, gegen die allein die sofortige Beschwerde statthaft ist. Danach sei eine andere Auslegung nicht mit dem Wortlaut der Norm in Einklang zu bringen. Für eine analoge Anwendung fehle es an einer planwidrigen Gesetzeslücke.
b) Die überwiegende Rechtsprechung und die herrschende Meinung in der Literatur halten hingegen die sofortige Beschwerde für statthaft (OLG Hamm, Beschluss vom 10.12.1987 - 4 Ws 602/87, beck-online; OLG Hamburg NStZ-RR 2005, S. 221f.; OLG Düsseldorf NStZ-RR 2002, S. 28f.; OLG Stuttgart NStZ 1995, S. 53f. (Beschluss vom 12.09.1994 - 4 Ws 182/94); OLG Zweibrücken NStZ-RR 1998 S. 93; OLG Bamberg (1. Strafsenat), Beschluss vom 12.04.2023 – 1 Ws 149/23; KG (5. Strafsenat), Beschluss vom 27.07.2020 – 5 Ws 91/20 –
121 AR 114/20, beck-online; OLG Köln StraFo 2024, S. 196f. (Beschluss vom 30.01.2024 –
3 Ws 28/24); Meyer Goßner/Schmitt, 67. Auflage (2024), § 453, Rn. 13; BeckOK StPO/Coen, 53. Ed. 1.10.2024, StPO § 453 Rn. 14; BeckOK Strafvollzug Bund/Ganter, 26. Ed. 1.8.2024, StPO § 453 Rn. 22; Frommeyer StraFo 2023 S. 78 (S. 84); so auch der Senat in den beiden nicht veröffentlichen Beschlüssen vom 30.04.2019 – 2 Ws 102/19 und vom 27.01.2023 –
2 Ws 22/23). Zur Begründung verweist diese Ansicht zum einen auf den Gesichtspunkt der Rechtssicherheit und –klarheit (OLG Hamm, Beschluss vom 10.12.1987 - 4 Ws 602/87, beck-online; BeckOK Strafvollzug Bund/Ganter, 26. Ed. 1.8.2024, StPO § 453 Rn. 22). Zum anderen wird darauf verwiesen, dass auch eine negative Entscheidung über den Widerruf in den Anwendungsbereich von § 453 Abs. 2 S. 3 StPO falle, weil auch in diesen Fällen, in denen das Gericht nach einer Abwägung aller Umstände lediglich die Verlängerung der Bewährungszeit beschließt, zunächst die Voraussetzungen des Widerrufs der Strafaussetzung zu prüfen seien, ohne dass sich dies ausdrücklich in der Beschlussformel niederschlage (KG Beschluss v. 27.7.2020 – 5 Ws 91/20 - 121 AR 114/20, BeckRS 2020, 40657 Rn. 12, beck-online, OLG Hamm, Beschluss vom 10.12.1987 - 4 Ws 602/87, beck-online).
c) Der Senat schließt sich insoweit der herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum an. Bei der Frage des Widerrufs der Strafaussetzung zur Bewährung handelt es sich für die Verfahrensbeteiligten, insbesondere für den Verurteilten, um eine Frage von herausragender Bedeutung, deren Beantwortung keinen unklaren Schwebezustand duldet. Dafür spricht auch, dass dem Verurteilten selbst im Falle des erfolgten Widerrufs nur die fristgebundene sofortige Beschwerde zur Verfügung steht (vgl. insoweit auch OLG Bamberg Beschl. v. 12.4.2023 – 1 Ws 149/23, BeckRS 2023, 25985 Rn. 8, beck-online).
Diese Auslegung ist dabei auch zwanglos mit dem Wortlaut der Norm in Einklang zu bringen, denn die enge Auslegung der Gegenansicht ist weder systematisch noch aus der Entstehungsgeschichte der Norm herzuleiten (vgl. hierzu eingehend OLG Stuttgart, NStZ 1995, S. 53 (S. 54).
Im Übrigen wird es weder dem Gewicht der Maßnahme noch der vergleichbaren Interessenlage gerecht, wenn für die Anfechtung der Ablehnung ein anderes, zumal nicht fristgebundenes Rechtsmittel statthaft wäre als für die Anfechtung der Maßnahme selbst.
2. Nachdem der angegriffene Beschluss am 23.12.2024 bei der Staatsanwaltschaft Köln einging, begann die einwöchige Frist nach §§ 311 Abs. 2, 41 S. 1., 35 Abs. 2 S. 1 StPO an diesem Tag zu laufen und endete am 30.12.2024, 24:00 Uhr. Der Eingang der sofortigen Beschwerde am 06.01.2025 war mithin verspätet.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.
Einsender: 2. Strafsenat des OLG Celle
Anmerkung:
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