Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Jena, Beschl. v. 30.01.2025 – 3 Ws 479/24
Leitsatz des Gerichts:
1. Im Rahmen der Prüfung eines Bewährungswiderrufs nach § 56f Abs. 1 Nr. 1 StGB stehen neue Straftaten während der Bewährungszeit einer (nach wie vor) günstigen Legalprognose nicht entgegen.
2. Die Begehung eher geringfügiger neuer Straftaten durch einen mehrfach bewährungsbrüchigen Verurteilten können im Rahmen einer Gesamtbetrachtung ein solches Gewicht erlangen, dass sie einen Widerruf rechtfertigen.
3. Andererseits stehen Taten geringerer Schwere – auch etwaige leichtere Rückfalltaten – einer günstigen Sozialerwartung nicht stets entgegen.
4. Für einen Bewährungswiderruf müssen die frühere und neuere Tat in einem derartigen Zusammenhang stehen, dass gerade aus der neuerlichen Straffälligkeit der Rückschluss auf eine frühere Fehlprognose möglich ist.
5. Im Rahmen der Prüfung eines Bewährungswiderrufs nach § 56f Abs. 1 Nr. 2 StGB wird eine ungünstige Kriminalprognose umso eher anzunehmen sein, je mehr es der flankierenden Maßnahmen – in Gestalt der betreffenden Auflagen und Bewährungsaufsicht – bedurfte, um die Erwartung künftiger Straffreiheit begründen zu können.
6. Ein gröblicher oder beharrlicher Verstoß im Sinne der Vorschrift genügt nicht; maßgeblich ist, ob dieser zu der kriminellen Neigung oder Auffälligkeit des Verurteilten in einer die Gefahr weiterer Straftaten begründenden kausalen Beziehung steht.
In pp.
1. Auf die sofortige Beschwerde des Betroffenen wird der Beschluss des Landgerichts Gera vom 18. November 2024 aufgehoben. Die Dauer der im Bewährungsbeschluss des Landgerichts Gera vom 2. Oktober 2023 angeordneten Bewährungszeit von drei Jahren wird um ein halbes Jahr verlängert.
2. Die Gebühr für das Beschwerdeverfahren wird um die Hälfte ermäßigt. Die Auslagen der Staatskasse wie auch die notwendigen Auslagen des Betroffenen haben diese jeweils zur Hälfte zu tragen.
Gründe
I.
Das Landgericht verurteilte den Betroffenen unter dem 2. Oktober 2023 wegen einer am 14. März 2023 begangenen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Erwerb von Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Im Bewährungsbeschluss vom selben Tag wurde die Bewährungszeit auf drei Jahre festgelegt, der Betroffene der Bewährungshilfe unterstellt sowie die weiteren aus dem Beschluss ersichtlichen Weisungen und Auflagen angeordnet (Bl. 1 f BewH).
Wegen des fahrlässigen Gebrauchs eines Fahrzeugs ohne Haftpflichtversicherungsvertrag am 12. September 2023 wurde gegen den Betroffenen durch rechtskräftigen Strafbefehl des Amtsgerichts Greiz vom 2. Januar 2024 (Az.: Cs 27803/23) eine Geldstrafe verhängt. Hiervon erlangte das Landgericht unter dem 5. August 2024 Kenntnis (Bl. 51 ff BewH).
Unter dem 18. März 2024 berichtete die Bewährungshilfe im Wesentlichen, der Betroffene sei wegen seiner Schuldenproblematik an die Schuldenberatung verwiesen worden, die aufgesucht worden sei. Ein Drogentest habe positiv auf Amphetamine und Derivate reagiert. Es werde zur Bewährungshilfe zuverlässig Kontakt gehalten. Der Betroffene sei zudem in gemeinnützige Arbeit ebenso vermittelt worden wie an die Suchtberatung. Der bisherige Verlauf wurde als positiv bewertet und gerichtliche Maßnahmen trotz persönlicher Defizite des Betroffenen als nicht notwendig erachtet (Bl. 11, 12 BewH).
Wegen zweier weiterer jeweils am 4. März 2023 begangener Taten des Anordnens oder Zulassens des Fahrens ohne Fahrerlaubnis, geahndet durch rechtskräftigen Strafbefehl des Amtsgerichts Greiz vom 14. Juni 2023 (Az.: 4 Cs 670 Js 15847/23), sowie des fahrlässigen Gebrauchs eines Fahrzeugs ohne Haftpflichtversicherungsvertrag, geahndet durch ebenfalls rechtskräftigen Strafbefehl des Amtsgerichts Greiz vom 4. Oktober 2023 (Az.: 4 Cs 220 Js 26650/23), lehnte das Landgericht mit Beschluss vom 6. Mai 2024 die Bildung einer Gesamtstrafe ab (Bl. 39, 40 BewH). Beide Entscheidungen gingen dem Landgericht unter dem 29. August 2024 (nochmals) zu (Bl. 55 ff BewH).
Unter dem 5. August 2024 erließ das Amtsgericht Greiz einen rechtskräftigen Strafbefehl wegen einer am 2. April 2024 begangenen Tat des vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis (Az.: 3 Cs 170 Js 19811/24), der dem Landgericht unter dem 24. Oktober 2024 zur Kenntnis gebracht wurde (Bl. 79 bis 81 BewH).
Wegen einer am 26. März 2024 begangenen Tat des Besitzes von Betäubungsmitteln übermittelte die Staatsanwaltschaft unter dem 19. August 2024 dem Landgericht - dort eingegangen am 2. September 2024 - die Kopie eines Strafbefehlsantrags (Bl. 60 ff, 64 R BewH). Dieser wurde unter dem 6. September 2024 erlassen (Az.: Cs 770 Js 26912/24) und ist rechtskräftig, was dem Landgericht unter dem 5. November 2024 mitgeteilt wurde.
Mit Bericht der Bewährungshilfe vom 14. Oktober 2024 (Bl. 75 ff BewH) wurde bekannt, dass der Betroffene wegen Mietrückständen über keine eigene Wohnung mehr verfüge; er halte sich bei seiner neuen Lebensgefährtin, aber auch bei seinen Eltern auf. Eine Arbeitsstelle habe er nicht inne; Bemühungen um eine solche hielten sich sehr in Grenzen. Er beziehe Bürgergeld, die Schuldenproblematik sei nicht gelöst. Neben einem Kind aus einer früheren Beziehung habe er mit der neuen Lebensgefährtin ebenfalls ein Kind, das behindert sei und intensiver Pflege bedürfe. Dem sei er nicht gewachsen. Er konsumiere weiterhin Drogen. Der Betroffene halte mit der Bewährungshilfe gut Kontakt. Die Suchtberatung werde unregelmäßig aufgesucht, gemeinnützige Arbeit werde nicht geleistet. Der Bewährungsverlauf wurde insgesamt als mangelhaft bewertet; Weisungen nachzukommen und Auflagen zu erfüllen scheitere an seiner Drogensucht. Die Anregung gerichtlicher Maßnahmen solle von dem Ergebnis weiterer Termine mit dem Betroffenen abhängig gemacht werden.
Unter dem 24. Oktober 2024 hat die Staatsanwaltschaft Gera den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung beantragt (Bl. 81 BewH). Es sei zu neuen Straftaten gekommen, der Betroffene habe gegen die Weisung zu Nr. 3 b) des Bewährungsbeschlusses und die Auflage, gemeinnützige Arbeit zu erbringen, gröblich und beharrlich verstoßen.
Der Betroffene ist unter dem 18. November 2024 mündlich angehört worden. Hierzu wird auf die Niederschrift vom 18. November 2024 (Bl. 90 ff BewH) verwiesen. Der Pflichtverteidiger wie auch die Bewährungshilfe haben hierbei angeregt, die Entscheidung über den Widerruf für zwei Monate zurückzustellen. Es könne somit der Antrag auf Durchführung der Therapie bewirkt und es könnten die Arbeitsstunden vollständig abgeleistet werden.
Das Landgericht hat mit Beschluss vom 18. November 2024 (Bl. 92 ff BewH) die Strafaussetzung zur Bewährung im hiesigen Verfahren widerrufen und die erbrachten Arbeitsstunden auf die Strafe angerechnet. Es hat die Widerrufsgründe des § 56f Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und 2 StGB angenommen und eine Maßnahme nach § 56f Abs. 2 StGB als nicht geeignet angesehen.
Gegen den am 20. November 2024 zugestellten Beschluss hat der Verteidiger mit Schreiben vom 25. November 2024, eingegangen bei Gericht am selben Tag, sofortige Beschwerde eingelegt. Mit dem Umzug in das Elternhaus sei eine Stabilisierung des Betroffenen einhergegangen, der Drogenkonsum sei eingestellt, Termine mit der Sucht- und Schuldnerberatung seien organisiert, Die Prognose einer Stabilisierung habe das Landgericht angesprochen, jedoch sei zum Nachweis hierfür Zeit erforderlich; daher sei gebeten worden, mit der Entscheidung zuzuwarten, damit die Chance genutzt werden könne.
Unter dem 26. November 2024 haben sich sowohl die Eltern des Betroffenen (Bl. 105 BewH) als auch der Betroffene selbst (Bl. 106, 107 BewH) schriftlich an das Landgericht gewandt.
Die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft hat unter dem 6. Dezember 2024 Stellung genommen (Bl. 109 ff BewH). Sie teilt die Auffassung des Landgerichts. Die nunmehrigen Bemühungen des Betroffenen seien löblich, wögen indes den bislang negativen Bewährungsverlauf nicht auf. Eine Verlängerung der Bewährungszeit bzw. die Erteilung weiterer Auflagen und Weisungen seien nicht geeignet, den Betroffenen von weiteren Straftaten abzuhalten. Eine günstige Legalprognose könne nicht gestellt werden.
Nachdem der Betroffene zwischenzeitlich die Beschwerde mit Schriftsatz des nunmehr beauftragten Wahlverteidigers vom 10. Dezember 2024 sowohl gegenüber dem Landgericht weiter begründet hatte (Bl. 123 ff bzw. Bl. 132 ff BewH), hat der Wahlverteidiger auf die Zuschrift der Thüringer Generalstaatsanwaltschaft auch mit Schreiben vom 16. Dezember 2024 gegenüber dem Senat reagiert (Bl. 114 ff BewH), wozu sich die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft unter dem 19. Dezember geäußert hat (Bl. 119 BewH). Die Verteidigung meint übergreifend im Wesentlichen, die geringfügigen Sanktionierungen durch die Strafbefehle rechtfertigten einen Widerruf nicht. Es habe zudem keine gröbliche oder beharrliche Nichterfüllung von Weisungen oder Auflagen gegeben. Aufgrund der neuen Lebensverhältnisse des Betroffenen bestehe eine positive „Sozialprognose“. Weiter moniert er, das Landgericht habe im Termin vom 18. November 2024 festgestellte Sachverhalte - zu Lasten des Betroffenen - teilweise nicht berücksichtigt. Der Bericht der Bewährungshilfe vom 14. Oktober 2024 sei inhaltlich teilweise nicht zutreffend gewesen, was im Rahmen der mündlichen Anhörung habe geklärt werden können, aber durch das Landgericht nicht vollständig berücksichtigt worden sei. Im Übrigen trägt er zu den aktuellen Umständen vor. Die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft hat mit Blick auf die beiden Schriftsätze jeweils an der von ihr vertretenen Auffassung festgehalten (Bl. 119 BewH).
Zudem hat die Bewährungshilfe unter dem 23. Dezember 2024 einen weiteren Bericht verfasst und weitere Anlagen übermittelt (Bl. 141 ff BewH). Der Betroffene habe insbesondere mit seinem bisherigen Umfeld abgeschlossen. Zu seinem älteren Sohn habe er Kontakt; derjenige zur Tochter ruhe derzeit. Er sei seit drei Monaten abstinent. Die Suchtberatung werde aufgesucht, ein Therapieantrag sei vorbereitet. Die Arbeitsauflage sei vollständig erfüllt.
Unter dem 3. Januar 2025 hat die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft auch in Kenntnis dessen angeregt, weitere 20 Arbeitsstunden anzurechnen (Bl. 129 BewH).
II.
Die nach § 453 Abs. 2 S. 3 StPO statthafte und im Übrigen form- und fristgerecht (§§ 306 Abs. 1, 311 Abs. 2 StPO) eingelegte sofortige Beschwerde hat teilweise Erfolg.
1. Grundsätzlich gilt: Eine Freiheitsstrafe ist zu vollstrecken, wenn sich entweder zeigt, dass sich der Verurteilte entgegen der ursprünglichen positiven Kriminalprognose ohne den Vollzug nicht straffrei führen kann, oder wenn die etwa Auflagen zukommende Genugtuungsfunktion des Strafrechts nicht realisiert werden kann. Für einen Widerruf kommen aus zeitlicher Sicht allein Gründe in Betracht, die nach der Entscheidung über die Strafaussetzung und vor Ablauf der Bewährungszeit entstanden sind (§ 56f Abs. 1 StGB).
a) Nach § 56f Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB rechtfertigt eine neue Straftat allein noch nicht den Widerruf; der Verurteilte muss vielmehr durch deren Begehung gezeigt haben, dass sich die Erwartung, die der Strafaussetzung zugrunde lag, nicht erfüllt hat. Es muss damit nunmehr eine ungünstige Prognose vorliegen, für die die neue Straftat ein gewichtiges Indiz ist (OLG Schleswig, Beschluss vom 28. Mai 1982 - 1 Ws 222/82, StV 1982, 527, 528; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 6. Mai 1983 - 1 Ws 254/83, StV 1983, 337, 338). Die Erwartung wird dabei einerseits durch jede neue Tat von einigem Gewicht in Frage gestellt, andererseits stehen neue Straftaten einer (nach wie vor) günstigen Prognose nicht zwingend entgegen (BGH, Beschluss vom 18. Juni 2009 - 3 StE 4/04, NStZ 2010, 83). Denn der Widerruf ist keine zusätzliche Strafe für die Begehung der neuen Tat (KG, Beschluss vom 12.Januar 2009 - 2 Ws 620/08, StV 2010, 311). Dementsprechend können eher geringfügige neue Taten etwa bei einem mehrfach bewährungsbrüchigen Verurteilten im Rahmen der Gesamtbetrachtung einerseits derart bedeutungsvoll sein, dass sie einen Widerruf rechtfertigen (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 9. März 2020 - 3 Ws 34/20, BeckRS 2020, 4768, Rn. 13). Taten geringen Gewichts - auch etwa leichte einschlägige Rückfalltaten - stehen andererseits nicht stets einer günstigen Prognose entgegen (Fischer, in Fischer, StGB, 72. Aufl. 2025, § 56f, Rn. 8a mwN). Frühere und neue Tat müssen daher allgemein in einem derartigen Zusammenhang stehen, dass aus der neuen Tat geschlossen werden kann, dass die günstige Kriminalprognose nach der früheren Tat falsch war (Schäfer / Sander / van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 7. Auflage 2024, Rn. 280). Haben sich unabhängig davon die Lebensverhältnisse nach der neuen Tat verbessert, liegt diese auch bereits einige Zeit zurück und hat sich der Verurteilte seitdem straflos geführt, ist zu prüfen, ob diese Umstände dem Widerruf entgegenstehen (vgl. dies., a. a. O., Rn. 283; ebenso Fischer, a. a .O., Rn. 14 zu § 56f Abs. 2 StGB).
Gemessen an diesen Grundsätzen verhält sich der Beschluss des Landgerichts zu ersterem nicht vollständig; zu letzterem konnte sich der Beschluss nicht verhalten, weil entscheidungsrelevante Umstände erst nach seinem Erlass eingetreten sind bzw. bekannt wurden. Grundsätzlich sind die neuen Taten vom vom 26. März 2024 (Besitz von Betäubungsmitteln) und vom 2. April 2024 (vorsätzliches Fahren ohne Fahrerlaubnis) indiziell für eine ungünstige Kriminalprognose. Dennoch hält der Senat hier angesichts der neuen Lebensverhältnisse des Betroffenen im Vergleich zu denen im Zeitraum der beiden Taten die Erwartung für gerechtfertigt, dass der Betroffene keine weiteren Straftaten begeht. Der Senat bewertet die neuen Taten wie das Landgericht zunächst als eher geringfügige Taten. Mit 40 und 60 Tagessätzen bewegen sich die Verurteilungen am unteren Rand der Kriminalität. Der Betroffene hat im Rahmen der Anhörung vom 18. November 2024 angegeben, die Bewährung sei ihm bis März 2024 schwer gefallen. Einen „Führerschein“ und ein Auto habe er seit April 2024 nicht mehr. Für die Taten gab der Betroffene die Erklärung, er habe am Tag der Geburt seiner behinderten Tochter am 26. März 2024 schnell ins Krankenhaus nach Jena fahren wollen. Auf der Fahrt dorthin sei er (wohl von den im Strafbefehl des AG Greiz vom 6. September 2024 als Zeugen benannten Polizeikräften der PI Greiz) angehalten und es sei festgestellt worden, dass „der TÜV abgelaufen“ gewesen sei. Er habe das Fahrzeug darauf hin abgestellt. Am 2. April 2024 habe er das Fahrzeug von dort in eine nahegelegene Werkstatt fahren wollen, um es zu verkaufen. Dabei sei er wieder „angehalten“ worden. Der Senat legt diese Einlassung seiner Entscheidung zu Grunde. Er entnimmt den Strafbefehlen des AG Greiz vom 6. September 2024 und 5. August 2024 den identischen Tatort der S. in Z.. An der Ecke S. befindet sich die Firma K., was freibeweislich feststellbar war. Der Senat geht auch davon aus, dass der Betroffene seit Ende September / Anfang Oktober 2024 keine Betäubungsmittel mehr konsumiert. War der Betroffene unter dem 25. Juli 2024 noch positiv auf Drogen getestet worden, war die Untersuchung vom 9. Dezember 2024 (Bl. 144 BewH) nunmehr negativ. Nach dem Bericht der Bewährungshilfe vom 23. Dezember 2024 (Bl. 141 BewH) hat sich der Betroffene von der Mutter seiner Tochter getrennt und sich aus den (von Drogen geprägten) Kreisen in G. distanziert. Er hat (mit dem Umzug nach T. zu seinen Eltern und deren Hilfe) eine Wende in seinem Leben vollzogen. Er ist nach den genannten Taten weiter straffrei geblieben. Er ist arbeitssuchend gemeldet, sucht die Suchtberatung in T. auf und hat einen Therapieantrag vorbereitet. Angesichts dieser Umstände, die - das verkennt der Senat nicht - maßgeblich dem vorliegenden Widerrufsverfahren geschuldet sind, überwiegen die für eine günstige Kriminalprognose sprechenden Umstände. Der Betroffene hat eine nachvollziehbare Begründung dafür geliefert, weshalb es überhaupt zu den Taten von März und April 2024 kam. Sie sind teilweise einschlägig, sie sind aber auch in einer Zeit erfolgt, in der sich der Betroffene noch nicht dem ihn negativ beeinflussenden sozialen Umfeld, insbesondere der Co-Abhängigkeit seiner ehemaligen Lebensgefährtin, entzogen hat. Angesichts der Motivation, namentlich der Geburt des Kindes und dessen gesundheitlicher Belange, und des eher geringen Gewichts zeugen die Taten nach Auffassung des Senats nicht von einer grundsätzlich rechtsfeindlichen Einstellung des Betroffenen (vgl. hierzu Schäfer / Sander / van Gemmeren, a. a. O., Rn. 281). Die nunmehr hinzugetretenen neuen Lebensumstände, insbesondere das Herauslösen aus dem bisherigen negativen sozialen Umfeld, tragen vielmehr die ursprüngliche Erwartung straffreien Lebens eher als die Befürchtung, der Betroffene könne allein durch den Vollzug der ausgeurteilten Strafe von weiteren Straftaten abgehalten werden.
b) Das Landgericht hat den Widerruf auch darauf gestützt, der Betroffene habe die im Beschluss vom 2. Oktober 2023 erteilten Weisungen gröblich und beharrlich nicht erfüllt. Dabei hat es Tatsachen nicht berücksichtigen können, die nunmehr zu bewerten sind. Ein Widerruf hat nach § 56f Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StGB zu erfolgen, wenn die verurteilte Person gegen Weisungen gröblich oder beharrlich verstößt und dadurch Anlass zu der Besorgnis gibt, dass sie erneut Straftaten begehen wird. Die Vorschrift beinhaltet ebenfalls keine Ahndung für Disziplinlosigkeit in der Lebensführung des Verurteilten (Fischer, a. a. O., Rn. 11a). Eine nunmehr ungünstige Kriminalprognose wird umso eher anzunehmen sein, je mehr es an flankierenden Maßnahmen bedurfte, um zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung überhaupt eine positive Kriminalprognose stellen zu können (vgl. Schäfer / Sander / van Gemmeren, a. a. O., Rn. 287). Im Rahmen einer Gesamtabwägung sind die Persönlichkeit des Täters, sein soziales Umfeld und die Art sowie Gewicht der Verstöße danach zu beurteilen, ob nunmehr eine negative Prognose besteht (Fischer, a. a. O., Rn. 11). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts rechtfertigt allein der beharrliche oder gröbliche Verstoß des Verurteilten gegen ihm etwa erteilte Weisungen den Widerruf der Strafaussetzung nicht. Insbesondere lässt der Verstoß nicht ohne Weiteres Rückschlüsse auf eine kriminelle Prognose zu. Maßgeblich ist, ob unter Berücksichtigung der gesamten Umstände der Verstoß zu der kriminellen Neigung oder Auffälligkeit des Verurteilten so in einer kausalen Beziehung steht, dass die Gefahr weiterer Straftaten besteht (BVerfG, Beschluss vom 22. Juni 2007 - 2 BvR 1046/07, NStZ-RR 2007, S. 338 f; Fischer, a. a. O., Rn. 11).
Nach dem derzeitigen Sachstand sind keine konkreten Umstände (vgl. hierzu BVerfG, a. a. O., S. 339) ersichtlich, die die Besorgnis der Begehung weiterer Straftaten rechtfertigten. Die angeführten Straftaten allein begründeten bereits keine ungünstige Kriminalprognose. Sie liegen - wie ausgeführt - im unteren Bereich der Kriminalität und stellen sich nach den aktenkundigen Umständen eher als „Ausrutscher“ denn als Anhaltspunkte für eine kriminelle Neigung des Betroffenen zur gewohnheitsmäßigen Begehung von Straftaten dar. Die Bewährungshilfe hat im Rahmen der Anhörung vom 18. November bekundet, die Zeit (um die Geburt der Tochter) sei für den Betroffenen „menschlich, emotional sehr angespannt“ gewesen. Er habe in gewissen „Zwangskontexten“ gestanden. Die Situation nach dem Erstgespräch vom 20. Dezember 2023 habe sich bereits als „destruktiv“ dargestellt. Er habe etwa versucht, sein Leben ohne Hilfe von außen in den Griff zu bekommen. Sein Leben habe das erwartete Kind, hätten aber auch „Drogen in seinem Umfeld“ verkompliziert. Er habe sich zunehmend von der Vorstellung gelöst, es „selber schaffen zu können“. Der Umzug zunächst nach G. zur Lebensgefährtin habe einen „Knacks“ verursacht. Es sei zum Zerwürfnis der Beziehung gekommen, was die Bewährungshilfe grundsätzlich als „nicht schlecht“ bewertet hat, weil sich die Beziehung nach deren Auffassung als Co-Abhängigkeit des Betroffenen von der Kindesmutter dargestellt habe. Nach seinem Umzug zu seinen Eltern sei er von diesen unter „knallharte Auflagen“ gestellt worden und laufe seitdem „stabil“. Danach sei er vor Ort in die Arbeitsstunden vermittelt worden, was ebenfalls „stabil“ gelaufen sei. Er habe sich wegen der Suchtproblematik mit einer Langzeittherapie lange Zeit schwer getan. Dies sei jedoch angelaufen. Erschwerend sei hierbei durch die Umzüge hinzugekommen, dass die Zuständigkeiten der Suchtberatungsstellen wechselten. Nach dem Bericht vom 23. Dezember 2023 wird derzeit die Suchtberatung in T. aufgesucht und ein Therapieantrag sei vorbereitet. Dies vor Augen, aber auch nach dem weiteren Akteninhalt kann nach Auffassung des Senats kein konkreter Umstand abgeleitet werden, der die Begehung weiterer Straftaten besorgen lässt.
Unter Würdigung der gesamten Umstände erscheint der Betroffene derzeit als jemand, der „aufgewacht“ ist und der begonnen hat, seine Lebensverhältnisse zu ordnen. Aus seiner Persönlichkeit sind jedenfalls keine konkreten Umstände abzuleiten, die eine negative Prognose rechtfertigen. Er ist derzeit ohne erkennbaren Einfluss von Drogen. Er hat mit dem Bezug von Bürgergeld eine finanzielle Grundlage zur Bestreitung seines Lebensbedarfs, was etwa Beschaffungskriminalität unwahrscheinlich sein lässt. Er hat sich mit dem Umzug zu seinem Eltern aus dem ihn negativ beeinflussenden sozialen Umfeld gelöst. Zur Bewährungshilfe hat er von Beginn der Bewährungszeit an Kontakt gehalten. Über seine Arbeitsauflage hinaus ist er bei der Friedhofsverwaltung in T., seinem jetzigen Wohnsitz, weiter ehrenamtlich tätig. Über einen Bildungsträger ist eine Weiterbildung bzw. Umschulung zum CNC-Fräser angedacht. Dies zeigt ein ausreichendes soziales Umfeld, das ebenfalls keine Negativprognose rechtfertigt. Eine solche ergibt sich für den Senat auch nicht aus der Art oder Schwere der Verstöße gegen die Weisungen. Der Betroffene hat zwar entgegen dem Beschluss des Landgerichts vom 2. Oktober 2023 nicht „unverzüglich“ den Weisungen Nr. 3 e), f) und h) Folge geleistet. Darauf kommt es indes nicht entscheidend an, da der Widerruf - wie ausgeführt - keine Strafe für den Verstoß gegen Weisungen darstellen darf. Der Betroffene war nach dem Bericht der Bewährungshilfe anfangs (nach Auffassung des Senats wohl auch drogeninduziert) nicht in der Lage, die Weisungen sogleich umzusetzen, jedenfalls wurde dies durch sein soziales Umfeld erschwert. Er zeigte dabei eine nachhaltig zu kritisierende Distanz zu der Einhaltung der gerichtlichen Weisungen. Andererseits sind die Weisungen nicht zeitlich befristet innerhalb der Bewährungszeit, sondern bis zu deren Ablauf zum Erfolg zu führen; dies betrifft insbesondere die Weisung, seine Spielsucht therapeutisch anzugehen. Gleichwohl zeigen die derzeitigen Umstände, dass den Weisungen im Übrigen Folge geleistet wird, so dass auch nach Art und Schwere der Verstöße und im Rahmen der gebotenen Gesamtbetrachtung keine konkreten Hinweise auf eine kriminelle Neigung zur gewohnheitsmäßigen Begehung von Straftaten erkennbar sind. Sollte ein Drogentest künftig einen Nachweis für Konsum von Betäubungsmitteln ergeben, wäre dies für den Senat hingegen ebenso ein gewichtiges Anzeichen für eine Negativprognose wie eine nicht fortschreitende Therapie seiner diagnostizierten Sucht oder eine nicht fortschreitende Regelung seiner Schuldensituation.
c) Die Auflage, bis zum 3. Mai 2024 120 Stunden unentgeltlicher gemeinnütziger Arbeit zu leisten, hat der Betroffene nicht innerhalb der mit Beschluss vom 2. Oktober 2023 gesetzten Frist, jedoch nun am 2. Dezember 2024 (Bl. 147 BewH) erfüllt. Dies stellt einen Widerrufsgrund nach § 56f Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StGB dar. Danach kann das Gericht die Strafaussetzung widerrufen, wenn die verurteilte Person gegen Auflagen gröblich oder beharrlich verstößt. Gröblich ist ein Verstoß, der objektiv und subjektiv schwer wiegt (Fischer, a. a. O., Rn. 12). Dies war hier der Fall.
Das Landgericht hat ausweislich des Urteils vom 2. Oktober 2023, S. 53 (Bl. 29 BewH), die Strafaussetzung u. a. deshalb gewährt, weil die zeitlich limitierte Erfüllung der Auflage einerseits der Wiedergutmachung begangenen Unrechts und andererseits als Anreiz zur baldigen Aufnahme einer geregelten Arbeitstätigkeit dienen sollte. Ohne u. a. diese Auflage wäre die Bewährung nicht ausgesprochen worden. Die Nichterfüllung in der vorgegebenen Zeit wiegt daher nicht nur objektiv, sondern auch subjektiv schwer. Hierfür genügt Fahrlässigkeit. Der Betroffene war bereits nach dem Ersttermin durch die Bewährungshilfe in gemeinnützige Arbeit vermittelt worden (Bl. 42 BewH). Anders als bei den erteilten Weisungen, die ein längerfristiges und teilweise von Anträgen und Genehmigungen geprägtes Prozedere nach sich ziehen, war bei der gemeinnützigen Arbeit lediglich die Vereinbarung mit der betreffenden Stelle erforderlich. Sodann hätte die Umsetzung erfolgen können. Dem Betroffenen war bekannt, dass die Umsetzung binnen eines halben Jahres zu erfolgen hatte. Die in der Anhörung vom 18. November 2024 gegebene Erklärung, dass keine Stunden zu leisten wären, wenn er Arbeit hatte, was zweimal der Fall, jedoch nicht von Dauer war, verfängt nicht. Solange keine geregelte Arbeit aufgenommen war, die mindestens 30 Wochenstunden umfasste, war die gemeinnützige Arbeit zu erbringen. Dies war leicht einsehbar. Der Betroffene hat es hiermit indes nicht genau genommen und die Auflage schlicht „schleifen“ lassen. Die Aufnahme der gemeinnützigen Arbeit erfolgte erst ab dem 23. September 2024 (Bl. 91 R BewH). Auch die mit dem Bericht der Bewährungshilfe vom 23. Dezember 2024 vorgelegten Bescheinigungen der AOK Plus, C., vom 28. November 2024 über Erkrankungen und einen Krankenhausaufenthalt des Betroffenen (Bl. 149 ff BewH) entlasten insoweit nicht. Die Arbeitsunfähigkeitszeiten sind für nahezu das Ende des gerichtlich bestimmten Zeitraums datiert, innerhalb dessen die Auflage hätte erfüllt sein müssen, der Krankenhausaufenthalt liegt nach diesem Zeitpunkt. Wäre in Anbetracht dieser Umstände ein Großteil der Arbeitsstunden abgeleistet gewesen, wäre der Genugtuungsfunktion wenigstens im Ansatz entsprochen worden, so dass die subjektive Fehlleistung nicht schwer gewogen hätte. Hier jedoch war bis zum Ablauf des 3. Mai 2024 nicht eine einzige Arbeitsstunde erbracht.
d) Nach § 56f Abs. 2 StGB hat das Gericht vom Widerruf abzusehen, wenn es ausreicht, weitere Auflagen bzw. Weisungen zu erteilen oder die Bewährungszeit zu verlängern. Dies ist hier der Fall.
Weitere Auflagen sind anzuordnen, wenn sie dem beeinträchtigten Genugtuungszweck gleichwertig Rechnung tragen und zu erwarten ist, dass der Verurteilte ihnen in Zukunft nachkommen wird (Hubrach, in Leipziger Kommentar, 13. Aufl. 2022, § 56f, Rn. 30). Eine solche Auflage, die diesem Gedanken Rechnung trägt, ist hier nicht ersichtlich. Der Ausgleich für das begangene Unrecht ist eingetreten. Etwa eine Erweiterung des Umfangs der abzuleistenden Arbeitsstunden mit Blick auf die begangenen neuen Straftaten steht zudem unter dem Vorbehalt, dass hierdurch das Genugtuungsbedürfnis speziell im Hinblick auf die ursprünglich abgeurteilte Tat beeinträchtigt sein muss. Dies kann der Fall sein, wenn der Verurteilte zeitnah zur Strafaussetzungsentscheidung eine einschlägige Straftat begeht, die hinsichtlich ihres Unrechtsgehalts und ihrer Schwere mit dem durch die Bewährungsstrafe geahndeten Delikt vergleichbar ist (vgl. dens., a. a. O., Rn. 31). Wie oben festgestellt, liegt die Geldstrafe wegen des Besitzes von Betäubungsmitteln am unteren Rand der Kriminalität und ist folglich mit der abgeurteilten Tat nicht vergleichbar. Im Übrigen darf eine ausnahmsweise zulässige verschärfte Beauflagung nicht dem Zweck dienen, auf den Verurteilten disziplinierend einzuwirken oder ihn für bewährungsbrüchiges Verhalten zu sanktionieren (vgl. dens. a. a. O., Rn. 31). Dementsprechend kommt für den Senat im Rahmen des § 309 Abs. 2 StPO auch keine Entscheidung nach § 56e StGB in Betracht (vgl. hierzu dens., a. a. O., § 56e, Rn. 7).
Wenn - wie hier - ein Verurteilter die Auflage unter dem Eindruck des Widerrufsverfahrens doch noch erfüllt hat, kommt indes eine Verlängerung der Bewährungszeit in Betracht (OLG Hamburg, Beschluss vom 30. August 2004 - 2 Ws 190/04, NStZ-RR, 2004, 364, 365). Diese Maßnahme ist hier angemessen, um den Widerruf der Strafaussetzung zu vermeiden. Eine Verlängerung der Bewährungszeit um sechs Monate reicht hier aus. Der Verurteilte hat die Arbeitsauflage nunmehr in vollem Umfang erbracht. Weitere Umstände, die für die Genugtuung von Bedeutung sein könnten, sind hier nicht ersichtlich.
2. Die Kostenfolge beruht auf § 473 Abs. 4 StPO. Die Verlängerung der Bewährungszeit stellt im Vergleich zum Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung einen Teilerfolg dar. Nach dem Umständen ist davon auszugehen, dass das Rechtsmittel nicht eingelegt worden wäre, wenn die Entscheidung erster Instanz entsprechend ausgefallen wäre, so dass eine Gebührenermäßigung um ein Halb der Billigkeit entspricht. Dem entsprechend haben die Auslagen der Staatskasse wie auch die notwendigen Auslagen des Betroffenen beide selbst zu je einem Halb zu tragen.
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