Gericht / Entscheidungsdatum: LG Heilbronn, Beschl. v. 07.01.2025 - 1 Qs 11/23
Leitsatz des Gerichts:
1. Zur Bemessung der Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG und der Verfahrensgebühr Nr. 4106 VV RVG in einem Verfahren mit dem Vorwurf des unerlaubten Entfernens vom Unfallort.
2. Die zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 4141 VV RVG fällt in Höhe der jeweiligen Mittelgebühr an.
1 Qs 11/23
Landgericht Heilbronn
Beschluss
In dem Strafverfahren
gegen pp.
Verteidiger:
wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort
hat das Landgericht Heilbronn - 1. Große Strafkammer - durch die unterzeichnenden Richter am 7. Januar 2025 beschlossen:
1. Auf die sofortige Beschwerde des Angeklagten wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichts Heilbronn vom 19. Januar 2023 dahin abgeändert, dass die dem Angeklagten aus der Staatskasse zu erstattenden notwendigen Auslagen auf 655,69 € festgesetzt werden. Im Übrigen wird die sofortige Beschwerde als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens, deren Gebühr um 50 % ermäßigt wird. Von den im Beschwerdeverfahren entstandenen gerichtlichen Auslagen sowie den notwendigen Auslagen des Angeklagten trägt die Staatskasse 50 %.
Gründe:
Auf Antrag der Staatsanwaltschaft Heilbronn erließ das Amtsgericht Heilbronn am 27. Dezember 2021 einen Strafbefehl gegen den Angeklagten wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort. Gegen diesen legte der als Wahlverteidiger tätige Rechtsanwalt Kabus Einspruch ein und beantragte Akteneinsicht (BI. 37). Daraufhin nahm der Verteidiger mit Schriftsatz vom 22. Februar 2022 zu dem Tatvorwurf Stellung und regte eine Einstellung des Verfahrens an (BI. 43). Hierauf nahm die Staatsanwaltschaft am 28. Februar 2022 Stellung (BI. 43 Rs.). Zu weiteren, nicht näher bezeichneten Terminen vor dem 8. März 2022 oder an diesem Tag führte der Verteidiger Telefonate mit dem zuständigen Strafrichter. Sodann übersandte er mit Schriftsatz vom 8. März 2022 eine weitere schriftliche Stellungnahme und regte darin abermals eine Verfahrenseinstellung an, wobei er den Sachverhalt nach Aktenlage würdigte (BI. 45 f.). Nach telefonischer Rücksprache des Strafrichters mit der zuständigen Amtsanwältin der Staatsanwaltschaft Heilbronn stimmte diese einer Einstellung des Verfahrens zu, woraufhin das Verfahren am 9. März 2022 nach § 153 Abs. 2 StPO eingestellt wurde. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten wurden der Staatskasse auferlegt (BI. 49). Der Angeklagte ist nicht vorsteuerabzugsberechtigt.
Mit Schriftsatz vom 18. März 2022 beantragte der Verteidiger die Festsetzung von Gebühren, jeweils in Höhe der Mittelgebühr, zzgl. Auslagen in Höhe von insgesamt 734,23 € (BI. 63). Durch Kostenfestsetzungsbeschluss vom 19. Januar 2023 setzte das Amtsgericht Heilbronn die zu erstattenden notwendigen Auslagen des Angeklagten auf 526,10 € fest (BI. 118). Zur Begründung führte die Rechtspflegerin des Amtsgerichts aus, dass die beantragten Gebühren unbillig erhöht seien, weil es sich vorliegend — gemessen an den Kriterien des § 14 RVG — um eine unterdurch-schnittliche Angelegenheit handele. Bei Einspruchseingang habe die Akte lediglich 37 Blatt umfasst. Daher sei eine Kürzung der Mittelgebühren um 30 % angemessen.
Gegen die Entscheidung legte der Verteidiger durch Schriftsatz vom 30. Januar 2023, eingegangen beim Amtsgericht am selben Tag, sofortige Beschwerde ein. Zur Begründung wurde vorgetragen (BI. 123 f.), dass eine Absetzung der Gebühren nicht angezeigt sei. Die Begründung lasse jeden Bezug zur konkreten Rechtssache vermissen: Das Amtsgericht habe weder die Telefonate mit dem Referatsrichter noch die Stellungnahmen des Verteidigers berücksichtigt. Darüber hinaus spreche der Angeklagte kein Deutsch, sodass die Hinzuziehung eines Dolmetschers erforderlich gewesen sei. Auch die zivilrechtlichen Weiterungen seien zu berücksichtigen.
Die Vertreterin der Staatskasse beantragte die Zurückweisung der sofortigen Beschwerde und nahm auf die im Beschluss genannten Gründe Bezug (BI. 136).
Die sofortige Beschwerde des Angeklagten ist zulässig, hat aber in der Sache nur teilweise Erfolg.
1. So hat der Beschwerdeführer lediglich mit seinen Einwendungen gegen die Absetzungen Erfolg, die im Hinblick auf die Verfahrensgebühren Nr. 4106 und Nr. 4141 VV RVG vorgenommen wurden. In Anbetracht der anwaltlichen Tätigkeiten, die im Beschwerdeverfahren vorgetragen wurden und die in den Abgeltungsbereich dieser Gebühren fallen, erscheint in der Gesamtschau mit den für die Bestimmung der Gebührenhöhe maßgeblichen Kriterien nach § 14 Abs. 1 RVG der geltend gemachte Ansatz der sogenannten Mittelgebühr in Höhe von jeweils 181,50 € als angemessen und nicht als unbillig erhöht im Sinne des § 14 Abs. 1 S. 4 RVG.
Der Verteidiger hatte im Vorfeld der Hauptverhandlung zweimal zur Sache Stellung genommen und mehrere Telefonate geführt. Da die Staatsanwaltschaft der ersten Einstellungsanregung zunächst entgegengetreten war, bedurfte es eines zweiten Schriftsatzes mit einer ergänzenden Stellungnahme, um die Zustimmung der Staatsanwaltschaft zur Einstellung des Verfahrens nach § 153 Abs. 2 StPO einzuholen.
Zusätzlich war eine Besprechung mit dem Angeklagten unter Beiziehung eines Dolmetschers erforderlich.
Die Höhe der Gebühr Nr. 4141 VV RVG für die anwaltliche Mitwirkung zur Entbehrlichkeit der Hauptverhandlung richtet sich nach der Höhe der Verfahrensgebühr nach Nr. 4104 VV RVG.
2. Demgegenüber hat die sofortige Beschwerde keinen Erfolg, soweit sie sich gegen die Absetzung bei der Grundgebühr nach Nr. 4100 VV RVG richtet.
Die vom Amtsgericht insoweit getroffene Festsetzung der zu erstattenden notwendigen Auslagen ist nicht zu beanstanden. Die Mittelgebühr, die im Kostenfestsetzungsantrag geltend gemacht wurde, ist ausgehend von der nach § 14 Abs. 1 RVG vorzunehmenden Gesamtwürdigung, die anhand der vergütungsrelevanten Umstände zu erfolgen hat, als unbillig erhöht anzusehen und damit unverbindlich (§ 14 Abs. 1 S. 4 RVG). Die vom Amtsgericht im Kostenfestsetzungsbeschluss vorgenommene Absetzung in Höhe von 30%, wodurch die Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG im Ergebnis auf 154,- € festgesetzt wurde, ist angemessen.
Denn es ist zu sehen, dass die maßgeblichen Bemessungskriterien nahezu allesamt für eine deutlich unterdurchschnittliche Einordnung sprechen. Im Bereich der allgemein für alle Gebühren zu berücksichtigenden Aspekte spricht lediglich der Gesichtspunkt der Bedeutung, den die Angelegenheit für den Angeklagten hatte, für eine durchschnittliche, aber eben auch keine überdurchschnittliche Einordnung. Denn vorliegend standen eine nicht unerhebliche Geldstrafe sowie ein zweimonatiges Fahrverbot im Raum. Es drohten zudem Schadensersatzpflichten auf zivilrechtlicher Ebene.
Andererseits war aber weder mit einer Freiheitsstrafe noch mit dem Entzug der Fahrerlaubnis zu rechnen. Zudem handelte es sich bei dem Beschwerdeführer auch nicht um eine bislang noch nicht vorbestrafte Person, sondern gegen ihn sind bereits früher Geldstrafen wegen nicht einschlägiger Delikte verhängt worden. Auch die rechtliche wie tatsächliche Schwierigkeit der Sache war in der Gesamtschau als deutlich unterdurchschnittlich einzustufen, da es maßgeblich auf die Fahrereigenschaft des Angeklagten ankam. Die maßgebliche Frage des Tatnachweises ließ sich nur auf ein einziges Beweismittel stützen. Ferner ist nach Aktenlage — insbesondere auch unter Berücksichtigung der Einlassung des Verteidigers im Schriftsatz vom 8. März 2022 — davon aus-zugehen, dass die Einkommensverhältnisse des Angeklagten als unterdurchschnittlich einzustufen sind. Zudem ist auch der Umfang der Sache, den diese allgemein und insbesondere zum Zeitpunkt der Einarbeitung hatte, als unterdurchschnittlich einzuordnen. Denn die Akte hatte zum Zeitpunkt der Akteneinsicht lediglich 38 Blatt und damit einen sehr geringen Umfang. Sie enthält nur wenige Beweismittel. Soweit in der Beschwerdebegründung eine durchschnittliche Einarbeitung geltend gemacht wird, ist dies aus den oben genannten Gründen und insbesondere auch im Hinblick auf die geringe Schwierigkeit der Sache nicht nachvollziehbar.
3. Die zu erstattenden notwendigen Gebühren und Auslagen berechnen sich somit wie folgt:
Grundgebühr, Nr. 4100 VV RVG 154,00 €
Verfahrensgebühr, Nr. 4106 VV RVG 181,50 €
Gebühr Mitwirkung Entbehrlichkeit Hauptverhandlung, 181,50 €
Nr. 4141, 4104 VV RVG
Post- u. Telekommunikationspauschale, Nr. 7002 VV RVG 20,00 €
Dokumentenpauschale Nr. 7000 VV RVG 2,00 €
Aktenversendungspauschale 12.00 €
Zwischensumme (netto) 551,00 €
19 % Umsatzsteuer. Nr. 7008 VV RVG 104,69 €
Erstattungsbetrag 655,69 €
Die Festsetzungsentscheidung ist auf diesen Betrag abzuändern.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 4 StPO, wobei berücksichtigt wurde, dass das Rechtsmittel etwa zur Hälfte erfolglos geblieben ist.
Einsender: RA S. Kabus, Bad Saulgau
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