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Entscheidungen

Sonstiges

Einstellung nach § 153a StPO, Geldauflage, insolvenzrechtliche Anfechtung, gemeinnützige Einrichtung

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 15.01.2025 - 4 U 137/23

Leitsatz des Gerichts:

1. Erfüllt ein Schuldner im Rahmen seines Strafverfahrens eine von der Strafjustiz beschlossene Geldauflage im Sinne von § 153a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2, Abs. 2 StPO, kann der Insolvenzverwalter diese unter den Voraussetzungen des § 131 InsO gegenüber dem Land auch dann anfechten, wenn nicht die Landeskasse, sondern eine gemeinnützige Einrichtung die Empfängerin der Zahlung war.
2. Den in § 39 Abs. 1 Nr. 3 InsO genannten Geldzahlungsverpflichtungen sind im Rahmen des § 131 InsO die von der Strafjustiz beschlossenen Geldauflagen gleichgestellt. Solche Geldauflagen sind als unvollkommene Verbindlichkeiten zu qualifizieren, welche ein Land als Insolvenzgläubiger nicht zu beanspruchen hat (§ 131 Abs. 1 Alt. 1 InsO).


In pp.

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 28.07.2023 (2-07 O 246/22) abgeändert und der Beklagte verurteilt, an den Kläger 80.000 € zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12.10.2021 zu zahlen.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits. Der Nebenintervenient trägt seine Kosten selbst.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.

Gründe

I.

Der Kläger nimmt den Beklagten im Wege der Insolvenzanfechtung auf Rückgewähr von Zahlungen in Anspruch.

Der Kläger ist Insolvenzverwalter in dem am 12.05.2021 vom Insolvenzschuldner ... (Schuldner) beantragten und am 17.05.2021 vom Amtsgericht Saarbrücken (Insolvenzgericht) eröffneten Insolvenzverfahren.

Im März 2014 ordnete das Amtsgericht München im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens wegen vorsätzlicher Marktmanipulation den dinglichen Arrest in das Vermögen des Schuldners an. In diesem Zuge erklärte der Schuldner mit anwaltlichem Schreiben vom 18.08.2014, dass er kein Vermögen habe (Anlage K5). Am 28.12.2017 erhob die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main Anklage gegen den Schuldner. Der Arrest wurde am 12.03.2019 aufgehoben. Am 23.03.2019 erklärte der Schuldner in einem anwaltlichen Schreiben an die 26. Strafkammer des Landgerichts Frankfurt am Main, dass er aus seiner Tätigkeit im Bereich der Systemgastronomie keine Entnahmen tätigen könne, über keine weitere Einnahmequelle verfüge, erhebliche Schulden habe und finanzielle Unterstützung von ... erhalte (Anlage B1). Die 26. Strafkammer verurteilte den Schuldner am 27.05.2019 wegen vorsätzlicher Marktmanipulation in zahlreichen Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 240 Tagessätzen zu je 60 € (Anlage K6). In dem Urteil führte die 26. Strafkammer aus, dass der Angeklagte monatlich 270 € ausbezahlt bekomme und durch eine Nebentätigkeit weitere 500 € verdiene. Über nennenswertes sonstiges Vermögen verfüge der Schuldner nicht, ausgenommen einiger Gegenstände wie ein Pkw und Uhren, die allerdings arrestiert seien (Anlage K6). Der BGH hob diese Entscheidung später auf und wies die Sache zur erneuten Verhandlung an eine andere Strafkammer des Landgerichts Frankfurt am Main zurück. Die sodann mit der Sache befasste 29. Strafkammer stellte das Strafverfahren mit Beschluss vom 04.03.2021 nach § 153a Abs. 2 StPO vorläufig gegen Zahlung einer Geldauflage in Höhe von 100.000 € ein (Anlage K7). 40.000 € sollten an die hessische Landeskasse und je 20.000 € an drei gemeinnützige Einrichtungen aus den Bereichen ... geleistet werden.

Um die Geldauflage zu erfüllen, schloss der Schuldner mehrere Darlehensverträge über insgesamt 100.000 € ab. Vertragspartner waren vier verschiedene Gesellschaften, deren Anteile von ... gehalten wurden. Die Darlehensvaluten wurden am 11.03.2021 auf das in den Darlehensverträgen angegebene Konto des Bruders des Schuldners überwiesen. Auf dieses Konto hatte der Schuldner Zugriff und war verfügungsbefugt. Noch am 11.03.2021 zahlte der Schuldner von diesem Konto jeweils 20.000 € an die im Einstellungsbeschluss genannten drei gemeinnützigen Einrichtungen und ferner am 15.03.2021 40.000 € an die hessische Landeskasse (Anlage K9). Bei allen Überweisungen an die gemeinnützigen Einrichtungen nannte der Schuldner im Verwendungszweck neben dem Aktenzeichen des Strafverfahrens und seinem Namen "gemäß Beschluss LG FFM v. 04.03.2021" (Anlage K19). Der Kläger focht die Zahlungen zunächst außergerichtlich an, woraufhin eine der drei gemeinnützigen Einrichtungen die erhaltenen 20.000 € an die Insolvenzmasse zurückgewährte.

Wegen des weitergehenden Sachverhalts wird gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts Bezug genommen, soweit diese nicht im Widerspruch zu den Feststellungen des Berufungsgerichts stehen.

Der Kläger hat in erster Instanz beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 80.000 € zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12.10.2021 zu zahlen und die Nebenintervention zurückzuweisen.

Der Beklagte und der Streithelfer haben in erster Instanz beantragt,
die Klage abzuweisen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Es ging davon aus, dass weder die Voraussetzungen des Insolvenzanfechtungstatbestands des § 131 InsO noch die des § 133 InsO erfüllt seien. Bei der Anfechtung nach § 131 InsO fehle es an der Stellung des Beklagten als Insolvenzgläubiger, da durch die Anordnung der Geldauflage keine Verbindlichkeit zu Lasten der späteren Insolvenzmasse begründet worden sei. Eine Anfechtung nach § 133 InsO scheitere jedenfalls daran, dass eine Kenntnis des Beklagten von einem etwaigen Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners nicht feststellbar sei. Die Nebenintervention sei zulässig, da der Nebenintervenient als Empfänger eines Teils der angefochtenen Leistungen ein rechtliches Interesse nach § 66 Abs. 1 ZPO habe.

Gegen das dem Kläger am 31.07.2023 zugestellte Urteil hat dieser am 18.08.2023 Berufung eingelegt und das Rechtsmittel innerhalb der bis zum 02.11.2023 verlängerten Berufungsbegründungsfrist am 27.10.2023 begründet.

Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 80.000 € zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12.10.2021 zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger macht geltend, dass der Insolvenzanfechtungstatbestand des § 131 InsO jedenfalls analog anwendbar sei, da eine Geldauflage wie eine nicht klagbare Verbindlichkeit zu behandeln sei. Die für § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO erforderliche Zahlungsunfähigkeit im Zeitpunkt der Überweisungen habe vorgelegen. Am Tag der ersten drei Zahlungen hätten sich die fälligen Verbindlichkeiten des Schuldners auf 540.269,28 € belaufen (Klageschrift, S. 13). Zur Insolvenztabelle seien vom Insolvenzverwalter 2.886.000 € festgestellt worden (Anlage K15). Unter den 17 Gläubigern seien nicht nur ..., sondern u.a. auch die ... und die .... Ferner habe der Beklagte die nach § 131 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. Abs. 2 S. 1 InsO erforderliche Kenntnis von Umständen gehabt, die zwingend auf eine Gläubigerbenachteiligung schließen ließen. Die 29. Strafkammer habe mit Schreiben vom 01.03.2022 (Anlage K21) eingeräumt, den Schluss gezogen zu haben, dass der Schuldner die Geldauflage nicht aus eigenen Mitteln bezahlen könne und ihm Dritte die erforderlichen Mittel darlehensweise zur Verfügung stellen müssten, womit zwangsläufig einhergehe, dass sich bei Zahlung aus den darlehensweise zur Verfügung gestellten Mitteln die Insolvenzmasse zulasten der übrigen Gläubiger verringere. Bei der Anfechtung nach § 133 InsO habe das Landgericht die Beweise für das Vorliegen der entsprechenden Kenntnis nicht hinreichend gewürdigt.

Der Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Für eine analoge Anwendung des § 131 InsO fehle es an einer planwidrigen Regelungslücke, da derartige Zahlungen auf Geldauflagen im Grundsatz von § 133 InsO erfasst würden. Eine Anfechtung nach § 133 InsO scheitere im konkreten Fall allerdings sowohl am fehlenden Vorsatz des Schuldners, seine Gläubiger zu benachteiligen, als auch an der fehlenden Kenntnis des Beklagten von einem etwaigen Vorsatz des Schuldners.

II.

Die Berufung gegen den Beklagten, der in diesem Verfahren – anders als im landgerichtlichen Urteil angegeben – von der Generalstaatsanwaltschaft vertreten wird (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 JMVtrAnO), ist zulässig und begründet. Die vom Schuldner an den Beklagten gezahlten Geldauflagen sind nach § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO anfechtbar, weshalb der Kläger vom Beklagten nach § 143 Abs. 1 Satz 1 InsO die Rückgewähr der Zahlungen verlangen kann.

Anfechtbar ist nach § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO eine Rechtshandlung, die einem Insolvenzgläubiger eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht hat, die er nicht oder nicht in der Art oder nicht zu der Zeit zu beanspruchen hatte, wenn die Handlung innerhalb des zweiten oder dritten Monats vor dem Eröffnungsantrag vorgenommen worden ist und der Schuldner zur Zeit der Handlung zahlungsunfähig war.

1. Der Beklagte ist hinsichtlich der drei streitgegenständlichen Zahlungen richtiger Anfechtungsgegner.

a) Hinsichtlich der Überweisung der 40.000 € an die Landeskasse ist der Beklagte unzweifelhaft richtiger Anfechtungsgegner.

b) Der Beklagte ist auch richtiger Anfechtungsgegner für die Zahlungen des Schuldners auf die Geldauflage, welche dieser zugunsten zweier gemeinnütziger Einrichtungen erfüllt hat. Im Schrifttum wird die Frage des richtigen Anfechtungsgegners in einer solchen Konstellation jedoch unterschiedlich beurteilt.

aa) Teils wird nur der Empfänger der Leistung als Anfechtungsgegner angesehen. Bei Zahlung einer Geldauflage an eine gemeinnützige Einrichtung könne die Anfechtung deshalb nur gegenüber der Einrichtung als Leistungsempfänger geltend gemacht werden (Drees, NStZ 2009, 522, 523; Madauß, NZWiSt 2021, 105, 109; Ganter/Weinland, in: K. Schmidt InsO, 20. Aufl. 2023, § 133 Rn. 30).

bb) Teils wird auch bei Zahlungen an gemeinnützige Einrichtungen das Land als richtiger Anfechtungsgegner angesehen, da nicht die gemeinnützige Einrichtung, sondern das Land mit seiner Strafjustiz "Anspruchsinhaber" sei. Nur das Land sei Insolvenzgläubiger, was § 39 Abs. 1 Nr. 3 InsO auch für Geldauflagen deutlich mache. Die jeweilige gemeinnützige Einrichtung hingegen sei nur reflexhaft begünstigt und daher nicht der richtige Anfechtungsgegner (Cranshaw, jurisPR-InsR 17/2008, Anm. 1 unter D.).
cc) Der Senat schließt sich der zuletzt genannten Auffassung an. Dies folgt aus folgenden Wertungen:

Erstens darf die Entscheidung, welche ein Land durch seine Strafjustiz hinsichtlich der Frage, ob ein Angeklagter eine Geldauflage zugunsten der Landeskasse oder zugunsten einer bestimmten gemeinnützigen Einrichtung erfüllen soll, getroffen hat, für die spätere insolvenzrechtliche Beurteilung keinen Unterschied machen. Eine insolvenzrechtlich relevante Rechtsbeziehung besteht trotz der Geldauflage zugunsten einer gemeinnützigen Einrichtung nur zwischen dem Angeklagten und der Strafjustiz des Landes. Bei der Entscheidung des Landes hinsichtlich des Empfängers der Geldauflage kann der Angeklagte kaum bis gar keinen Einfluss darauf nehmen, ob er zugunsten der Landeskasse oder einer gemeinnützigen Einrichtung leisten muss, um die Einstellung des Strafverfahrens zu erzielen. Der Angeklagte – mithin dessen Gläubiger – muss aber nicht das (wesentlich höhere) Insolvenzrisiko einer gemeinnützigen Einrichtung tragen, auf die er kaum bis gar keinen Einfluss nehmen kann, sondern nur das Risiko des Landes, mit dem er aufgrund des von ihm verwirkten Unrechts in einer Rechtsbeziehung steht (vgl. zu dieser aus dem Bereicherungsrecht stammenden Wertung Stadler, in: Jauernig, BGB, 19. Aufl. 2023, § 812 Rn. 23; Wiese, in: Nomos Handkommentar BGB [HK-BGB], 12. Aufl. 2024, § 812 Rn. 23).

Zweitens führt diese Sichtweise zu einem Gleichlauf zwischen dem Insolvenzanfechtungsrecht und der Rückabwicklung im Bereicherungsrecht, was mit Blick auf die ähnlichen Wertungen in beiden Rechtsgebieten im Ausgangspunkt sinnvoll erscheint. Im Bereicherungsrecht können bei Mehrpersonenverhältnissen die Leistungsbeziehung und die tatsächliche Zuwendung auseinanderfallen (Wiese, in: HK-BGB, 12. Aufl. 2024, § 812 Rn. 22). Zur Bestimmung der Leistungsbeziehung ist dann die bereicherungsrechtliche Zweckbestimmung zu ermitteln (vgl. Wiese, in: HK-BGB, 12. Aufl. 2024, § 812 Rn. 22). Hierzu kommt einem übereinstimmenden Willen der Parteien eine überragende Bedeutung zu (vgl. Stadler, in: Jauernig, BGB, 19. Aufl. 2023, § 812 Rn. 24). Bei Mehrpersonenverhältnissen sind die einzelnen Leistungsbeziehungen zu ermitteln, hier also zwischen dem Schuldner und dem Land sowie zwischen dem Land und der gemeinnützigen Einrichtung. Der Schuldner wollte in seiner ehemaligen Rolle als Angeklagter ausschließlich an das Land leisten, damit dessen Strafjustiz das gegen ihn gerichtete Strafverfahren einstellt. Eine solche Rechtsmacht kam den lediglich reflexhaft begünstigten gemeinnützigen Einrichtungen nicht zu. Das Gericht, die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte bildeten – wie es § 153a Abs. 2 Satz 1 StPO verlangt – übereinstimmend den Willen, dass durch diese Leistungen des Angeklagten das verwirkte Unrecht neutralisiert werde. Diese Unrechtsbeurteilung nahm ausschließlich die Strafjustiz des Beklagten vor und nicht eine der begünstigten gemeinnützigen Einrichtungen. In diesem Verhältnis entstand zwischen Schuldner und Beklagtem folglich die bereicherungsrechtliche Leistungsbeziehung. Mit der jeweils begünstigten gemeinnützigen Einrichtung bildete der Beklagte zwar keinen übereinstimmenden Willen, aus Sicht des objektivierten Empfängerhorizonts war durch den Verwendungszweck der Überweisung jedoch erkennbar, dass hier das Gericht des Beklagten etwas zuwenden wollte. Denn nur "gemäß Beschluss LG FFM" kam es hier zu einer Überweisung an die in dem gerichtlichen Beschluss benannte gemeinnützige Einrichtung. Daher wären bereicherungsrechtliche Herausgabeansprüche in diesen beiden Leistungsbeziehungen "Angeklagter/Land" und "Land/gemeinnützige Einrichtung" zu prüfen, was sich nun so im Insolvenzanfechtungsrecht fortsetzt.

Drittens ähnelt die Insolvenzanfechtung wie hier der Insolvenzanfechtung in Anweisungsfällen. In Anweisungsfällen wird in der Insolvenz des Leistungsmittlers – hier des Schuldners bzw. früheren Angeklagten – ebenfalls die Insolvenzanfechtung gegenüber dem Anweisenden – hier dem Beklagten mit seiner Strafjustiz – trotz der Leistung an einen Dritten zugelassen (vgl. Borries/Hirte, in: Uhlenbruck, InsO, 15. Aufl. 2019, § 129 Rn. 318). Zwischen der Strafjustiz des Landes und den bedachten gemeinnützigen Einrichtungen besteht zwar kein klassisches Leistungsverhältnis im Sinne der Anweisungsfälle, das Verhältnis kann jedoch zumindest als schenkungsähnlich qualifiziert werden.
All dies spricht dafür, dass der Beklagte hinsichtlich der zwei weiteren streitgegenständlichen Zahlungen der richtige Anfechtungsgegner ist.
2. Der Beklagte ist hinsichtlich der von seiner Strafjustiz beschlossenen Geldauflage einem Insolvenzgläubiger im Sinne von § 131 InsO gleichgestellt.
a) Für den Anfechtungsgrund des § 131 InsO ist nach dem Wortlaut vorausgesetzt, dass der Anfechtungsgegner im Zeitpunkt der Leistung "Insolvenzgläubiger" war. Ob ein Land mit seiner Landeskasse hinsichtlich der von seiner Strafjustiz beschlossenen Geldauflagen "Insolvenzgläubiger" im Sinne des § 131 InsO sein kann, lässt sich allerdings weder eindeutig aus § 131 InsO noch aus § 38 InsO entnehmen. Nach § 38 InsO ist Insolvenzgläubiger, wer zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens einen begründeten Vermögensanspruch gegen den Schuldner hat. Von diesem Vermögensanspruch sind unvollkommene Verbindlichkeiten abzugrenzen. Ansprüche, die kein klagbares Forderungsrecht begründen, werden gemeinhin nicht als Insolvenzforderungen qualifiziert (Ehricke/Behme, in: Münchener Kommentar zur InsO [MüKoInsO], 4. Aufl. 2019, § 38 Rn. 56).

b) Das Landgericht hat die Eigenschaft des Beklagten als Insolvenzgläubiger verneint und sich hierzu auf eine (strafrechtliche) Entscheidung des LG Bonn gestützt (Beschluss vom 22.05.2017 – 27 Qs 5/17, juris Rn. 15). Nach Ansicht des LG Bonn mache die Anordnung einer Geldauflage das Land nicht zum Insolvenzgläubiger.
c) In einer Entscheidung des BGH vom 05.06.2008 – IX ZR 17/07, NZI 2008, 488 Rn. 21 hat der IX. Zivilsenat indes auf Einstellungsauflagen die Wertung des § 39 Abs. 1 Nr. 3 InsO angewandt. Wenn ausweislich des § 39 Abs. 1 Nr. 3 InsO Geldstrafen, Geldbußen, Ordnungsgelder und ähnliche Sanktionen in der Insolvenz des Schuldners nur nachrangige Insolvenzverbindlichkeiten sind, sei es widersprüchlich, zur Einstellung eines Strafverfahrens gezahlte Geldauflagen zum Nachteil der Masse vor einer anfechtungsrechtlichen Rückforderung besonders zu schützen. Diese Entscheidung kann so verstanden werden, dass der BGH aus § 39 Abs. 1 Nr. 3 InsO die Wertung ableitet, dass ein Land hinsichtlich beschlossener bzw. erhaltener Geldauflagen jedenfalls im Insolvenzanfechtungsrecht als (nachrangiger) Insolvenzgläubiger zu verstehen ist. Auch im Schrifttum findet diese Wertung Rückhalt, da Geldauflagen als (nachrangige) Insolvenzverbindlichkeiten bewertet und – wenn auch nicht ausdrücklich betreffend § 131 InsO – die Anfechtungstatbestände der §§ 130, 133 InsO für einschlägig erachten werden (Ganter/Weinland, in: K. Schmidt, InsO, 20. Aufl. 2023, § 133 Rn. 30). Da auch § 130 InsO verlangt, dass der Anfechtungsgegner Insolvenzgläubiger des Schuldners ist, lässt sich daraus schließen, dass diese Stimmen ein Land hinsichtlich beschlossener bzw. erhaltener Geldauflagen jedenfalls im Insolvenzanfechtungsrecht als Insolvenzgläubiger sehen.

d) Der Senat schließt sich der vorgenannten Auffassung an und versteht das beklagte Land hinsichtlich der von seiner Strafjustiz beschlossenen Geldauflagen als Insolvenzgläubiger im Sinne von § 131 InsO. Geldauflagen nach § 153a Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StPO ähneln den in § 39 Abs. 1 Nr. 3 InsO genannten Sanktionen trotz strafprozessualer Unterschiede, sodass die vom BGH in seiner Entscheidung vom 05.06.2008 – IX ZR 17/07, NZI 2008, 488 Rn. 21 dargestellte und in der seiner Entscheidung vom 14.10.2010 – IX ZR 16/10, NZI 2011, 189 Rn. 7 offenbar nochmal bestätigte Wertung übertragbar erscheint.

e) Jedenfalls im Anwendungsbereich des § 131 InsO muss das beklagte Land hinsichtlich der von seiner Strafjustiz beschlossenen Geldauflagen auch deshalb als Insolvenzgläubiger verstanden werden, da § 131 InsO nach seinem eindeutigen Wortlaut auch den Fall erfasst, in dem ein Insolvenzgläubiger eine Befriedigung "nicht [...] zu beanspruchen hatte". Nach ganz herrschender Meinung soll § 131 InsO auch solche Anfechtungsgegner erfassen, die objektiv auf eine Befriedigung keinen Anspruch hatten, da die Verbindlichkeit unvollkommen war, sie also vor einem Gericht nicht hätte eingeklagt werden können (Henckel, in: Jaeger, InsO, 2008, § 129 Rn. 93, § 131 Rn. 8; Kayser/Freudenberg, in: MüKoInsO, 4. Aufl. 2019, § 131 Rn. 14a; Borries/Hirte, in: Uhlenbruck, InsO, 15. Aufl. 2019, § 131 Rn. 5; Schoppmeyer, in: Prütting/Bork/Jacoby, InsO, 60. Lfg. 9/2014, § 131 Rn. 23; Ganter/Weinland, in: K. Schmidt, InsO, 20. Aufl. 2023, § 131 Rn. 21). Ebenso wie der Gläubiger einer unvollkommenen Verbindlichkeit hatte auch der Beklagte keinen klagbaren Anspruch auf Erfüllung der Auflagen, ohne dass die erfolgte Leistung als unentgeltlich zu bewerten wäre (BGH, Urteil vom 05.06.2008 – IX ZR 17/07, NZI 2008, 488, Leitsatz 2). Dies rechtfertigt in diesem Fall die Gleichstellung mit einem Insolvenzgläubiger, der eine inkongruente Deckung erhält.

3. Die zur Erfüllung der Geldauflage getätigten Überweisungen des Schuldners an die im Einstellungsbeschluss bestimmten Zahlungsempfänger stellen Rechtshandlungen im Sinne von § 129 Abs. 1 InsO dar (vgl. BGH, Urteil vom 05.06.2008 – IX ZR 17/07, NZI 2008, 488 Rn. 16; Borries/Hirte, in: Uhlenbruck, InsO, 15. Aufl. 2019, § 129 Rn. 111).

4. Diese Rechtshandlungen haben die Insolvenzgläubiger im Sinne von § 129 Abs. 1 InsO benachteiligt. Der Schuldner war, um die Geldauflage erfüllen zu können, vier Darlehensverträge mit vier verschiedenen Gesellschaften eingegangen. Ihm standen folglich vier Forderungen gegen seine Darlehensgeber auf Auszahlung der Darlehensvaluten zu, die Teil seines Vermögens waren. Die Zweckbindung, den Darlehensbetrag der Landeskasse und den gemeinnützigen Einrichtungen zuzuwenden, steht der Wertung nicht entgegen, dass es sich bei diesen Forderungen um Vermögen der späteren Insolvenzmasse handelte (vgl. BGH, Urteil vom 17.03.2011 – IX ZR 166/08, NZI 2011, 400, Leitsatz). Mit der Valutierung der Darlehen auf ein Konto des Bruders, über welches der Schuldner verfügen konnte, konnte dieser über die entsprechenden Beträge disponieren. Dem Schuldner stand nun eine Forderung gegen seinen Bruder auf Auskehr dieses Kontoguthabens zu. Durch die Überweisungen des Schuldners von diesem Konto ging diese Forderung unter, womit die spätere Insolvenzmasse verringert wurde.

5. Da die Verbindlichkeit des Schuldners gegenüber dem Beklagten unvollkommen war, der Beklagte die Befriedigung der Geldauflage folglich im Sinne von § 131 Abs. 1 InsO nicht zu beanspruchen hatte, war die Deckung inkongruent.

6. Der Schuldner war im Zeitpunkt der angefochtenen Zahlungen vom 11.03.2021 bzw. 15.03.2021 zahlungsunfähig.

a) Für diese objektive Anfechtungsvoraussetzung ist auf § 17 Abs. 2 InsO abzustellen. Danach ist der Schuldner zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen.

b) Der Schuldner hatte am 18.08.2014 und 23.03.2019 in anwaltlichen Schreiben erklärt, über kein Vermögen zu verfügen, aus seiner Tätigkeit im Bereich der Systemgastronomie keine Entnahmen tätigen zu können, über keine weitere Einnahmequelle zu verfügen und finanzielle Unterstützung von ... zu erhalten. Der Kläger hat vorgetragen, dass am 11.03.2021 540.269,28 € Verbindlichkeiten fällig gewesen seien, darunter 30.000 €, 230.000 € und 50.000 € mithin 310.000 € gegenüber der Deutschen Bank (Anlage K15). Die Verbindlichkeiten seien bis zur Insolvenzverfahrenseröffnung offen geblieben. Zur Insolvenztabelle, die der Kläger vorgelegt hat und die die Verbindlichkeiten einzeln listet (Anlage K14), seien Insolvenzforderungen in Höhe von 2.886.999,95 € festgestellt worden. Der Beklagte hingegen hat im Wesentlichen lediglich behauptet, dass der Schuldner von ... unterstützt wurde (Bl. 56 d. A.). Der Beklagte hat indes nicht ausdrücklich bestritten, dass am 11.03.2021 540.269,28 € Verbindlichkeiten fällig gewesen seien, sondern lediglich bemängelt, dass der Kläger seiner Einschätzung nach zum Aktivvermögen des Schuldners und dessen Einkommen vortragen hätte müssen (Bl. 122 d. A.). Das tatsächlich verfügbare Aktivvermögen und Einkommen wurde vom Kläger unter Vorlage von Urkunden allerdings substantiiert dargelegt. Aufgrund des substantiierten Vortrags des Klägers ist das lediglich pauschale Bestreiten des Beklagten prozessrechtlich unbeachtlich (vgl. Fritsche, in: Münchener Kommentar zur ZPO [MüKoZPO], 6. Aufl. 2020, § 138 Rn. 22; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, 20. Aufl. 2023, § 138 Rn. 10; Gottwald, in: Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 18. Aufl. 2018, § 113 Rn. 20). Dass der Schuldner von ... oder deren Gesellschaften unterstützt wurde, steht der Annahme der Zahlungsunfähigkeit im Übrigen nicht entgegen, denn es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass dem Schuldner zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Überweisungen in ausreichender Höhe durchsetzbare Ansprüche gegen ... oder deren Gesellschaften zustanden. Daher geht der Senat davon aus, dass der Schuldner im Zeitpunkt der angefochtenen Zahlungen vom 11.03.2021 bzw. 15.03.2021 zahlungsunfähig war.

7. Der Schuldner hat die hier angefochtenen Zahlungen am 11.03.2021 bzw. 15.03.2021 innerhalb des zweiten bzw. dritten Monats vor dem Eröffnungsantrag vom 12.05.2021 ausgeführt. Damit ist die Anfechtungsfrist des § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO gewahrt.

8. Dem Kläger stehen für die Geldschuld wegen § 143 Abs. 1 Satz 3 InsO Zinsen zu. Schuldnerverzug im Sinne von §§ 280 Abs. 1 und 2, 286 Abs. 1 BGB lag jedenfalls nach Ablauf des 11.10.2021 vor. Der Anspruch aus § 143 Abs. 1 Satz 1 InsO entstand mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens und war ab diesem Tag fällig. Das Schreiben des Klägers vom 23.09.2021 stellte eine Mahnung im Sinne von § 286 Abs. 1 BGB dar.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Die Kostenentscheidung betreffend den Streithelfer folgt aus § 101 Abs. 1 Halbsatz 2 ZPO.

Das Berufungsurteil war nach § 708 Nr. 10 Satz 1 ZPO für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung zu erklären. Die Abwendungsbefugnis beruht auf § 711 Satz 1 ZPO.

Die Revision war nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO zuzulassen, da die Insolvenzanfechtung von Geldauflagen in Rechtsprechung und Schrifttum unterschiedlich beantwortet wird, die Rechtslage folglich unklar ist, und aufgrund der Vielzahl an Einstellungsbeschlüssen grundsätzliche Bedeutung hat.


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