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Entscheidungen

StPO

Pflichtverteidiger, Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage, Umfang der Akte, zahlreiche Vorwürfe, Überblick

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Dortmund, Beschl. v. 23.10.2024 - 36 Qs 30/24

Eigener Leitsatz:

Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage, die die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheinen lässt, ist dann anzunehmen, wenn die Gefahr besteht, dass der Angeklagte seine Rechte ohne die Mitwirkung eines Verteidigers nicht mehr ausreichend wahrnehmen kann. Das kann nach der gebotenen Gesamtbetrachtung der Fall sein, wenn Umfang der Akte mit 12 weiteren Fallakten und die Anzahl von 14 enthaltenen Ermittlungsverfahren es dem gerade 20-jährigen Beschuldigten erschwert, ohne anwaltliche Hilfe deutlich, den Überblick über die Vorwürfe zu behalten.


36 Qs 30/24

Landgericht Dortmund

Beschluss

In dem Ermittlungsverfahren
gegen pp.

hat die 36. große Strafkammer - Jugendkammer - des Landgerichts Dortmund auf die sofortige Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Lünen vom 15.08.2024 - Az: 17 Gs 6/24 - durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht, den Richter am Landgericht und die Richterin am 23.10.2024 beschlossen:

Auf die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers werden der Beschluss sowie der Nichtabhilfebeschluss des Amtsgerichts vom 01.10.2024aufgehoben. Dem Beschuldigten wird Rechtsanwalt pp. als Pflichtverteidiger bestellt (§ 140 Abs. 2 StPO).
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers werden der Staatskasse auferlegt.

Gründe:

I.

Gegen den 20-jährigen Beschuldigten (zugleich Beschwerdeführer) wird ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Geldwäsche (§ 261 StGB) in mehreren Fällen geführt.

Das Ermittlungsverfahren beruhte zunächst auf einer Strafanzeige vor der Polizeiinspektion Braunschweig vom 08.03.2023 (BI. la ff.). Dort gab die Geschädigte an, am 17.02.2023 Nachrichten erhalten zu haben, die vorgeblich von ihrer Tochter stammten. Darin sei sie aufgefordert worden, ihrer Tochter zu helfen und einen Betrag in Höhe von 1 .890,00 EUR per Echtzeitüberweisung zu überweisen, deren Adressat mit dem Namen des Beschuldigten ausgewiesen worden sei (vgl. BI. 4 d.A.).

Dem Ermittlungsverfahren wurden sukzessive weitere Ermittlungsverfahren hinzuverbunden (vgl. BI. 55R, 95 d.A.), bei denen es sich im Wesentlichen um ähnlich gelagerte Sachverhalte handelt, die sich über das Bundesgebiet hinaus verteilten. Im Kern handelt es sich um Fälle, in denen Zeugen im Wege einer mit dem sog. „Enkeltrick" vergleichbaren Vorgehensweise kontaktiert und unter Vortäuschung, dass es sich um Angehörige in einer Notlage handele — gebeten worden seien, Geld auf Konten Dritter zu überweisen. Die Fälle weisen unterschiedliche Verbindungen zum Beschuldigten auf. Teilweise habe es sich in den Fällen um das Konto des Beschuldigten gehandelt. Zum Teil habe der Beschuldigte mit den Kontoinhabern zusammengewirkt. Nicht in jedem Fall sei das Geld am Ende überwiesen worden. Durch Hinzuverbindung mehrerer Verfahren umfasste die Hauptakte am 23.02.2024 95 Blatt und 1 1 Fallakten (vgl. BI. 95 d.A.).

Am 23.02.2024 kontaktierte die Staatsanwältin den Verteidiger des Beschuldigten telefonisch und teilte mit, dass bei einem Geständnis eine Einstellung des Verfahrens nach § 153a StPO in Betracht komme (vgl. BI. 95 d.A.). Vor dem Hintergrund weiterer hinzuverbundener Verfahren beantragte der Verteidiger erneute Akteneinsicht und erbat eine Stellungnahmefrist von zwei bis drei Wochen (vgl. BI. 95 d.A.). Mit Schriftsatz vom 07.03.2024 (BI. 101 f. d.A.) ließ der Beschuldigte erklären, dass es sich aufgrund des erheblichen Aktenumfangs mittlerweile um einen Fall der notwendigen Verteidigung handele nach § 140 Abs. 2 StPO, und beantragte, ihm seinen Verteidiger als Pflichtverteidiger einzuräumen. Zugleich ließ er anregen, das Verfahren gegen Zahlung in Höhe von 1 .000,00 EUR nach § 153a StPO einzustellen.

Die Anregung der Verfahrenseinstellung fand Zustimmung sowohl bei der Staatsanwaltschaft als auch bei dem Amtsgericht Lünen (vgl. BI. 104 d.A.). Am 24.07.2024 (BI. 1 1 1 d.A.) wurde das Verfahren gegen den Beschuldigten, dem zwischenzeitlich ein weiteres Verfahren und damit Fallakte XII hinzugefügt wurde (vgl. BI. 1 1 1 d.A.), vorläufig gegen Zahlungsauflage in Höhe von 1 .000,00 EUR eingestellt.

Mit Beschluss vom 15.08.2024 (BI. 1 18 f. d.A.) wies das Amtsgericht Lünen den Antrag auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers zurück. Es begründete die Entscheidung im Wesentlichen damit, dass die Sach- und Rechtslage nicht so schwierig sei, da es sich um Sachverhalte von überschaubarem Umfang handele. Zudem seien die Rechtsfolgen nicht so schwerwiegend, da das Verfahren nach § 153a StPO eingestellt werden solle.

Mit Schriftsatz vom 26.08.2024 (BI. 128 d.A.) ließ der Beschuldigte an demselben Tag (vgl. BI. 128 d.A.) sofortige Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Lünen vom 15.08.2024 einlegen und erneut unter Bezugnahme auf den Umfang der Akte auf die Schwierigkeit der Sachlage hinweisen.

Der sofortigen Beschwerde half das Amtsgericht Lünen mit Beschluss vom 01.10.2024 (BI. 133 d.A.) nicht ab.

II.

Die zulässige sofortige Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Lünen vom 15.08.2024 ist begründet.

Die gem. §§ 142 Abs. 7 §. 1, 31 1 StPO statthafte sofortige Beschwerde ist auch im Übrigen zulässig. Insbesondere ist sie fristgerecht binnen Wochenfrist erhoben worden und auch die Beschwer besteht weiterhin fort. Dem steht nicht entgegen, dass durch die Staatsanwaltschaft Dortmund bereits die Einstellung des Verfahrens nach § 153a StPO vorgenommen wurde. Die Beschwer durch den Beschluss des Amtsgerichts Lünen ist dadurch nicht entfallen. Schließlich ist das Verfahren noch nicht endgültig eingestellt worden, sodass auch weiterhin eine Verteidigung des Beschuldigten erfolgen kann (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 07.10.2011 - III-3 Ws 321/11 , BeckRS 2011, 29787).

In der Sache ist die sofortige Beschwerde auch begründet. Die Voraussetzungen zur Beiordnung des Verteidigers als Pflichtverteidiger lagen zum Zeitpunkt der Antragstellung nach § 140 Abs. 2 Var. 3 StPO vor. Die Gesamtschau der vorliegenden Aspekte veranlassen die Kammer, von einer schwierigen Sachlage auszugehen.

Nach § 140 Abs. 2 Var. 3 StPO liegt ein Fall der notwendigen Verteidigung auch dann vor, wenn wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint. Das ist dann anzunehmen, wenn die Gefahr besteht, dass der Angeklagte seine Rechte ohne die Mitwirkung eines Verteidigers nicht mehr ausreichend wahrnehmen kann (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 09.06.2022 - 5 Ws 131/22, BeckRS 2022, 14588).

Das ist hier in der gebotenen Gesamtbetrachtung mittlerweile der Fall. Schon der Umfang der Akte mit 12 weiteren Fallakten und die Anzahl von 14 enthaltenen Ermittlungsverfahren erschwert es dem gerade 20-jährigen Beschuldigten ohne anwaltliche Hilfe deutlich, den Überblick über die Vorwürfe zu behalten. Zwar ist dem Amtsgericht insoweit zuzustimmen, dass sich die Vorwürfe im Wesentlichen aus ähnlich gelagerten Sachverhalten bzw. dem gleichen zugrundeliegenden modus operandi des sog. „Enkeltrick" speisen. Jedoch unterscheiden sich die Fälle dadurch, dass die Verbindung zum Beschuldigten in unterschiedlicher Weise hergestellt wird. Ferner handelt es sich bei dem Vorwurf der Geldwäsche nach § 261 StPO um einen komplexen Vorwurf, der im Falle einer Hauptverhandlung auch die die Aufklärung einer rechtswidrigen Haupttat erfordern würde. Das stellt insbesondere bei mehreren, über das Bundesgebiet verteilten Geschädigten erhöhte Anforderungen an die Verteidigung des Beschuldigten.

Auf die begründete Beschwerde war dem Beschuldigten durch die Kammer sein Verteidiger als Pflichtverteidiger beizuordnen (Schmitt, in: Meyer-Goßner/ Schmitt, StPO, 66. Auflage 2023, § 142, Rn. 63a).

Zusätzlich war die Nichtabhilfeabscheidung des Amtsgerichts deklaratorisch aufzuheben, da dem Amtsgericht eine Abhilfebefugnis nicht zustand. Im Rahmen der sofortigen Beschwerde ist - außer in den in § 311 Abs. 3 S. 2 StPO ausdrücklich genannten Fällen kein Raum für eine Abhilfeentscheidung (vgl. etwa OLG Hamm, Beschluss vom 03.12.2009, Az. 2 Ws 270/09).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 467 Abs. 1 StPO.


Einsender: RA R. Bleicher, Dortmund

Anmerkung:


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