Gericht / Entscheidungsdatum: LG Hagen, Beschl. v. 07.01.2025 - 46 Qs 45/24
Eigener Leitsatz:
Zur Auslagenerstattung im Bußgeldverfahren nach Einstellung wegen Verjährung.
46 Qs 45/24 (190 Js 15/24)
Landgericht Hagen
Beschluss
In dem Beschwerdeverfahren
betreffend pp.
Verteidiger:
hat die 6. große Strafkammer des Landgerichts Hagen als Beschwerdekammer für Bußgeldsachen durch pp. am 07.01.2025 beschlossen:
Auf die sofortige Beschwerde des Betroffenen vom 26.11.2024 wird der Beschluss des Amtsgerichts Schwerte vom 25.11.2024 (Az. 47 OWi 8/24) im Kostenausspruch dahingehend abgeändert, dass die Staatskasse auch die notwendigen Auslagen des Betroffenen zu tragen hat.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie die dem Betroffenen insoweit entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.
Gründe:
I.
Die sofortige Beschwerde gegen die Auslagenentscheidung des Amtsgerichts ist zulässig, insbesondere innerhalb der Wochenfrist des § 311 Abs. 2 StPO eingelegt worden.
Die Statthaftigkeit des Rechtsmittels ergibt sich aus den §§ 464 Abs. 3 S. 1, 311 Abs. 2 StPO i. V. m. § 46 Abs. 1 OWiG. Zwar ist die sofortige Beschwerde gemäß § 464 Abs. 3 S. 1, 2. Hs. StPO unzulässig, wenn eine Anfechtung der Hauptentscheidung – hier die Einstellung des Verfahrens gemäß § 206a Abs. 1 StPO – durch den Beschwerdeführer nicht statthaft ist. Diese Einschränkung gilt jedoch nicht, wenn – wie hier – das Rechtsmittel gegen die Hauptentscheidung einem Prozessbeteiligten lediglich mangels eigener Beschwer nicht zusteht. Insoweit genügt es, dass in § 206a Abs. 2 StPO generell das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde vorgesehen ist (KG Berlin, Beschl. vom 04.01.2008 – 1 Ws 291/07, StraFo 2008, 265; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 464 Rn. 19 mit weit. Nachw.).
II.
Die sofortige Beschwerde ist auch begründet.
Im gerichtlichen Bußgeldverfahren kann das Gericht gemäß § 46 Abs. 1 OWiG i. V. m. § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO davon absehen, die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen, wenn er wegen einer Ordnungswidrigkeit nur deshalb nicht verurteilt wird, weil ein Verfahrenshindernis besteht. Der Versagungsgrund ist allerdings mit Zurückhaltung anzuwenden. Mit welchem Sicherheitsgrad eine Verurteilung bei Hinwegdenken des Verfahrenshindernisses zu erwarten gewesen sein muss, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten. Nach der herrschenden Meinung, der sich die Kammer anschließt, reicht es aus, wenn bei dem bei Feststellung des Verfahrenshindernisses gegebenen Verfahrensstand ein zumindest hinreichender Tatverdacht besteht und keine Umstände erkennbar sind, die bei Durchführung der Hauptverhandlung die Verdichtung des Tatverdachts zur prozessordnungsgemäßen Feststellung der Tatschuld in Frage stellen (BGH, Beschl. vom 05.11.1999 – StB 1/99, NJW 2000, 1427; OLG Hamm, Beschl. vom 07.04.2010 – 2 Ws 60/10, NStZ-RR 2010, 224; OLG Köln, Beschl. vom 05.08.2010 – 2 Ws 471/10, NStZ-RR 2010, 392; KK-OWiG/Hadamitzky, § 105 Rn. 111; a. A. vgl. etwa MüKoStPO/Grommes, § 467 Rn. 22 [Gewissheit erst bei Schuldspruchreife]).
Der insoweit erforderliche Tatverdacht liegt hier vor. Dem Vorwurf der Geschwindigkeitsüberschreitung liegt ein standardisiertes Messverfahren zugrunde. Anhaltspunkte für eine Unrichtigkeit der durchgeführten Geschwindigkeitsmessung lassen sich der Akte nicht entnehmen und werden insbesondere auch nicht vom Betroffenen aufgezeigt. Vielmehr hat er nach Einsicht in die Akte der Ordnungsbehörde und schließlich auch der weiter von seinem Verteidiger erbetenen weiteren Messdaten im Schriftsatz vom 28.10.2024 einerseits seine Fahrereigenschaft einräumen und darüber hinaus mitteilen lassen, keinerlei weitere Angaben zur Sache zu tätigen.
Bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzung trifft das Gericht sodann – gewissermaßen auf der zweiten Stufe – die gebotene Ermessensentscheidung („kann“), ob auf Grund besonderer Umstände die Belastung der Staatskasse mit den Auslagen des Betroffenen ausnahmsweise als grob unbillig erscheint. Da das Ermessen erst dann und nur dann eröffnet ist, wenn ein hinreichender Tatverdacht im oben genannten Sinne vorliegt, müssen zu dem Verfahrenshindernis als alleinigem der Verurteilung entgegenstehendem Umstand weitere besondere Umstände hinzutreten, die es billig erscheinen lassen, dem Betroffenen die Auslagenerstattung zu versagen (BVerfG, Beschl. vom 26.05.2017 – 2 BvR 1821/16, NJW 2017, 2459; BVerfG, Beschl. vom 29.10.2015 – 2 BvR 388/13, NStZ-RR 2016, 159; KK-StPO/Gieg, § 467 Rn. 10b; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 467 Rn. 18). Dies kann insbesondere bei schuldhafter Herbeiführung des Verfahrenshindernisses durch den Betroffenen der Fall sein (MüKoStPO/Grommes, § 467 Rn. 22; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 467 Rn. 18). Dagegen kann es bei einem durch einen Verfahrensfehler des Gerichts eingetretenen Verfahrenshindernis der Billigkeit entsprechen, die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Staatskasse aufzubürden (BVerfG, Beschl. vom 26.05.2017 – 2 BvR 1821/16, a. a. O.).
Das Amtsgericht hat ausweislich der Beschlussbegründung einzig darauf abgestellt, dass ohne das Verfahrenshindernis eine Verurteilung des Betroffenen wahrscheinlich gewesen sei. Dies verkennt den dargestellten Prüfungsmaßstab und stellt einen Ermessensnichtgebrauch dar.
Gemäß § 309 Abs. 2 StPO trifft die Kammer als Beschwerdegericht – auch in Ermessensfragen (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 309 Rn. 4) – eine eigene Sachentscheidung. In Ausübung des ihr zustehenden Ermessens hat die Kammer die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Staatskasse auferlegt. Dabei hat die Kammer berücksichtigt, dass Verfolgungsverjährung bereits bei Eingang der Sache bei der Staatsanwaltschaft eingetreten war, so dass das Verfahrenshindernis hinsichtlich des nachfolgenden gerichtlichen Verfahrens von vornherein erkennbar entgegenstand. Zudem hat die Kammer bedacht, dass die eingetretene Verfahrensverzögerung maßgeblich auf ein Fehlverhalten der Verwaltungsbehörde zurückzuführen ist. Diese hat die Akte zur Entscheidung über den Einspruch gemäß § 69 Abs. 3 OWiG erst mit Schreiben vom 10.09.2024 der Staatsanwaltschaft vorgelegt. Zu diesem Zeitpunkt war die Frist der Verfolgungsverjährung nach §§ 31 Abs. 2 Nr. 4, Abs. 3, 33 Abs. 1 Nr. 9, Abs. 3 S. 1 OWiG bereits abgelaufen. Denn der Bußgeldbescheid vom 15.02.2024 ist dem Betroffenen angesichts der Einlegung des Einspruchs unter dem 22.02.2024 spätestens an diesem Tage zugegangen, sodass die Verfolgungsverjährung spätestens mit Ablauf des 22.08.2024 eingetreten ist.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 46 Abs. 1 OWiG i. V. m. § 467 Abs. 1 StPO analog.
Einsender: RA R. Kersting, Solingen
Anmerkung:
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