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Entscheidungen

Verwaltungsrecht

Entziehung der Fahrerlaubnis, Diabetes-Erkrankung, Gangunsicherheut

Gericht / Entscheidungsdatum: VG München, Beschl. v. 23.10.2024 - M 19 S 23.3777

Leitsatz des Gerichts:

Ergeben sich Zweifel an der Fahreignung des Fahrerlaubnisinhabers aus einer feststehenden insulinbehandelten Diabetes-Erkrankung mit einer reduzierten Hypoglykämiewahrnehmung und überdies aus einer Polyneuropathie mit einer einer leichtgradigen Gangunsicherheit und einer eingeschränkten linken Fußhebung, kann die Verwaltungsbehörde die Fahrerlaubnis entziehen.


In pp.

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 2.500 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller wendet sich gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis der Klassen AM, B, BE und L.

Nachdem dem Antragsteller seine Fahrerlaubnis aufgrund einer Trunkenheitsfahrt mit Entscheidung des Amtsgerichts G.-P. vom 14. Dezember 2017 (52 … …) entzogen worden war, wurde ihm diese am 24. September 2020 unter Auflagen wiedererteilt. Entsprechend eines ärztlichen Gutachten des Diabeteszentrums M. – G.-P. vom 25. Juni 2020, wonach die Fahreignung des Antragstellers aufgrund einer insulinbehandelten Diabetes-Erkrankung (Diabetes mellitus Typ 2) nur unter dem Vorbehalt regelmäßiger Kontrolluntersuchungen vorliege (Bl. 92 ff. BA), wurde dieser zu jährlichen diabetologischen Kontrollen seiner Compliance, seiner Stoffwechsellage, seines Hypoglykämierisikos und seiner Hypoglykämiewahrnehmung verpflichtet. Diesen Auflagen stimmte der Antragsteller schriftlich unter Rechtsmittelverzicht zu (Bl. 108 f. der Behördenakte – BA).

Aus den vom Antragsteller in diesem Zusammenhang vorgelegten diabetologischen Kontrollberichten vom 20. Juni 2021 und 12. August 2022 des Diabeteszentrums … ergab sich, dass beim Antragsteller Hinweise auf ein leicht eingeschränktes Vibrationsempfinden, auf eine leichte diabetische Neuropathie und eine reduzierte Hypoglykämiewahrnehmung festgestellt worden seien (Bl. 110 f., 122 f. BA).

Aufgrund dieser neuen Erkenntnisse forderte die Fahrerlaubnisbehörde den Antragsteller am 22. September 2022 auf, Befundberichte eines Neurologen zur Abklärung der Empfindungsstörungen und eines Diabetologen zur Überprüfung der vorhandenen Hypoglykämiewahrnehmung beizubringen.

Der vom Antragsteller vorgelegte Befundbericht eines Diabetologen vom 26. Oktober 2022 bestätigte die ungestörte Hypoglykämiewahrnehmung des Antragstellers unter Hinweis auf die Verwendung eines Unterzuckerungssensors (Unterzuckerungsalarms) und enthielt weiter die Feststellung: „Z.n. Schlaganfall 01/2021“ (medizinische Abkürzung für „Zustand nach“ Schlaganfall 01/2021, Bl. 144 f. BA). Es sei keine gute Stoffwechsellage ohne Unterzuckerung über einen Zeitraum von drei Monaten gegeben. Nach dem neurologischen Befundbericht vom 14. Dezember 2022 sei beim Antragsteller eine Polyneuropathie festzustellen, es bestünde eine leichtgradige Gangunsicherheit und die Fußhebung links sei eingeschränkt. Die Frage, ob die Polyneuropathie des Antragstellers fortschreitend ist, blieb vom Neurologen unbeantwortet (Bl. 152 f. BA).

Die Fahrerlaubnisbehörde forderte daraufhin den Antragsteller mit Schreiben vom 7. März 2023, zugestellt am 9. März 2023, zur Beibringung eines ärztlichen Gutachtens einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung auf, in dem folgende Fragen beantwortet werden sollten:

1. a. Liegt bei Herr … eine Erkrankung vor, die nach Nr. 5, 6 der Anlage 4 FeV die Fahreignung in Frage stellt?
b. Wenn ja: Ist Herr … in der Lage, den Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1 vollständig gerecht zu werden?
2. Liegt eine ausreichende Adhärenz (Compliance; z.B. Krankheitseinsichtigkeit, regelmäßige/überwachte Medikamenteneinnahme [Hinweise auf – ggf. selbstinduzierte – Unter- oder Überdosierung] usw.) vor?
3. Sind Beschränkungen und/oder Auflagen erforderlich, um den Anforderungen an das Führen eines Kraftfahrzeuges der Gruppe 1 weiterhin gerecht zu werden. Ist bzw. sind insbesondere (eine) fachlich einzelfallbegründete Auflage(n) nach Anlage 4 FeV (z.B. ärztliche Kontrollen) erforderlich? In welchem zeitlichen Abstand und wie lange? Was muss regelmäßig kontrolliert und attestiert werden? Sind die Ergebnisse der Fahrerlaubnisbehörde vorzulegen; wenn ja, warum?
4. Ist eine fachliche einzelfallbegründete je Fahrerlaubnisklassengruppe Nachuntersuchung i.S. einer erneuten [Nach-]Begutachtung erforderlich? In welchem zeitlichen Abstand?

Die Begutachtungsaufforderung wurde im Wesentlichen damit begründet, dass diese der Aufklärung möglicher Auswirkungen der Diabetes-Erkrankung, der Polyneuropathie und des stattgefundenen Schlaganfalls des Antragstellers auf seine Fahreignung diene. Die Fahreignung könne im Fall einer Diabetes-Erkrankung durch eine unzureichende Behandlung, durch Nebenwirkungen der Behandlung oder durch Komplikationen der Erkrankung eingeschränkt sein. Die Voraussetzungen zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1 seien im Falle eines hohen Hypoglykämierisikos (z.B. bei insulinpflichtigen Patienten) nur bei ungestörter Hypoglykämiewahrnehmung gegeben (Nr. 5.4 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnisverordnung – FeV). Auch eine Polyneuropathie (Erkrankung mehrerer peripherer Nerven mit negativen Auswirkungen auf den Tastsinn oder Muskelbewegungen) könne die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1 abhängig von der Symptomatik beeinträchtigen (Nr. 6.2 der Anlage 4 zur FeV). Darüber hinaus könne eine stattgefundene Hirnischämie (Schlaganfall, Mangeldurchblutung des Gehirns) Folgen wie Gesichtsfeldausfälle oder Lähmungen nach sich ziehen, die zu einer Beeinträchtigung der Fahreignung führten. Nach Nr. 6.4 der Anlage 4 zur FeV sei in diesem Fall die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1 nur nach erfolgreicher Therapie und Abklingen des akuten Ereignisses ohne Rückfallgefahr gegeben. Die Begutachtung entspreche pflichtgemäßem Ermessen. Sie sei trotz der Verwendung eines Unterzuckerungssensors durch den Antragsteller erforderlich, da die von ihm vorgelegten Befundberichte die Zweifel an seiner Fahreignung nicht ausgeräumt hätten. Die Begutachtungsaufforderung sei auch verhältnismäßig im engeren Sinn, da die persönlichen Rechte des Antragstellers aufgrund der von potentiell fahrungeeigneten Personen ausgehenden Gefahren im Straßenverkehr hinter dem öffentlichen Interesse der Verkehrssicherheit zurücktreten müssten. Auf die Rechtsfolge des § 11 Abs. 8 FeV im Fall der Nichtbeibringung des Gutachtens wurde hingewiesen.

Gegen die Begutachtungsaufforderung erhob der Antragsteller am 6. April 2023 Klage vor dem Bayerischen Verwaltungsgericht München (M 19 K 23.1729). Diese begründete er im Wesentlichen damit, dass alle ärztlichen Atteste die Fahreignung des Antragstellers bestätigten und er keinen Schlaganfall erlitten habe, sondern nur eine Neigung zu einem solchen bestehe.

Am 3. Mai 2023 übersendete der Bevollmächtigte des Antragstellers ein Attest des Diabeteszentrums … vom 18. April 2023, nach dem beim Antragsteller keine schweren Stoffwechselentgleisungen und sonstige die Fahreignung ausschließenden Folgeerkrankungen feststellbar seien. Es liege eine ausreichende Adhärenz vor und die Hypoglykämiewahrnehmung sei ungestört. Jedoch habe bei den über 24 Monate erfolgten regelmäßigen Kontrollen keine gute Stoffwechselführung ohne Unterzuckerung über drei Monate festgestellt werden können. Der Antragsteller erhalte eine medikamentöse Therapie mit hohem Hypoglykämierisiko. Im Januar 2021 habe ein Apoplex stattgefunden.

Nachdem der Antragsteller das geforderte ärztliche Gutachten nicht vorlegte, wurde er mit Schreiben vom 1. Juni 2023 zur beabsichtigten Fahrerlaubnisentziehung angehört.

Mit Bescheid vom 22. Juni 2023, zugestellt am 24. Juni 2023, entzog der Antragsgegner dem Antragsteller seine Fahrerlaubnis aller Klassen (Nr. 1 des Bescheids), gab diesem auf, seinen Führerschein innerhalb von fünf Tagen nach Zustellung dieses Bescheids dem Landratsamt zu übergeben (Nr. 2), ordnete die sofortige Vollziehung der Nr. 1 und 2 des Bescheids an (Nr. 3) und drohte für den Fall der Nichterfüllung der Nr. 2 ein Zwangsgeld in Höhe von 1.000 EUR an (Nr. 4).

Der Bescheid wurde im Wesentlichen damit begründet, dass der Antragsteller das angeordnete Gutachten nicht beigebracht habe. Deshalb könne nach § 11 Abs. 8 FeV auf seine Fahrungeeignetheit geschlossen werden. Die Anordnung des Gutachtens sei rechtmäßig erfolgt, da Zweifel an der Fahreignung des Antragstellers bestünden. Insoweit wurden die Ausführungen in der Begutachtungsaufforderung wiederholt. Das nach der Begutachtungsaufforderung vorgelegte Attest vom 18. April 2023 habe die Fahreignungszweifel nur weiter erhärtet. Die Sofortvollzugsanordnung in Nr. 3 des Bescheids sei gerechtfertigt, da gewichtige Gründe dafür bestünden, dass der Antragsteller fahrungeeignet sei und von ihm daher während des noch schwebenden Verfahrens eine Gefahr für den Straßenverkehr ausgehe. Das Interesse des Antragstellers am vorläufigen Erhalt seiner Fahrerlaubnis müsse hinter dem Interesse der Allgemeinheit, Gefahren für Leben und Körper anderer Verkehrsteilnehmer bis zum Abschluss des Klageverfahrens zu vermeiden, zurückstehen. Die Androhung des Zwangsgelds in Nr. 4 des Bescheids sei angemessen und entspreche dem wirtschaftlichen Interesse des Antragstellers am Erhalt seiner Fahrerlaubnis und seines Führerscheins.

Am 3. Juli 2023 „ergänzte“ der Antragsteller, vertreten durch seinen Bevollmächtigten, seine Klage vom 6. April 2023 um den Antrag, den Entziehungsbescheid aufzuheben (M 19 K 23.3653). Gleichzeitig beantragte er,
die aufschiebende Wirkung der Klageerweiterung gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 22. Juni 2023 anzuordnen.

Als Begründung führte er insbesondere aus, eine Notwendigkeit für die Begutachtungsaufforderung vom 7. März 2023 habe nicht bestanden; die Fahrerlaubnisbehörde habe ihr Ermessen fehlerhaft ausgeübt. Aus den vorgelegten ärztlichen Attesten gehe hervor, dass der Antragsteller fahrgeeignet sei. Der Entziehungsbescheid sei daher rechtswidrig. Dies gelte auch für die Sofortvollzugsanordnung in Nr. 3 des Bescheids. Der Antragsteller wohne auf dem Land und sei auf seine Fahrerlaubnis angewiesen.

Der Antragsgegner beantragte mit Schriftsatz vom 17. August 2023,
den Antrag abzulehnen.

Hierbei wurde im Wesentlichen auf die Begründung des streitgegenständlichen Entziehungsbescheids und auf den Klageerwiderungsschriftsatz vom 10. Mai 2023 (M 19 K 23.1729) verwiesen. Die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens könne nur unterbleiben, wenn die beigebrachten Befundberichte die Zweifel an der Fahreignung auch für medizinische Laien nachvollziehbar ausräumten, was nicht der Fall gewesen sei.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird ergänzend auf die Gerichtsakten dieses Verfahrens sowie der Klageverfahren M 19 K 23.1729 und M 19 K 23.3653 und auf die vorgelegten Behördenakten verwiesen.

II.

Der Antrag hat keinen Erfolg.

1. Der Antrag des Antragstellers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner „Klageerweiterung“ vom 3. Juli 2023 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 22. Juni 2023 ist nach interessengerechter Auslegung (vgl. § 122 Abs. 1 i.V.m. § 88 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO) so zu verstehen, dass hinsichtlich Nr. 1 und 2 des Bescheids die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung (§ 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO) und hinsichtlich Nr. 4 des Bescheids die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage beantragt wird (§ 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO).

2. Der so verstandene Antrag ist zulässig, aber unbegründet.

a) Der Antrag ist zulässig.

aa) Insbesondere ist der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO statthaft.

Der vom Antragsteller erhobenen Klage kommt in Bezug auf Nr. 1 und 2 des Bescheids vom 22. Juni 2023 keine aufschiebende Wirkung zu, da die Behörde in Nr. 3 des Bescheids die sofortige Vollziehbarkeit der vorangehenden Nummern angeordnet hat (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO). Die Klage gegen Nr. 4 des Bescheids hat kraft Gesetzes keine aufschiebende Wirkung (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. Art. 21a Sätze 1 und 2 Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz – VwZVG).

bb) Dem Antrag fehlt auch nicht das Rechtsschutzbedürfnis, da gegen den angefochtenen Bescheid rechtzeitig innerhalb der einmonatigen Frist nach § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO am 3. Juli 2023 Klage erhoben wurde.

b) Der Antrag ist jedoch unbegründet.

aa) Die Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung hinsichtlich Nr. 1 und 2 des Bescheids genügt den formellen Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Nach dieser Vorschrift ist die Anordnung der sofortigen Vollziehung schriftlich zu begründen. Dabei hat die Behörde unter Würdigung des jeweiligen Einzelfalls darzulegen, warum sie abweichend vom Regelfall der aufschiebenden Wirkung, die Widerspruch und Klage grundsätzlich zukommt, die sofortige Vollziehbarkeit des Verwaltungsakts angeordnet hat. An den Inhalt der Begründung sind dabei allerdings keine zu hohen Anforderungen zu stellen (Hoppe in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 80, Rn. 43).

Die Fahrerlaubnisbehörde hat hier nachvollziehbar dargelegt, warum sie konkret im Fall des Antragstellers im Interesse der Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs die sofortige Vollziehung angeordnet hat. Es bestünden gewichtige Gründe dafür, dass der Antragsteller fahrungeeignet sei und von ihm daher während des noch schwebenden Verfahrens eine Gefahr für den Straßenverkehr ausgehe. Der Antragsteller habe kein ärztliches Gutachten vorgelegt, sodass die Behörde nicht habe beurteilen können, ob er krankheitsbedingt fahrungeeignet ist oder eine Fahrerlaubnis unter Beschränkungen denkbar wäre. Das Interesse des Antragstellers am vorläufigen Erhalt seiner Fahrerlaubnis müsse folglich hinter dem Interesse der Allgemeinheit, Gefahren für Leben und Körper anderer Verkehrsteilnehmer bis zum Abschluss des Klageverfahrens zu vermeiden, zurückstehen.

Im Übrigen ergibt sich das besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung im Bereich des Sicherheitsrechts regelmäßig – so auch hier – gerade aus den Gesichtspunkten, die für den Erlass des Verwaltungsakts selbst maßgebend waren (vgl. BayVGH, B.v. 9.2.2012 – 11 CS 11.2272 – juris).

bb) Die im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens vorzunehmende Interessenabwägung fällt vorliegend zulasten des Antragstellers aus, weil der Bescheid vom 22. Juni 2023 bei summarischer Prüfung mit hoher Wahrscheinlichkeit rechtmäßig ist und den Antragsteller nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Klage wird voraussichtlich erfolglos bleiben.

Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung einer Klage im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 VwGO anordnen oder wiederherstellen. Das Gericht trifft dabei eine originäre Ermessensentscheidung. Es hat bei seiner Entscheidung abzuwägen zwischen dem von der Behörde geltend gemachten Interesse an der sofortigen Vollziehung ihres Bescheids und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs. Bei dieser Abwägung sind auch die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO gebotene, aber auch ausreichende summarische Prüfung, dass der Rechtsbehelf erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid schon bei summarischer Prüfung als rechtswidrig, besteht kein öffentliches Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens nicht hinreichend absehbar, verbleibt es bei einer Interessenabwägung.

Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt für die Klage gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung (stRspr, vgl. u.a. BVerwG, U.v. 23.10.2014 – 3 C 3.13 – juris Rn. 13), hier also der Erlass des Entziehungsbescheids vom 22. Juni 2023.

(1) Die Entziehung der Fahrerlaubnis (Nr. 1 des Bescheids) ist voraussichtlich rechtmäßig.

Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG und § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV hat die Fahrerlaubnisbehörde dem Inhaber einer Fahrerlaubnis, der sich als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist, die Fahrerlaubnis zu entziehen. Nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV gilt dies insbesondere, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 zur FeV vorliegen und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist.

Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken gegen die körperliche oder geistige Eignung begründen, kann die Fahrerlaubnisbehörde zur Vorbereitung von Entscheidungen über die Erteilung der Fahrerlaubnis die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens durch den Bewerber anordnen (§ 46 Abs. 3 FeV, § 11 Abs. 2 Satz 1 FeV). Hierfür reichen begründete Zweifel an der Fahreignung des Betroffenen; dessen Fahrungeeignetheit muss – wie ein Vergleich zu § 11 Abs. 7 FeV zeigt – nicht feststehen. Die Behörde darf bestimmen, welcher Facharzt die Untersuchung vornehmen soll, z.B. kann sie – wie hier – die Begutachtung durch einen Arzt einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung nach § 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 5 FeV anordnen. Bringt der Bewerber ein rechtmäßig angefordertes ärztliches Gutachten nicht oder nicht fristgerecht bei, darf die Behörde auf die Nichteignung des Bewerbers schließen (§ 11 Abs. 8 FeV).

So liegt der Fall hier. Der Schluss aus der Nichtbeibringung des angeforderten ärztlichen Gutachtens auf die fehlende Fahreignung war voraussichtlich gerechtfertigt, da die Begutachtungsaufforderung vom 7. März 2023 zum insoweit maßgeblichen Zeitpunkt ihres Erlasses (vgl. BVerwG, U.v. 4.12.2020 – 3 C 5.29 – juris Rn. 14) rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig war (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2016 – 3 C 20.15 – juris Rn. 19 m.w.N.).

(a) Dem Antragsgegner wurden Tatsachen bekannt, die Bedenken gegen die körperliche oder geistige Eignung begründen.

(aa) Zweifel an der Fahreignung des Antragstellers ergaben sich zunächst aus seiner feststehenden insulinbehandelten Diabetes-Erkrankung (s. ärztliches Gutachten des Diabeteszentrums M. – G.-P. vom 25. Juni 2020) in Verbindung mit den Kontrollberichten des Diabeteszentrums … vom 20. Juni 2021 und 12. August 2022, wonach beim Antragsteller von einer reduzierten Hypoglykämiewahrnehmung auszugehen ist. Die Voraussetzungen zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1 sind im Falle eines hohen Hypoglykämierisikos (insbesondere bei insulinpflichtigen Patienten wie dem Antragsteller) nur bei ungestörter Hypoglykämiewahrnehmung (nach Einstellung und Schulung, vgl. hierzu Kommentar zu den Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung, 3. Aufl. 2018, S. 147) gegeben (Nr. 5.4 der Anlage 4 zur FeV). Die Gefährdung der Verkehrssicherheit geht nach den Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung bei Diabetes mellitus in erster Linie vom Auftreten einer Hypoglykämie mit einer Beeinträchtigung des Konzentrations- und Reaktionsvermögens, einer eingeschränkten kognitiven Funktion und/oder einer erhöhten Schwäche und Müdigkeit aus (vgl. Kommentar zu den Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung a.a.O. S. 149, 155).

Die durch eine reduzierte Hypoglykämiewahrnehmung begründeten Fahreignungszweifel konnte der Antragsteller nicht restlos ausräumen. Nach dem diabetologischen Befundbericht vom 26. Oktober 2022 habe der Antragsteller bei medikamentöser Therapie mit hohem Hypoglykämierisiko eine ungestörte Hypoglykämiewahrnehmung, da dieser einen Unterzuckerungsalarm verwende. Jedoch müssen ärztliche Beurteilungen nachvollziehbar sein. Es dürfen keinerlei Restzweifel hinsichtlich der Fahreignung verbleiben. Aus den vorgelegten Unterlagen muss auch für den (medizinisch und psychologisch nicht geschulten) Laien nachvollziehbar und eindeutig hervorgehen, dass die ursprünglichen Bedenken unbegründet sind (vgl. BayVGH, B.v. 20.3.2020 – 11 ZB 20.145 – juris Rn. 12). Diese Anforderungen erfüllt die ärztliche Aussage im Befundbericht vom 26. Oktober 2022 über die ungestörte Hypoglykämiewahrnehmung des Antragstellers ohne weitere Erläuterung bzw. ergänzende Daten nicht.

Es bleibt zweifelhaft, inwieweit die im ärztlichen Bericht vom 12. August 2022 angesprochene Testphase mit einem Sensorgerät mit Unterzuckerungsalarm, „bei einer reduzierten Hypoglykämiewahrnehmung von ca. 60 mg/dl“, erfolgreich abgeschlossen wurde und die Wahrnehmungsdefizite des Antragstellers mit Hilfe des Sensors vollständig kompensiert werden. Hierzu trifft der Befundbericht keine erklärenden Aussagen bzw. enthält keine ergänzenden Angaben, obwohl im Schreiben des Landratsamts vom 22. September 2022 ausdrücklich auf die Notwendigkeit der Vorlage eines Befundberichts des behandelnden Diabetologen wegen der Abklärung der vorhandenen Hypoglykämiewahrnehmung hingewiesen wurde. Fahrzeugführer unter medikamentöser Therapie mit höherem Hypoglykämierisiko müssen nachweisen, dass sie ihre Erkrankung angemessen unter Kontrolle haben. Eine reduzierte Hypoglykämiewahrnehmung kann durch vermehrte Blutzuckerselbstkontrollen wiederhergestellt werden, die zu dokumentieren sind (vgl. Kommentar zu den Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung a.a.O., S. 147, 149, 160; VG Bayreuth, B.v. 21.4.2020 – B 1 S 20.291 – juris Rn. 38 m.w.N.; vgl. hierzu auch den Verweis auf die Zucker-Selbstmessungen des Antragstellers im ärztlichen Gutachten des Diabeteszentrums M. – G.-P. vom 25. Juni 2020, S. 2, 6). Eine Dokumentierung von Selbstmessungen des Antragstellers oder von Kontrollergebnissen fehlt hier. Hinzu kommt, dass im diabetologischen Befundbericht vom 26. Oktober 2022 keine gute Stoffwechselführung ohne Unterzuckerung über drei Monate festgestellt wurde (Bl. 144 BA). Die Nichtvorlage von Nachweisen für eine (lediglich für die Fahrerlaubnis der Gruppe 2) erforderliche gute Stoffwechselführung ohne schwere Unterzuckerung über drei Monate würde zwar für sich genommen noch keinen Anlass bieten, die Beibringung eines Fahreignungsgutachtens auch hinsichtlich von Fahrzeugen der Gruppe 1 anzufordern (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 6.10.2022 – 11 C 22.2076 – juris Rn. 20 ff.). Im konkreten Einzelfall verdeutlicht sie aber die tatsächliche Gefahr von Unterzuckerungen, der der Antragsteller bei seiner Teilnahme am Kraftfahrzeugverkehr jederzeit gerecht werden können muss. Im Übrigen hat der behandelnde Diabetologe im Befundberichtsformular vom 26. Oktober 2022 sein Kreuz zunächst an die Stelle „ungestörte Hypoglykämiewahrnehmung: nein“ gesetzt und dies erst später ausgebessert. Es ist nicht ausgeschlossen, dass er sich bei der Beantwortung der Frage unschlüssig war.

Das Attest vom 18. April 2023 des Diabeteszentrums …, das der Behörde erst nach dem Erlass der Begutachtungsaufforderung vom 7. März 2023 vorgelegt wurde, ist für die Rechtmäßigkeit der Begutachtungsaufforderung unbeachtlich. Im Übrigen sind auch diesem Attest keine weiteren Angaben oder eine Bezugnahme auf Selbstaufzeichnungen des Antragstellers zu entnehmen.

(bb) Zweifel an der Fahreignung des Antragstellers ergaben sich überdies aus dem neurologischen Befundbericht vom 14. Dezember 2022, wonach beim Antragsteller eine Polyneuropathie, namentlich eine leichtgradige Gangunsicherheit und eine eingeschränkte linke Fußhebung festgestellt wurden. Die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1 kann abhängig von der Symptomatik (d.h. vom Ausprägungsgrad, vgl. hierzu Kommentar zu den Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung a.a.O., S. 172) der Polyneuropathie beeinträchtigt sein; bei fortschreitendem Verlauf sind für das Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1 Nachuntersuchungen erforderlich (Nr. 6.2 der Anlage 4 zur FeV). Negative Auswirkungen auf die Fahreignung können sich durch eine Beeinträchtigung der motorischen Funktionen und der Sensibilität, z.B. durch verminderte Kontrolle der Körperhaltung und Atmung, eine verminderte Belastbarkeit, Missempfindungen (auch Schmerzen), Kreislaufdysregulation und Koordinationsstörungen ergeben, sodass das Fahrzeug nicht mehr fachgerecht bedient werden kann. Gegebenenfalls ist ein Ausgleich durch Physiotherapie, medikamentöse Behandlung, den Einsatz von Hilfsmitteln (z.B. Schienen) oder technische Fahrzeugumrüstung möglich und erforderlich (vgl. zum Ganzen Kommentar zu den Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung a.a.O., S. 172 ff.).

Vorliegend lässt sich dem Befundbericht vom 14. Dezember 2022 keine Aussage dazu entnehmen, ob die Polyneuropathie fortschreitend ist. Ohne diese ärztliche Einschätzung kann die Behörde jedoch keine rechtliche Bewertung der Fahreignung vornehmen, da die Fahreignung von der konkreten Ausprägung der Erkrankung im Einzelfall abhängt und dies vorliegend noch nicht umfassend beurteilt werden kann. Die Behörde kann auf Grundlage des neurologischen Befundberichts vom 14. Dezember 2022 auch nicht beurteilen, ob eine Fahreignung durch Kompensation (Auflagen) gegeben ist. Zudem könnte von einer Fahreignung bei fortschreitender Polyneuropathie nur ausgegangen werden, wenn regelmäßige Nachuntersuchungen stattfänden, zu denen sich der neurologische Befundbericht nicht verhält.

Soweit nach dem hausärztlichen Attest vom 18. Juli 2022 keine fortschreitende Polyneuropathie beim Antragsteller vorliegt (Bl. 118 f. BA), wird diese Einschätzung durch den Befundbericht des Neurologen vom 14. Dezember 2022 wieder in Frage gestellt. Einem Hausarzt fehlt im Übrigen aufgrund des Vertrauensverhältnisses zu seinem Patienten bzw. wegen der zu diesem entwickelten Empathie tendenziell die notwendige Distanz, um dessen Angaben kritisch zu hinterfragen oder Informationen weiterzugeben, die dem Patienten im fahrerlaubnisrechtlichen Verfahren zum Nachteil gereichen (vgl. hierzu die gesetzgeberische Wertung in § 11 Abs. 2 Satz 5 FeV, vgl. auch BayVGH, B.v. 10.10.2019 – 11 Cs 19.1451 – juris Rn. 19). Jedenfalls hat das neuere fachärztliche Attest eine neue Tatsachengrundlage geschaffen, die selbstständige Bedeutung hat (vgl. BayVGH, B.v. 21.3.2023 – 11 CS 23.273 – juris Rn. 16). Auch das Attest des Diabeteszentrums … vom 18. April 2023, nach dem beim Antragsteller keine die Fahreignung ausschließenden Folgeerkrankungen seines Diabetes mellitus feststellbar seien, vermag die Fahreignungszweifel nicht auszuräumen, da es erst nach Erlass der Begutachtungsaufforderung vorgelegt wurde und es in seiner Allgemeinheit den Befundbericht des Facharztes für Neurologie nicht erschüttert.

(cc) Schließlich ergaben sich Zweifel an der Fahreignung des Antragstellers auch aus der Feststellung „Z.n. Schlaganfall 01/2021“ im diabetologischen Befundbericht vom 26. Oktober 2022. Das Gericht hat keine Zweifel daran, dass es sich bei dieser Abkürzung um den medizinischen Ausdruck für „Zustand nach“ Schlaganfall 01/2021 handelt. Dass der Antragsteller im Jahr 2021 einen Schlaganfall erlitten hat, ergibt sich auch im Zusammenhang mit der Zeitangabe „01/2021“, die im Falle einer bloßen Neigung zu Schlaganfällen keinen Sinn ergeben würde. Im Übrigen wurde ein Schlaganfall des Antragstellers im Jahr 2021 im Attest des Diabeteszentrums … vom 18. April 2023 erwähnt („Apoplex 01/2021“). Nach Nr. 6.4 der Anlage 4 zur FeV ist im Fall kreislaufabhängiger Störungen der Hirntätigkeit (Hirnblutung oder Hirnischämie (Schlaganfall), vgl. hierzu Kommentar zu den Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung a.a.O., S. 179) die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1 nur gegeben nach erfolgreicher Therapie und Abklingen des akuten Ereignisses ohne Rückfallgefahr. Darüber hinaus sind für das Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1 Nachuntersuchungen in Abständen von ein, zwei und vier Jahren erforderlich. Da Schlaganfälle schwerwiegende Auswirkungen auf die Fahreignung (Unfälle bzw. Kontrollverlust, z.B. durch Gesichtsfeldausfälle, Gleichgewichtsstörungen oder Lähmungen) haben können, setzt eine medizinische Beurteilung der Fahreignung in der Regel eine stationäre Untersuchung voraus. Eine Wiederholungsgefahr oder plötzliche transitorische Attacken müssen ausgeschlossen sein (vgl. zum Ganzen Kommentar zu den Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung a.a.O., S. 179, 183).

Der Antragsteller hat trotz Aufforderung der Fahrerlaubnisbehörde, ihren Fragebogen zum stattgefundenen Schlaganfall einem Neurologen zur Beantwortung vorzulegen, ein neurologisches Attest zu seinem Schlaganfall nicht in der bis zum 17. Januar 2023 gesetzten Frist und auch bis heute nicht vorgelegt. Die Zweifel an der Fahreignung des Antragstellers wegen möglicher Folgeschäden wurden daher nicht ausgeräumt.

(b) Der Antragsgegner hat sein Ermessen fehlerfrei ausgeübt.

Die Anordnung ist geeignet, die bestehenden Fahreignungszweifel zu beseitigen.

Die Behörde ist voraussichtlich auch zu Recht davon ausgegangen, dass die Begutachtungsanordnung erforderlich ist, da mildere gleich effektive Mittel nicht ersichtlich sind. Hinsichtlich des Schlaganfalls hat der Antragsteller trotz Aufforderung der Behörde kein ärztliches Attest vorgelegt. Der vorgelegte neurologische Befundbericht vom 14. Dezember 2022 war offensichtlich unzureichend, da er weitere Zweifel an der Fahreignung aufwarf. Auch hinsichtlich der Grunderkrankung Diabetes mellitus war es voraussichtlich nicht geboten, vor der Begutachtungsaufforderung neben dem diabetologischen Befundbericht vom 26. Oktober 2022 noch ein weiteres ärztliches Attest anzufordern. Der Antragsteller wurde in der Aufforderung zur Beibringung des diabetologischen Befundberichts am 22. September 2022 ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sich der Bericht gerade zur Problematik der eingeschränkten Hypoglykämiewahrnehmung äußern soll (Bl. 124 BA). Auch wenn dem Fragebogen zusätzliche Fragen zu entnehmen sind, musste dem Antragsteller klar sein, dass der Schwerpunkt auf der Frage der Hypoglykämiewahrnehmung liegt und ein bloßer Verweis des Arztes auf die Verwendung eines Unterzuckerungssensors durch den Antragsteller nicht ausreichen würde, zumal er für das ärztliche Gutachten vom 25. Juni 2020 zur Beurteilung dieser Frage Zucker-Selbstmessungen vorlegen musste. Dass es sich bei der Frage der Hypoglykämiewahrnehmung um ein zentrales und eingehend zu überprüfendes Kriterium für seine Fahreignung handelt, musste dem Kläger auch deshalb bewusst sein, weil in den mit rechtskräftigen Auflagen vom 24. September 2020 angeordneten jährlichen diabetologischen Nachuntersuchungen ausdrücklich die Hypoglykämiewahrnehmung jeweils erneut überprüft werden sollte. Darüber hinaus ist der diabetologische Bericht vom Antragsteller erst nach einer Fristverlängerung vorgelegt worden (Bl. 138 BA) und hat er auch hinsichtlich des Schlaganfalls und der Polyneuropathie keine bzw. keine ausreichenden ärztlichen Atteste vorgelegt. Auch an die in den Auflagen vom 24. September 2020 angeordnete unaufgeforderte Vorlage der jährlichen Nachuntersuchungen musste der Antragsteller erinnert werden (Bl. 120 BA), sodass die Behörde nicht von einer vollständigen und rechtzeitigen Aufklärung ohne Anforderung eines ärztlichen Gutachtens ausgehen konnte (zu einem andersgearteten Fall, in welchem der Diabetiker uneingeschränkt Mitwirkungsbereitschaft zeigte, die Behörde nicht hinreichend deutlich gemacht hatte, welche Fragen durch die angeforderten Befundberichte abgeklärt werden sollten, und auch keine Hinweise für eine eingeschränkte Hypoglykämiewahrnehmung bestanden vgl. VG Bayreuth, B.v. 21.4.2020 – B 1 S 20.291 – juris Rn. 41, 43; in zweiter Instanz BayVGH, B.v. 5.10.2020 – 11 CS 20.1203 – juris Rn. 21).

Die Begutachtungsaufforderung ist nach summarischer Prüfung auch angemessen, da die Behörde in nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis gelangt ist, dass die persönlichen Rechte des Antragstellers aufgrund der von potentiell fahrungeeigneten Personen ausgehenden Gefahren im Straßenverkehr hinter dem öffentlichen Interesse der Verkehrssicherheit zurücktreten müssen.

Die Fragestellung in der Begutachtungsaufforderung ist ebenfalls voraussichtlich rechtmäßig, anlassbezogen und verhältnismäßig (vgl. hierzu die identische und dem Grunde nach nicht beanstandete Fragestellung in VG Bayreuth, B.v. 21.4.2020 – B 1 S 20.291 – juris Rn. 7 ff.; in zweiter Instanz BayVGH B.v. 5.10.2020 – 11 CS 20.1203 – juris). Dies gilt im streitgegenständlichen Fall auch, soweit sich die Begutachtungsaufforderung auf die Grunderkrankung Diabetes mellitus erstreckt. Zwar dürfte vor dem Hintergrund, dass die Mehrzahl an Diabetes-Erkrankten fahrgeeignet und eine Begutachtung dieser Grunderkrankung ohne weiteren Anlass nicht geboten ist, zunächst eine gesonderte Begutachtung im Hinblick auf Folgeerkrankungen ausreichend sein. Hier bestanden aber gerade Zweifel an der Hypoglykämiewahrnehmung des Antragstellers, sodass die Begutachtungsaufforderung sich auf die Grunderkrankung erstrecken durfte (vgl. BayVGH a.a.O., Rn. 22).

Eine ca. zweimonatige Frist zur Beibringung des Gutachtens ist üblich und daher ebenfalls angemessen (dies gilt sogar für die eingriffsintensivere medizinisch-psychologische Untersuchung, vgl. hierzu BayVGH, B.v. 4.1.2021 – 11 CS 20.2536 – juris Rn. 3; VGH BW, B.v. 21.6.2023 – 13 S 473/23 – juris Rn. 7).

(c) In formeller Hinsicht ist die Begutachtungsaufforderung nach summarischer Prüfung nicht zu beanstanden (vgl. § 11 Abs. 6 FeV).

(d) Die Voraussetzungen des § 11 Abs. 8 FeV sind erfüllt. Der Antragsteller hat das rechtmäßig angeordnete ärztliche Gutachten nicht innerhalb der gesetzten zweimonatigen Frist beigebracht, obwohl er auf die Folgen des § 11 Abs. 8 FeV in der Anordnung hingewiesen worden ist. Der Antragsgegner durfte daher ohne weitere Prüfung von der Fahruntauglichkeit des Antragstellers ausgehen und diesem nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG und § 46 Abs. 1 Satz 1, 2 FeV die Fahrerlaubnis entziehen. Der Gesetzgeber hat die typischerweise mit der Fahrerlaubnisentziehung einhergehenden negativen Folgen in privater und beruflicher Hinsicht bei Erlass der Regelungen zur Fahrerlaubnisentziehung berücksichtigt und als zumutbar eingestuft, sodass das Argument des Antragstellers, auf die Fahrerlaubnis aufgrund seines Wohnsitzes auf dem Land angewiesen zu sein, mit Blick auf die schwerwiegenden Gefahren für andere Verkehrsteilnehmer durch ungeeignete Kraftfahrer nicht durchgreift.

(2) Da somit die sofortige Vollziehung der Entziehung der Fahrerlaubnis der summarischen gerichtlichen Überprüfung standhält, ist auch die Abgabeverpflichtung als begleitende Anordnung (Nr. 2 des Bescheids), die ebenfalls für sofort vollziehbar erklärt wurde, geboten, um die Ablieferungspflicht nach § 47 Abs. 1 FeV durchzusetzen.

(3) Auch die Zwangsgeldandrohung in Nr. 4 des Bescheids erweist sich vor diesem Hintergrund voraussichtlich als rechtmäßig, sodass der diesbezüglich gestellte Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO ebenso wenig Erfolg hat.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG) i.V.m. Nrn. 1.5 und 46 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.


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