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Entscheidungen

StPO

Strafantrag, Inhalt, konkrete Tatbezeichnung, Schuldunfähigkeit, wahnhafte Störung, Urteilsgründe

Gericht / Entscheidungsdatum: BayObLG, Beschl. v. 10.09.2024 - 203 StRR 326/24

Leitsatz des Gerichts:

1. Ein Strafantrag muss sich auf eine bestimmte Tat beziehen. Steht im Raum, dass der Täter zahlreiche Beleidigungen an unterschiedlichen Tagen begangen hat, werden diese weiteren Taten vom Strafantrag nicht erfasst, wenn der Betroffene in seiner Anzeige nur eine Handlung konkret schildert.
2. Wahnhafte Störungen können sich bei akuten psychotischen Phasen erheblich auf das Einsichtsvermögen auswirken. Aber auch die Steuerungsfähigkeit kann tangiert oder aufgehoben sein. Steuerungsfähigkeit im Sinne von § 20 StGB bedeutet die Fähigkeit, entsprechend der vorhandenen Unrechtseinsicht zu handeln. Die Steuerungsfähigkeit ist betroffen, wenn einem Wahnkranken in Situationen, die durch den Wahn bestimmt sind, Handlungsalternativen praktisch nicht zur Verfügung stehen.
3. Um die revisionsgerichtliche Nachprüfung der Voraussetzungen von §§ 20, 21 StGB zu ermöglichen, hat das Tatgericht die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Schlussfolgerungen des psychiatrischen Sachverständigen mitzuteilen und sich erkennbar selbst mit ihnen auseinanderzusetzen. Unerlässlich ist eine konkretisierende Darstellung, in welcher Weise sich die näher festgestellte psychische Störung auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in der konkreten Tatsituation und damit auf seine Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat. Beurteilungsgrundlage ist das konkrete Tatgeschehen, wobei neben der Art und Weise der Tatausführung auch die Vorgeschichte, der Anlass der Tat, die Motivlage und das Verhalten nach der Tat von Bedeutung sein können. Folgt das Tatgericht einem Sachverständigen, muss es dessen wesentliche Anknüpfungstatsachen und Darlegungen in den schriftlichen Urteilsgründen so wiedergeben, wie dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich ist. Generalisierende Ausführungen zum Störungsbild, die nicht auf den konkreten Zustand des Angeklagten zum Tatzeitpunkt und eine mögliche direkte Beziehung von Tathandlung zum Wahnthema eingehen, genügen diesen Anforderungen nicht.


Bayerisches Oberstes Landesgericht
203 StRR 326/24

In dem Strafverfahren
gegen pp.

wegen Beleidigung

erlässt das Bayerische Oberste Landesgericht - 3. Strafsenat - durch die unterzeichnenden Richter am 10. September 2024 folgenden

Beschluss

I. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Ansbach vom 18. April 2024 aufgehoben. Jedoch bleiben die Feststellungen zu den objektiven Tatgeschehen am 31. Mai 2022 und am 11. Juni 2022 aufrechterhalten.
II. Soweit die Angeklagte wegen einer am 3. Juni 2022 begangenen Beleidigung verurteilt worden ist, wird das Verfahren eingestellt; in diesem Umfang fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Angeklagten der Staatskasse zur Last.
III. Die Sache wird im übrigen zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Ansbach zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Weißenburg in Bayern hat die Angeklagte mit Urteil vom 18. April 2023 wegen Beleidigung in vier tatmehrheitlichen Fällen, in einem Fall rechtlich zusammentreffend mit tätlicher Beleidigung und mit Körperverletzung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 7 Monaten verurteilt. Auf die Berufungen der Angeklagten und der Staatsanwaltschaft hat das Landgericht Ansbach das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Angeklagte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 8 Monaten verurteilt und die Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Gegen dieses Urteil wendet sich die Angeklagte mit der allgemeinen Sachrüge. Die Generalstaatsanwaltschaft München beantragt, das Rechtsmittel als unbegründet zu verwerfen.

II.

Der Revision ist der vorläufige Erfolg nicht zu versagen.

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts leidet die Angeklagte an einer psychotischen Störung mit chronischem Verfolgungswahnsyndrom, deutlicher Stigmatisierung und „mitunter beträchtlicher affektiver Dynamik“, zusätzlich unter akustischen Halluzinationen mit „zum Teil lebhaften affektiven Reaktionen“. Die Diagnose lautet auf chronisches paranoides Syndrom, am ehesten im Sinne einer anhaltenden wahnhaften Störung mit Wahnwahrnehmungen, differentialdiagnostisch eine paranoid-halluzinatorische Psychose ungeklärter Ursache. Die Angeklagte ist seit dem Jahr 2007 strafrechtlich wiederholt mit Beleidigungen aufgefallen. Zu den verfahrensgegenständlichen Taten hat das Landgericht festgestellt, dass die Angeklagte am 31. Mai 2022 ihre Nachbarin W. als „Wolfshure“ und am 3. und 11. Juni 2022 ihren Nachbarn W. ohne Anlass unter anderem als „Hurensohn“ betitelte. Ebenfalls am 11. Juni 2022 belegte sie ihren Nachbarn J., der ihr Grundstück betreten hatte, mit dem Schimpfwort „Arschfotze“, schlug ihn mit der Faust gegen die Brust und spuckte ihm ins Gesicht.

2. Die Angeklagte hat in der Hauptverhandlung die Vorwürfe bestritten und behauptet, der Geschädigte P. hätte sie, als sie ihn des Grundstücks verwiesen hätte, tätlich angegriffen. Sie habe gegen ihn auch eine Anzeige erstattet, weil sie bei dem Vorfall Hämatome erlitten hätte. Das Landgericht hat die Feststellungen zu den Taten ausschließlich auf die Aussagen der Nachbarn gestützt. Sachverständig beraten hat die Strafkammer angenommen, dass bei der Angeklagten ein paranoid geprägtes Gedankengebäude vorliege. Nach den Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen sei die Angeklagte der Überzeugung, dass sich Nachbarn zusammengeschlossen hätten, um sie fertig zu machen. Sie höre Stimmen, fühle sich verfolgt und sei der Ansicht, sie solle vertrieben werden. Aufgrund der wahnhaften Interpretation von Vorgängen sei ihre Steuerungsfähigkeit bei Begehung der Taten sicher erheblich im Sinne von § 21 StGB vermindert, aber nicht aufgehoben gewesen. Sie sei den Wahngedanken nicht völlig ausgeliefert, eine Regulation der Intensität ihrer Abwehrhandlungen und ihre Fähigkeit zur aufschiebenden Handlungsplanung sei durchgehend erhalten, es komme nicht zu einer völligen Handlungs- und Wahrnehmungsdesorganisation oder einem unwiderstehlichen Handlungsdruck. Bestimmender Faktor sei die empfundene Wut oder der Ärger, weshalb die Angeklagte Verhaltensalternativen nicht in Erwägung ziehe. Ihre Willensbestimmung sei nicht außer Kraft gesetzt, ihre Einsichtsfähigkeit nicht beeinträchtigt.

3. Die Revision der Angeklagten führt auf die Sachrüge hin zur Aufhebung des Urteils.

a) Soweit die Angeklagte wegen einer am 3. Juni 2022 zum Nachteil des Zeugen W. begangenen Beleidigung verurteilt worden ist, wird das Verfahren nach § 206a Abs. 1 StPO eingestellt. Es fehlt an dem nach § 194 Abs. 1 Satz 1 StGB erforderlichen schriftlichen Strafantrag des Verletzten. Das Revisionsgericht prüft das Vorhandensein der Verfahrensvoraussetzungen von Amts wegen im Freibeweisverfahren. Diese Prüfung ergibt, dass der Zeuge W. bezüglich der Tat vom 3. Juni 2022 keinen wirksamen Strafantrag gestellt hat. Der Geschädigte hat bei seiner Aussage am „14“. Juni 2022 bei der Polizei, auf die seine beiden Strafanträge vom „13“. und vom „14“. Juni 2022 (Bl. 16 und Bl. 31 der Akte 1111 Js 8078/22) verwiesen, neben der Tat vom 11. Juni 2022 keine weitere beleidigende Äußerung hinreichend nach Wortlaut und Tatumständen konkretisiert zur Anzeige gebracht, sondern allgemein von Beschimpfungen „in jüngster Vergangenheit vermehrt“ gesprochen. Ein Strafantrag muss sich jedoch auf eine bestimmte Tat beziehen (vgl. Dallmeyer in BeckOK-StGB, 61. Ed., § 77 StGB Rn. 11; BGH, Beschluss vom 20. April 2017 – 2 StR 79/17 –, juris Rn. 23). Da innerhalb der Antragsfrist kein wirksamer Strafantrag gestellt wurde und dieser nach Fristablauf nicht mehr nachgeholt werden kann, darf die Angeklagte nicht mehr wegen dieser Beleidigung bestraft werden.

b) Die Schuldfähigkeitsprüfung hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.

aa) Wahnhafte Störungen können sich bei akuten psychotischen Phasen erheblich auf die Schuldfähigkeit - insbesondere das Einsichtsvermögen - auswirken (BGH, Beschluss vom 12. August 2021 – 1 StR 242/21 –, juris Rn. 10; BGH, Urteil vom 4. Juli 2018 - 5 StR 580/17-, juris Rn. 10). Aber auch die Steuerungsfähigkeit kann tangiert oder aufgehoben sein. Steuerungsfähigkeit im Sinne von § 20 StGB bedeutet die Fähigkeit, entsprechend der vorhandenen Unrechtseinsicht zu handeln; es geht dabei um Hemmungsvermögen, Willenssteuerung und Entscheidungssteuerung, nicht aber um exekutive Handlungskontrolle. Entscheidend kommt es auf die motivationale Steuerungsfähigkeit an, also auf die Fähigkeit, das eigene Handeln auch bei starken Wünschen und Bedürfnissen normgerecht zu kontrollieren und die Ausführung normwidriger Motivationen zu hemmen (vgl. BGH, Beschluss vom 30. September 2021 ‒ 5 StR 325/21-, juris Rn. 15). Die Steuerungsfähigkeit ist betroffen, wenn einem Wahnkranken in Situationen, die durch den Wahn bestimmt sind, Handlungsalternativen praktisch nicht zur Verfügung stehen (st. Rspr., vgl. BGH, Beschluss vom 12. August 2021 a.a.O. Rn. 10; BGH, Beschlüsse vom 24. September 2014 - 2 StR 235/14-, Rn. 8 und vom 19. Dezember 2013 - 2 StR 534/13-, Rn. 5, zitiert nach juris). Um die revisionsgerichtliche Nachprüfung der Voraussetzungen von §§ 20, 21 StGB zu ermöglichen, hat das Tatgericht die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Schlussfolgerungen des psychiatrischen Sachverständigen mitzuteilen und sich erkennbar selbst mit ihnen auseinanderzusetzen (vgl. Fischer, StGB, 71. Aufl., § 20 Rn. 65 m.w.N.). Unerlässlich ist eine konkretisierende Darstellung, in welcher Weise sich die näher festgestellte psychische Störung auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in der konkreten Tatsituation und damit auf seine Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (st. Rspr., vgl. BGH, Beschluss vom 26. Oktober 2022 – 4 StR 366/22 –, juris Rn. 5; BGH, Beschluss vom 12. August 2021 a.a.O. Rn. 11 m.w.N.; Fischer a.a.O. § 20 Rn. 42b). Beurteilungsgrundlage ist das konkrete Tatgeschehen, wobei neben der Art und Weise der Tatausführung auch die Vorgeschichte, der Anlass der Tat, die Motivlage und das Verhalten nach der Tat von Bedeutung sein können (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Oktober 2022 a.a.O. Rn. 5 m.w.N.). Folgt das Tatgericht einem Sachverständigen, muss es dessen wesentliche Anknüpfungstatsachen und Darlegungen in den schriftlichen Urteilsgründen so wiedergeben, wie dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich ist (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 26. Oktober 2022 a.a.O. Rn. 5).

bb) Diesen Anforderungen genügt das Urteil nicht. Es fehlt an auf die verfahrensgegenständlichen Taten bezogenen Erwägungen und an einem Eingehen auf die Zeugenaussagen. Sämtliche Zeugen haben übereinstimmend bekundet, dass die Angeklagte immer wieder ähnliche Beleidigungen und Beschimpfungen aussprechen würde. Auch im Vorfeld der letzten Tat vom 11. Juni 2022 soll sie bereits den ganzen Nachmittag auf ihrem Grundstück herumgeschrien und eine Vielzahl von Beschimpfungen geäußert haben. Der Geschädigte P. hat zudem berichtet, die Angeklagte sei „immer hin und her gerannt“, hätte bei seiner Ansprache nervös und mit der Situation überfordert gewirkt und ihn nicht erkannt. Das Gutachten des Sachverständigen, dem sich das Landgericht in seinem Urteil angeschlossen hat, beschränkt sich demgegenüber auf generalisierende Ausführungen zum Störungsbild, ohne auf den konkreten Zustand der Angeklagten zu den jeweiligen Tatzeitpunkten und eine mögliche direkte Beziehung von Tathandlung zum Wahnthema einzugehen. So bleiben die übereinstimmend von den Eheleuten P. geschilderte cognitive Störung (Urteil S. 12 und 13) und die von mehreren Zeugen bekundete gesteigerte verbale Aktivität (Urteil S. 11 bis 13) und die unangemessene motorische Aktivität (Urteil S. 12) unerörtert. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den von der Angeklagten behaupteten Hämatomen und die gebotene Einbettung des Betretens des Grundstücks in das vom Sachverständigen attestierte Wahngebäude des Verfolgt – und Vertriebenwerdens fehlen. Ob psychiatrische Vorbefunde vorhanden sind, ist ebenfalls offen. Es kommt daher nicht mehr darauf an, dass die vom Sachverständigen verwendete Formulierung, die Angeklagte ziehe (krankheitsbedingt) Handlungsalternativen nicht in Erwägung, eine Aufhebung der Steuerungsfähigkeit nahelegen kann.

4. Die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen können bestehen bleiben, weil sie nicht von dem Rechtsfehler betroffen sind (§ 353 Abs. 2 StPO). Ergänzende Feststellungen sind möglich. Der neue Tatrichter wird bei der Erörterung des Vorstellungsbilds der Angeklagten auch Ausführungen dazu machen müssen, ob der Angriff auf den Zeugen P. unter Berücksichtigung des damaligen psychischen Zustands der Angeklagten möglicherweise nach § 32 StGB gerechtfertigt oder nach § 33 StGB entschuldigt (zum intensiven Notwehrexzess vgl. Zieschang in Leipziger Kommentar zum StGB, 13. Auflage, § 33 StGB Rn. 5 und 6; Fischer a.a.O. § 33 Rn. 3) war, nachdem sich der Geschädigte nach eigenen Angaben geweigert hatte, ihr Grundstück zu verlassen, obwohl ihn die Angeklagte zuvor zweimal dazu aufgefordert hatte.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 Abs.1 StPO. Soweit das Verfahren an eine andere Strafkammer zurückverwiesen wird, ist keine Kostenentscheidung veranlasst.


Einsender: 3. Strafsenat des BayObLG

Anmerkung:


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