Gericht / Entscheidungsdatum: LG Bochum, Beschl. v. 20.12.2024 - 9 Qs 35/24
Eigener Leitsatz:
Die zusätzliche Verfahrensgebühr gemäß Nrn. 4141, 5115 VV RVG entsteht dann nicht, wenn die Einstellung des Verfahrens in der Hauptverhandlung erfolgt, selbst wenn dadurch weitere Hauptverhandlungstage entbehrlich werden.
II-9 Qs-152 Js 120/24-35/24
Landgericht Bochum
Beschluss
In dem Beschwerdeverfahren
betreffend pp.
Verteidiger:
hat die 9. große Strafkammer des Landgerichts Bochum auf die sofortige Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Herne-Wanne vom 07.06.2024 - Az: 44 OWi 12/24 - durch die Vorsitzende Richterin am Landgericht pp., die Richterin am Landgericht pp. und die Richterin am Landgericht pp. am 20.12.2024 beschlossen:
Auf die sofortige Beschwerde der Bezirksrevisorin beim Landgericht Bochum wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichts Herne-Wanne vom 07.06.2024 abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die dem früheren Betroffenen pp. nach dem rechtskräftigen Beschluss des Amtsgerichts Herne-Wanne vom 23.04.2024, Az.: 44 OWi-152 Js 120/24-12/24, aus der Landeskasse gemäß § 467 StPO zu erstattenden notwendigen Auslagen werden auf 836,81 EUR festgesetzt.
Im Übrigen wird der Antrag vom 23.04.2024 zurückgewiesen.
Die Beschwerdeentscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Gründe:
I.
Die Stadt Herne erließ gegen den Betroffenen unter dem 15.12.2023 einen Bußgeldbescheid, mit welchem diesem vorgeworfen wurde, unzulässig in zweiter Reihe geparkt und dadurch einen Kehrwagen der Stadt Herne behindert zu haben, und setzte ein Bußgeld von 80,00 EUR fest. Gegen den dem Betroffenen am 22.12.2023 zugestellten Bußgeldbescheid legte dieser durch seinen Verteidiger am 29.12.2023 Einspruch ein.
Das Amtsgericht Herne-Wanne bestimmte Termin zur Hauptverhandlung auf den 23.04.2024. In der Hauptverhandlung am 23.04.2024 stellte das Amtsgericht Herne Wanne das Verfahren sodann nach Vernehmung des Zeugen pp. gemäß § 47 Abs. 2 OWiG ein; die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Betroffenen wurden der Staatskasse auferlegt. Mit Vermerk vom 23.04.2024 führte das Amtsgericht zu den Gründen der Einstellung aus, dass das Verfahren eingestellt worden sei, da eine weitere Verfolgung nicht für geboten erachtet werde. Ausweislich des bisherigen Akteninhalts und der Vernehmung des Zeugen pp. sei vorliegend davon auszugehen, dass es auch bei Fortführung des Verfahrens durch Vernehmung des weiteren Zeugen pp. nicht zu einer Verurteilung kommen werde. Nach dem bisherigen Akteninhalt erscheine ein Freispruch überwiegend wahrscheinlich, eine Vernehmung des weiteren Zeugen in Anbetracht dessen und der festgesetzten Geldbuße von 80,00 EUR unverhältnismäßig.
Unter dem 23.04.2024 beantragte der Verteidiger des Betroffenen, die notwendigen Auslagen des Betroffenen auf 1.046,23 EUR festzusetzen Im Einzelnen machte er folgende Gebühren und Pauschalen geltend:
Grundgebühr Nr. 5100 VV RVG 110,00 EUR
Verfahrensgebühr Nr. 5103 VV RVG 176,00 EUR
Verfahrensgebühr Nr. 5109 VV RVG 140,80 EUR
Terminsgebühr Nr. 5110 VV RVG 224,40 EUR
Verfahrensgebühr Nr. 5115,5103 VV RVG 176,00 EUR
Aktenversendungspauschale Stadt Heren 12,00 EUR
Pauschale für Post und Telekommunikation Nr. 7002 VV RVG 40,00 EUR
19 % Mehrwertsteuer Nr. 7008 VV RVG 167,05 EUR
Gesamtbetrag 1.046,25 EUR
Gegen die beantragte Festsetzung äußerte der Bezirksrevisor bei dem Landgericht Bochum unter dem 06.05.2024 Bedenken. Die Gebühr gemäß Nr. 5115 VV RVG sei nicht entstanden. Sie könne zwar entstehen, wenn bereits eine Hauptverhandlung stattgefunden habe; erfolge die Einstellung jedoch im Hauptverhandlungstermin, entstehe sie nicht. Demgegenüber hielt der Verteidiger mit Schreiben vom 24.05.2024 an seiner Rechtsauffassung fest, dass die Gebühr Nr. 5115 VV RVG entstanden sei. Entgegen der Rechtsauffassung des Bezirksrevisors könne die Gebühr auch dann entstehen, wenn die Einstellung in der Hauptverhandlung erfolge. Aus dem Wortlaut von Nr. 5115 VV RVG sei die von dem Bezirksrevisor benannte einschränkende Auslegung nicht ersichtlich. Dies ergebe sich auch aus dem Gesetzeszweck, einen Anreiz zu schaffen, sich trotz der Gebühreneinbuße um eine möglichst frühzeitige Erledigung des Verfahrens ohne Hauptverhandlung zu bemühen. Unter Zugrundelegung der Auffassung des Bezirksrevisors habe der Verteidiger keinen Anreiz, sich um eine Erledigung des Verfahrens im ersten Hauptverhandlungstermin zu bemühen, da er hierdurch eine Terminsgebühr für den zweiten Hauptverhandlungstermin verliere.
Das Amtsgericht Herne-Wanne setzte mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 07.06.2024, welcher der Bezirksrevisorin bei dem Landgericht Bochum am 11.06.2024 zugestellt wurde, die notwendigen Auslagen des Betroffenen auf 1.046,25 EUR fest. Zur Begründung führte es aus, dass die Gebühr Nr. 5115, 5103 VV RVG in Höhe von 176,00 EUR nebst anteiliger Mehrwertsteuer in Ansatz zu bringen sei. Die Norm verfolge das Ziel, weitere Hauptverhandlungstermine zur Schonung der Ressourcen der Justiz zu verhindern, sofern dies der Rechtsfindung nicht abträglich sei. Es solle der Anreiz geschaffen werden, dass ein Rechtsanwalt, der nachvollziehbar ein Interesse am Verdienen von Gebühren habe, Abstand davon nehme, lediglich aus gebührentaktischen Erwägungen mangels möglichen Einlenkens einen weiteren Verhandlungstermin erforderlich mache. Im vorliegenden Verfahren ergebe sich aus dem Vermerk des Vorsitzenden vom 23.04.2024, dass ein weiterer Zeuge in einem weiteren Termin zur Vernehmung angestanden habe. Die Unterbrechung der Verhandlung habe zielführend ergeben, dass eine Einstellung ohne weitere Vernehmung des weiteren Zeugen habe erfolgen können. Hierdurch werde die Landeskasse durch die in Rede stehende Gebühr nebst anteiliger Mehrwertsteuer zwar belastet. Diese falle jedoch geringer aus als eine weitere Verhandlungsgebühr. Diese Verminderung gehe im Gegenzug zu Lasten des Rechtsanwalts, der in einem weiteren Termin gegebenenfalls eine höhere Gebühr habe verdienen können. Dieses ausgleichende Moment entspreche dem Sinn und Zweck der Vorschrift.
Gegen diesen Beschluss wendet sich die Bezirksrevisorin bei dem Landgericht Bochum mit als „sofortige Erinnerung" bezeichnetem Rechtsbehelf vom 11.06.2024, welcher beim Amtsgericht Herne-Wanne am 12.06.2024 eingegangen ist. Zur Begründung führt sie aus, dass die zusätzliche Gebühr gemäß Nr. 5115 VV RVG nicht entstanden sei. Insoweit werde auf die Stellungnahme vom 06.05.2024 Bezug genommen. Habe eine Hauptverhandlung stattgefunden und werde das Verfahren in der Hauptverhandlung eingestellt, entstehe die Gebühr nicht.
Die Sache ist dem Landgericht als Beschwerdegericht vorgelegt worden. Auf den rechtlichen Hinweis der Kammer vom 08.08.2024 hat der Verteidiger des Betroffenen nochmals unter dem 12.08.2024 Stellung genommen. Darin führt der Verteidiger insbesondere aus, dass die sogenannte „herrschende Meinung" in sich nicht folgerichtig beziehungsweise konsequent sei. Dies ergebe sich, wenn man von dem Gesetzeszweck ausgehe, die Mitwirkung des Rechtsanwaltes an der Entlastung der Justiz zu honorieren beziehungsweise einen Ausgleich dafür zu schaffen, dass ihm aufgrund seiner Mitwirkung eine Hauptverhandlungsgebühr entgehe. Denn unstreitig würde ein Verteidiger für einen zweiten Hauptverhandlungstermin eine Terminsgebühr verdienen, auch dann, wenn es sich bei dem zweiten Hauptverhandlungstermin um einen Fortsetzungstermin handele.
Der Rechtsbehelf der Bezirksrevisorin bei dem Landgericht Bochum vom 11.06.2024 ist als sofortige Beschwerde gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichts Herne-Wanne vom 07.06.2024 auszulegen.
Die sofortige Beschwerde ist zulässig, insbesondere gemäß §§ 464b S. 3 StPO, 104 Abs. 3 S. 1 ZPO, 11 Abs. 1 RPflG statthaft und innerhalb der Zweiwochenfrist des § 464b S. 4 StPO eingelegt.
Die sofortige Beschwerde ist auch begründet.
Das Amtsgericht Herne-Wanne hat rechtsfehlerhaft bei der Festsetzung der notwendigen Auslagen des Betroffenen eine Gebühr gemäß Nr. 5115 VV RVG zuzüglich Mehrwertsteuer in Ansatz gebracht. Eine Gebühr gemäß Nr. 5115 VV RVG ist im hiesigen Verfahren jedoch nicht entstanden.
Eine Gebühr gemäß Nr. 5115 VV RVG entsteht lediglich dann, wenn durch die anwaltliche Mitwirkung das Verfahren vor der Verwaltungsbehörde erledigt oder die Hauptverhandlung entbehrlich wird. Dies ist im hiesigen Verfahren nicht der Fall gewesen.
Vorliegend ist es zwar durch anwaltliche Mitwirkung zu einer Einstellung des Verfahrens in der Hauptverhandlung gekommen, aufgrund derer es einer Anberaumung weiterer Hauptverhandlungstermine nicht mehr bedurft hat. Die Gebühr gemäß Nr. 5115 VV RVG entsteht jedoch nach herrschender Meinung in Rechtsprechung und Literatur, der sich die Kammer nach eigener kritischer Prüfung anschließt, dann nicht, wenn die Einstellung - wie vorliegend - in der Hauptverhandlung erfolgt, selbst wenn dadurch weitere Hauptverhandlungstage entbehrlich werden (vgl. Burhoff/ Volpert, RVG, 6. Aufl. 2021, Nr. 5115 VV Rn. 21 (letzter Absatz) und Nr. 4141 VV Rn. 45 Nr. 14; HK-RVG/Krumm, 8. Aufl. 2021, RVG W 5115 Rn. 7 m. w. N.; BeckOK RVG/Knaudt, 64. Ed. 1.6.2024, RVG VV 5115 Rn. 11.1 m. w. N.; Ahlmann/ Kapischke/Pankatz/Rech/Schneider/Schütz/Kapischke, 11. Aufl. 2024, RVG VV 5115 Rn. 3 m. w. N.; LG Siegen, Beschluss vom 03.07.2020, 10 Qs 61/20, BeckRS 2020,37917; vgl. zu Nr. 4141 VV RVG: BGH, Urteil vom 14.04.2011, IX ZR 153/10, NJW 2011, 3166 m. w. N.).
Eine Ausdehnung des Anwendungsbereiches auf die vorliegende Sachverhaltskonstellation ist auch entgegen der Rechtsauffassung des Verteidigers weder mit dem Wortlaut noch mit dem Sinn und Zweck des Gebührentatbestandes in Einklang zu bringen.
Nach dem Wortlaut des Gebührentatbestandes entsteht die Gebühr gemäß Nr. 5115 VV RVG lediglich dann, wenn durch die anwaltliche Mitwirkung die Hauptverhandlung entbehrlich wird. Im Hinblick auf den Grundsatz der Einheitlichkeit der Hauptverhandlung kann die Frage der Entbehrlichkeit der Hauptverhandlung dabei nur einheitlich beantwortet werden (vgl. zu Nr. 4141 VV RVG: BGH, Urteil vom 14.04.2011, IX ZR 153/10, NJW 2011, 3166 m. w. N.). Unter Berücksichtigung dieses Grundsatzes erfasst bereits der Wortlaut lediglich Sachverhaltskonstellationen, in denen die Hauptverhandlung in ihrer Gänze entfällt und nicht einzelne Hauptverhandlungstage einer als Einheit zu betrachtenden Hauptverhandlung durch eine Einstellung entbehrlich werden.
Gleiches gilt unter Zugrundelegung der Gesetzeshistorie und des Sinnes und Zweckes des Gebührentatbestandes. Die Gesetzesmaterialien führen zur ratio legis des Gebührentatbestandes aus, dass die Zusatzgebühr den Anreiz, Verfahren ohne Hauptverhandlung zu erledigen, erhöhen werde und somit zu weniger Hauptverhandlungen führen werde (vgl. Bundestagsdrucksache 15/1971, dort S. 227). Ziel der Regelung ist damit die Verringerung der Arbeitsbelastung der Gerichte; dieses Ziel soll durch eine adäquate Vergütung des Verteidigers bereits im Vorfeld der Hauptverhandlung erreicht werden (vgl. zu Nr. 4141 VV RVG: BGH, Urteil vom 14.04.2011, IX ZR 153/10, NJW 2011, 3166 m. w. N.). Auch dieser Normzweck spricht dafür, dass eine Einstellung, die innerhalb der Hauptverhandlung erfolgt, eine Befriedungsgebühr nicht mehr auszulösen vermag (a. a. O.).
Eine Kostenentscheidung war nicht veranlasst. Das Verfahren ist gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Einsender: RA M. Volprecht, Herne-Wanne
Anmerkung: Aufhebung von AG Herne-Wanne, Beschl. v. 23.04.2024 - 44 OWi-152 Js 120/24-12/24
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