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Entscheidungen

OWi

Verwerfung, Einspruch, Wartezeit des Gerichts, angekündigte Verspätung, Verkehrsstau, Erreichbarkeit des Gerichts

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Braunschweig, Beschl. v. 20.12.2024 - 1 ORbs 62/24

Eigener Leitsatz:

1. Hat der Verteidiger seine Verspätung gegenüber dem Gericht angekündigt und sich dabei auf ein unvorhersehbares Ereignis - beispielsweise einen Verkehrsstau - berufen, kann es geboten sein, auch über den an sich sonst üblichen Zeitraum von 15 Minuten hinaus auf dessen Eintreffen zu warten
2. Werden Hauptverhandlungen durchgeführt, hat das Gericht jedoch für eine Kommunikation mit den Verfahrensbeteiligten erreichbar zu sein und entsprechende Telefonanrufe entgegenzunehmen.


Oberlandesgericht Braunschweig

Beschluss

1 ORbs 62/24

In der Bußgeldsache
gegen pp.

- Verteidiger:

Rechtsanwalt

wegen ordnungswidrigen Verhaltens im Straßenverkehr

hat der Einzelrichter des Senats für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Braunschweig am 20. Dezember 2024 beschlossen:

1. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts
Braunschweig vom 5. Oktober 2023 wird zugelassen.
2. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das genannte Urteil mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde - an das Amtsgericht Braunschweig zurückverwiesen.

Gründe:

Das Rechtsmittel des Betroffenen hat - zumindest vorläufig - Erfolg.

I.

Das Amtsgerichts Braunschweig hat den gemäß § 73 Abs. 2 OWiG von der Pflicht zum Erscheinen in der Hauptverhandlung entbundenen Betroffenen durch Urteil vom 5. Oktober 2023 wegen fahrlässiger Geschwindigkeitsüberschreitung innerhalb geschlossener Ortschaften um vorwerfbare 21 km/h mit einer Geldbuße von 115,- € belegt. Die Hauptverhandlung, in der das Urteil verkündet worden ist, hat von 8:30 Uhr bis 9:00 Uhr in Abwesenheit sowohl des Betroffenen als auch seines Verteidigers stattgefunden.

Mit aus dem besonderen Anwaltspostfach versandtem und beim Amtsgericht Braunschweig am selben Tag eingegangenem Schreiben vom 5. Oktober 2023 hat der Verteidiger beantragt, dem Betroffenen wegen der Versäumung des Hauptverhandlungstermins durch seinen Verteidiger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren und die Rechtsbeschwerde wegen der Verletzung formellen und materiellen Rechts zuzulassen.

Mit Beschluss vom 3. November 2023 hat das Amtsgericht Braunschweig den Antrag des Verteidigers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Hauptverhandlung als unzulässig verworfen. Die dagegen angebrachte sofortige Beschwerde des Betroffenen ist ohne Erfolg geblieben.

Das Urteil vom 5. Oktober 2023 ist dem bevollmächtigten Verteidiger des Betroffenen am 14. Februar 2024 zugestellt worden. Mit weiterem aus dem besonderen Anwaltspostfach versandtem und beim Amtsgericht Braunschweig am selben Tag eingegangenem Schreiben vom 11. März 2024 hat der Betroffene daraufhin den Zulassungsantrag ergänzend begründet. Der Verteidiger bringt für den Betroffenen unter anderem vor, dass er rechtzeitig in Bad Harzburg losgefahren sei, um den am 5. Oktober 2023 auf 8.30 Uhr bestimmten Hauptverhandlungstermin wahrzunehmen. Wegen eines unvorhersehbaren Verkehrsunfalls im Bereich einer Baustelle sei es auf der Autobahn 36 indes zu einer temporären Vollsperrung von mehr als 30 Minuten gekommen. Weitere etwa 15 Minuten Verzögerung seien dadurch eingetreten, dass der Verkehr im Bereich der wegen der Baustelle ohnehin einspurigen Strecke nur sehr langsam an - dem verunfallten Fahrzeug habe vorbeigeführt werden können. Er habe deshalb erst um 9:02 Uhr den Gerichtssaal erreicht. Zu diesem Zeitpunkt sei, wie er sodann erfahren habe, das Urteil bereits verkündet gewesen.

Der Betroffene hat beantragt, die Rechtsbeschwerde zuzulassen, das Urteil aufzuheben und zurückzuverweisen.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat demgegenüber beantragt, den Antrag des Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde als unbegründet zu verwerfen.

Die Rechtsbeschwerde ist auf den form- und fristgerecht angebrachten Antrag zulassen. Sie hat auch in der Sache Erfolg, weil es geboten ist, das angefochtene Urteil auf die zulässige Verfahrensrüge wegen der Versagung des rechtlichen Gehörs aufzuheben (§ 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG).

Ein Betroffener hat einen Anspruch darauf, sich im Bußgeldverfahren der Hilfe eines Verteidigers zu bedienen (§ 137 Abs. 1 StPO i. V. m. § 46 Abs. 1 OWiG). Im Falle nicht angekündigter Verspätung des Verteidigers gebietet es deshalb die prozessuale Für-sorgepflicht des Gerichts regelmäßig, zumindest einen Zeitraum von 15 Minuten zu-zuwarten, bevor mit der Hauptverhandlung begonnen wird (OLG Hamm, Beschluss vom 16. Juni 2006, 3 Ss OWi 310/06, juris, Rn. 6; OLG Köln, Beschluss vom 2. September 1997, Ss 485/97 (B) = NStZ 1997, 494). Hat der Verteidiger indes seine Verspätung gegenüber dem Gericht angekündigt und sich dabei auf ein unvorhersehbares Ereignis - beispielsweise einen Verkehrsstau - berufen, kann es geboten sein, auch über den Zeitraum von 15 Minuten hinaus auf dessen Eintreffen zu warten (OLG Hamm, a.a.O.; Rn. 7; OLG Köln, a.a.O.). So lag der Fall hier. Das Gericht hätte das Eintreffen der Verteidigung um 9:02 Uhr abwarten müssen. Der Verteidiger hat im Zulassungsantrag nachvollziehbar dargelegt, dass er rechtzeitig in Bad Harzburg losgefahren und allein deshalb verspätet zum Hauptverhandlungstermin erschienen ist, weil sich seine Anreise um zumindest 45 Minuten wegen eines von ihm nicht vorhersehbaren Verkehrsstaus verzögert hat. Eine unverschuldete Verzögerung, gegen die auch die vernünftigerweise zu beachtende Sorgfalt keine Vorsorge gebietet, kann auch durch einen außergewöhnlich ausgedehnten Stau bewirkt werden (BFH, Beschluss vom 17. April 2024, X B 68, 69/23, juris, Rn. 13). Ohne den Stau, der zu einer verkehrsbedingten Verzögerung von 45 Minuten geführt hat, wäre der Verteidiger bereits um 8:17 Uhr und damit rechtzeitig am Sitzungssaal eingetroffen.

Dass die Vorsitzende bei Verkündung des Urteils keine Kenntnis von dem Hinderungsgrund hatte, führt zu keinem anderen Ergebnis. Denn Fehler der Justiz sind dem Gericht zuzurechnen (BFH, a.a.O., Rn. 15; OLG Köln, Beschluss vom 2. September 1997, Ss 485/97 (B) = NStZ 1997, 494). Ein Fehler, der der Justiz zuzurechnen ist, liegt vor, denn der Verteidiger konnte das Gericht in der Zeit von 8:11 Uhr bis 8:35 Uhr bei insgesamt sieben Anrufen unter der 0531 4880 und bei weiteren 11 Anrufen unter der ihm bekannten Durchwahl - 2146 - nicht erreichen, wie er zur Überzeugung des Senats belegt hat. Werden Hauptverhandlungen durchgeführt, hat das Gericht jedoch für eine Kommunikation mit den Verfahrensbeteiligten erreichbar zu sein und entsprechende Telefonanrufe entgegenzunehmen.

Der Verstoß gegen die gerichtliche Fürsorgepflicht ist vorliegend auch nicht nur als Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens (Art. 2 Abs. 1 GG), der für eine Zulassung gemäß § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG nicht ausreicht (vgl. OLG Hamburg, Be-schluss vom 2. März 2021, 2 RB 5/21, 3 Ss-OWi 11/21, Rn. 15 f., juris; KG, Beschluss vom 3. Juni 2021, 3 Ws (B) 148/21, Rn. 10, juris; Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 4. Januar 2021, Rn.12, juris), sondern als Gehörsverstoß (Art. 103 Abs. 1 GG) anzusehen. Das ist zwar regelmäßig nicht der Fall, weil aus Art. 103 Abs. 1 GG nicht folgt, dass das rechtliche Gehör durch Vermittlung eines Rechtsanwalts gewährt wird (BayObLG, Beschluss vom 29. März 1995, 2 Ob OWi 61/95, juris, Rn. 4 m.w.N.). Der aktuell zu beurteilende Fall ist jedoch deshalb anders gelagert, weil der Betroffene vom Erscheinen in der Hauptverhandlung entbundenen war und auf die Anwesenheit seines Verteidigers vertraut hat, sodass auch er keine Möglichkeit hatte, sich zum Vorwurf äußern.

Aufgrund des aufgezeigten Mangels ist das angefochtene Urteil auf die zugelassene Rechtsbeschwerde des Betroffenen mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache gern. § 79 Abs. 6 OWG zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen. Für eine in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 2 StPO grundsätzlich zulässige Zurückweisung an eine andere Abteilung sieht der Senat allerdings keinen Anlass.

Die Entscheidung über die Kosten der Rechtsbeschwerde war dem Amtsgericht vorbehalten, da der endgültige Erfolg des Rechtsmittels noch nicht abzusehen ist.


Einsender: RA F. Schneider, Bad Harzburg

Anmerkung:


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