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Entscheidungen

Klimaaktivisten

Gebührenbescheid, aufschiebende Wirkung, Ersatzvornahme, Unmittelbare Ausführung, Verwaltungszwang, Tarifstelle 8, Sofortvollzug

Gericht / Entscheidungsdatum: OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 10.09.2024 – OVG 1 S 81/23

Eigener Leitsatz:

Zur Frage, ob vom Blockierenden, der sich auf der Straße festgeklebt hat, Gebühren für das Lösen von der Fahrbahn erhoben werden können.


In pp.

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 21. September 2023 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Beschwerde trägt der Antragsgegner.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 241,00 EUR festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen den Gebührenbescheid der Polizei Berlin in Höhe von 241,- Euro vom 13. April 2023 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides derselben Behörde vom 1. August 2023 zu Recht angeordnet. Das Beschwerdevorbringen, das nach § 146 Abs. 4 VwGO den Umfang der Überprüfung durch das Oberverwaltungsgericht bestimmt, rechtfertigt keine Änderung oder Aufhebung des erstinstanzlichen Beschlusses.

Das Verwaltungsgericht ist in seiner Entscheidung davon ausgegangen, dass der Gebührenbescheid nicht in rechtmäßiger Weise auf §§ 1 Abs. 1, 3 Abs. 1 und Abs. 2, 6 Abs. 1, 9 Abs. 2, 10 Abs. 2 des Gesetzes über Gebühren und Beiträge (GebBtrG) i.V.m. Tarifstelle 8 des Gebührenverzeichnisses der Gebührenordnung für die Benutzung öffentlicher Einrichtungen (PolBenGebO) gestützt werden könne. Auf dieser Grundlage könnten zwar Gebühren für die unmittelbare Ausführung einer Maßnahme und für Ersatzvornahmen zur Gefahrenabwehr für Personen, Sachen und Tiere gem. den §§ 14, 15 und 36 ASOG erhoben werden. Dem hier maßgeblichen Gebührenbescheid liege aber weder eine Ersatzvornahme i.S.d. §§ 9 Abs. 1 lit. a), 10 VwVG i.V.m. § 8 Abs. 1 VwVfG Bln zugrunde, noch sei die Maßnahme als eine unmittelbare Ausführung i.S.d. § 15 ASOG zu qualifizieren. Vielmehr handele es sich um die Anwendung unmittelbaren Zwangs gem. § 12 VwVG, der im Gebührentatbestand der Tarifstelle 8 keine Erwähnung finde. Zwar könne nach der Auffangregelung des § 8 Abs. 1 Satz 2 GebBtrG auch für eine Amtshandlung, für die noch kein Gebührentatbestand bestimmt sei, eine Gebühr zwischen 5 Euro und 5.000 Euro festgesetzt werden. Jedoch habe der Antragsgegner das ihm durch diese Rahmengebühr eröffnete Ermessen nicht ausgeübt. Dem akzessorischen Antrag des Antragstellers auf Anordnung der Aufhebung der Vollziehung sei daher ebenfalls stattzugeben.

Die Beschwerde macht im Wesentlichen geltend, das Verwaltungsgericht verkenne, dass es sich bei dem Lösen des Antragstellers von der Fahrbahn und das anschließende Wegtragen um eine unmittelbare Ausführung gem. § 15 ASOG handele. Diese sei als Variante des Sofortvollzugs nach § 6 Abs. 2 VwVG anzusehen, zwischen beiden Rechtsinstituten bestehe Funktionsgleichheit. Eine Abgrenzung könne auch nicht danach erfolgen, ob die Maßnahme mit oder gegen den Willen des Verantwortlichen ausgeführt werde, denn dies würde zu Regelungslücken in den Bundesländern führen, in denen nicht beide Institute geregelt seien. Dass die Abgrenzung nach der Zwangsqualität kein taugliches Kriterium sei, zeige sich auch daran, dass der Berliner Landesgesetzgeber nunmehr in § 23 des Berliner Mobilitätsgesetzes geregelt habe, dass die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) allein im Wege der unmittelbaren Ausführung, nicht aber im Wege des Sofortvollzugs vorgehen könnten. Er habe damit deutlich gemacht, dass eine unmittelbare Ausführung (auch) als Ausübung von Verwaltungszwang qualifiziert werden könne und es sich somit um identische Institute handele. Eine Abgrenzdung könne daher nur dahingehend vorgenommen werden, ob eine nach dem ASOG zuständige Gefahrenabwehrbehörde (dann § 15 ASOG) oder eine andere Verwaltungsbehörde (dann § 6 Abs. 2 VwVG) handele. Zudem könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass die Maßnahmen gegenüber dem Antragsteller gegen seinen ausdrücklichen Willen geschehen seien. Vielmehr seien die polizeilichen Maßnahmen von den Aktivistinnen und Aktivisten als Teil ihres Protestes einkalkuliert worden. Sie hätten auf das Einschreiten der Polizei zu ihrem Schutz vertraut. Auch sei die Freiwilligkeit der Inanspruchnahme der polizeilichen Maßnahme kein konstitutives Element für eine Benutzungsgebühr. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts habe die Maßnahme auch der Gefahrenabwehr gedient, nämlich zum einen der Abwehr einer konkreten Gefahr von Beeinträchtigungen in Bezug auf Rettungseinsätze, zum anderen der Abwehr einer konkreten Gefahr gegenüber den anderen Verkehrsteilnehmern, denn die Sitzblockade stelle eine in mittelbarer Täterschaft begangene Nötigung dar. Ferner sei die Maßnahme auch zum Schutz der Aktivistinnen und Aktivisten erfolgt, denn insoweit habe eine konkrete Gefahr für deren Leben und Gesundheit vorgelegen. Eine solche Gefahr bestehe auch unter dem Gesichtspunkt einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung fort. Soweit das Verwaltungsgericht schließlich im Rahmen einer systematischen Auslegung zu der Auffassung gekommen sei, dass die Tarifstelle 8 eine Inanspruchnahme des Handlungsstörers i.S.d. § 13 ASOG gerade nicht vorsehe, könne dem nicht gefolgt werden. Der Verweis auf § 14 und insbesondere § 36 ASOG in der Regelung der Tarifstelle 8 sei unsinnig und einem offensichtlichen redaktionellen Fehler geschuldet. Vielmehr nehme die Tarifstelle 8 – wie ein Vergleich mit den Tarifstellen 4.1, 4.2 und 4.3 zeige – die Person des Verantwortlichen nicht als Tatbestandsmerkmal auf. Das Lösen und Wegtragen des Antragstellers stelle eine erhebliche Sonderleistung dar, da Lösungsmittel und geschulte Einsatzkräfte vorgehalten werden müssten, das Ablösen mit einem nicht unerheblichen Zeitaufwand verbunden sei und der Verkehr abgesichert werden müsste. Die Maßnahme erfordere deshalb einen hohen personellen und zeitliche Aufwand. Die Kosten dieser Sonderleistung könnten nach der Tarifstelle 8 dem Antragsteller auferlegt werden.

Mit diesem Vorbringen vermag die Beschwerde nicht durchzudringen.

Die Beschwerde wendet sich nicht gegen die Feststellung des Verwaltungsgerichts, das Ablösen der Hand des Antragstellers von der Fahrbahnoberfläche und das anschließende Wegtragen sei schon deshalb nicht als Ersatzvornahme i.S.d. §§ 9 Abs. 1 lit. a), 10 VwVG zu qualifizieren, da es sich dabei um eine nicht vertretbare Handlung gehandelt habe, die der Ersatzvornahme nicht zugänglich sei.

Soweit die Beschwerde moniert, das Verwaltungsgericht habe verkannt, dass es sich bei den polizeilichen Maßnahmen um eine unmittelbare Ausführung i.S.d. § 15 ASOG – und nicht um einen Sofortvollzug i.S.d. § 6 Abs. 2 VwVG – gehandelt habe, führt dies nicht zu der Einschätzung, das öffentliche Interesse an der Vollziehung des angegriffenen Bescheides überwiege das private Interesse, von der Vollziehung einstweilen verschont zu bleiben.

Das Verwaltungsgericht hat in zutreffender Weise die Regelungen des §§ 1 Abs. 1, 3 Abs. 1 und Abs. 2, 6 Abs. 1, 9 Abs. 2, 10 Abs. 2 des Gesetzes über Gebühren und Beiträge (GebBtrG) i.V.m. Tarifstelle 8 des Gebührenverzeichnisses der Gebührenordnung für die Benutzung öffentlicher Einrichtungen (PolBenGebO) als maßgebliche Rechtsgrundlage für den Gebührenbescheid erachtet. Dem tritt die Beschwerde nicht entgegen.

Danach kann für eine unmittelbare Ausführung von Maßnahmen und Ersatzvornahmen zur Gefahrenabwehr für Personen, Sachen oder Tiere gemäß den §§ 14, 15 und 36 des ASOG, insbesondere Sicherung von Gefahrenstellen auf öffentlichem Straßenland oder Baustellensicherungen, für Personen und Tiere in Notlagen eine Gebühr zuzüglich der durch die Ersatzvornahme entstandenen Auslagen erhoben werden, sofern nicht eine speziellere Tarifstelle einschlägig ist.

Das Verwaltungsgericht hat zunächst für die hier vorliegende Sachlage – von der Beschwerde insoweit unbeanstandet – angenommen, dass die Voraussetzungen einer Ersatzvornahme nach § 10 VwVG nicht vorliegen und im Folgenden die Frage beantwortet, ob das Lösen der Klebeverbindung zwischen der Hand des Antragstellers und der Straßenoberfläche und das anschließende Wegtragen als unmittelbare Ausführung i.S.d. § 15 ASOG qualifizieren werden kann, hat dies jedoch verneint. Soweit die Beschwerde dagegen einwendet, die Abgrenzung zwischen der unmittelbaren Ausführung nach § 15 ASOG und einem Sofortvollzug nach § 6 Abs. 2 VwVG könne nicht dahingehend erfolgen, ob die Maßnahme im (mutmaßlichen) Willen des Verantwortlichen erfolgt – dann unmittelbare Ausführung – oder der entgegenstehende Wille des Verantwortlichen überwunden werden muss – dann Sofortvollzug –, denn eine Abgrenzung nach der Zwangsqualität würde zu Regelungslücken in den Bundesländern führen, die nicht über beide Institute verfügen, führt dies für das vorliegende Verfahren nicht weiter, denn im Land Berlin sind beide Institute gesetzlich geregelt. Soweit der Antragsgegner der Auffassung ist, den Streit um die Abgrenzung beider Institute habe der Landesgesetzgeber durch die Einführung des § 23 des Berliner Mobilitätsgesetzes (MobG BE) dahingehend entschieden, dass die unmittelbare Ausführung (auch) als Ausübung von Verwaltungszwang zu qualifizieren sei, steht der Senat dieser Sichtweise skeptisch gegenüber. § 23 MobG BE eröffnet den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) die Möglichkeit, Fahrzeuge auf Bussonderspuren, in Haltestellenbereichen und auf Wendeanlagen eigenständig umzusetzen. Zur Realisierung dürfen besonders ausgebildete Beschäftigte der BVG bestimmte Befugnisse, wie z.B. die unmittelbare Ausführung gem. § 15 ASOG (§ 23 Abs. 3 Nr. 1 lit. a MobG BE), die Ersatzvornahme gem. § 10 VwVG (§ 23 Abs. 3 Nr. 2 lit. a MobG BE) und den unmittelbaren Zwang gegenüber Sachen (§ 23 Abs. 3 Nr. 2 lit. b MobG BE) ausüben. Daraus nun aber ableiten zu wollen, der Landesgesetzgeber habe die unmittelbare Ausführung nunmehr (auch) als Ausübung von Verwaltungszwang qualifiziert mit der Folge, dass eine Abgrenzung beider Institute nur noch danach erfolgen könne, ob die Gefahrenabwehrbehörde (dann § 15 ASOG) oder eine andere Verwaltungsbehörde (dann § 6 Abs. 2 VwVG) tätig wird, erscheint keineswegs zwingend. Denn genauso gut könnte der Landesgesetzgeber im Rahmen des § 23 MobG BE nur die einzelnen Befugnisse der BVG übertragen haben, die für die Beseitigung der den Busverkehr behindernden Fahrzeuge notwendig und erforderlich sind, ohne damit eine Entscheidung über die hier aufgeworfene Frage zu treffen. Ein diesbezüglicher Wille des Gesetzgebers lässt sich der Begründung jedenfalls nicht entnehmen, denn die Regelung des § 23 MobG BE hat erst auf Vorschlag des Ausschusses für Umwelt, Verkehr und Kilmaschutz vom 7. Juni 2018 (Drs. 18/1177) während des laufenden Gesetzgebungsprozesses Eingang in das Gesetz gefunden und wird daher von der Begründung des Gesetzesentwurfs vom 27. Februar 2018 (Drs. 18/0878) nicht erfasst.

Unabhängig von den von der Beschwerde weiter aufgeworfenen Fragen, ob hier von einer konkreten Gefahr für Personen, Sachen oder Tiere ausgegangen werden kann und ob eine Gebührenpflichtigkeit auch dann besteht, wenn sich die unmittelbare Ausführung gegen den Verhaltensstörer richtet, obwohl § 13 ASOG nicht unmittelbar in der Tarifstelle 8 PolBenGebO genannt wird, kann die Beschwerde bereits deshalb keinen Erfolg haben, weil sie nicht darlegt, dass der Zweck der Maßnahme durch eine Inanspruchnahme des Verhaltensstörers nicht oder nicht rechtzeitig hätte erreicht werden können. Im Grundsatz müssen die durch einen polizeirechtlich Verantwortlichen hervorgerufenen Gefahren oder Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung diesem gegenüber untersagt und ggfs. mit den Mittel des Verwaltungsvollstreckungsrechts durchgesetzt werden. Nur dann, wenn der Zweck der Maßnahme auf diesem Wege nicht oder nicht rechtzeitig erreicht werden kann, ist der Anwendungsbereich der unmittelbaren Ausführung nach § 15 ASOG eröffnet (vgl. hierzu: Pewestorf in: Pewestorf/Söllner/Tölle, Polizei- und Ordnungsrecht, 3. Auflage 2022, § 15 Rn. 5; Graulich in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 7. Auflage 2021, Abschnitt E Rn. 296; Knape/Schönrock, Allgemeines Sicherheits- und Ordnungsgesetz für Berlin, 11. Auflage 2016, § 15 Rn. 15, 23). Bezogen auf den hier vorliegenden Fall hat der Antragsgegner aber nicht dargelegt, warum der Zweck der Maßnahme – das Freimachen der Straße für den Straßenverkehr – nicht bzw. nicht rechtzeitig mit den zur Verfügung stehenden Mitteln des Vollstreckungsrechts zu erreichen gewesen wäre. Denn es erschließt sich dem Senat nicht, warum im vorliegenden Fall der solchermaßen definierte Zweck nicht nach Auflösung der Versammlung durch Vollstreckung im Wege des unmittelbaren Zwangs gem. § 12 VwVG der gegenüber dem anwesenden Antragsteller unstreitig ausgesprochenen Aufforderung, die Fahrbahn zu verlassen (Platzverweis), erreichbar gewesen sein soll. Gegensätzliches wird auch von der Beschwerde nicht vorgetragen. Der Senat geht zwar entgegen den Ausführungen des Antragstellers nicht davon aus, dass die Verbindung seiner Hand mit der Straßenoberfläche mittels Sekundenklebers durch „wiederholtes Bewegen und Anspannen der Hand“ durch den Antragsteller selbst hätte gelöst werden können. Allerdings erscheint eine Durchsetzung der Anordnung mit den Mitteln des Vollstreckungsrechts – Anordnung der sofortigen Vollziehung mit verbundener Androhung des unmittelbaren Zwangs unter sofortiger Fristsetzung – durchaus möglich.

Die folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).


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