Diese Homepage verwendet Cookies, um Inhalte und Anzeigen zu personalisieren, Funktionen für soziale Medien anbieten zu können und die Zugriffe auf die Website zu analysieren. Außerdem gebe ich Informationen zu Ihrer Nutzung meiner Website an meine Partner für soziale Medien, Werbung und Analysen weiter.

OK Details ansehen Datenschutzerklärung

Entscheidungen

Klimaaktivisten

Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Ankleben an einen Reisebus, Versammlung, Intensität der Kraftentfaltung

Gericht / Entscheidungsdatum: KG, Beschl. v. 14.11.2024 – 3 ORs 65/24161 SRs 104/24

Leitsatz des Gerichts:

1. Für das Tatbestandsmerkmal „bei der Vornahme einer Diensthandlung“ reicht es aus, dass der Täter die Kraft schon vor Beginn der Diensthandlung entfaltet, sofern diese – vom Täter auch so gewünscht – das spätere polizeiliche Tätigwerden deutlich erschwert.
2. Entscheidend für die Bewertung der Widerstandshandlung als „mit Gewalt“ ist die Intensität der Kraftentfaltung durch das materielle Zwangsmittel und damit zusammenhängend die Kraft, die aufgewandt werden muss, um diese zu überwinden.
3. Die gezielte Beeinträchtigung privaten Eigentums, die sich nicht als zwangsläufige Folge einer Demonstration ergibt, sondern deren maßgeblicher Bestandteil ist, ist eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit i.S.d. des Versammlungsgesetzes bzw. Versammlungsfreiheitsgesetzes Berlin.


3 ORs 65/24161 SRs 104/24

In der Strafsache
gegen pp.

wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte

hat der 3. Strafsenat des Kammergerichts am 14. November 2024 beschlossen:

Die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin I vom 23. Mai 2024 wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.

Die Angeklagte hat die Kosten ihres Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Tiergarten hat die Angeklagte wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 25 Euro verurteilt. Ihre Berufung hiergegen hat das Landgericht Berlin I mit der Maßgabe verworfen, dass die Höhe der Tagessätze auf 15 Euro herabgesetzt und der Angeklagten Ratenzahlung gewährt wird.

Dem Urteil liegen die folgenden Feststellungen zugrunde (Fehler im Original):

„Am 20.04.2023 fanden verschiedene Aktionen der Gruppe [Anm. des Senats: „Letzte Generation“] statt.

Die Angeklagte und drei weitere Personen begaben sich zum M-Hotel in Berlin-Tiergarten, um einen Reisebus zu blockieren, welcher dort übernachtende Teilnehmer der Tagung „Familienunternehmertage“ des Verbandes „DIE FAMILIENUNTERNEHMER“ mit einer vorgesehenen Abfahrtszeit um 8:00 Uhr zu der Tagung bringen sollte. Hierzu wollten die Aktivisten sich an dem Bus ankleben und ihn so an der Abfahrt hindern. Sie wollten hierdurch auf ihre Ziele aufmerksam machen. Das Ziel ihrer Aktion wählten die Aktivisten aus, weil es sich aus ihrer Sicht bei dem Verband um eine Lobbyistenvereinigung handelte, welche für die von ihnen als schädlich angesehenen Strukturen stand.

Auf dem vor dem M.-Hotel liegenden I-Platz stand der entsprechende Reisebus des Unternehmens „P-GmbH“ mit dem Kennzeichen B. Durchgangsverkehr wurde durch die Warteposition des Busses nicht beeinträchtigt.

Gegen 07:50 Uhr klebte die Angeklagte mit Sekundenkleber die Innenfläche ihrer linken Hand und die Finger an die rechte Rückleuchte des Reisebusses. Die Fläche, über die eine Verbindung Hand und Bus entstand, erstreckte sich über den Großteil der Handinnenfläche; weiterhin waren alle fünf Finger mit einem oder mehreren Fingergliedern mit dem Bus verbunden.

Drei weitere Aktivisten klebten ihre Hände zeitgleich auf die gleiche Weise an anderen Stellen des Busses an. Ein fünfter Aktivist wurde von dem Busfahrer von dem Bus weggezogen, bevor der Sekundenkleber trocknen konnte. Er setzte sich anschließend vor dem Bus auf den Boden.

Die Angeklagte und ein neben ihr stehender Aktivist hielten ein Banner mit einem Herz und dem Text „ART. 20A GG = LEBEN SCHÜZEN“.

Die Bewegungsfreiheit des Busses war damit - planmäßig - faktisch aufgehoben, da ein Bewegen des Busses nur noch unter Inkaufnahme schwerer Verletzungen der angeklebten Personen (und je nach Fahrtrichtung der vor dem Bus sitzenden Person) möglich gewesen wäre. Die Teilnehmer der Veranstaltung „Familienunternehmertage“ begaben sich mit anderen Verkehrsmitteln (etwa Taxen) zum Veranstaltungsort.

Der Angeklagten und den übrigen Aktivisten war beim Ankleben bewusst, dass es eine sehr wahrscheinliche Möglichkeit im weiteren Verlaufs sein würde, dass die Polizei hinzugerufen werden würde, um die Bewegungsfreiheit des Busses wieder herzustellen, dass die Polizei hierzu auf eine rechtmäßige Weise, die Aktivisten von Ort und Stelle verweisen könnte, und dass die Polizei, würden die Aktivisten der Wegweisung keine Folge leisten, diese sodann nötigenfalls wegtragen würde.

Der Angeklagten und den übrigen Aktivisten war es beim Ankleben weiterhin bewusst und sie setzen es zielgerichtet ein, dass ab dem Trocknen des Sekundenklebers sich ihre Hände nur noch ablösen lassen würden entweder durch kraftvolles Abreißen unter Inkaufnahme von Verletzungen an der jeweils angeklebten Hand oder aber, wenn man solche Verletzungen vermeiden wollte, durch ein vorsichtiges und zeitaufwändiges Hin- und Herbewegen der Hand, gegebenenfalls unterstützt von Hilfsmitteln wie Öl. Sie gingen davon aus, dass beliebige, nicht näher bestimmte Dritte – wie der Busfahrer, Fahrgäste, Hotelmitarbeiter oder andere Personen, aber eben auch hinzugerufene Polizisten versuchen würden, sie von dem Bus zu entfernen, um dessen Bewegungsfreiheit wiederherzustellen. Sie rechneten weiterhin damit, dass jedenfalls Polizeibeamte sie nicht gewaltsam vom Bus abreißen würden.

Ziel des Anklebens war unter anderem – unter den vorbeschriebenen Prämissen für polizeiliches Handeln – die Umsetzung der als möglichen und wahrscheinlich angesehenen polizeilichen Anordnung, sich zu entfernen, welche die Polizei ohne Ankleben durch ein einfaches Wegtragen hätte durchsetzen können, zu erschweren. Die Polizeibeamten sollten in eine zeitaufwändige Ablöseprozedur gezwungen werden, die Blockade sollte hierdurch verlängert werden und die Aufmerksamkeit für die Ziele sollte durch die damit einhergehende nachhaltigere Störung vergrößert werden.

Tatsächlich rief der Busfahrer die Polizei zur Hilfe.

Zunächst traf ein Streifenwagen des Polizeiabschnitts A28 der Polizei Berlin ein. Gegen 08:11 Uhr kamen hinzugerufene Kräfte des 2. Zuges der 31. Einsatzhundertschaft der Polizei Berlin vor Ort an und übernahmen die weiteren Maßnahmen.

Der Einsatzleiter PHK K kam zu der Einschätzung, dass die Aktion Versammlungscharakter habe und stufte sie als Versammlung im Sinne des VerfG Bln ein. Er erkundigte sich nach einem Versammlungsleiter, ihm wurde aber kein solcher benannt.

Sodann tätigte PK M um 08:34, um 08:40 und um 08:52 Uhr drei – polizeiintern standardisiert und den Beamten als schriftlicher Mustertext zur Verfügung stehenden – Verfügungsdurchsagen durch, mit denen die Versammlung als unerlaubte Versammlung eingestuft und auf die gegenüberliegende Seite verlegt wurde, sodann, als die Angeklagten und die übrigen Aktivisten keine Anstalten machten, sich selbständig abzulösen und auf die andere Straßenseite zu begeben, Zwangsmittel angedroht und schließlich die Auflösung der Versammlung nach § 14 Abs. 1 VerFG Bln angeordnet wurde.

Sodann setzten die Polizeibeamten die Auflösung durch.

Hierzu lösten sie in der Zeit von 08:52 bis 09:17 die Angeklagte und die drei anderen angeklebten Aktivisten durch Einpinseln der Ränder der Kontaktflächen zwischen Händen und Bus mit Speiseöl und durch vorsichtiges Hin- und Herbewegen der Hände ab. Es ist nicht auszuschließen gewesen, dass Polizeibeamte in Erwartung des weiteren Ablaufes auch schon vor Erlass der Verfügung, mit welcher die Versammlung letztlich aufgelöst wurde, Öl auf die angeklebten Hände der Aktivisten gaben.

Konkret das Ablösen der Angeklagten wurde POM S in der Zeit von 09:05 Uhr bis 09:17 Uhr durchgeführt.

Nach dem Ablösen begaben sich die Angeklagte und die weiteren Aktivisten freiwillig vom Ort weg bzw. stellten sich den polizeilichen erkennungsdienstlichen Maßnahmen.“

Mit ihrer Revision rügt die Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts. Sie beanstandet insbesondere die Würdigung der Strafkammer, wonach es sich bei dem Ankleben an den Reisebus um Widerstand mit Gewalt i.S.d. § 113 Abs. 1 StGB handelt sowie die Annahme einer rechtmäßigen Diensthandlung durch die Polizeibeamten, § 113 Abs. 3 Satz 1 StGB.

Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin hat mit ihrer Zuschrift vom 29. August 2024 die Verwerfung der Revision als offensichtlich unbegründet beantragt. Die Gegenerklärung der Verteidigerin vom 20. September 2024 lag dem Senat vor.

II.

Der statthaften (§ 333 StPO) sowie form- und fristgerecht eingelegten und begründeten (§§ 341 Abs. 1, 344, 345 StPO) Revision bleibt der Erfolg versagt.

Der durch das Landgericht festgestellte und rechtsfehlerfrei beweiswürdigend unterlegte Sachverhalt trägt die Verurteilung.

Als erörterungsbedürftig erweist sich dabei das Folgende:

1. Der Senat hat bereits entschieden (Beschluss vom 10. Juli 2024 – 3 ORs 30/24 –, juris), dass das Ankleben auf der Fahrbahn den Tatbestand des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte erfüllen kann.

a) Dabei ist zum Begriff der Gewalt folgendes ausgeführt worden:

„Gewalt im Sinne des § 113 StGB ist nicht mit Gewalttätigkeiten gegen eine andere Person gleichzusetzen (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 23. August 2005 - 2 BvR 1066/05 -, juris), beispielsweise kann auch das Stemmen der Füße gegen den Boden, um das Verbringen an einen anderen Ort zu verhindern, eine Widerstandshandlung mit Gewalt sein (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 23. August 2005 a.a.O.). Das erscheint auch sachgerecht, da der Tatbestand des § 113 StGB in erster Linie dem Schutz der Autorität staatlicher Vollstreckungsakte und damit dem Schutz des Gewaltmonopols des Staates dient (vgl. BT-Drs. 17/4143; Fischer, StGB 71. Aufl., § 113 Rn.2).

Die Gewalt muss aber gegen die Person des Vollstreckenden gerichtet und für ihn - unmittelbar oder mittelbar über Sachen - körperlich spürbar sein (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Juni 2020 a.a.O. und Beschluss vom 15. Januar 2015 - 2 StR 204/14 -, beide juris). Die (mittelbare) Kraftentfaltung muss im Zeitpunkt der Diensthandlung gegen die Person des Vollstreckenden dergestalt wirken, dass dieser seine Diensthandlung nicht ausführen kann, ohne seinerseits eine nicht ganz unerhebliche Kraft aufwenden zu müssen (vgl. BGH, Urteil vom 16. November 1962 - 4 StR 337/62 -, juris). Dieses Erfordernis des Aufwendens einer nicht unerheblichen Kraft, um der (mittelbaren) Kraftentfaltung entgegenzuwirken, korrespondiert damit, dass die herbeigeführte Erschwerung eine gewisse Erheblichkeit aufweisen muss.
Dieses Korrektiv der „Erheblichkeit“ ist erforderlich, um den Gewaltbegriff des § 113 Abs. 1 StGB unter Wahrung des Analogieverbots nach Art. 103 GG - und damit zusammenhängend des Verbots der Verschleifung von Tatbestandsmerkmalen (vgl. kritisch dazu Seel, HRRS 2023, 313) - einzugrenzen und Fälle auszuschließen, die mangels Überschreitens der Erheblichkeitsschwelle logisch-semantisch dem Gewaltbegriff offenkundig nicht unterfallen.“

b) Zu dem Tatbestandsmerkmal „bei der Vornahme einer Diensthandlung“ führt der Beschluss folgendes aus:

„Für das Tatbestandsmerkmal „bei der Vornahme einer Diensthandlung“ reicht es aus, dass der Täter die eigene Kraftentfaltung schon vor Beginn der Diensthandlung vorgenommen hat, sofern sie sich als Widerstand gegen den Beamten im Zeitpunkt seines Tätigwerdens auswirkt (vgl. BGH, Urteil vom 16. November 1962 a.a.O.; OLG Stuttgart, Urteil vom 30. Juli 2015 - 2 Ss 9/15 -, beide juris). Entscheidend ist dabei, dass das vorweggenommene tätige Handeln im Hinblick auf die spätere Diensthandlung zu deren Verhinderung oder Erschwerung vorgenommen wird (vgl. BGH, Urteil vom 16. November 1962 a.a.O.; Senat, Beschluss vom 16. August 2023 a.a.O.).“

c) An diesem Maßstab gemessen erweist sich das Ankleben der Angeklagten an den Reisebus in der Erwartung polizeilicher Ablösemaßnahmen als Widerstandleisten mit Gewalt bei der Vornahme einer Diensthandlung.

Die Angeklagte hat durch Auftragen des Klebstoffs auf ihre Hand und das Andrücken selbiger auf den Reisebus Adhäsionskräfte erzeugt und einen Zustand herbeigeführt, in dem eine einfache Lösung der mit dem Fahrzeug verbundenen Hand nicht mehr möglich war. Vollstreckungsmaßnahmen waren durch diese Handlung zweifellos erschwert.

Das Ankleben entfaltete dadurch, dass die Angeklagte fest mit dem Bus verklebt war, zum Zeitpunkt der Vollstreckungshandlung eine körperlich spürbare Wirkung auf den Polizeibeamten, der sie – die Angeklagte – nicht einfach wegtragen oder –führen konnte. Vielmehr musste die Hand mithilfe von Speiseöl von der Oberfläche des Busses gelöst werden, um ein „Abreißen“ der Angeklagten – welches den Verhältnismäßigkeitserfordernissen bei der Anwendung unmittelbaren Zwangs widersprochen hätte – zu vermeiden (vgl. im Einzelnen Senat, Beschluss vom 10. Juli 2024, a.a.O. m.w.N.).

Das Ankleben auf Fahrbahnen oder – wie hier – an Sachen, ist in seiner physischen Wirkung vergleichbar mit Fällen, in denen es zu einer Selbstankettung kommt. In beiden Fällen wird durch aktives Handeln eine bewusste Kraftentfaltung erzeugt, die sich gegen den Vollstreckungsbeamten richtet und ein physisches Hindernis darstellt (vgl. Senat, Beschluss vom 16. August 2023 – 3 ORs 46/23 –, juris).

Der Einsatz, der vorliegend seitens des Polizeibeamten zur Lösung der Verklebung aufgewendet werden musste, erweist sich auch nicht als ganz unerheblich (vgl. zu dieser Einschränkung Senat, Beschluss vom 10. Juli 2024, a.a.O.). Ein Ablösen der Hand war nur mit Hilfsmitteln möglich, wobei dieses Procedere in Bezug auf die Angeklagte zwölf Minuten in Anspruch nahm. Dabei handelt sich zwar um einen recht überschaubaren Zeitraum, der aber dennoch diejenige Zeitspanne, die ein einfaches Wegtragen in Anspruch genommen hätte, deutlich übersteigt. Ohnehin stellt dieser Umstand aber nur ein Indiz dar, denn ein Abreißen oder Aufsägen einer Vorrichtung kann im Einzelfall wesentlich schneller gehen, ohne dass die zu überwindende Kraft geringer wäre. Die durch das Landgericht vorgenommene Würdigung, es sei ein Vergleich zwischen dem – hypothetischen – Abreißen und dem tatsächlichen Ablösen zu ziehen, trägt insofern nicht; denn die durch die Verklebung wirkenden Kräfte sind in beiden Fällen gleich.

Die Widerstandshandlung erfolgte zudem bei der Vornahme einer Diensthandlung. Das Ankleben – und damit die Herstellung der Zwangswirkung – erfolgte zwar vor dem Eintreffen der Polizei und damit auch vor sämtlichen polizeilichen Anordnungen und Vollstreckungshandlungen. Es diente nach den maßgeblichen Feststellungen aber bereits zu diesem Zeitpunkt dazu, polizeiliche Maßnahmen zu erschweren, um dem Demonstrationsanliegen mehr Zeit und Bedeutung zu verschaffen. Dies ist aber, auch angesichts der eher geringen Zeitspanne zwischen dem Ankleben um 7.50 Uhr und dem Beginn der Vollstreckungshandlung um 9.05 Uhr, ausreichend.

2. Die Diensthandlung war auch rechtmäßig i.S.d. § 113 Abs. 3 Satz 1 StGB.

a) Die Rechtmäßigkeit des Handelns staatlicher Hoheitsträger bei der Ausübung ihrer Hoheitsgewalt bestimmt sich dabei weder streng akzessorisch nach der materiellen Rechtmäßigkeit des zugrundeliegenden Rechtsgebiets noch nach der Rechtmäßigkeit entsprechend dem maßgeblichen Vollstreckungsrecht (std. Rspr., vgl. nur BGH, Urteil vom 9. Juni 2015 – 1 StR 606/14 –, juris m.w.N.; Erb in MüKoStGB, 4. Aufl., § 32 Rn. 75 m.w.N.). Vielmehr ist es maßgeblich, ob der Vollstreckungsbeamte örtlich und sachlich zuständig war, die wesentlichen Förmlichkeiten bei der Vornahme der Handlung eingehalten und ein ihm etwa zustehendes Ermessen pflichtgemäß ausgeübt hat (vgl. BGH, Urteil vom 9. Juni 2015, a.a.O.; KG, Urteil vom 27. August 2012 – (4) 161 Ss 154/12 (199/12) –, juris). Diese Auslegung berücksichtigt – in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise (vgl. BVerfG, Beschluss vom 30. April 2007 – 1 BvR 1090/06 –, juris) – die Notwendigkeit, den Vollzugsbeamten in seiner Entschlusskraft bei der Amtsausübung zu schützen. Sie würde gelähmt, müsste der Beamte in der konkreten, oftmals unübersichtlichen und hektischen Entscheidungssituation eingehende rechtliche Erwägungen anstellen. Es kommt daher darauf an, ob er im Bewusstsein seiner Verantwortung und unter bestmöglicher pflichtgemäßer Abwägung aller ihm bekannten Umstände die Handlung für nötig und sachlich gerechtfertigt halten durfte. Dabei vermindern sich die Prüfungsanforderungen für den handelnden Amtsträger, je unüberschaubarer und ungesicherter die von ihm vorgefundene Situation ist. Eine Diensthandlung ist danach solange als rechtmäßig anzusehen, als sich der Amtsträger bei Beurteilung der Eingriffsvoraussetzungen im Rahmen des in der Vollstreckungssituation noch Vertretbaren gehalten hat (vgl. OLG Köln, Urteil vom 17. Dezember 1985 – 1 Ss 318/85 –, juris), mag auch ein Gericht aufgrund nachträglicher Prüfung zu einer anderen Auffassung gelangen (vgl. KG a.a.O. und Beschluss vom 19. Juli 2022 – 6 Ws 54/22 –).

Der Senat folgt nicht der in der Revisionsbegründungsschrift vertretenen Auffassung, dass der strafrechtliche Rechtmäßigkeitsbegriff vorliegend keine Anwendung finden kann. Die in Bezug genommene Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Beschluss vom 30. April 2007, a.a.O.) gebietet eine derartige Einschränkung nicht. Vielmehr wird dort dargelegt, dass die Anwendung des strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriffs zwar bei der Anwendung von Bußgeldtatbeständen ausscheiden kann, nicht aber im Falle des § 113 StGB. Die Wertung der Revisionsführerin, die darauf beruht, das bestrafte Verhalten nicht als Gewalt qualifizieren zu wollen, weshalb keine Schutzwürdigkeit der Amtsträger bestehe, verfängt aus Sicht des Senats nicht.

b) An diesen Maßstäben gemessen erweist sich die Ablösung der Angeklagten als rechtmäßig. Die polizeiliche Maßnahme, auf deren Rechtmäßigkeit zunächst abgestellt werden kann, ist die Auflösungsverfügung nach § 14 Abs. 1 VersFG BE.

aa) Nach den Urteilsfeststellungen erfolgte zunächst die Anordnung der Verlegung der Versammlung auf die andere Straßenseite, die, als die Aktivisten sich nicht entfernten, durch die Androhung von Zwangsmitteln begleitet wurde und schließlich in der Auflösung mündete. Soweit es in diesem Kontext dann nicht zu einem Platzverweis und einer (erneuten) Androhung unmittelbaren Zwangs gekommen ist, war dies ausnahmsweise unschädlich. Die Angeklagte hat sich bewusst durch ihre Selbstfixierung in Erwartung der polizeilichen Maßnahme die Möglichkeit genommen, einen solchen Verweis überhaupt befolgen zu können, weshalb dessen ausdrückliche Erklärung ihr insoweit gerade nicht die Möglichkeit geboten hätte, sich freiwillig zu entfernen.

bb) Die Auflösung erweist sich auch im Übrigen als rechtmäßig. Die sachlich und örtliche zuständige Polizei Berlin (§ 31 VersFG BE) hat ihre Maßnahme auf eine Rechtsgrundlage aus dem Versammlungsfreiheitsgesetz unter Ausübung ihres Ermessens gestützt.

Dabei ist zunächst die Einschätzung erfolgt, dass es sich um eine Versammlung i.S.d. § 2 VersFG BE gehandelt hat, für deren Auflösung § 14 Abs. 1 VersFG BE die maßgebliche Norm darstellt. Von der Auflösungsanordnung hat die Angeklagte zudem Kenntnis gehabt. Der Grund für die Auflösung ist mit der Beeinträchtigung fremden Eigentums ebenfalls offen zu Tage getreten und war als Grundlage für selbige geeignet.

Maßstab hierfür ist die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit. Der Begriff umfasst den Schutz und die Unverletzlichkeit zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Eigentum und Ehre des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und den Bestand der staatlichen Einrichtungen; ebenfalls zählt zu den Schutzgütern das durch Art. 12 und 14 Grundgesetz geschützte wirtschaftliche Interesse von Gewerbetreibenden (vgl. BVerfG NJW 1985, 2395; VGH Mannheim, Urteil vom 6. November 2013 – 1 S 1640/12 – , BeckRS 2013, 58560; VG Berlin, Beschluss vom 24. März 2021 – 1 L 204/21 –, juris). Begrenzt wird die behördliche Eingriffsbefugnis dadurch, dass Beschränkungen, Verbote oder Auflösungen nur bei einer unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit statthaft sind.

(a) In der vorliegenden Konstellation durfte die Polizei nach den gegebenen Umständen eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit annehmen. Die Angeklagte und weitere Aktivisten haben durch das Ankleben an den Bus zweifellos fremdes Eigentum, insbesondere die Verfügungsgewalt hierüber, unmittelbar und wesentlich beeinträchtigt. Genau dies entsprach auch ihrer Intention. Dabei ist davon auszugehen, dass der Busfahrer – als Angestellter der Reiseveranstalterin oder in anderer Form mit der Eigentümerin des Reisebusses vertraglich verbunden – in deren mutmaßlichem Einverständnis handelte, als er die Polizei rief, weil er seiner Beförderungsverpflichtung nicht nachkommen konnte. Es handelt sich hierbei nicht, wie die Revisionsbegründungsschrift es andeutet, um eine Form der zivilrechtlichen Streitigkeit, die nur ausnahmsweise ein staatliches Einschreiten erlaubt.

(b) Es kann vor diesem Hintergrund dahinstehen, ob das Verhalten der Angeklagten dem Grunde nach auch den Tatbestand der Nötigung nach § 240 StGB erfüllen kann. Es handelt sich in der Sache nicht um eine Konstellation der sog. Zweite-Reihe-Rechtsprechung, in der der Tatbestand in mittelbarer Täterschaft dadurch erfüllt wird, dass sich die physische Zwangswirkung vermittelt über ein Fahrzeug einstellt. Zu Blockadesituationen, in denen die Teilnehmenden sich – wie hier – eines Hilfsmittels bedient haben, das über ihre bloße Anwesenheit hinausgeht, hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG, Beschluss vom 24. Oktober 2001 – 1 BvR 1190/90 –, BVerfGE 104, 92) Folgendes ausgeführt:

„Das Tatbestandsmerkmal der Gewalt kann nach der angeführten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts unter dem Gesichtspunkt der Bestimmtheit der Strafandrohung nicht in Fällen bejaht werden, in denen die Gewalt lediglich in körperlicher Anwesenheit besteht und die Zwangswirkung auf den Genötigten nur psychischer Natur ist (BVerfGE 92, 1 <18>). Die Aktion der Beschwerdeführerinnen beschränkte sich im vorliegenden Fall jedoch nicht auf die körperliche Anwesenheit vor dem Tor und den dadurch auf die Führer der Kraftfahrzeuge ausgelösten psychischen Zwang, wegen der Gefahr der Verletzung oder Tötung der Demonstranten anzuhalten oder umzukehren. Zusätzlich erfolgte durch die Demonstranten selbst eine körperliche Kraftentfaltung, und zwar durch die Anbringung der in Hüfthöhe mit den Personen verbundenen Metallketten an den beiden Pfosten des Einfahrtstors. Es ist nicht zu beanstanden, dass die Strafgerichte darin eine Gewaltanwendung gesehen haben. Insofern ist nicht etwa maßgebend, dass auch die Entfernung der Fixierung eine körperliche Kraftentfaltung erfordert. Die Ankettung gab der Demonstration eine über den psychischen Zwang hinausgehende Eignung, Dritten den Willen der Demonstranten aufzuzwingen. Sie nahm den Demonstranten die Möglichkeit, beim Heranfahren von Kraftfahrzeugen auszuweichen und erschwerte die Räumung der Einfahrt.“

Ähnlich verhält sich die Sachlage auch hier (vgl. kritisch zum Ganzen: Sinn in MüKoStGB, 4. Aufl., § 240 Rn. 46 f. m.w.N.).

(c) Dass die Polizei für die tatsächliche Auflösung der Versammlung einen standardisierten Mustertext verwendet hat, lässt entgegen der Revisionsbegründungsschrift auch keine Rückschlüsse darauf zu, dass sie das ihr eingeräumte Ermessen zuvor nicht ausgeübt habt. Die diesbezüglichen Ausführungen sind Mutmaßungen und Unterstellungen, die von den Urteilsfeststellungen nicht getragen werden. Ob sich das Ergebnis dabei im Nachhinein als richtig oder falsch herausstellt, spielt für die Frage der strafrechtlichen Rechtmäßigkeit keine Rolle (vgl. BVerfG, Beschluss vom 30. April 2007, a.a.O.). Entscheidend ist – wie dargelegt –, ob der Beamte im Bewusstsein seiner Verantwortung und unter bestmöglicher pflichtgemäßer Abwägung aller ihm erkennbaren Umstände die Handlung für nötig und sachlich gerechtfertigt halten durfte, bzw. ob sich diese objektiv im Rahmen des Vertretbaren gehalten hat, was nach den maßgeblichen Feststellungen hier der Fall war.

c) Soweit es den Umstand anbelangt, dass das Einpinseln der Hände der beteiligten Aktivistinnen und Aktivisten möglicherweise schon vor der endgültigen Auflösungsanordnung erfolgt ist und somit dem polizeilichen Handeln der Grundsatz der Polizeifestigkeit der Versammlung entgegenstehen könnte, gilt das Folgende:

aa) Es kann offen bleiben, ob die Versammlung in ihrer konkreten Ausprägung hier überhaupt dem Schutzbereich des Art. 8 Grundgesetz unterfallen ist. Insoweit ist zwar anerkannt, dass die Versammlungsfreiheit Behinderungen und Belästigungen Dritter deckt, die sich typischerweise aus der Durchführung der Versammlung ergeben und ohne Nachteile für den Versammlungszweck faktisch unvermeidbar sind. Der Rahmen der verfassungsrechtlich geschützten Versammlungsfreiheit wird aber da verlassen, wo nicht mehr die geistige Auseinandersetzung, die Artikulierung der gegensätzlichen Standpunkte im Meinungskampf und die Kundbarmachung des Protests als solche durchgeführt wird, sondern wo die Aktionen darauf angelegt sind, dass durch zielgerichtete Ausübung von Zwang Dritte in rechtlich erheblicher Weise daran gehindert werden sollen, ihre geschützten Rechtsgüter zu nutzen (vgl. BGH NJW 1998, 377). Die Versammlungsfreiheit kann Verhaltensweisen, die dem einzelnen verboten sind, nicht deshalb rechtfertigen, weil sie in Form einer Versammlung praktiziert werden (vgl. OLG Schleswig, Urteil vom 25. Februar 2011 – 1 U 39/10 –, juris). Unter diesem Gesichtspunkt handelt es sich bei der in Rede stehenden Protestaktion gerade nicht um den „Normalfall“, bei dem etwa andere Verkehrsteilnehmer einen Demonstrationszug passieren lassen oder diesem ausweichen müssen, so dass sich quasi zwangsläufig gewisse nötigende Wirkungen für Nicht-Versammlungsteilnehmer ergeben (vgl. Depenheuer in Dürig/Herzog/Scholz/Depenheuer GG, 104. EL, Art. 8 Rn. 62). Vielmehr ging es den Teilnehmenden hier um die komplette Blockierung des Busses und damit die gezielte Beeinträchtigung fremden Eigentums für einen (geplanten) nicht unwesentlichen Zeitraum. Dabei stellt sich die Situation auch anders dar als bei Blockadeaktionen durch Ankleben auf Fahrbahnen, weil dort öffentliches Straßenland beansprucht wird, wobei Versammlungen zum kommunikativen Gemeingebrauch gehören (vgl. Gusy in Huber/Voßkuhle GG, 8. Aufl., Art. 8 Rn. 76), während vorliegend in erster Linie die Beeinträchtigung privaten Eigentums im Raum steht.

bb) Jedenfalls aber – unter der Prämisse, dass das Verhalten der Angeklagten vom Schutzbereich der Versammlungsfreiheit umfasst ist – durften die Polizeibeamten wie erfolgt vorgehen, selbst wenn die Auflösungsanordnung nach dem Beginn der Vollstreckungshandlung erfolgt sein sollte.

(a) Das Versammlungsrecht – hier das VersFG BE – trägt mit seinen spezifischen Tatbestandsmerkmalen der Bedeutung des Art. 8 Grundgesetz für die demokratische Meinungsäußerung besonders Rechnung. Soweit es abschließende Regelungen hinsichtlich der polizeilichen Eingriffsbefugnisse enthält, geht es als Spezialgesetz dem allgemeinen Polizeirecht vor (vgl. für das VersG Bund: BVerwG, Urteil vom 27. März 2024 – 6 C 1/22 – und Beschluss vom 3. Mai 2019 – 6 B 149/18 –, jeweils juris). Das bedeutet allerdings nicht, dass in die Versammlungsfreiheit grundsätzlich nur auf Grundlage des jeweils maßgeblichen Versammlungsgesetzes eingegriffen werden kann. Diese Gesetze enthalten keine abschließenden Regelungen für die Abwehr aller im Zusammenhang mit Versammlungen auftretenden Gefahren, so dass es – liegt eine speziellere Norm nicht vor – zu einem Rückgriff auf das Polizeirecht der Länder kommt. So verhält es sich auch bei der Vollstreckung von auf versammlungsrechtlicher Grundlage erlassenen Verfügungen (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. März 2024, a.a.O., und Beschluss vom 3. Mai 2019, a.a.O.), weil diese ohne ihre tatsächliche Durchsetzung weitgehend sinnlos wären.

(b) Vorliegend wurde nach den Feststellungen der Urteilsgründe die Versammlung vor ihrer Auflösung zunächst – wobei es sich um die mildere Maßnahme handelt – beschränkt, indem sie auf die andere Straßenseite verlegt wurde (§ 14 Abs. 1 und 3 VersFG BE). In der Folge wurden Zwangsmittel angedroht, nachdem die Teilnehmenden dieser Beschränkung nicht nachkamen. Regelungen zur Durchsetzung von Beschränkungen oder der Auflösung von Versammlungen enthält das VersFG BE nicht, so dass insoweit der Rückgriff auf das UzWG Berlin (i.V.m. §§ 8 Abs. 1 Satz 1 VwVfG Berlin, 12 VwVG) eröffnet war. Indem die Polizei – jedenfalls auch – zur Durchsetzung der Beschränkung Zwangsmittel angedroht und angewendet hat, hat sie die auf versammlungsrechtlicher Grundlage erfolgte Beschränkung vollstreckt. Dabei ist diese Maßnahme nach den Urteilsgründen zeitlich nach der Anordnung erfolgt, so dass die Vollstreckungshandlung jedenfalls auf dieser Grundlage rechtmäßig war.

Angesichts des geringeren Schutzniveaus der allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetze, die nicht den spezifischen Anforderungen des Art. 8 Grundgesetz Rechnung zu tragen haben, wäre im Übrigen auch im Falle des Nichtvorliegens einer dem Schutz der Versammlungsfreiheit unterliegenden Zusammenkunft auf der Grundlage des ASOG BE ein Einschreiten möglich gewesen.


Einsender: RiKG U. Sandherr, Berlin

Anmerkung:


zurück zur Übersicht

Die Nutzung von Burhoff-Online ist kostenlos. Der Betrieb der Homepage verursacht aber für Wartungs-, Verbesserungsarbeiten und Speicherplatz laufende Kosten.

Wenn Sie daher Burhoff-Online freundlicherweise durch einen kleinen Obolus unterstützen wollen, haben Sie hier eine "Spendenmöglichkeit".