Gericht / Entscheidungsdatum: AG Tiergarten, Beschl. v. 12.11.2024 - 332a OWi 64/22
Leitsatz:
Die im Zuge der Akteneinsichtnahme entstandene Aktenversendungspauschale ist keine notwendige Auslage der Prozessführung und wird damit dem ortsansässigen Verteidiger nicht erstattet.
Amtsgericht Tiergarten
332a OWi 64/22
Beschluss
In dem Bußgeldverfahren
gegen pp.
Verteidiger:
wegen OWi Straßengesetz
hat das Amtsgericht Tiergarten am 12. November 2024 beschlossen:
Die Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichts Tiergarten vom 24.07.2024 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Das Verfahren über die Erinnerung ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
l.
Mit Urteil vom 19.04.2024 hat das Amtsgericht Tiergarten das Bußgeldverfahren wegen eines Ver-fahrenshindernisses gemäß §§ 260 Abs. 3 StPO i.V.m. § 46 OWiG eingestellt und die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen der Betroffenen der Landeskasse auferlegt.
Im Kostenfestsetzungsantrag vom 10.06.2024 hat der - in Berlin ansässige - Verteidiger zuzüglich zu der Verfahrensgebühr gemäß Nr. 5200 VV RVG in Höhe von 71 € netto und der Postpauschale gem. Nr. 7002 VV RVG in Höhe von 14,30 € auch die Erstattung der Aktenübersendungspauscha-le der Justiz in Höhe von 12,00 € zuzüglich 19 % Umsatzsteuer beantragt.
Mit Kostenfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichts Tiergarten vom 24.07.2024 hat der zuständige Rechtspfleger die dem Verteidiger aus der Staatskasse zu erstattenden notwendigen Auslagen antragsgemäß festgesetzt mit Ausnahme der vom Verteidiger beantragten Auslagen für die Ak-tenübersendungspauschale der Justiz in Höhe von 12,00 € zuzüglich 19 % Umsatzsteuer. Zur Be-gründung führte der Rechtspfleger an, die Akteneinsicht sei jederzeit an Gerichtsstelle möglich, so dass die Versendung der Akten an die Anwaltskanzlei eines Berliner Rechtsanwaltes nicht erfor-derlich sei und die dadurch entstehenden Kosten nicht zu den notwendigen Auslagen i.§.v. § 464a StPO i.V.m. § 91 ZPO gehörten. Die Aktenversendung auf Antrag des Rechtsanwaltes stelle viel-mehr einen Service des Gerichts dar. Kostenschuldner sei der Rechtsanwalt (§ 22 Abs. 1 GNotKG; § 28 Abs. 2 Nr. 1 GKG).
Hiergegen richtet sich die Erinnerung des Verteidigers vom 26.07.2024. Es sei nicht seine Aufga-be, nicht unerheblichen Zeit- und Fahraufwand von seiner im äußersten Norden Berlins gelegenen Kanzlei in Kauf zu nehmen, damit sich das Land Berlin die Erstattung der Aktenversendungsge-bühr sparen könne. Der Aufwand für die Abholung der Akte im Gericht überstiege deutlich den Betrag von 12,00 €. Zur weiteren Begründung beruft er sich auf die Ausführungen des Landesverfas-sungsgerichtshof des Landes Berlin in seiner Entscheidung vom 18.05.2022, Aktenzeichen 91/21.
Der Rechtspfleger hat der Erinnerung - nach Einholung der Stellungnahme des Bezirksrevisors - nicht abgeholfen.
Il.
Die Erinnerung ist zulässig. Da der Wert des Beschwerdegegenstand die Grenze von 200 € nicht überstiegt, war vorliegend nicht die Beschwerde, sondern die Erinnerung statthaft, der seitens des Rechtspflegers nicht abgeholfen wurde.
Die Erinnerung ist jedoch unbegründet. Die Auslage des Verteidigers für die Aktenversendungspauschale war im vorliegenden Einzelfall nicht notwendig im Sinne von § 464a Abs. 2 Nr. 2 StPO.
Nach § 467 Abs. 1 StPO i.V.m. § 46 OWiG fallen bei Verfahrenseinstellung nur die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Staatskasse zur Last. Demnach fallen der Staatskasse nicht alle Auslagen eines Betroffenen zur Last, sondern nur diejenigen, die notwendig sind. Was notwendig in diesem Sinne ist, regelt § 464a Abs. 2 Nr. 2 StPO, der über § 46 OWiG auch für das Bußgeld-verfahren gilt.
Gemäß § 464a Abs. 2 Nr. 2 StPO gehören zu den notwendigen Auslagen auch die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts, aber nur, soweit sie nach § 91 Abs. 2 ZPO zu erstatten sind. § 91 Abs. 2 ZPO hat folgenden Wortlaut: „Die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts der obsiegenden Partei sind in allen Prozessen zu erstatten, Reisekosten eines Rechtsanwalts, der nicht in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassen ist und am Ort des Prozessgerichts auch nicht wohnt, jedoch nur insoweit, als die Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war."
Die nach § 91 Abs. 2 ZPO zu erstattenden gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsan-walts richten sich nach dem Vergütungsverzeichnis zum RVG (VV RVG).
Bei der Aktenversendungspauschale handelt es sich um eine Auslage des Verteidigers, nämlich die Auslage nach Nr 9003 VV RGV. Danach beträgt die Pauschale für die bei der Versendung von Akten auf Antrag anfallenden Auslagen an Transport- und Verpackungskosten je Sendung 12,00 €.
Nach § 28 Abs. 2 GKG schuldet die Auslagen nach Nummer 9003 des Kostenverzeichnisses nur, wer die Versendung der Akte beantragt hat.
Mit den im VV RVG geregelten gesetzlichen Gebühren werden auch die allgemeinen Geschäfts-kosten des Verteidigers entgolten, siehe Vorbemerkung 7 Satz 1 zum Teil 7 des mit „Auslagen" überschriebenen Teils 7 zum VV RGV. Und Satz 2 regelt: „Soweit nachfolgend nichts anderes be-stimmt ist, kann der Rechtsanwalt Ersatz der entstandenen Aufwendungen (§ 675 i.V.m. § 670 BGB) verlangen." Die einzelnen Auslagentatbestände sind in den Nummern 7000 bis 7008 aufgelistet. Die Kosten für Aktenversendung sind nicht darunter. Aufgeführt sind aber u.a. Bestimmun-gen für Fahrtkosten für eine Geschäftsreise; diese betragen bei Benutzung eines eigenen Kraft-fahrzeugs für jeden gefahrenen Kilometer 0,42 € (Nr. 7003 VV RVG) und bei Benutzung eines an-deren Verkehrsmittels, soweit sie angemessen sind, in voller Höhe (Nr. 7004 VV RVG)
Gem. § 670 BGB sind Aufwendungen zu ersetzen, die der Rechtsanwalt den Umständen nach für erforderlich halten darf. Voraussetzung für einen Vergütungsanspruch für Auslagen ist demnach auch, dass die sie verursachende Tätigkeit notwendig war (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Auflage 2023, § 464a Rn. 1 1; Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, 26. Aufl. 2023, RVG W Vorbemerkung 7 Rn. 24, 25, beck-online).
Nach § 32f Abs. 2 StPO i.V.m. § 46 OWiG wird die Einsicht in Akten, die — wie im vorliegenden Verfahren - in Papierform vorliegen, durch Einsichtnahme in die Akten in Diensträumen gewährt. Die Akteneinsicht kann, soweit nicht wichtige Gründe entgegenstehen, auch durch Bereitstellen des Inhalts der Akten zum Abruf, durch Übermittlung des Inhalts der Akte auf einem sicheren Übermittlungsweg oder durch Bereitstellen einer Aktenkopie zur Mitnahme gewährt werden. Auf besonderen Antrag werden einem Verteidiger oder Rechtsanwalt, soweit nicht wichtige Gründe entgegenstehen, die Akten zur Einsichtnahme in seine Geschäftsräume oder in seine Wohnung mitgegeben.
Demnach stellt die Akteneinsicht an Gerichtsstelle der Regelfall und die Mitnahme die Ausnahme vor. Eine Aktenübersendung ist für ortsansässige Verteidiger nicht vorgesehen.
Im Rahmen der notwendigen Kosten der Verteidigung sind die Kosten der Akteneinsicht nicht ge-sondert anzusetzen, sondern in der Grund- und Verfahrensgebühr nach dem RVG enthalten (AG Tiergarten, Beschl. v. 12.07.2023 — 327 Ds 10/19). Da die Kosten für die auf Antrag des Verteidi-gers erfolgte Aktenübersendung zu den allgemeinen Geschäftskosten des Verteidigers gehören, die durch die im VV RVG geregelten gesetzlichen Gebühren bereits abgegolten sind, kann der Verteidiger die Aktenversendungspauschale auch nicht auf seinen Mandanten abwenden; bei der Aktenversendungspauschale handelt es sich bei Anwälten mit Berliner Kanzleisitz deshalb nicht um notwendige Auslagen (LG Berlin, Beschl. v. 30.08.2022, 528 Qs 53/22). Ist die Übersendung nicht zur Ausführung des erteilten Mandats erforderlich, ist die verauslagte Aktenversendungspauschale keine Aufwendung, die der Verteidiger seiner Mandantin zusätzlich in Rechnung stellen könnte (AG Köln, Beschl. v. 10.09.2024 — 581 Cs 391/23, zu einem vergleichbaren Fall). Bei der Aktenüber-sendung an ortsansässige Rechtsanwälte handelt es sich vielmehr um eine vom Gesetz nicht um-fasste zusätzliche Leistung des Gerichts (BVerfG, Beschluss vom 06.03.1996, 2 BvR 386/96, NStZ 1997, 42, beck-online), die dem Verteidiger die zwar kostenlose, jedoch mit zeitlichem Auf-wand verbundene Akteneinsicht bei Gericht oder die Mitnahme der Akte von dort erspart und auf deren Erstattung im Kostenfestsetzungsverfahren kein Anspruch besteht (LG Berlin Beschl. v. 22.09.2011, 517 Qs 93/11, und Beschl. v. 22.3.2012, 517 Qs 5/12, BeckRS 2012, 11923, beck-online). Die in der Rechtsprechung vertretene andere Ansicht (AG Köln, Beschl. v. 13.03.2024, 651 Ds 256/23, und AG Tiergarten, Beschl. v. 30.08.2023, 336 OWi 238/23) vermag nicht zu überzeugen, da sie die Besonderheiten der im RGV geregelten gesetzlichen Gebühren und Ausla-gen nicht hinreichend berücksichtigt.
Aus der von der Verteidigung ins Feld geführten Entscheidung des VerfGH Berlin (Beschl. v. 18.05.2022, VerfGH 91/21, BeckRS 2022, 11824) folgt nicht, dass ein in Berlin ansässiger Recht-anwalt einen Anspruch auf Erstattung der Aktenversendungspauschale hat. Der VerfGH hat die ablehnende Entscheidung des Amtsgerichts Tiergarten vom 27.04.2021 (288 OWi 223/21) lediglich wegen unzureichender Begründung und demzufolge als Verstoß gegen das Willkürverbot aufge-hoben und an das Amtsgericht Tiergarten zurückverwiesen. Hinsichtlich der Aktenversendungs-pauschale führt der VerfGH aus, diese könne auch als notwendige Auslage angesehen werden. Notwendig sei eine Auslage, wenn sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder zur Gel-tendmachung prozessualer Rechte erforderlich war. Dies könne schon dann anzunehmen sein, wenn der vernünftige und besonnene Verfahrensbeteiligte sie für geboten halten durfte. Dem Fall lag aber die vom vorliegenden Fall abweichende Konstellation zugrunde, dass es gar keine Papier-akte gab, sondern es sich um eine elektronisch geführte Akte in einer Verkehrsbußgeldsache han-delte. Aufgrund der nicht vergleichbaren Verfahrenskonstellation kommt der Entscheidung des VerfGH Berlin keine Bindungswirkung im Sinne von § 30 Abs. 1 VerfGHG für das vorliegende Ver-fahren zu.
Nur bei einem auswärtigen Verteidiger ist die Aktenübersendung notwendig in diesem Sinn, da er bei persönlicher Abholung einen Anspruch auf Vergütung der Reisekosten hätte, die in aller Regel höher als die Aktenversendungspauschale sind. In diesem Fall ist die Aktenübersendung die für den Mandanten kostengünstigste Maßnahme zur Durchführung der Akteneinsicht mit der Folge, dass die Kosten für die Aktenübersendung eine notwendige Auslage ist.
Einsender: RiAG Dr. Osterloh, Berlin
Anmerkung:
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