Gericht / Entscheidungsdatum: BayObLG, Beschl. v. 20.09.2024 - 203 StRR 409/24
Leitsatz des Gerichts:
1. Grundsätzlich dürfen auch nicht einschlägige Vorstrafen bei der Strafzumessung berücksichtigt werden, weil sie belegen, dass der Täter sich die frühere Verurteilung nicht hat zur Warnung dienen lassen. Im Urteil sind die bei der Strafzumessung zu berücksichtigenden Vorstrafen in dem Umfang und in der Detailliertheit mitzuteilen, in denen sie für die getroffene Entscheidung von Bedeutung sind. Die gebotene Darstellungsbreite und die Darstellungsdichte bestimmen sich nach dem Einzelfall. In der Regel erforderlich sind Ausführungen zum Zeitpunkt der Vorverurteilungen, zum Schuldspruch, zu den erkannten Rechtsfolgen und zu einer etwaigen Verbüßung. Wenn aus Vortaten und Vorstrafen gewichtigere Konsequenzen gezogen werden sollen, ist es in der Regel sachlich-rechtlich geboten, ergänzend die früheren Taten mit einer (zusammengefassten) Sachverhaltsschilderung und gegebenenfalls auch mit relevanten früheren Strafzumessungserwägungen festzustellen und mitzuteilen.
2. Die Bemessung des Tagessatzes nach § 40 Abs. 2 S. 1 StGB kann als ein Teil der Strafzumessung vom Revisionsgericht als tatrichterliche Ermessensentscheidung nur in beschränktem Umfang nachgeprüft werden. Der Tatrichter hat einen weiten Beurteilungsspielraum. Zu dem Einkommen im Sinne von § 40 Abs. 2 StGB gehören auch die Grundsicherung und sonstige Unterstützungsleistungen samt etwaiger Sachbezüge. Es sind nicht nur solche Leistungen zu berücksichtigen, die der Täter tatsächlich erhält, sondern auch diejenigen, auf welche er Anspruch hat. Auch Naturalbezüge, wie etwa freie Kost und Wohnung sind zu berücksichtigen. Nach § 40 Abs. 2 S. 2 StGB kommt es nicht auf das tatsächliche, sondern auf das zumutbar erzielbare Einkommen an.
Bayerisches Oberstes Landesgericht
203 StRR 409/24
In dem Strafverfahren
gegen pp.
wegen Sachbeschädigung
erlässt das Bayerische Oberste Landesgericht - 3. Strafsenat - durch die unterzeichnenden Richter am 20. September 2024 folgenden
Beschluss
I. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Nürnberg vom 05. März 2024 wird gemäß § 349 Abs. 2 StPO als offensichtlich unbegründet mit der Maßgabe verworfen, dass dem Angeklagten gestattet wird, die Geldstrafe in monatlichen Teilbeträgen von 50 Euro, fällig jeweils am 1. eines Monats, beginnend mit dem auf die Bekanntgabe dieser Entscheidung folgenden Monat zu zahlen. Diese Vergünstigung entfällt, wenn der Angeklagte schuldhaft mit der Zahlung für mehr als einen Monat in Verzug geraten ist.
II. Der Angeklagte hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Gründe:
I.
Das Amtsgericht Nürnberg hat den Angeklagten mit Urteil vom 5. März 2024 wegen Sachbeschädigung zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 10.- Euro verurteilt. Dagegen wendet sich der Angeklagte in seiner Sprungrevision mit der ausgeführten Sachrüge. Die Generalstaatsanwaltschaft München beantragt mit Stellungnahme vom 12. August 2024, die Revision kostenpflichtig als unbegründet zu verwerfen.
II.
Die auf die Sachrüge hin veranlasste umfassende Überprüfung des nach § 335 StPO zulässig mit der Sprungrevision angegriffenen Urteils des Amtsgerichts hat - mit Ausnahme der bislang nicht gewährten Ratenzahlungsmöglichkeit - hinsichtlich des Schuld- und Strafausspruchs keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO). Zur Begründung wird im Wesentlichen auf die Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft München Bezug genommen. Anlass zu näherer Erörterung gibt die Berücksichtigung der Vorstrafe im Rahmen der Strafzumessung zum Nachteil des Angeklagten.
Nach den Feststellungen des Amtsgerichts ist der Angeklagte wegen Besitzes von Betäubungsmitteln vorbestraft. Welche konkreten Betäubungsmittel und welche Menge der damaligen Verurteilung zugrunde lagen, ist den Feststellungen ebenso wenig zu entnehmen wie die genauen Umstände des Besitzes. Es ist daher nicht auszuschließen, dass sich die Tat auch auf einen mittlerweile nach § 34 Abs. 1 Nr. 1 KCanG straflos gestellten Besitz von Cannabis bezog. Die knappen Ausführungen des Amtsgerichts bedingen jedoch nicht die Aufhebung des Strafausspruchs.
Grundsätzlich dürfen auch nicht einschlägige Vorstrafen bei der Strafzumessung berücksichtigt werden, weil sie belegen, dass der Täter sich die frühere Verurteilung nicht hat zur Warnung dienen lassen (BGH, Urteil vom 4. August 1971 – 2 StR 13/71 –, BGHSt 24, 198-200, juris; Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 7. Aufl., Teil 8 C II 3 Rn. 1385; Schönke/Schröder/Kinzig, 30. Aufl. 2019, StGB § 46 Rn. 31). Im Urteil sind dann die bei der Strafzumessung zu berücksichtigenden Vorstrafen in dem Umfang und in der Detailliertheit mitzuteilen, in denen sie für die getroffene Entscheidung von Bedeutung sind (vgl. BGH, Beschluss vom 25. November 2021 – 4 StR 255/21 –, juris; BGH, Beschluss vom 10. September 2003 – 1 StR 371/03 –, juris; BGH, Urteil vom 18. April 1996 – 1 StR 134/96 –, juris Rn. 6; BGH, Beschluss vom 28. April 1993 – 2 StR 166/93 –, juris Rn. 7; KG Berlin, Beschluss vom 11. Februar 2022 – (3) 121 Ss 170/21 (62/21) –, juris Rn. 16; OLG Düsseldorf, Urteil vom 26. September 2013 – III-1 RVs 35/13 –, juris Rn. 6; KG, Beschluss vom 8. März 2013 - (4) 161 Ss 21/13 (28/13) -, juris Rn. 15; OLG Frankfurt a.M., Urteil vom 2. September 2008 - 2 Ss 150/08 -, juris Rn. 8; BayObLG, Urteil vom 15. Juli 2004 – 5St RR 182/04 –, juris Rn. 16; Maier in MüKoStGB, 4. Aufl. 2020, StGB § 46 Rn. 276; ausführlich Schneider in: Leipziger Kommentar zum StGB, 13. Auflage, § 46 StGB Rn. 150 und Rn. 316). Denn der Tatrichter ist gehalten, dem Revisionsgericht anhand seiner Darstellung in den Urteilsgründen die Nachprüfung zu ermöglichen, ob er die gebotene wertende Gesamtschau von Tatgeschehen und Person des Angeklagten sowie der für seine Persönlichkeit, sein Vorleben und sein Nachtatverhalten aussagekräftigen Umstände vorgenommen hat (Wenske in MüKoStPO, 2. Aufl. 2024, StPO § 267 Rn. 58, 59).
Die gebotene Darstellungsbreite und die Darstellungsdichte bestimmen sich nach dem Einzelfall (BayObLG, Beschluss vom 20. Dezember 2004 – 4St RR 204/04 –, juris Rn. 7; BayObLG, Urteil vom 15. Juli 2004 – 5St RR 182/04 –, juris Rn. 16; BGH, Beschluss vom 20. Juni 2001 – 3 StR 202/01 –, juris; OLG Frankfurt, Urteil vom 2. September 2008 – 2 Ss 150/08 –, juris Rn. 8). In der Regel erforderlich sind Ausführungen zum Zeitpunkt der Vorverurteilungen, zum Schuldspruch, zu den erkannten Rechtsfolgen und zu einer etwaigen Verbüßung (vgl. BayObLG, Beschluss vom 20. Dezember 2004 – 4St RR 204/04 –, juris Rn. 8; BayObLG, Urteil vom 15. Juli 2004 – 5St RR 182/04 –, juris Rn. 16; BGH, Beschluss vom 20. Juni 2001 – 3 StR 202/01 –, juris; OLG Köln, Beschluss vom 2. Juni 2017 – III-1 RVs 117/17 –, juris; OLG Düsseldorf, Urteil vom 26. September 2013 – III-1 RVs 35/13 –, juris Rn. 6; OLG Frankfurt a.M., Urteil vom 2. September 2008 - 2 Ss 150/08 -, juris Rn. 8; Schäfer/Sander/van Gemmeren, a.a.O. Rn. 1385). Nur wenn aus Vortaten und Vorstrafen gewichtigere Konsequenzen gezogen werden sollen, ist es in der Regel sachlich-rechtlich geboten, ergänzend die früheren Taten mit einer (zusammengefassten) Sachverhaltsschilderung und gegebenenfalls auch mit relevanten früheren Strafzumessungserwägungen festzustellen und mitzuteilen (BGH, Beschluss vom 27. Oktober 2015 – 3 StR 363/15 –, juris Rn. 16; OLG Köln, Beschluss vom 2. Juni 2017 – III-1 RVs 117/17 –, juris; Schäfer/Sander/van Gemmeren, a.a.O. Rn. 1387). Ansonsten reicht die Wiedergabe der oben bezeichneten Essentialia (BGH, Beschluss vom 10. September 2003 – 1 StR 371/03 –, juris; BayObLG, Urteil vom 15. Juli 2004 – 5St RR 182/04 –, juris Rn. 16).
Gemessen daran genügt hier die knappe Darstellung der Vorstrafe den Anforderungen der Rechtsprechung. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts, die der Angeklagte nicht mit einer Aufklärungsrüge angegriffen hat, liegt der Vorverurteilung zu einer Geldstrafe am unteren Rand ein – nicht einschlägiger - unerlaubter Besitz von Betäubungsmitteln der Anlagen I und II zu § 1 Abs. 1 BtMG in der damaligen Fassung zugrunde. Das damalige Urteil bezog sich demnach auch auf den weiterhin strafbaren Besitz von verkehrsfähigen, aber nicht verschreibungsfähigen Betäubungsmitteln (zur Verwertbarkeit einer Vorverurteilung wegen Besitzes von Cannabis nach dem BtMG unter dem Aspekt von § 51 Abs. 1 BZRG vgl. auch BayObLG, Beschluss vom 27. Juni 2024 – 204 StRR 205/24 –, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 22. August 2024 – III-3 ORs 49/24 –, juris), das Tatunrecht war nicht allzu hoch. Daher bestand für das Amtsgericht keine weitergehende Erörterungspflicht.
Die Bemessung des Tagessatzes mit 10,– Euro ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Nach § 40 Abs. 2 S. 1 StGB bestimmt das Gericht die Höhe eines Tagessatzes unter Berücksichtigung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters. Diese Entscheidung, die ein Teil der Strafzumessung ist, kann vom Revisionsgericht als tatrichterliche Ermessensentscheidung nur in beschränktem Umfang nachgeprüft werden. Der Tatrichter hat nämlich einen weiten Beurteilungsspielraum; die Festsetzung der Tagessatzhöhe soll nicht mathematisiert werden (OLG Frankfurt, Urteil vom 21. März 2006 – 2 Ss 30/06 –, juris Rn. 8, 9). Zu dem Einkommen im Sinne von § 40 Abs. 2 StGB gehören auch die Grundsicherung und sonstige Unterstützungsleistungen samt etwaiger Sachbezüge (vgl. Fischer, StGB, 71. Aufl., § 40 Rn. 11). Dabei sind nicht nur solche Leistungen zu berücksichtigen, die der Täter tatsächlich erhält, sondern auch diejenigen, auf welche er Anspruch hat (OLG Frankfurt, Urteil vom 21. März 2006 – 2 Ss 30/06 –, juris Rn. 11; KG Berlin, Beschluss vom 31. März 2004 – (5) 1 Ss 268/03 (52/03) –, juris; Fischer a.a.O. Rn. 11). Auch Naturalbezüge, wie etwa freie Kost und Wohnung sind zu berücksichtigen (OLG Celle, Beschluss vom 30. November 2011 – 32 Ss 147/11 –, juris Rn. 3; OLG Köln, Urteil vom 24. August 1976 – Ss 380/75 –, juris Rn. 8; OLG Hamm, Urteil vom 12. November 1975 – 4 Ss 616/75 –, juris; Grube in: Leipziger Kommentar zum StGB, 13. Auflage, § 40 StGB Rn, 27; Fischer a.a.O. Rn. 7). Nach § 40 Abs. 2 S. 2 StGB kommt es nicht auf das tatsächliche, sondern auf das zumutbar erzielbare Einkommen an. Das erzielbare (fiktive) Nettoeinkommen eines Angeklagten darf dann Berechnungsgrundlage für die Tagessatzhöhe sein, wenn er zumutbare Erwerbsmöglichkeiten ohne billigenswerten Grund nicht wahrnimmt und deshalb kein oder nur ein herabgesetztes Nettoeinkommen erzielt (KG Berlin, Beschluss vom 16. September 1998 – (4) 1 Ss 199/98 (92/98)-, juris Rn. 2; vgl. auch BayObLG, Beschluss vom 2. Februar 1998 – 1St RR 1/98-, juris Rn. 14; Fischer a.a.O. Rn. 8). Mit Blick auf den Wert der Mitnutzung der Stadtwohnung, den tatsächlich geleisteten Unterhalt der Lebensgefährtin und den Beruf des Angeklagten hat der Senat keine Bedenken gegen die Zurechnung von Einkünften von 300.- Euro monatlich.
Die Zahlungserleichterung nach § 42 S. 1 StGB kann der Senat gemäß § 354 Abs. 1 StPO selbst gewähren, denn der Sachverhalt liegt einfach und das Amtsgericht hat hierfür ausreichende Feststellungen getroffen. Er erachtet eine monatliche Ratenzahlung von 50 Euro für angemessen. Die Festsetzung einer (noch) geringeren Ratenhöhe war mit Blick auf den Strafzweck nicht geboten. Die Verfallsklausel beruht auf § 42 Satz 2 StGB.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO. Der geringe Erfolg der Revision gibt keinen Anlass, den Angeklagten von den Kosten des Verfahrens und seinen Auslagen auch nur teilweise zu entlasten (§ 473 Abs. 4 StPO).
Einsender: 4. Strafsenat des BayObLG
Anmerkung:
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