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Entscheidungen

StPO

Strafbefehlsverfahren, Zulässigkeit der Durchführung, Ablehnung eines beschleunigten Verfahrens

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Schleswig, Urt. v. 08.11.2024 – 1 ORs SRs 67/24

Leitsatz des Gerichts:

1. Die Staatsanwaltschaft ist nicht gehindert, sich nach Ablehnung des Antrags auf Durchführung des beschleunigten Verfahrens durch das Amtsgericht für die Durchführung des Strafbefehlsverfahrens zu entscheiden und gemäß § 407 Abs. 1 StPO den Erlass eines Strafbefehls zu beantragen, solange das Gericht nicht die Eröffnung nach § 203 StPO beschließt.
2. Durch die ausdrückliche gerichtliche Ablehnung des beschleunigten Verfahrens und die Rückgabe der Akten an die Staatsanwaltschaft kehrt das Verfahren in den Stand des Ermittlungsverfahrens zurück; die Staatsanwaltschaft erlangt ihre volle Entschließungsfreiheit wieder.
3. Eine isolierte Betrachtung des § 419 Abs. 3 StPO als „bewusst lückenhafte Regelung des Gesetzgebers“ greift nicht durch. Sie bedeutet im Ergebnis einen unzulässigen Eingriff in die Verfahrenshoheit der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren.


In pp.

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil der III. Kleinen Strafkammer des Landgerichts Flensburg vom 12. Juni 2024 mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu erneuter Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Kleine Strafkammer des Landgerichts Flensburg zurückverwiesen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht Flensburg hat den Angeklagten in erster Instanz wegen Nötigung zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 30 € verurteilt. Auf die gegen dieses Urteil gerichtete Berufung des Angeklagten hat das Landgericht das Verfahren durch Prozessurteil gemäß § 260 Abs. 3 StPO wegen eines Verfahrenshindernisses eingestellt. Das Verfahrenshindernis sah das Landgericht darin, dass das Amtsgericht nach Ablehnung der Durchführung des beschleunigten Verfahrens (§§ 417 ff. StPO) sodann im Strafbefehlsverfahren nach Einspruch (§§ 409 ff. StPO) ohne Eröffnungsbeschluss (§ 203 StPO) entschieden hat.

Hiergegen richtet sich die Revision der Staatsanwaltschaft. Sie erhebt die allgemeine Sachrüge und macht im Wesentlichen geltend, dass im Strafbefehlsverfahren gemäß § 408 Abs. 3 Satz 1 StPO kein Eröffnungsbeschluss erforderlich sei. Dies gelte auch nach vorausgegangener Ablehnung der Durchführung des ursprünglich beantragen beschleunigten Verfahrens, da die Staatsanwaltschaft nach Rücknahme dieses Antrags die vollständige Entscheidung über das Ermittlungsverfahren zurück erlangt habe.

II.

Die gemäß § 333 StPO statthafte Revision ist zulässig erhoben worden. Sie hat auch in der Sache vorläufig Erfolg.

Die Einstellung des Verfahrens gemäß § 260 Abs. 3 StPO ist rechtsfehlerhaft erfolgt. Die Erwägungen des Landgerichts halten revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.

Die Staatsanwaltschaft war nicht gehindert, sich nach Ablehnung des Antrags auf Durchführung des beschleunigten Verfahrens durch das Amtsgericht für die Durchführung des Strafbefehlsverfahrens zu entscheiden und gemäß § 407 Abs. 1 StPO den Erlass eines Strafbefehls zu beantragen. Der Strafbefehlsantrag ist eine besondere Form der öffentlichen Klage (§ 407 Abs. 1 Satz 4 StPO). An Stelle des Eröffnungsbeschlusses tritt im Strafbefehlsverfahren der Erlass des Strafbefehls (§ 408 Abs. 2 StPO). Das Amtsgericht hat das Strafbefehlsverfahren insgesamt rechtsfehlerfrei durchgeführt.

Das Landgericht verkennt den systematischen Zusammenhang der gesetzlichen Regelungen und Verfahrensarten und geht in der Folge rechtsfehlerhaft von einer bewusst lückenhaften Regelung des Gesetzgebers in § 419 Abs. 3 StPO aus. Diese isolierte Betrachtung des § 419 StPO überzeugt nicht. Sie bedeutet einen unzulässigen Eingriff in die Verfahrenshoheit der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren.

Insbesondere ist das Landgericht rechtsfehlerhaft der Auffassung, das Gesetz gehe davon aus und die Regelung des § 419 Abs. 3 StPO mache entsprechend deutlich, "dass nach der Ablehnung des beschleunigten Verfahrens sich nunmehr ein reguläres Strafverfahren anzuschließen hat" (S. 4 UA). Ebenso rechtsfehlerhaft ist die Annahme, "Eine Rückgabe der Akten bei genügendem Tatverdacht zur Beantragung eines Strafbefehls ist in diesem Stadium [Entscheidung des Gerichts über den Antrag auf Durchführung des beschleunigten Verfahrens, Anm. d. Senats] gerade nicht vorgesehen, was sich angesichts der Formulierung der Regelung als bewusste Entscheidung des Gesetzgebers darstellt." (S. 4 UA) und das Gesetz sehe nicht vor, dass die Staatsanwaltschaft einen Strafbefehl beantragen kann, statt das Verfahren einzustellen oder ins Normalverfahren überzugehen (S. 5 UA), dies sei "als bewusste Entscheidung des Gesetzgebers anzusehen und hinzunehmen" (S. 5 UA).

Vielmehr ist es so, dass die Staatsanwaltschaft als Herrin des Ermittlungsverfahrens am Ende dieses vorbereitenden Verfahrens allein entscheidet, wie sie verfahren will. Will sie Anklage erheben, kann sie dies gemäß §§ 199, 200 StPO tun, einen Antrag im beschleunigten Verfahren gemäß §§ 417 ff. StPO stellen, in welchem Anklage mündlich oder schriftlich erhoben werden kann (§ 417, 418 Abs. 2 StPO) oder die öffentliche Klage durch Antrag auf Erlass eines Strafbefehls erheben (§ 407 Abs. 1 Satz 4 StPO). Die Staatsanwaltschaft verliert die Dispositionsbefugnis über die Anklage erst mit Eröffnung des Hauptverfahrens (§ 156 StPO) oder mit dem Verfahrensereignis, das dieser Eröffnung bei den besonderen Verfahrensarten entspricht, so etwa im Strafbefehlsverfahren mit Erlass des Strafbefehls (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 67. Auflage, § 156 Rz. 1).

Im beschleunigten Verfahren kehrt durch die ausdrückliche gerichtliche Ablehnung dieses Verfahrens und die Rückgabe der Akten an die Staatsanwaltschaft das Verfahren in das Ermittlungsverfahren zurück, in dem die Frage hinreichenden Tatverdachts einer neuen Prüfung seitens der Staatsanwaltschaft zu unterziehen ist, zumindest aber unterzogen werden kann, und in dem die Staatsanwaltschaft - selbst, wenn sie den Antrag auf Entscheidung im beschleunigten Verfahren nicht zurückgenommen hat - ihre volle Entschließungsfreiheit, auch z. B. zur Einstellung, etwa nach § 170 Abs. 2 StPO, wiedererlangt (vgl. OLG Köln NStZ 2004, 281 Rn. 15, beck-online, m. w. N.; Gaede in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Auflage, § 419 StPO, Rn. 40). Mit der Wiedergewinnung dieser Entscheidungsfreiheit kann die Staatsanwaltschaft eine erneute Anklage eben auch dadurch erheben, dass sie den Erlass eines Strafbefehls beantragt (vgl. Gaede in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Auflage, § 419 StPO, Rn. 42, KK-StPO/Graf, StPO, 9. Aufl., § 418 Rz. 9a m. w. N.). Entgegen der Auffassung des Landgerichts ist dies somit gesetzlich vorgesehen. Eine abweichende "bewusste Entscheidung des Gesetzgebers" gibt es nicht.

Weiter rechtsfehlerhaft ist die Auffassung des Landgerichts,

"Insoweit ist das Verhältnis von Strafbefehlsverfahren und beschleunigtem Verfahren in diesem Verfahrensstadium daher als eine Wahl zwischen zwei Alternativen von vereinfachten Verfahrensarten zu verstehen, die gerade nicht hintereinander geschaltet werden dürfen. Eine 'doppelte Beschleunigung' des Verfahrens durch einen Antrag auf beschleunigtes Verfahren und anschließenden Strafbefehlsantrag ohne Hauptverhandlung sieht die Prozessordnung nicht vor." (S. 5 UA)

Es bleibt schon unklar, worin das Landgericht eine "doppelte" oder "Überbeschleunigung" des Verfahrens sehen möchte, wenn das Gericht die Durchführung eines beschleunigten Verfahrens gerade ablehnt und damit lediglich eine neue Sachentscheidung der Staatsanwaltschaft veranlasst ist. Dies erscheint umso unverständlicher, als das Landgericht selbst nicht in Abrede stellt, dass im beschleunigten Verfahren dann in das Strafbefehlsverfahren übergegangen wird, wenn der Angeklagte im Hauptverhandlungstermin nicht erscheint (§ 418 Abs. 3 Satz 3 StPO) - aus Sicht des Landgerichts müsste gerade hierin ein Verstoß gegen die "innere Logik der Regelungen über ein beschleunigtes Verfahren" (S. 5 UA) liegen. Dass es einer ausdrücklichen Verweisung wie in § 418 Abs. 3 Satz 3 StPO nicht bedarf, folgt ohne weites daraus, dass sich das Verfahren nach Ablehnung des beschleunigten Verfahrens und Rückgabe - wie bereits vorstehend ausgeführt - wieder im Stadium des Ermittlungsverfahrens befindet und die Möglichkeit eines Strafbefehlsantrags damit in der Verfahrenshoheit der Staatsanwaltschaft liegt.

Schließlich steht die Auffassung des Landgerichts, "bei Erlass eines Strafbefehls nach Ablehnung des beschleunigten Verfahrens ohne vorherige Hauptverhandlung" würde "dem Angeklagten die vom Gesetzgeber vorgesehene Verteidigung in der Hauptverhandlung genommen" (S. 7 UA) nicht ein Einklang mit der gesetzlichen Regelung. Denn mit der Ablehnung des beschleunigten Verfahrens vor Beginn der Hauptverhandlung ist diese Verfahrensart beendet, die Rechtshängigkeit entfällt (KK-StPO/Graf, a. a. O., § 418 Rz. 4), das Verfahren befindet sich wieder im Stand des Ermittlungsverfahrens. Wird sodann Strafbefehl beantragt und erlassen, findet die Hauptverhandlung auf Einspruch des Angeklagten statt (§§ 410 Abs. 1, 411 Abs. 1 Satz 2 StPO). Dass der Strafbefehl ohne rechtzeitigen Einspruch - ohne Hauptverhandlung - einem rechtskräftigen Urteil gleichsteht (§ 410 Abs. 3 StPO), sieht auch das Landgericht nicht anders und verweist sogar selbst auf die verfassungsrechtliche Unbedenklichkeit (vgl. BVerfG, Urteil vom 19. März 2013, NJW 2013, 1058 Rn. 104, beck-online).


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