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Entscheidungen

Gebühren/Kosten/Auslagen

Bußgeldverfahren, Rahmengebühren, Bemessung, straßenverkehrsrechtliches Bußgeldverfahren, 20%-Grenze

Gericht / Entscheidungsdatum: AG Viechtach, Beschl. v. 27.11.2024 - 6 II OWi 242/24

Eigener Leitsatz:

1. Es scheint insbesondere mit Blick auf die Höhe der Verteidigergebühren in Strafsachen nicht gerechtfertigt, für ein durchschnittliches Verkehrsordnungswidrigkeitenverfahren die allgemeine Mittelgebühr anzusetzen. Die Mittelgebühr ist auf den allgemeinen Durchschnittsfall in der Gesamtbetrachtung aller Ordnungswidrigkeitenbereiche zugeschnitten.
2. Zur Bemessung der Rahmengebühren im straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren.


Amtsgericht Viechtach
6 II OWi 242/24

In dem Bußgeldverfahren
gegen pp.

wegen Entscheidung gg. Kostenfestsetzung gem. §§ 108 Abs.1 Satz 1 Nr. 2, 62 OWiG

erlässt das Amtsgericht Viechtach durch den Richter am Amtsgericht am 27. November 2024 folgenden

Beschluss

I. Aufgrund des Antrags auf gerichtliche Entscheidung vom 14.6.2024 wird der Bescheid der Zentralen Bußgeldstelle vom 22.07.2024 wie folgt, abgeändert:
- Die Gebühr Nr. 5100 VV RVG beträgt 110 EUR
- Die Gebühr Nr. 5103 VV RVG beträgt 220 EUR
- Die Gebühr Nr. 5115 VV RVG beträgt 176 EUR
- Die Mwst. - Nr. 7008 VV RVG- beträgt 104,75 EUR

Im Übrigen bleibt es bei dem Bescheid.

Die sich daraus ergebende Gesamtsumme von 668,05 EUR wird verzinst mit i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 14.6.2024.
II. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen d. Betroffenen fallen der Staatskasse zur Last.
III. Eine Gerichtsgebühr wird nicht erhoben.

Gründe:

I.

Gegen den Betroffenen - der Fahrlehrer ist - wurde mit Bußgeldbescheid vom 23.1.2024 eine Geldbuße von 100,00 Euro verhängt. Ein Punkt im Fahreignungsregister, bei Vorliegen keiner Voreintragung, war angedroht.

Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 29.1.2024 zeigte sich der Rechtsanwalt als Verteidiger an, legte Einspruch ein und beantragte Akteneinsicht.

Zuvor wandte d. Betroffene mit Mail vom 8.1.24 ein, nicht der Fahrer gewesen zu sein.

Nach Verjährungseintritt wurde mit Verfügung vom 19.4.2024 wurde das Verfahren eingestellt. Die notwendigen Auslagen d. Betroffenen wurden d. Staatskasse nicht auferlegt.

Hiergegen wandte sich d. Verteidiger mit AgE erfolgreich. Es kam zur Abhilfe.

D. Rechtsanwalt beantragte die Festsetzung von Gebühren in Höhe von 668,05 EUR. Es wird insoweit auf den Kostenfestsetzungsantrag vom 14.6.2024 Bezug genommen.

Tatsächlich festgesetzt wurden 470,51 EUR. Der Bescheid vom 22.7.2024 wird insoweit in Bezug genommen.

Gegen die Kürzung wendet sich d. Betroffene mit Antrag auf gerichtliche Entscheidung.

Es wird der gesamte Akteninhalt in Bezug genommen

II.

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist gemäß §§ 108 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 62 OWiG zulässig. Insbesondere ist die zweiwöchige Frist des § 108 Abs. 1 Satz 2 OWiG eingehalten.

Nach wohl herrschender Meinung ist in straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren die Höhe des verhängten Bußgeldes nicht entscheidend für die Gebührenbestimmung nach § 14 RVG (vgl. Gerold/Schmidt, RVG, 22. Auflage, Randnr. 54 zu § 14 RVG), womit auch bei Bußgeldern im unteren Bereich des jeweiligen Rahmens (hier 60,00 bis 5000,00 Euro) zunächst von einer Mittelgebühr auszugehen ist. Allerdings ist bei der Gebührenbestimmung zu beachten, dass dieser Mittelgebühr der allgemeine Durchschnittsfall in der Gesamtbetrachtung aller Ordnungswidrigkeitenbereiche zu Grunde zu legen ist, nicht nur ein Durchschnittsfall aus dem Bereich der Verkehrsordnungswidrigkeiten (vgl. LG Landshut, Beschluss vom 19.01.2017, 3 Qs 14/17, juris).

„Eine durchschnittliche Verkehrsordnungswidrigkeit ist keineswegs gleichzusetzen mit einem allgemeinen Durchschnittsfall in der Gesamtbetrachtung aller Ordnungswidrigkeitenbereiche", LG Landshut, a.a.O.

Die weit überwiegende Anzahl der Verkehrsordnungswidrigkeiten beinhaltet alltägliche Verkehrsübertretungen, die in großer Zahl auftreten und zu deren Verfolgung und Ahndung in allen Verfahrensabschnitten überwiegend automatisiert bzw. standardisiert gearbeitet wird - auch auf Seiten der Verteidiger. Diese Massenverfahren weisen weder einen komplizierten Sachverhalt auf, noch ist zu ihrer Bearbeitung ein umfangreicher Zeit- oder Begründungsaufwand erforderlich. Deshalb scheint es insbesondere mit Blick auf die Höhe der Verteidigergebühren in Strafsachen für nicht gerechtfertigt, für ein durchschnittliches Verkehrsordnungswidrigkeitenverfahren die allgemeine Mittelgebühr anzusetzen. Auch die große Anzahl dieser Verfahren rechtfertigt dies nicht. Die Mittelgebühr ist auf den allgemeinen Durchschnittsfall in der Gesamtbetrachtung aller Ordnungswidrigkeitenbereiche zugeschnitten.

Die Verteidigergebühr ist nach den Bemessungskriterien des § 14 RVG zu bestimmen. Maßgebend sind demnach,

- Umfang der anwaltlichen Tätigkeit,
- Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit,
- Bedeutung der Angelegenheit,
- Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers

Die Bestimmung der Gebühren durch den Rechtsanwalt ist für Dritte, die die Gebühr zu ersetzen haben, nur dann nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist (§ 14 Abs. 1 S. 3 RVG).

Die Höhe der im Bußgeldbescheid verhängten Geldbuße sagt bei Verkehrsordnungswidrigkeiten in der Regel nicht viel über die Bedeutung der Angelegenheit aus, da die Geldbußen meistens im unteren Bereich angesiedelt sind. In erster Linie werden bei Verkehrsordnungswidrigkeiten Einsprüche gegen Bußgeldbescheide eingelegt wegen den mit der Geldbuße verbundenen Punkten im Fahreignungsregister im Hinblick auf ein zukünftig drohendes Fahrverbot oder Fahrerlaubnisentzug durch die Verwaltungsbehörde, wegen eines verhängten Fahrverbots oder zur Abwehr oder Vorbereitung zivilrechtlicher Schadensersatzansprüche. Von Bedeutung ist insbesondere auch, ob d. Betr. beruflich auf seine Fahrerlaubnis angewiesen ist.

Diese Besonderheit der Verkehrsordnungswidrigkeiten rechtfertigt es nicht, grundsätzlich von einer geringen Bedeutung auszugehen. Hätte der Gesetzgeber dies beabsichtigt, hätte er bei der den Gebührenrahmen jeweils bestimmenden Höhe der Geldbußen stärker differenziert und nicht, wie geschehen, Geldbußen von 60 bis 5000 Euro in einem Gebührentatbestand zusammengefasst. Bei der Beurteilung der Bedeutung einer Angelegenheit ist vielmehr der Besonderheit der Angelegenheit und der besonderen Umstände Rechnung zu tragen, die gerade für die Bedeutung dieser Angelegenheit ausschlaggebend sind. Abzustellen ist somit bei Verkehrsordnungswidrigkeiten auf die drohenden Punkte im Verkehrszentralregister, eine etwaige Vorbelastung, ein drohendes Fahrverbot bzw. Fahrerlaubnisentzug und etwaige Schadensersatzansprüche sowie das Angewiesensein d. Betr. auf die Fahrerlaubnis.

Bei der Einordnung des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit sind u.a. die Kriterien des Aktenumfangs, der Anzahl und Dauer der Besprechungen mit Mandanten, Sachverständigen und Dritten, der Notwendigkeit der Einarbeitung in Rechtsmaterie, einschließlich des ggfs. notwendigen Studiums von Rechtsprechung und Literatur, Zahl und Umfang der Schriftsätze, auswärtige Beweisaufnahmen, Auswertungen von Beiakten oder Sachverständigengutachten zu berücksichtigen.

Die von der Rechtsprechung entwickelte 20%-Toleranzgrenze ist nicht grundsätzlich und generell anwendbar. Voraussetzung ist in jedem Fall die Ausübung des billigen Ermessens durch den Rechtsanwalt. Unterbleibt dies, ist für die 20%-Toleranzgrenze kein Platz (vgl. Mayer/Kroiß, RVG, § 14 Rdnr. 52-59, beck-online).

Für den vorliegenden Fall gilt unter Berücksichtigung dieser Umstände folgendes:

Die Bedeutung der Angelegenheit für den Betroffenen ist im Hinblick auf seine Tätigkeit als Fahrlehrer und der damit der Möglichkeit einer Eignungsprüfung bei mehreren Verstößen als durchschnittlich anzusehen.

Der Verteidiger hat vorliegend lediglich einen Formular-Einspruch eingelegt und Akteneinsicht beantragt. Zudem musste der Anwalt - zurecht - Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen die Auslagenentscheidung der Behörde einlegen und begründen.

Angaben zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen wurden nicht gemacht.

Angesichts dieser Umstände stellt sich im vorliegenden Einzelfall der Antrag des Rechtsanwalts als im Rahmen des zulässigen dar.


Einsender: RA C. Schepers, Köln

Anmerkung:


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