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Entscheidungen

KCanG u.a.

KCanG, Neufestsetzung einer Strafe infolge des CanG, Zuständigkeit

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Koblenz, Beschl. v. 20.11.2024 – 6 Ws 547/24

Leitsatz des Gerichts:

Zuständig für Entscheidungen nach Art. 316p iVm. Art. 313 Abs. 4 Satz 1 EGStGB ist stets das Gericht des ersten Rechtszugs.


In pp.

1. Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss der auswärtigen kleinen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Trier in Wittlich vom 30.07.2024 aufgehoben.
2. Die Sache wird zur neuen Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsmittels - an das Amtsgericht - Schöffengericht - Bitburg verwiesen.

Gründe

I.

Der Verurteilte wendet sich mit seiner sofortigen Beschwerde gegen die Versagung der Neufestsetzung der Gesamtfreiheitsstrafe nach Art. 313 Abs. 4 Satz 1 EGStGB.

Er wurde mit Urteil des Amtsgerichts Bitburg vom 07.12.2020 wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit Körperverletzung und wegen Besitz von Betäubungsmitteln in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt; im Übrigen wurde er freigesprochen. Auf Berufungen des Verurteilten und der Staatsanwaltschaft hat das Landgericht Trier den Schuldspruch mit Urteil vom 08.06.2021 dahingehend geändert, dass der Verurteilte der versuchten schweren räuberischen Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, des Besitzes von Betäubungsmitteln in zwei Fällen und des vorsätzlichen Besitzes eines Springmessers schuldig ist und unter Einbeziehung von Einzelstrafen aus einer Vorverurteilung eine Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren gegen ihn verhängt; seine weitergehende Berufung wurde verworfen.

Auf die Revision des Verurteilten hat das Oberlandesgericht Koblenz mit Beschluss vom 14.09.2021 den Schuldspruch (aus Rechtsgründen) betreffend die Betäubungsmitteltaten dahingehend geändert, dass er wegen Besitz von Betäubungsmitteln (in einem Fall) schuldig ist. Zugleich hat es die Einzelstrafe von drei Monaten in Fall 4 der Urteilsgründe hinsichtlich des insoweit in Wegfall geratenen Schuldspruchs wegen Besitz von Betäubungsmitteln ohne Auswirkungen auf die Gesamtfreiheitsstrafe entfallen lassen. Soweit die Unterbringung des Verurteilten in einer Entziehungsanstalt unterblieben war, wurde das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache insoweit zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Trier zurückverwiesen. Mit dessen Urteil vom 31.10.2022 ist Rechtskraft eingetreten. Die Gesamtfreiheitsstrafe ist nicht vollständig vollstreckt.

Mit Schreiben vom 08.04.2024, bei der Strafvollstreckungskammer eingegangen am 21.05.2024, begehrt der Verurteilte Straferlass bezüglich der Taten 2 und 4 aus vorgenannter Verurteilung.

Die Staatsanwaltschaft hat beantragt, die Gesamtfreiheitsstrafe auf drei Jahre und zehn Monate neu festzusetzen und ausgeführt, dass die Tat aus Fall 4 der Urteilsgründe nach aktueller Rechtslage nicht mehr strafbar und die Einzelstrafe von drei Monaten daher von Gesetzes wegen erlassen sei.

Die Strafvollstreckungskammer hat mit Beschluss vom 30.07.2024 festgestellt, dass es bei der Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren aus dem Urteil des Landgerichts Trier vom 08.06.2021 verbleibt. Der Verurteilte wendet sich mit seiner am 13.08.2024 bei Gericht eingegangenen sofortigen Beschwerde gegen diese, ihm am 06.08.2024 zugestellte Entscheidung. Die Generalstaatsanwaltschaft hat mit Übersendungsbericht vom 26.08.2024 deren Verwerfung als unbegründet beantragt. Der Verurteilte hatte Gelegenheit zur Stellungnahme.

II.

Die nach den Artikeln 316p, 313 Abs. 5 EGStGB in Verbindung mit § 462 Abs. 3 Satz 1 StPO statthafte und auch im Übrigen zulässige (§ 311 Abs. 2, § 306 Abs. 1 StPO) sofortige Beschwerde des Verurteilten ist begründet und führt mangels Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer jedenfalls zu einem vorläufigen Erfolg.

1. Zuständig für die Entscheidung nach Artikel 316p EGStGB in Verbindung mit Art. 313 Abs. 4 Satz 1 EGStGB ist nicht die Strafvollstreckungskammer, sondern das Gericht des ersten Rechtszuges.

a) Der Senat schließt sich insoweit der in der obergerichtlichen Rechtsprechung durchgängig vertretenen Auffassung an, dass eine Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammern nicht begründet ist (vgl. OLG Stuttgart, Beschl. 4 Ws 167/24 v. 06.06.2024 - BeckRS 2024, 12407; OLG Dresden, Beschl. 2 Ws 95/24 v. 07.06.2024 - NStZ-RR 2024, 346 <347>; OLG Köln, Beschl. 2 Ws 319/24 v. 18.06.2024 - BeckRS 2024, 17222; Thüringer OLG, Beschl. 1 Ws 204/24 v. 25.06.2024 - BeckRS 2024, 16416; OLG Nürnberg, Beschl. Ws 420/24 v. 26.06.2024 - BeckRS 2024, 23104; OLG Schleswig, Beschl. 1 Ws 123/24 v. 01.08.2024 - BeckRS 2024, 19125; OLG München, Beschl. 2 Ws 521/24 v. 06.08.2024 - BeckRS 2024, 23322; Saarländisches OLG, Beschl. 1 Ws 101/24 v. 08.08.2024 - BeckRS 2024, 21024; a.A. LG Trier Beschl. 10 StVK 209/24 v. 02.04.2024 - BeckRS 2024, 6440; LG Kleve Beschl. 181 StVK 74/24 v. 06.05.2024 - BeckRS 2024, 14853).

Hierfür streitet - bei unergiebigem Gesetzeswortlaut - neben gesetzeshistorischen Aspekten (vgl. OLG Stuttgart aaO.) maßgeblich die Aufgabenabgrenzung zwischen den erkennenden Gerichten und den Strafvollstreckungskammern. So ist Grundvoraussetzung für die Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel gegen den Verurteilten (vgl. KK-StPO/Diemer, 9. Aufl. GVG § 78a Rn. 3). Dem hat ein vorheriger, wertender Akt der Strafzumessung vorauszugehen, der eine vollstreckbare Grundlage schafft; dieser ist Aufgabe des Tatgerichts (vgl. statt vieler BGH, Urt. 2 StR 45/18 v. 09.05.2018 - BeckRS 2018, 13606). Da es sich auch bei der Neufestsetzung einer Freiheits- oder Gesamtfreiheitsstrafe im Sinne des Art. 313 EGStGB um einen originären Akt der Strafzumessung handelt, der einer Strafvollstreckung auf dieser (neuen) Grundlage vorausgeht, ist dies dem Aufgabenbereich der Strafvollstreckungskammern entzogen.

b) Zuständig ist vielmehr das Gericht des ersten Rechtszugs; dies gilt auch dann, wenn eine Entscheidung betroffen ist, die das Berufungsgericht als letzte Tatsacheninstanz getroffen hat.

Zwar kann den obergerichtlichen Entscheidungen nicht durchgehend eindeutig entnommen werden, welche Zuständigkeit konkret begründet sein soll; so wird die Zuständigkeit überwiegend dem „erkennenden“ Gericht (vgl. OLG Stuttgart aaO. mit Tendenz zum Gericht des ersten Rechtszugs (Rn. 21); OLG Jena aaO., welches zugleich aber vom Gericht des ersten Rechtszugs spricht (Rn. 9); OLG Nürnberg aaO.; OLG Schleswig aaO.; OLG München aaO.) zugesprochen. Lediglich vereinzelt wird die Zuständigkeit des Gerichts des ersten Rechtszugs ausdrücklich benannt (vgl. OLG Köln aaO.; OLG Dresden aaO.).

Letztgenannter Auffassung ist zu folgen. Zuständig ist (stets) das Gericht des ersten Rechtszugs. Dies fügt sich konsequent in die Regelungssystematik der Strafprozessordnung ein. Der Grundsatz, dass auch in Fällen, in denen das Berufungsgericht als letzte Tatsacheninstanz und damit als erkennendes Gericht fungierte, das Gericht des ersten Rechtszuges zuständig ist, kommt deutlich in § 462a StPO zum Ausdruck. Die - wie auch die Entscheidungen nach Art. 313 Abs. 3 Satz 2 und Abs. 4 EGStGB - mit einem Strafzumessungsakt und der Schaffung einer Vollstreckungsgrundlage verbundene nachträgliche Gesamtstrafenbildung nach § 460 StPO wird dort ausdrücklich nicht dem Berufungsgericht, sondern dem Gericht des ersten Rechtszugs zugewiesen (§ 462a Abs. 3 S. 1 u. 3, 1. Hs. StPO; vgl. auch OLG Köln aaO.). Dieser Grundsatz kommt gleichfalls in den nach § 462a Abs. 2 Satz 1 StPO bestehenden Zuständigkeiten zum Ausdruck (vgl. KK-StPO/Appl, 9. Aufl.,§ 462a Rn. 31 mwN) und muss dementsprechend auch für Entscheidungen nach Art. 313 EGStGB gelten.

Dies steht zugleich im Einklang mit der Gesetzeshistorie. So wollte der Gesetzgeber bei Einführung des Art. 313 EGStGB das ursprüngliche Regelungssystem beibehalten (vgl. OLG Stuttgart aaO.). Die insoweit in der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 7/550, S. 464) in Bezug genommenen Vorschriften des Art. 97 des Ersten Gesetzes zur Reform des Strafrechts vom 25.06.1969 (BGBl. I 645, 679) und Art. 6 des Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Reform des Strafrechts (BT-Drs. VI/1552, S. 7 f.; wobei Art. 6 Abs. 6 als Art. 7 Abs. 6 des Vierten Gesetzes zur Reform des Strafrechts vom 23.11.1973 in Kraft getreten ist, vgl. BGBl. I 1725, 1733 f.) nahmen ihrerseits - teilweise indirekt - Bezug auf die §§ 458, 462, (462a) StPO. Zu deren jeweiligen Regelungszeitpunkten in den Jahren 1969 und 1973 war § 462a StPO a.F. aber noch keine Zuständigkeitsnorm, sondern enthielt Regelungen zur Strafgewalt bei der nachträglichen Gesamtstrafenbildung. Demgegenüber kannte der jeweils in Bezug genommene § 462 Abs. 1 Satz 1 StPO a.F. eine ausdrückliche Zuständigkeit des Gerichts des ersten Rechtszugs. Hat der historische Gesetzgeber ausweislich der Gesetzesbegründung zu Art. 313 EGStGB dieses Regelungskonzept fortgelten lassen wollen, so ist er von einer Zuständigkeit der Gerichte des ersten Rechtszugs ausgegangen (vgl. auch OLG Stuttgart aaO.).

2. Eine eigene Entscheidung ist dem Senat nicht möglich, sondern dem zuständigen Amtsgericht Bitburg vorbehalten.

Zwar hat das Beschwerdegericht nach § 309 Abs. 2 StPO im Fall einer begründeten Beschwerde grundsätzlich selbst in der Sache zu entscheiden. Im Fall der Unzuständigkeit des Vordergerichts kann eine eigene Sachentscheidung ergehen, wenn das Beschwerdegericht als gemeinsames Beschwerdegericht auch dann zu einer Entscheidung berufen gewesen wäre, wenn der zuständige Spruchkörper entschieden hätte (vgl. Thüringer OLG aaO.; Saarländisches OLG aaO.). Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor. Für die Entscheidung nach Art. 316p, Art. 313 Abs. 4 EGStGB war nach obigen Ausführungen weder die Strafvollstreckungskammer noch das Berufungsgericht zuständig. Ist als Vordergericht mithin das Amtsgericht zuständig, ist die Sache durch das Beschwerdegericht an das zuständige Amtsgericht zu verweisen, wenn dieses im Zuständigkeitsbereich des Beschwerdegerichts liegt (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. 1 Ws 332/98 v. 29.07.1998 - NStZ-RR 1999, 307 (keine Änderung des Instanzenzuges); Saarländisches OLG aaO.; KK-StPO/Zadeck, 9. Aufl. § 309 Rn. 10a). So liegt der Fall hier.


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