Gericht / Entscheidungsdatum: AG Chemnitz, Beschl. v. 15.03.2024 - 11 Gs 432/23
Eigener Leitsatz:
Eine wirksame Einwilligung des Beschuldigten in die Entnahme von Körperzellen setzt den Hinweis auf die Reichweite des Grundrechtseingriffs, der durch die Einwilligung gedeckt werden soll, namentlich außer dem Zweck der Datenerhebung die weitere Nutzung, insbesondere deren Dauer, voraus.
11 Gs 432/23
Beschluss
In dem Ermittlungsverfahren
gegen pp.
Verteidiger:
wegen Vergehens nach § 29 Abs. 1 Ziff. 1 BtMG
ergeht am 15.03.2024
durch das Amtsgericht Chemnitz - Ermittlungsrichter - nachfolgende Entscheidung:
1. Es wird festgestellt, dass die Entnahme von Körperzellen in Form einer Speichelprobe beim Beschuldigten am 10.10.2022 rechtswidrig war.
2. Eventuell verbleibende Reste des Materials sind nach der molekulargenetischen Unter-suchung der Körperzellen zum Abgleich mit dem Spurenmaterial im laufenden Ermittlungsverfahren (§ 81 e, f StPO) zu vernichten.
Gründe
I.
Dem Beschuldigten wurde im Verfahren 810 Js 34599/22 vorgeworfen, am 09.10.2022 gegen 18.00 Uhr in der pp. im Besitz von insgesamt 163,4 Gramm Marihuana gewesen zu sein. Den Besitz von 21,1 Gramm Marihuana räumte er ein, den Besitz der weiteren 142,3 Gramm bestritt er dagegen.
Im Verfahren 810 Js 36933/22 soll er am selben Tag gegen 20.15 Uhr im Besitz von 1.128,7 Gramm Marihuana und 7,5 Gramm Kokain gewesen sein, was der Beschuldigte bestritt. Die Berührung der Verpackungen räumte er ein.
Nachdem er auf Befragen am 10.10.2022 zunächst die Entnahme von Körperzellen zur Erhebung seines DNA-Identitätsmusters abgelehnt hatte (BI. 56 d.A.), erteilte er noch am selben Tag die schriftliche Einwilligung für die Erhebung und Nutzung des DNA-Musters in den laufenden und künftigen Ermittlungsverfahren (BI. 63 f und 154 f d.A.). Die beiden Ermittlungsverfahren wurden am 07.11.2022 verbunden; am 08.11.2022 widerrief der Beschuldigte die erteilte Einwilligung (BI. 194 d.A.).
Der Beschuldigte beantragt nunmehr die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Entnahme der Körperzellen sowie des gewonnenen Materials.
II.
Es kann dahingestellt bleiben, ob die erklärte Einwilligung schon im Hinblick auf die vorangegangene Einnahme des Medikaments Tavor und deren Auswirkungen auf den Körper rechtswidrig war. Ebenso, ob nach der ersten Erklärung, mit der Entnahme von Körperzellen nicht einverstanden zu sein, weitere Versuche im Sinne eines „guten Zuredens" die schriftlich erklärte Einwilligung unwirksam gemacht haben. Dem Beschuldigten ist insoweit zuzustimmen, dass der Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit gebietet, dass die Ermittlungsbehörden entsprechende Entscheidungen des Betroffenen zu respektieren haben, ohne weiter auf ihn einzuwirken.
Die Entnahme der Körperzellen erweist sich bereits aus anderen Gründen als rechtswidrig. So ergibt sich aus der Akte nur, dass der Beschuldigte mehrfach qualifiziert belehrt worden sein soll. Es ist aber nicht ersichtlich, worüber der Beschuldigte genau belehrt wurde. Erforderlich ist dabei der Hinweis auf die Reichweite des Grundrechtseingriffs, der durch die Einwilligung gedeckt werden soll. Namentlich außer dem Zweck der Datenerhebung die weitere Nutzung, insbesondere deren Dauer (KK/Senge, § 81 f StPO Rdnr. 3). Die Norm schreibt zwar nicht eine schriftliche Belehrung vor; ohne sie lässt sich aber dem Vorwurf der unzureichenden Belehrung kaum begegnen (Senge a.a.O.).
Unzweifelhaft lagen die gesetzlichen Voraussetzungen für eine richterliche Anordnung nicht vor. Für einen Vergleich der Muster im anhängigen Verfahren fehlte es an gesicherten Spuren, mit denen das DNA-Muster des Beschuldigten hätte verglichen werden können. Für eine Verwendung in künftigen Straftaten hätte es der Prognose bedurft, dass wegen der Art oder Ausführung der Tat, der Persönlichkeit des Beschuldigten oder sonstige Erkenntnisse Grund zu der Annahme besteht, dass gegen ihn künftig Strafverfahren wegen Straftaten von erheblicher Bedeutung zu führen sind. Auch eine erteilte Einwilligung lässt das Erfordernis der Negativprognose, also die Wiederholungsgefahr, nicht entfallen (KK/Senge, § 81 g StPO Rdnr. 16; Michalke, Strafprozessuale Zwangsmaßnahmen, 2. Aufl. 2022, Rdnr. 787), denn diese ist unverzichtbare Voraussetzung für die Erstellung eines molekulargenetischen Identifizierungsmusters für Zwecke künftiger Strafverfahren. Im Falle der Einwilligung hat die Staatsanwaltschaft die Negativprognose zu erstellen, die sich an den Vorgaben des § 81 g Abs. 3 Satz 5 StPO zu orientieren hat und zweckmäßigerweise zu dokumentieren ist (Senge a.a.O.) Sie liegt nicht vor, und es bestand kein Zweifel, dass sich die Wiederholungsgefahr des nicht vorbestraften Beschuldigten nicht begründen ließ. Auf dieser Grundlage hätte eine Entnahme der Körperzellen nicht vorgenommen werden dürfen.
Gleichwohl ist die entnommene Probe nicht sogleich zu vernichten. Inzwischen liegen gesichterte Spuren vor, mit denen das DNA-Muster des Beschuldigten verglichen werden kann. Entsprechend hat die Staatsanwaltschaft Chemnitz die richterliche Anordnung nach § 81 e, f StPO beantragt. Sachliche Gründe gegen den Erlass einer entsprechenden Anordnung sind weder vorgetragen, noch ersichtlich. Es müsste daher eine neue Entnahme von Körperzellen stattfinden, die im Falle der widerrufenen Einwilligung mittels Blutentnahme durchzuführen wäre. Wegen des insoweit erheblicheren Eingriffs erscheint es verhältnismäßig, zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit des Beschuldigten auf die bereits entnommene Probe zurückzugreifen, wie es die Staatsanwaltschaft Chemnitz beantragt hat. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird wegen der Einzelheiten Bezug auf den Beschluss des Amtsgerichts Chemnitz vom heutigen Tage (15.03.2024) mit dem Aktenzeichen 11 Gs 2011/23 genommen. Im übrigen dient die Maßnahme der Kontrolle, ob die Angaben des Beschuldigten zutreffen. Sie mag deshalb auch zu einer Entlastung des Beschuldigten führen.
Einsender: RÄin I. Antz, Chemnitz
Anmerkung:
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