Gericht / Entscheidungsdatum: AG Dortmund, Urt. v. 17.10.2024 - 729 OWi-267 Js 1305/24-100/24
Leitsatz des Gerichts:
Kann bei einer Geschwindigkeitsfeststellung durch Nachfahren mit einem Polizeifahrzeug mit nicht geeichtem Tacho in einem 1,5 km langen Tunnel nur eine Geschwindigkeit von vielleicht 135, 140 oder 145 km/h bei gleichbleibendem oder sich vergrößerndem Verfolgungsabstand von nicht festzustellender Länge („vielleicht 50 m, vielleicht auch 200 m“) festgestellt werden, so liegen keine ausreichenden Feststellungen vor, die nach hergebrachten Maßstäben eine Messung durch Nachfahren darstellen. Insbesondere ist in einem solchen Fall auch eine Verdoppelung der eigentlich zu gewährenden Toleranz von 20 % nicht ausreichend, um die Messung verwerten zu können.
729 OWi-267 Js 1305/24-100/24
Amtsgericht Dortmund
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
In dem Bußgeldverfahren
gegen pp.
wegen Verkehrsordnungswidrigkeit
hat das Amtsgericht Dortmund
aufgrund der Hauptverhandlung vom 17.10.2024,
an der teilgenommen haben:
pp.
als Richter
Gem. §§ 71 Abs. 1, 46 Abs. 1 OWiG i. V. m. § 226 Abs. 2 StPO wird von der Hinzuziehung einer Urkundsbeamtin/eines Urkundsbeamten der
Geschäftsstelle abgesehen.
für Recht erkannt:
Die Betroffene wird auf Kosten der Staatskasse, die auch ihre notwendigen Auslagen trägt, freigesprochen.
Gründe:
Der Betroffenen wurde ein Geschwindigkeitsverstoß vorgeworfen und dementsprechend eine Ordnungswidrigkeit nach §§ 41 Abs. 1, 49 StVO, 24 StVG.
Konkret wurde ihr zur Last gelegt, am 22.04.2024 um 0:20 Uhr in Dortmund die B 236 in Fahrtrichtung Schwerte durch den Tunnel Wambel gefahren zu sein mit ihrem Pkw mit dem amtlichen Kennzeichen xxx des Fabrikats Daimler. Hierbei habe sie die zulässige Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 32 km/h überschritten, sei nämlich statt der vorgeschriebenen 80 km/h Höchstgeschwindigkeit mit einer Geschwindigkeit nach Toleranzabzug von 112 km/h gemessen worden.
Das Gericht hat feststellen können, dass die Betroffene tatsächlich am Tattage zur Tatzeit in der Tatörtlichkeit, nämlich dem Tunnel Wambel, unterwegs war. Sie führte das bezeichnete Fahrzeug und fuhr möglicherweise zu schnell. Eine konkrete Geschwindigkeit konnte das Gericht jedoch nicht feststellen. Die Polizei Dortmund führte durch den Zeugen A zwar eine Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren in dem genannten Tunnelbereich durch, und zwar von Beginn des Tunnels bis zum Ende des Tunnels, der eine Länge von etwa 1,5 km aufweist. Die Betroffene fuhr hier mit einer Geschwindigkeit von vielleicht 135, 140 oder 145 km/h. Die Betroffene wurde von der Polizei verfolgt in einem gleichbleibenden oder sich vergrößernden Abstand nicht festzustellender Länge, vielleicht 50 m, vielleicht auch 200 m. Der Tunnel war allerdings gut beleuchtet. Die Polizei führte die Messung aus einem Fahrzeug mit einem nicht geeichten Tachometer durch, nachdem sie zuvor auf eine überhöhte Geschwindigkeit der Betroffenen aufmerksam geworden war. Die Geschwindigkeit im Tunnel war durch mehrfache Beschilderung auf 80 km/h durch Zeichen 274 festgelegt.
Die Betroffene stellte den Verstoß pauschal in Abrede. Für sie hatte sich ein Verteidiger gemeldet, der am Hauptverhandlungstermin nicht teilnehmen konnte. Dieser hatte einen Schriftsatz übersandt, der jedoch nicht zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht wurde.
Der Polizeibeamte A wurde als Zeuge vernommen. Dieser bestätigte, als Beifahrer des Polizeifahrzeugs, welches nicht mit einem geeichten Tachometer versehen gewesen sei, die Messung durchgeführt zu haben. Die Polizei sei auf das Fahrzeug der Betroffenen aufmerksam geworden, die sehr zügig gefahren sei und wohl auch zu schnell. Das Polizeifahrzeug habe bereits vor dem Tunnel die Verfolgung aufgenommen und sich mit Tunneleingang für eine Messung der Geschwindigkeit durch Nachfahren entschieden. Er, der Zeuge, habe dann den Abstand des Fahrzeugs zum Polizeifahrzeug beobachtet. Im Tunnel sei die Abstandstrecke gut erkennbar gewesen, da der Tunnel stets beleuchtet sei. Der Abstand zwischen Polizeifahrzeug und betroffenem Fahrzeug habe etwa gleichbleibend 200 m betragen. Er selbst habe den Tachometer während der Tunneldurchfahrt nicht im Blick behalten, sondern seinen Kollegen die Geschwindigkeit ansagen lassen, die mit dem Polizeifahrzeug gefahren worden sei. Diese habe so etwa bei 140 km/h gelegen. Manchmal sei die Geschwindigkeit vielleicht 5 km mehr oder 5 km weniger gewesen. Andere Fahrzeuge seien zu der Zeit nicht auf der Strecke gewesen. Die Schilderung des Zeugen widersprach jedoch den von dem Zeugen selbst gefertigten Unterlagen zur Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren, die er zur Akte gegeben hat. Das Gericht hat Bl. 3 der Akte, eine Protokollierung der Messung, urkundsbeweislich verlesen können gemäß § 256 Abs. 1 Nr. 5 StPO i.V.m. § 71 OWiG. Hier war eine abgelesene Geschwindigkeit von 140 km/h und nicht von 5 km mehr oder 5 km weniger aufgeführt. Auch die Abstandsstrecke widersprach den mündlichen Angaben des Zeugen. Diese wurde in dem Protokoll mit 50 m angegeben. Zudem wurde angegeben, dass der Abstand sich vergrößert habe und nicht, wie der Zeuge erklärte, der Abstand gleichgeblieben ist. Dementsprechend ist sich das Gericht überhaupt nicht sicher, ob überhaupt eine Messung durch Nachfahren stattgefunden hat oder nur eine erweiterte Art der Geschwindigkeitsschätzung, die hinterher für die Aktenlage „gesundgeschrieben“ wurde. Da das Gericht eine konkrete Messung nicht feststellen konnte, die den üblichen Anforderungen an eine Messung durch Nachfahren entspricht, hätte der von der Polizei zugrunde gelegte und von der Rechtsprechung für übliche Messungen als vertretbar akzeptierte 20 %-Abschlag nicht ausreichen können, ein verwertbares Messergebnis annehmen zu können. Mangels konkreter Feststellungen vermochte das Gericht auch nicht, die Messung durch Gewährung weiterer Toleranzen, etwa durch Verdoppelung des Toleranzwertes auf 40 % „retten“ zu können. Auch konnte das Gericht nicht ersatzweise von einer verwertbaren Schätzung einer Geschwindigkeit ausgehen, da eine Plausibilitätsprüfung nicht möglich war. Möglicherweise wäre dies anders gewesen, wenn zu Beginn und am Ende des Tunnels eine (auch nur nicht geeichte) Zeitmessung irgendeiner Art zur Überprüfung der Plausibilität der polizeilich vermeintlich festgestellten Geschwindigkeit stattgefunden hätte. Dann hätte nämlich voraussichtlich die Geschwindigkeit von 140 km/h als einfache Geschwindigkeitsschätzung gelten können, die anhand einer Weg-Zeitberechnung als plausibel oder nicht plausibel hätte überprüft werden können.
Dementsprechend war die Betroffene aus tatsächlichen Gründen mit der Kostenfolge des §§ 467 StPO, 46 OWiG freizusprechen.
Einsender:
Anmerkung:
Die Nutzung von Burhoff-Online ist kostenlos. Der Betrieb der Homepage verursacht aber für Wartungs-, Verbesserungsarbeiten und Speicherplatz laufende Kosten.
Wenn Sie daher Burhoff-Online freundlicherweise durch einen kleinen Obolus unterstützen wollen, haben Sie hier eine "Spendenmöglichkeit".