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Entscheidungen

Haftfragen

Haftbefehl, Wiederinvollzugsetzung, neue Umstände, Verurteilung

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Dresden, Beschl. v. 09.12.2024 - 1 Ws 248/24

Eigener Leitsatz:

Zur Wiederinvollzugsetzung eines Haftbefehls nach der Verurteilung des Angeklagten, der auf Freispruch angetragen hatte, zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe.


OLG Dresden

1 Ws 248/24

Beschluss

In der Strafsache
gegen pp.

Verteidiger:
Rechtsanwalt Kay Estel, Yorckstraße 9, 09130 Chemni'z

wegen Vergewaltigung u. a.

hier: Haftbeschwerde

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Dresden am 09.12.2024 beschlossen:

1. Auf die Beschwerde des Angeklagten wird der Haftbefehl des Landgerichts Chemnitz vom 19. November 2024 unter folgenden Auflagen außer Vollzug gesetzt:
a) Der Angeklagte nimmt unverzüglich einen Wohnsitz und teilt diesen dem Landgericht Chemnitz unter Angabe des Aktenzeichens 1 KLs 220 Js 32695/22 mit.
b) Der Angeklagte teilt dem Landgericht Chemnitz unter Angabe dieses Aktenzeichens unverzüglich jeden Wohnsitzwechsel mit.
c) Der Angeklagte meldet sich wöchentlich einmal und zwar am Mittwoch bei dem Polizeirevier Chemnitz pp.
2. Die weitergehende Beschwerde des Angeklagten wird als unbegründet verworfen.
3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Angeklagte zu tragen, jedoch wird die Beschwerdegebühr um die Hälfte ermäßigt. Die dem Angeklagten im Beschwerdeverfahren entstandenen not-wendigen Auslagen hat die Staatskasse zur Hälfte zu tragen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Chemnitz hat am 03. Mai 2024 Haftbefehl gegen den Angeklagten erlassen und diesen am 31. Mai 2024 nach seiner Festnahme am Vortag außer Vollzug gesetzt. Den ihm erteilten Auflagen ist der Angeklagte in der Folge weitgehend pünktlich nachgekommen. Nach Anklageerhebung am 05. Juni 2024 hat das Landgericht Chemnitz verbunden mit der Er-öffnung des Hauptverfahrens den Haftbefehl aufrechterhalten und außer Vollzug belassen. Im Anschluss an die zwischen dem 02. September 2024 und dem 06. November 2024 an sechs Tagen durchgeführte Hauptverhandlung und Verkündung des Urteils am 06. November 2024 hat das Landgericht den bestehenden Haftbefehl zunächst in Vollzug gesetzt. Seitdem befindet sich der Angeklagte ununterbrochen in Untersuchungshaft. Am 19. November 2024 hat das Landgericht einen an die Verurteilung angepassten Haftbefehl erlassen und diesen dem Angeklagten verkündet. Hiergegen richtet sich die Beschwerde, die er mit Schriftsätzen seiner Verteidiger Rechtsanwalt pp. vom 20. November 2024 und Rechtsanwalt pp. vom 21. November 2024 formuliert hat. Er beantragt, den Haftbefehl des Landgerichts Chemnitz vom 19. November 2024 aufzuheben, hilfsweise außer Vollzug zu setzen. Er rügt die Annahme des Haftgrundes der Fluchtgefahr und die fehlenden Voraussetzungen für eine Invollzugsetzung des Haftbefehls.

Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden hat beantragt, die Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.
II.

Die Beschwerde hat in dem aus der Entscheidungsfprmel ersichtlichen Umfang Erfolg und ist im übrigen unbegründet.

1. Es besteht weiterhin der dringende Tatverdacht und der Haftgrund der Fluchtgefahr aus den ründen des Haftbefehls des Landgerichts Chemnitz vom 19. November 2024, die durch das Beschwerdevorbringen nicht entkräftet werden.

2. Allerdings liegen die Voraussetzungen für eine Invollzugsetzung des Haftbefehls (§ 116 Abs, 4 Nr. 3 StPO) nicht vor.

a) Ist ein Haftbefehl einmal unangefochten außer Vollzug gesetzt worden, so ist jede neue haft-rechtliche Entscheidung, die den Wegfall der Haftverschonung zur Folge hat, aufgrund des Gewichts der grundrechtlich geschützten Verfahrensgarantie des § 116 Abs. 4 StPO nur unter den einschränkenden Voraussetzungen dieser Norm möglich. § 116 Abs. 4 StPO kommt auch dann zur Anwendung, wenn ein außer Vollzug gesetzter Haftbefehl aufgehoben wird und in der Folge ein neuer Haftbefehl erlassen und in Vollzug gesetzt wird. Insbesondere bei der Auslegung des § 116 Abs. 4 Nr. 3 StPO (Erforderlichkeit der Verhaftung wegen neu hinzugetretener Tatsachen) sind strenge Maßstäbe anzusetzen, Die neu hervorgetretenen Umstände müssen sich auf die Haftgründe beziehen. Beziehen sich solche Umstände auf die Straferwartung, rechtfertigen sie die Wiederinvollzugsetzung dann, wenn sie zu einer Straferwartung führen, die von der Prognose des Haftrichters zum Zeitpunkt der Außervollzugsetzung erheblich zum Nachteil des Beschuldigten abweicht und sie nach einer Abwägung und Beurteilung aller Umstände des Einzelfalles ergibt, dass sich die Fluchtgefahr durch die Abweichung ganz wesentlich erhöht hat. Stand dem Beschuldigten aber die Möglichkeit einer für ihn nachteiligen Änderung der Prognose während der Außervollzugsetzung des Haftbefehls stets vor Augen und kam er gleichwohl allen Auflagen beanstandungsfrei nach, setzt sich insoweit der vom Beschuldigten auf der Grundlage des Verschonungsbeschlusses gesetzte Vertrauenstatbestand im Rahmen der vorzunehmenden Abwägung durch (BVerfG, Beschluss vom 17. Dezember 2020, Az.: 2 BvR 1787/20).

b) Gemessen an diesen Maßstäben liegen die Voraussetzungen für eine Invollzugsetzung des angefochtenen Haftbefehls nicht vor. Gegenstand des Haftbefehls vorn 03. Mai 202r war der Vorwurf der Vergewaltigung in fünf Fällen, der gefährlichen Körperverletzung in vier Einzelfällen und der der Körperverletzung in 20 Fällen. Ausgehend von dem Strafrahmen des § 177 Abs. 6 StGB musste sich der Angeklagte demzufolge auf Grundlage der Beratung seines Verteidigers einer Verurteilung und der Verhängung einer mehrjährigen Gesamtfreiheitsstrafe ausgesetzt sehen. Die Erwartung hat sich in dem Urteil der Strafkammer vom 6. November 2024 auch nach Verringerung der Tatvorwürfe verwirklicht. Allein der Umstand, dass der Angeklagte gleichwohl, wie von seinem Verteidiger beantragt, einen Freispruch erstrebt hat, kann vor diesem Hintergrund einen Widerruf der Haftverschonung nicht rechtfertigen (OLG Hamm, Beschluss vom 30. Januar 2024, Az.: 2 Ws 12/24).

c) Der Haftbefehl war daher unter Erteilung geeigneter Auflagen (§ 116 Abs. 2 StPO) außer Vollzug zu setzen.

3. Die Kostenentscheidung folgt § 473 Abs. 1 und 4 StPO.

Gemäß § 116 Abs. 4 StPO wird der Angeklagte darauf hingewiesen, dass er mit der Wiederinvollzugsetzung des Haftbefehls rechnen muss, wenn er
a) den auferlegten Pflichten und Beschränkungen gröblich zuwider handelt,
b) Anstalten zur Flucht trifft,
c) auf ordnungsgemäße Ladung ohne genügende Entschuldigung ausbleibt oder sich auf an-dere Weise zeigt, dass das in ihn gesetzte Vertrauen nicht gerechtfertigt war,
d) oder neu hervortretende Umstände den erneuten Vollzug der Haft notwendig machen.


Einsender: RA K. Estel, Chemnitz

Anmerkung:


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