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Entscheidungen

Haftfragen

U-Haft, Beschleunigungsgrundsatz, Erkrankung des Vorsitzenden, Terminierung, Sachverständigengutachten

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Schleswig, Beschl. v. 03.12.2024 – 1 Ws 17/24 H

Leitsatz des Gerichts:

1. Das Beschleunigungsgebot in Haftsachen gilt während des gesamten Ermittlungsverfahrens. Es ist daher uneingeschränkt mit Beginn des Vollzuges der Untersuchungshaft zu beachten und nicht etwa - solange die Sechs-Monats-Frist (gerade noch) eingehalten werden kann - bis zur besonderen Haftprüfung nach §§ 121, 122 StPO mit geringeren Anforderungen.
2. Eine mit Haftsachen befassten Großen Strafkammer muss - anders als bei einer unvorhergesehenen und kurzen Erkrankung – dafür Sorge tragen, dass bei einem längerfristigen Ausfall eines Kammermitgliedes gleich aus welchem Grund eine angemessene Verfahrensförderung und ggf. auch die Durchführung einer Hauptverhandlung mit einer Vertretung gewährleistet ist. Ein unabsehbares Zuwarten stellt schon für sich eine Verletzung des Beschleunigungsgebots dar.
3. Es ist seitens der Staatsanwaltschaft grundsätzlich nicht zu beanstanden, dass der Eingang von Gutachten abgewartet wird, um bei Anklageerhebung sämtliche Beweismittel anführen zu können. Verzögert sich dies aber, ist dieser Verzögerung zum einen dadurch zu begegnen, dass die Gutachtenerstellung maximal priorisiert wird und zum anderen der Abschluss der Ermittlungen soweit vorangebracht wird, dass bei Eingang der restlichen Ermittlungsergebnisse diese zeitnah eingearbeitet werden können.
4. Dass es gerade im Hinblick auf die Auslastung von Verteidigern und Sachverständigen zu Konstellationen kommt, die dem Beschleunigungsgebot bei der Terminierung zuwiderlaufen, ist ein Problem, welches in Haftsachen geradezu typischerweise besteht. Es ist daher von einem mit Haftsachen befassten Spruchkörper zu erwarten, dass dem durch frühzeitige Planung und Terminabstimmung wirksam begegnet wird.
5. Bei der Annahme der Verhinderung eines Verteidigers ist ein Maßstab zugrunde zu legen, der sich an der Vorrangigkeit von Haftsachen orientiert. In einer Haftsache kommt deshalb grundsätzlich lediglich eine Verhinderung durch andere bereits bestimmte Hauptverhandlungstermine in Haftsachen in Betracht, die von dem Verteidiger grundsätzlich auch zu belegen ist. Eine Beiordnung hat zu unterbleiben oder ist zu beenden, wenn ein Verteidiger nicht gewährleisten kann, das ihm übertragene Mandat auch tatsächlich wahrzunehmen.


In pp.

Der Haftbefehl des Amtsgerichts pp. vompp. wird aufgehoben.
Der Angeklagte pp. ist unverzüglich aus der Untersuchungshaft zu entlassen, sofern kein Fall der Überhaft vorliegt oder nicht ein anderes Straferkenntnis zu vollstrecken ist.

Gründe

I.

Der Angeklagte befindet sich nach vorläufiger Festnahme 23. Mai 2024 aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts pp. vom pp. ununterbrochen in Untersuchungshaft, die derzeit in der JVA pp. vollzogen wird. Ihm wird unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln (Heroin und Kokain) in 219 Fällen und eine Beleidigung vorgeworfen. 216 der insgesamt 220 Tatvorwürfe haben ein identisches Tatgeschehen zum Gegenstand. Wegen der Einzelheiten der Tatvorwürfe wird auf die Anklageschrift Bezug genommen.

Der seinerzeit noch Beschuldigte hatte gegen den Haftbefehl Beschwerde eingelegt, der das Amtsgericht pp. 27. Mai 2024 nicht abhalf und die das Landgericht pp. mit Beschluss vom 18. Juni 2024 als unbegründet verwarf. Auf diese Entscheidungen wird - insbesondere hinsichtlich der Ausführungen zum dringenden Tatverdacht - Bezug genommen. Im Anschluss hieran verfügte die Dezernentin bei der Staatsanwaltschaft Itzehoe am 20. Juni 2024 die „Fortsetzung der Ermittlungen“ durch die Kriminalpolizeistelle Elmshorn, ohne deren Art und Umfang zu konkretisieren. Auf ihre Sachstandsanfrage vom 8. Juli 2024 teilte ihr der sachbearbeitende Beamte mit, „dass die Ermittlungen abgeschlossen sind". Lediglich ein Wirkstoffgutachten stehe noch aus. Hierbei handelt es sich vermutlich um das Gutachten vom 22. Juli 2024 (Ziffer III. 8. der Beweismittel). Am 17. Juli 2024 erstellte die Kriminalpolizeistelle Elmshorn ihren letzten Schlussvermerk. Die angekündigte Aktenübersendung an die Staatsanwaltschaft erfolgte sodann am 7. August 2024 auf dem Postweg und ohne Haftvermerk. Am 19. August 2024 erhob die Staatsanwaltschaft Itzehoe schließlich Anklage zur Großen Strafkammer des Landgerichts Itzehoe, welche am 22. August 2024 die Zustellung und Übersetzung der Anklageschrift veranlasste.

Am 16. September 2024 ging das seitens der Staatsanwaltschaft mit Anklageerhebung bei der Sachverständigen pp.telefonisch unter Übersendung eines elektronischen Aktendoppels in Auftrag gegebene Gutachten zur Frage des Vorliegens der Voraussetzungen einer Unterbringung nach § 64 StGB ein.

Zwischenzeitlich war der Kammervorsitzende seit dem 12. September 2024 bis zum 17. November 2024 dienstunfähig erkrankt. Die stellvertretende Kammervorsitzende hat mit Verfügung vom 25. Oktober 2024 die Terminverfügbarkeiten des Verteidigers und der Sachverständigen abgefragt und von diesen am 4. bzw. 1. November 2024 Rückmeldungen erhalten, aus denen sich aus Sicht der Kammer ergab, dass eine beschleunigte Durchführung der Hauptverhandlungen aufgrund unzureichender Verfügbarkeiten nicht möglich sein würde. Darüber kam es zu einer fortgesetzten Korrespondenz zwischen der stellvertretenden Kammervorsitzenden und dem Verteidiger, bezüglich derer wegen der Einzelheiten auf den Akteninhalt Bezug genommen wird.

Am 8. November 2024 erging sodann eine Eröffnungsentscheidung der Kammer. Zugleich verfügte die stellvertretende Kammervorsitzende die Ladung zur Hauptverhandlung mit Beginn am 21. November 2024 um 16 Uhr, also vier Tage vor Ablauf der nach § 43 Abs. 2 StPO zu berechnenden Sechs-Monats-Frist. Die Ladungsverfügung wurde am 11. November 2024 ausgeführt; die Zustellung an den Verteidiger erfolgte am 13. November 2024.

Aufgrund der Nichteinhaltung der Ladungsfrist nach § 217 Abs. 1 StPO beantragte der Verteidiger für den Angeklagten in der Hauptverhandlung vom 21. November 2024 die Aussetzung der Hauptverhandlung gemäß § 217 Abs. 2 StPO und teilte auf Frage des Vorsitzenden mit, dass auch für den Beginn der Hauptverhandlung am 28. November 2024 (dem eigentlich nächsten Fortsetzungstermin) seitens des Angeklagten nicht auf die Einhaltung der Ladungsfrist verzichtet werde.

Die Hauptverhandlung wurde sodann mit Beschluss der Kammer in der begonnenen Hauptverhandlung ausgesetzt. Von einer Terminierung auf den 28. November 2024 sah der Vorsitzende ab, da umstritten sei, ob die Ladungsfrist nach § 217 Abs. 1 StPO auch nach Aussetzung der Hauptverhandlung gelte. Dies sei nach seiner Auffassung jedenfalls dann anzunehmen, wenn - wie vorliegend - die Ladungsfrist bezüglich der ausgesetzten Hauptverhandlung nicht gewahrt gewesen sei.

Die Kammer hält die Fortdauer der Untersuchungshaft für erforderlich und verhältnismäßig und hat die Akten dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Zuschrift vom 27. November 2024, auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, beantragt, die Fortdauer der Untersuchungshaft anzuordnen.

Der Verteidiger hatte gegenüber der Kammer in der Korrespondenz im Hinblick auf die problematische Terminierung zunächst ausgeführt (Schriftsatz vom 8. November 2024), die mögliche Terminierung trage „dem besonderen Beschleunigungsgrundsatz in Haftsachen hinreichend Rechnung“. In seiner an den Senat gerichteten Stellungnahme vom 28. November 2024, auf die wegen der Einzelheiten ebenfalls Bezug genommen wird, rügt er nunmehr eine umfassende Verletzung des Beschleunigungsgrundsatzes. Die Voraussetzungen des § 121 Abs. 1 StPO lägen nicht vor, weshalb der Angeklagte in seinem Freiheitsgrundrecht verletzt sei.

II.

Die Voraussetzungen für die Anordnung von Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus nach § 121 Abs. 1 StPO liegen nicht vor, weshalb der Haftbefehl aufzuheben und der Angeklagte unverzüglich aus der Untersuchungshaft zu entlassen ist.

Der Senat lässt offen, ob hinsichtlich sämtlicher angeklagter Taten ein dringender Tatverdacht im Sinne von § 112 Abs. 1 Satz 1 StPO anzunehmen ist und der Haftgrund des § 112a Abs. 2 Nr. 2 vorliegt, denn das Verfahren ist seit Erlass des Haftbefehls nicht mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigung geführt worden. Die schon jetzt eingetretene erhebliche und vermeidbare Verfahrensverzögerung seit dem Vollzug der Untersuchungshaft kann auch nicht mehr durch Phasen besonderer Beschleunigung kompensiert werden. Das Beschleunigungsgebot in Haftsachen gilt während des gesamten Ermittlungsverfahrens. Es ist daher uneingeschränkt mit Beginn des Vollzuges der Untersuchungshaft zu beachten und nicht etwa - solange die Sechs-Monats-Frist (gerade noch) eingehalten werden kann - bis zur besonderen Haftprüfung nach §§ 121, 122 StPO mit geringeren Anforderungen. Dies haben sowohl die Staatsanwaltschaft als auch die Kammer nicht genügend beachtet. Die Verzögerungen rügt der Verteidiger nunmehr zu Recht. Sie hätten bereits zuvor zu einer Aufhebung des Haftbefehls vor Ablauf der Sechs-Monats-Frist führen müssen.

Die das Freiheitsgrundrecht des Angeklagten verletzende Verzögerung beruht auf folgenden Umständen:

1. Schon im Ausgangspunkt liegen die Voraussetzungen des § 121 Abs. 1 StPO nicht vor. Das Verfahren ist weder besonders schwierig noch ist es besonders umfangreich, im Gegenteil: Es handelt sich um ein einfach gelagertes Verfahren aus dem Betäubungsmittelstrafrecht, bei welchem die Tatvorwürfe überwiegend identisch (Taten 1 - 216) und in der Gesamtschau auch hinsichtlich der weiteren vier Taten überschaubar sind. Gleiches gilt für die bereits seit Erlass des Haftbefehls vorhandene Beweislage, aufgrund derer eine Anklageerhebung und Durchführung einer Hauptverhandlung an wenigen Tagen möglich gewesen wäre. Lediglich hinsichtlich der Taten vom 7. März und 23. Mai 2024 standen noch einzelne Ermittlungsergebnisse in Form von Gutachten aus, wobei allerdings die Täterschaft und Tatausführung als solche bereits mit der für eine Anklageerhebung erforderlichen Wahrscheinlichkeit beweisbar waren.

Auch ein „anderer wichtiger Grund“ im Sinne von § 121 Abs. 1 StPO für die Überschreitung der Sechs-Monats-Frist ergibt sich aus dem Verfahren nicht. Die nachfolgend unter 2. und 3. zu beanstandenden Verfahrensverzögerungen finden ihre Ursache insbesondere nicht in der längerfristigen Erkrankung des Kammervorsitzenden, denn diese waren unabhängig hiervon überwiegend schon eingetreten. Darüber hinaus ist - anders als bei einer unvorhergesehenen und kurzen Erkrankung - bei einer mit Haftsachen befassten Großen Strafkammer zu gewährleisten, dass bei einem längerfristigen Ausfall eines Kammermitgliedes gleich aus welchem Grund eine angemessene Verfahrensförderung und ggf. auch die Durchführung einer Hauptverhandlung mit einer Vertretung gewährleistet ist. Ein unabsehbares Zuwarten stellt schon für sich eine Verletzung des Beschleunigungsgebots dar.

2. Eine erste Verzögerung des Verfahrens ist schon im Ermittlungsverfahren eingetreten. Hinsichtlich der Taten 1 - 216 und 217 bestand nämlich bereits vor Erlass des Haftbefehls Anklagereife. Der Hauptbelastungszeuge zu den Taten 1 - 216 war bereits am 7. Juni 2023 vernommen worden; der Abschlussbericht zu Tat 217 datiert vom 3. Februar 2023. Hierbei handelt es sich um die umfangreichsten bzw. schwerwiegendsten Tatvorwürfe. Auch hinsichtlich des Beleidigungsvorwurfs (Tat 220), der zudem nicht Gegenstand des Haftbefehls war, waren keine weiteren Ermittlungen mehr erforderlich.

Soweit auf Grundlage des Haftbefehls zur Erhärtung des hinreichenden Tatverdachts hinsichtlich der verbleibenden Taten 218 und 219 noch weitere Ermittlungshandlungen erforderlich waren, hätte die Staatsanwaltschaft im Rahmen ihrer Verfahrenshoheit entweder erwägen müssen, hinsichtlich dieser Taten prozessual durch Abtrennung oder Teileinstellung nach § 154 StPO zu verfahren oder aber den Abschluss der restlichen Ermittlungen zu beschleunigen, wenn sie diese im Rahmen der Haftsache anklagen wollte. Dies ist unterblieben. Zwar ist grundsätzlich nicht zu beanstanden, dass der Eingang von Gutachten abgewartet wird, um bei Anklageerhebung sämtliche Beweismittel anführen zu können. Verzögert sich dies aber, ist dieser Verzögerung zum einen dadurch zu begegnen, dass die Gutachtenerstellung maximal priorisiert wird und zum anderen der Abschluss der Ermittlungen soweit vorangebracht wird, dass bei Eingang der restlichen Ermittlungsergebnisse diese zeitnah eingearbeitet werden können. Dies ist vorliegend auch ohne weiteres möglich gewesen, denn hinsichtlich Täterschaft, Tatort, Tatzeit und Tatbegehung lagen die Beweisergebnisse bereits vor Erlass des Haftbefehls vor, allein hinsichtlich der konkreten Wirkstoffgehalte bei den Taten 218 und 219 standen die Gutachten noch aus.

Vor diesem Hintergrund genügt es deshalb nicht, wenn die Staatsanwaltschaft nach Erlass des von ihr beantragten Haftbefehls, der überwiegend bereits ausermittelte Taten zum Gegenstand hat, lediglich die „Fortsetzung der Ermittlungen“ verfügt, ohne diese zu konkretisieren, drei Wochen später nach dem Sachstand fragt und sodann - obwohl der Abschluss der Ermittlungen bereits am 12. Juli 2024 mitgeteilt worden war - erst mehr als einen Monat später Anklage erhebt. Dies hätte spätestens nach Eingang des erwarteten Gutachtens unverzüglich erfolgen müssen und bei sachgerechter Vorbereitung auch erfolgen können, denn die Abfassung der Anklage erforderte angesichts ihres geringen Umfangs - das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen umfasst gerade einmal zwei Seiten - keinen nennenswerten Aufwand mehr. Erschwerend hinzu kommt, dass die Abgabe der Akten seitens der Kriminalpolizei erst drei Wochen nach dem Schlussvermerk dem Beschleunigungsgrundsatz zusätzlich nicht gerecht wird.

3. Die bereits eingetretene Verzögerung des Verfahrens hätte nach Anklageerhebung nur noch durch eine besondere Verfahrensbeschleunigung durch das Gericht kompensiert werden können. Eine solche ist jedoch nicht zu erkennen. Vielmehr ist es auch seitens der Kammer zu einer weiteren Verzögerung gekommen, für die ein wichtiger Grund im Sinne von § 121 Abs. 1 StPO nicht vorliegt.

Zwar hat die stellvertretende Vorsitzende die Zustellung und Übersetzung der Anklageschrift unverzüglich verfügt, weitere verfahrensfördernde Handlungen der Kammer sind sodann aber ohne nachvollziehbare Gründe zunächst unterblieben. Das Beschleunigungsgebot in Haftsachen erfordert nach Eingang einer Anklage regelmäßig auch die Vorbereitung von Eröffnungsentscheidungen, insbesondere aber die frühzeitige Abstimmung von Hauptverhandlungsterminen für den Fall der Eröffnung sowie ggf. Vorgespräche (§ 213 Abs. 2 StPO), insgesamt aber eine tragfähige und konkrete Perspektive zur Verfahrensplanung parallel zu laufenden Hauptverhandlungen (Senatsbeschluss vom 3. Januar 2024 - 1 Ws 44/23 H -, bei juris). Dem genügt es keinesfalls, wenn das Gericht, zumal eine ständig mit Haftsachen befasste Große Strafkammer, - wie hier - erstmals über zwei Monate nach Eingang der Anklage Terminverfügbarkeiten abfragt und hierbei nicht einmal mitteilt, welchen Umfang der Hauptverhandlung sie in etwa ins Auge fasst. Dies lässt vielmehr besorgen, dass auch noch am 25. Oktober 2024 seitens der Kammer keine tragfähige Verfahrensplanung getroffen worden war, zumal die Eröffnungsentscheidung dann erst weitere zwei Wochen später erfolgte. Schon in schwierigen oder Umfangssachen ist das - jedenfalls ohne nachvollziehbare Begründung - nicht hinnehmbar. Jedenfalls aber bei den hier tatsächlich wie rechtlich einfach gelagerten Sachverhalten, die angesichts des beschränkten Aktenumfangs ohne nennenswerten Zeitaufwand zu erschließen sind, war eine Befassung mit der Sache unverzüglich geboten und auch möglich. Daher hätte die Eröffnungsentscheidung und Verfahrensplanung wesentlich früher erfolgen müssen. Unbeschadet dessen hätte die Kammer rechtzeitig, mithin sehr zeitnah nach Eingang der Akten, mit dem Verteidiger und auch der Sachverständigen deren Verfügbarkeit abklären müssen und nicht erstmalig zwei Monate nach Eingang der Anklage. Auch dies hätte allerdings eine gewisse Verfahrensplanung vorausgesetzt, damit der Umfang der „zu blockenden“ Termine für die Verfahrensbeteiligten absehbar ist. Dass es gerade im Hinblick auf die Auslastung von Verteidigern und Sachverständigen zu Konstellationen kommt, die dem Beschleunigungsgebot zuwiderlaufen (was auch die Kammer so gesehen hat, indem sie auf weitere Termine gedrängt hat), ist keine dieses Verfahren prägende Besonderheit, sondern ein Problem, welches in Haftsachen geradezu typischerweise besteht. Es ist daher von einer Großen Strafkammer zu erwarten, dass sie dem durch frühzeitige Planung wirksam begegnet und nicht einen Monat vor der besonderen Haftprüfung hiermit erstmals beginnt. Wäre vorliegend so verfahren worden, hätte es des wenig zielführenden Schriftwechsels mit dem Verteidiger nicht bedurft. Vielmehr wäre es entweder zu einer angemessenen Terminabstimmung gekommen oder aber es wäre rechtzeitig absehbar gewesen, dass der Verteidiger nicht hinreichend verfügbar ist. Hierfür ist allerdings Voraussetzung, dass eine Verfügbarkeit tatsächlich nicht besteht und nicht nur pauschal behauptet wird. Diesbezüglich ist von einer mit Haftsachen befassten Kammer zu erwarten, dass sie zum einen einen Maßstab hinsichtlich etwaiger Verhinderungsgründe zugrundelegt, der sich an der Vorrangigkeit von Haftsachen orientiert, und zum anderen die Verhinderung auch einer konkreten Prüfung unterzieht. In einer Haftsache kommt lediglich eine Verhinderung durch andere bereits bestimmte Hauptverhandlungstermine in Haftsachen (allenfalls noch durch bereits bestimmte, besonders eilbedürftige familienrechtliche Termine in Fällen gravierender Kindeswohlgefährdung, § 157 FamFG) in Betracht, die von dem Verteidiger grundsätzlich auch zu belegen ist, etwa durch die Vorlage entsprechender Ladungen. Erforderlich ist hierbei ggf. auch eine Auseinandersetzung mit dem Umstand, dass schon eine Bestellung zum Pflichtverteidiger grundsätzlich nur erfolgen kann, wenn auch eine hinreichende terminliche Verfügbarkeit nach Maßgabe der Rechtsprechung zum Beschleunigungsgebot in Haftsachen gewährleistet ist. Fehlt es an dieser, wäre ggf. eine Entpflichtung und Bestellung einer Rechtsanwältin oder eines Rechtsanwalts, die bzw. der bereit und in der Lage ist, die Verteidigung in der Hauptverhandlung nach Maßgabe der o. g. Ausführungen zu übernehmen, zu prüfen (weiterer Senatsbeschluss vom 3. Januar 2024 - 1 Ws 42/23 H). Eine Beiordnung hat zu unterbleiben oder ist zu beenden, wenn ein Verteidiger nicht gewährleisten kann, das ihm übertragene Mandat auch tatsächlich wahrzunehmen. Eine solche Prüfung hat die Kammer unterlassen, obwohl gerade vorliegend hierzu ersichtlich Veranlassung bestand: Der Verfügbarkeitsmitteilung des Verteidigers vom 4. November 2024 fehlt es nämlich offensichtlich an der gebotenen Ernsthaftigkeit, wenn von insgesamt 19 möglichen Terminen insgesamt sieben auf ein Zeitfenster von 15 Minuten, einer auf ein Zeitfenster von 45 Minuten beschränkt sind und ein weiterer benannter Termin der 31. Dezember ist, ein Tag, bei welchem einem Fachanwalt für Strafrecht bekannt sein dürfte, dass die Gerichte in Schleswig-Holstein an diesem Tag geschlossen sind. Statt den Verteidiger fristsetzend zur Benennung weiterer Termine anzuhalten, hätte es der verfahrensführenden Kammer oblegen, diesen aufzufordern belegbar zu erklären, warum er an den anderen von ihr avisierten Termine seiner Verpflichtung als notwendiger Verteidiger nicht nachkommen kann.

4. Ohne dass es noch darauf ankommt, hat schließlich auch die Nichteinhaltung der Ladungsfrist mit der Folge der antragsgemäßen Aussetzung der Hauptverhandlung, aufgrund derer der Senat überhaupt zur besonderen Haftprüfung infolge der hierdurch eingetretenen Fristüberschreitung berufen ist, das Verfahren noch einmal verzögert. Zwar ist grundsätzlich in Rechnung zu stellen, dass Fehler passieren können. Dies ist auch unschädlich, weil deren Auswirkungen durch nachfolgende Sachbehandlung zumeist ausgeglichen werden können. So liegt es hier aber nicht. Es ist angesichts der schon eingetretenen Verzögerung in der Gesamtschau nicht mehr hinnehmbar, wenn eine Große Strafkammer dann nicht alles daran setzt, eine überaus knappe Ladung (ggf. von Hand zu Hand und mittels Zustellung durch Gerichtswachtmeister) so zu bewirken, dass sie unter allen Umständen rechtzeitig ist. Dies hat die Kammer versäumt. Es ist nicht Sache des Angeklagten, diesen vermeidbaren Fehler dadurch zu kompensieren, dass er auf elementare prozessuale Rechte wie dem aus § 217 Abs. 2 StPO verzichtet. Dies gilt vorliegend schon deshalb, weil dem Verteidiger noch keine umfassende Akteneinsicht gewährt worden war. Die Vollständigkeit des übermittelten Aktenmaterials zu prüfen, ist stets, im besonderen Maße jedoch in Haftsachen, Aufgabe sowohl der Staatsanwaltschaft als auch des Gerichts.

5. Die eingetretenen Verzögerungen haben ein derartiges Ausmaß erreicht, dass die nunmehr avisierte Hauptverhandlung ab dem 19. Dezember 2024 dies nicht mehr zu kompensieren vermag. Dies insbesondere deshalb, weil die Verhandlungsdichte - auch unter Berücksichtigung der anstehenden Feiertage - allenfalls durchschnittlich ist und der Senat nicht erkennen kann, in welchem Umfang an den anberaumten Hauptverhandlungstagen verhandelt werden soll, welches Beweisprogramm die Kammer für erforderlich erachtet und ob sie im gebotenen Maße zur Beschleunigung ein Selbstleseverfahren durchführen wird.


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