Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Naumburg, Beschl. v. 04.10.2024 - 1 ORbs 201/24
Eigener Leitsatz:
1. Das tatrichterliche Urteil deshalb in der Regel erkennen lassen, auf welche Tatsachen das Gericht seine Überzeugung gestützt hat, wie sich der Betroffene eingelassen hat und ob das Gericht dieser Einlassung des Betroffenen folgt oder ob und inwieweit es seine Einlassung für widerlegt ansieht.
2. Die lediglich pauschale Angabe, der Betroffene sei zweimal verkehrsrechtlich in Erscheinung getreten, ermöglicht dem Rechtsbeschwerdegericht nicht die Prüfung, ob diese Eintragungen noch verwertbar sind und deshalb eine Erhöhung der Regelbuße gerechtfertigt ist.
BESCHLUSS
1 ORbs 201/24 OLG Naumburg
In der Bußgeldsache
gegen pp.
hat der Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Naumburg am 4. Oktober 2024 durch den Richter am Oberlandesgericht beschlossen.
Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Wernigerode vom 27. Mai 2024 mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts Wernigerode zurückverwiesen.
Gründe:
I.
Das Amtsgericht Wernigerode hat durch Urteil vom 27. Mai 2024 gegen den von der Anwesenheitspflicht entbundenen Betroffenen in dessen und in Abwesenheit seines Verteidigers, Rechtsanwalt pp., wegen fahrlässiger Überschreitung der außerorts zulässigen Höchstgeschwindigkeit in Tateinheit mit Nichtmitführens der Zulassungsbescheinigung Teil 1 und in Tateinheit mit Nichtmitführens des vorgeschriebenen Führerscheins eine Geldbuße von 440 € sowie ein Fahrverbot von einem Monat verhängt.
Hiergegen wendet sich der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde vom 3. Juli 2024, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt.
Der Senat war zuletzt mit der Sache mit Beschluss vom 7. November 2023 befasst.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Zuschrift vom 30. September 2024 beantragt, das Urteil des Amtsgerichts Wernigerode vom 27. Mai 2024 mit den dazugehörigen Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts Wernigerode zurückzuverweisen.
Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 1 und 2, Abs. 3 S. 1 OWiG i.V.m, §§ 341 Abs.1, 344f StPO zulässig, insbesondere fristgerecht erhoben worden.
Auf Anordnung des Vorsitzenden vom 19. Juni 2024 ist das Urteil sowohl dem Betroffenen am 24. Juni 2024 als auch dessen Verteidiger, Rechtsanwalt pp. am 1. Juli 2024 zugestellt worden.
Im Falle einer gemäß § 145a Abs. 3 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWIG nicht zugelassenen Doppelzustellung sowohl an den Betroffenen als auch an den Verteidiger eines in Abwesenheit verkündeten Urteils ist für den Beginn der Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde nach § 341 Abs. 2 StPO i.V.m. §§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG nach § 37 Abs. 2 StPO grundsätzlich die zuletzt bewirkte Zustellung maßgeblich. Dies gilt nur dann nicht, wenn die zweite Zustellung erst zu einem Zeitpunkt ausgeführt wird, als die durch die erste Zustellung in Lauf gesetzte Frist bereits abgelaufen war, weil durch die Zustellung an einen weiteren Empfangsberechtigten nicht eine neue Frist eröffnet wird (BayObLG Beschl. v. 6.4.2022 — 202 ObOWi 366/22, BeckRS 2022, 11546).
Hiernach ist die Rechtsbeschwerde zulässig erhoben.
III.
Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Zuschrift ausgeführt:
„Das angefochtene Urteil kann keinen Bestand haben, weil es nicht den Mindestanforderungen des § 71 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit §§ 261, 267 StPO genügt.
1. Gemäß § 261 StPO i.V.m. § 71 OWiG entscheidet das Gericht über das Ergebnis der Beweisaufnahme nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung geschöpften Überzeugung.
Zwar ist es allein Sache des Tatrichters, das Ergebnis der Beweisaufnahme zu würdigen, so dass sich die Prüfung des Rechtsbeschwerdegerichts darauf beschränkt, ob dem Tatrichter hierbei Rechtsfehler unterlaufen sind, so wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (BGH NStZ 1999,153).
Allerdings müssen die Urteilsgründe - wenn auch an deren Abfassung in Bußgeldsachen keine hohen Anforderungen zu stellen sind (BGHS 39, 291) doch so beschaffen sein, dass das Rechtsbeschwerdegericht zur Nachprüfung einer richtigen Rechtsanwendung (hinsichtlich der objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale) entnehmen kann, welche Feststellungen das Amtsgericht getroffen hat und welche tatrichterlichen Erwägungen der Bemessung der Geldbuße und der Anordnung oder dem Absehen von Nebenfolgen zugrundeliegen (Göhler, OWiG, 19. Auflage, § 71 Rn. 42). Die Beweiswürdigung muss dem Rechtsbeschwerdegericht die rechtliche Überprüfung -insbesondere im Hinblick auf mögliche Verstöße gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze — ermöglichen. Das Urteil muss deshalb in der Regel auch erkennen lassen, auf welche Tatsachen das Gericht seine Überzeugung gestützt hat, wie sich der Betroffene eingelassen hat und ob das Gericht dieser Einlassung des Betroffenen folgt oder ob und inwieweit es seine Einlassung für widerlegt ansieht (Göhler, a.a.O., § 71 Rn. 43).
Diesen Grundsätzen wird das Amtsgericht nicht gerecht.
2. Die Feststellungen zum Schuldspruch beruhen nicht auf einer tragfähigen Grundlage; die Angaben hierzu genügen nicht, um dem Senat eine Überprüfung zu ermöglichen.
Das Amtsgericht hat festgestellt, dass sich die Vorwürfe aus dem Bußgeldbescheid vom 07.11.2022, mit dem dem Betroffenen vorgeworfen wird, am 24.08.2022 um 9:19 Uhr auf der BAB 36 km 41,5 auf Höhe Ilsenburg in Richtung Abbenrode als Führer des Kleintransporters pp. die außerorts zulässige Höchstgeschwindigkeit um 48 km/h überschritten, die Zulassungsbescheinigung Teil I und den vorgeschriebenen Führerschein nicht mitgeführt zu haben, obwohl er die durch Verkehrszeichen 274 angeordnete erlaubte Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h hätte erkennen können und müssen, im Rahmen der Hauptverhandlung bestätigt haben (UA S. 2).
Dabei beruhen die Feststellungen zur Person des Betroffenen auf dessen schriftlicher Einlassung sowie auf dem verlesenen FAER vom 08.04.2024; die Feststellungen zur Sache auf dem in Augenschein genommenen Messvideo, auf dem der Kleintransporter mit einer Geschwindigkeit von 128 km/h abzüglich eines nicht genannten Toleranzwertes zu erkennen ist (UA S. 2), sowie der im Rahmen der Hauptverhandlung ausgewerteten Unterlagen, insbesondere der Eichbescheinigung, der Lebensakte des Messgerätes und der Bedienungsberechtigung der Messbeamten, zudem auf den Vermerk der Polizeibeamten auf der Bescheinigung über die maßgebliche Verkehrskontrolle des Betroffenen.
Kein Hinweis findet sich in den Gründen dazu, dass der Betroffene eingeräumt hat, zu dem in Rede stehenden Zeitpunkt den maßgeblichen Transporter geführt zu haben.
Zudem fehlen - worauf die Rechtsbeschwerde ebenfalls zutreffend hinweist - Angaben zum konkret angewandten Messverfahren, insbesondere ob ein sog. standardisiertes Messverfahren zum Einsatz gekommen ist. Auch zur konkreten Höhe des zugrunde gelegten Toleranzwertes werden Ausführungen vermisst.
Eine Nachprüfung anhand der Urteilsgründe ist dem Rechtsbeschwerdegericht nicht möglich. Schon deshalb kann das Urteil keinen Bestand haben. .
4. Unabhängig davon, kann auch der Rechtsfolgenausspruch keinen Bestand haben.
Das Gericht erhöhte die Regelgeldbußen wegen Voreintragungen im FAER und unterließ es dabei, die entscheidungserheblichen Voreintragungen im Detail aufzuführen, insbesondere deren Rechtskraft im Einzelnen zu benennen. Allein die Information im Hinblick auf die nicht gewährte Schonfrist von 4 Monaten ermöglicht dem Senat die notwendige Prüfung nicht."
Dem schließt sich der Senat an. Ergänzend hierzu ist anzumerken, dass die lediglich pauschale Angabe, der Betroffene sei zweimal verkehrsrechtlich in Erscheinung getreten, dem Rechtsbeschwerdegericht nicht die Prüfung ermöglicht, ob diese Eintragungen noch verwertbar sind und deshalb eine Erhöhung der Regelbuße gerechtfertigt ist.
Die Entscheidung über die Zurückverweisung folgt aus § 79 Abs. 6 OWiG.
Einsender: RA C. Schneider, Leipzig
Anmerkung:
Die Nutzung von Burhoff-Online ist kostenlos. Der Betrieb der Homepage verursacht aber für Wartungs-, Verbesserungsarbeiten und Speicherplatz laufende Kosten.
Wenn Sie daher Burhoff-Online freundlicherweise durch einen kleinen Obolus unterstützen wollen, haben Sie hier eine "Spendenmöglichkeit".