Gericht / Entscheidungsdatum: AGH Berlin, Urt. v. 18.09.2024 - II AGH 14/23
Leitsatz des Gerichts:
1. § 32d Satz 2 StPO ist gemäß § 116 Absatz 1 Satz 2 BRAO für das anwaltsgerichtliche Verfahren sinngemäß anzuwenden (entgegen AGH Hamm Urteil vom 21. April 2023 – 2 AGH 10/22).
2. Tritt ein Rechtsanwalt als Betroffener eines anwaltsgerichtlichen Verfahrens in eigener Angelegenheit auf, hat er die für Rechtsanwälte geltenden zwingenden Formvorschriften einzuhalten.
In pp.
Die Berufung des Rechtsanwalts gegen das Urteil des Anwaltsgerichts Berlin vom 5. Juli 2023 – 4 AnwG 11/23 – wird verworfen.
Der Rechtsanwalt trägt die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich seiner notwendigen Auslagen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
§§ 322 Absatz 1, 32d Satz 2 StPO in Verbindung mit § 116 Absatz 1 Satz 2 BRAO, §§ 197 Absatz 2 Satz 1, 145 Absatz 2 BRAO
Gründe
I. Das Anwaltsgericht Berlin hat mit Urteil vom 5. Juli 2023 gegen den Rechtsanwalt wegen schuldhaften Verstoßes gegen die Pflicht, seinen Beruf gewissenhaft auszuüben und sich innerhalb des Berufs der Achtung und des Vertrauens, welche die Stellung des Rechtsanwalts erfordert, würdig zu erweisen, insbesondere, als Inhaber des besonderen elektronischen Anwaltspostfaches die für dessen Nutzung erforderlichen technischen Einrichtungen vorzuhalten, die anwaltsgerichtlichen Maßnahmen eines Verweises sowie einer Geldbuße in Höhe von 3.000,00 Euro verhängt.
Dagegen hat der Rechtsanwalt mit per Fax übermitteltem Schriftsatz vom 9. Mai 2023 Berufung eingelegt.
II. Die Berufung ist gemäß § 322 Absatz 1 StPO als unzulässig zu verwerfen. Denn sie entspricht nicht den Formerfordernissen des § 32d Satz 2 StPO in Verbindung mit § 116 Absatz 1 Satz 2 BRAO.
1. Nach der seit dem 1. Januar 2022 geltenden Vorschrift des § 32d Satz 2 StPO, welcher gemäß § 116 Absatz 1 Satz 2 BRAO für das anwaltsgerichtliche Verfahren sinngemäß anzuwenden ist, müssen Verteidiger und Rechtsanwälte die Berufung als elektronisches Dokument übermitteln. Insoweit handelt es sich um eine Form- und Wirksamkeitsvoraussetzung der jeweiligen Prozesshandlung, welche bei Nichteinhaltung deren Unwirksamkeit zur Folge hat (BGH, Beschluss vom 6. Februar 2024 – 6 StR 609/23 –, Rn. 4, juris). Diesen Anforderungen entspricht die am 9. Mai 2023 per Fax übermittelte Berufungsschrift nicht (für per Telefax übermittelte Revisionseinlegung: BGH, Beschluss vom 9. August 2022 – 6 StR 268/22 –, Rn. 3, juris). Die Voraussetzungen eines Ausnahmefalls nach § 32d Satz 3 StPO sind weder dargetan noch sonst ersichtlich. Ohnehin stellt eine Verzögerung bei der Einrichtung des besonderen elektronischen Anwaltsfachs regelmäßig keine vorübergehende technische Unmöglichkeit der elektronischen Übermittlung dar (BGH, Beschluss vom 27. September 2022 – 5 StR 328/22 –, Rn. 2, juris).
2. Dem steht nicht entgegen, dass der angeschuldigte Rechtsanwalt zugleich Betroffener des anwaltsgerichtlichen Verfahrens, mithin nicht für einen Dritten, sondern in eigener Angelegenheit aufgetreten ist (Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 14. Juli 2023 – 201 ObOWi 707/23 –, Rn. 5, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 20. Juli 2023 – III-4 ORs 62/23 –, Rn. 7, juris; s.a. BGH, Beschluss vom 15. Dezember 2023 – AnwZ (Brfg) 10/23 –, Rn. 8, juris). § 32d StPO gilt für Verteidiger und Rechtsanwälte. Als Rechtsanwalt ist er Betroffener des anwaltsgerichtlichen Verfahrens. Ist er gerade als Rechtsanwalt Beteiligter des Verfahrens, muss er auch die für Rechtsanwälte geltenden zwingenden Formvorschriften einhalten.
3. Entgegen der Rechtsprechung des Anwaltsgerichtshofes Hamm (Urteil vom 21. April 2023 – 2 AGH 10/22 –, Rn. 4, juris) kann der BRAO auch keine Regelung entnommen werden, wonach § 32d Satz 2 StPO im anwaltsgerichtlichen Verfahren keine Anwendung finde. Insbesondere kommt § 37 BRAO hierfür nicht in Betracht, weil diese Vorschrift nach gesetzessystematischer als auch historischer Auslegung im anwaltsgerichtlichen Verfahren keine Anwendung findet. Dafür spricht auch der Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung.
a) Richtig ist lediglich, dass § 37 BRAO seinem Wortlaut nach ("nach diesem Gesetz") für alle Erklärungen gilt, für deren Abgabe nach der BRAO die Schriftform vorgeschrieben ist sowie dass § 143 Absatz 2 BRAO regelt, dass die Berufung gegen das Urteil des Anwaltsgerichts schriftlich eingelegt werden muss. Zutreffend ist es auch, dass sich § 37 BRAO auf die BRAO insgesamt bezieht und nicht etwa nur auf die Regelungen des Dritten Abschnitts des Zweiten Teils der BRAO über das Verwaltungsverfahren, was die Gesetzesmaterialien zu § 37 BRAO und § 64c BNotO belegen (BT-Drs. 19/26828, S. 198 sowie S. 159).
b) Daraus kann aber bereits aus gesetzessystematischen Gründen nicht geschlossen werden, dass mit § 37 BRAO eine abschließende Regelung vorliege, die eine ergänzende Anwendung von § 32d Satz 2 StPO im anwaltsgerichtlichen Verfahren ausschließe. Denn die BRAO schafft mit seiner Regelung im Siebenten Teil eine eigenständige und abschließende Verfahrensrechtsordnung für das anwaltsgerichtliche Verfahren, welche sich prozessual an das Strafprozessrecht anlehnt (BGH, Urteil vom 30. September 2019 – AnwZ (Brfg) 32/18 –, Rn. 22, juris), die auch eigene Formvorschriften für Rechtsmittel bereit hält.
Gesetzestechnisch ist diese Regelung derart ausgestaltet, dass in den §§ 117 bis 161a BRAO besondere Bestimmungen für das anwaltsgerichtliche Verfahren normiert sind und in § 116 Absatz 1 Satz 2 BRAO die ergänzende sinngemäße Anwendung der StPO angeordnet wird. In den vorrangig zu beachtenden (Dittmann/Thole in: Henssler/Prütting, BRAO, 6. Auflage 2024, § 116 Rn. 1) „Spezialbestimmungen“ (Kleine-Cosack, BRAO, 9. Auflage 2022, § 116 Rn. 1) der §§ 117 bis 161a BRAO werden hierbei lediglich einzelne („rudimentäre“ - von der Meden/Solka, BeckOK BRAO, 24. Ed. 1.8.2024, § 116 Rn. 1) verfahrensrechtliche Regelungen getroffen, die den historisch gewachsenen Besonderheiten des Berufsrechts der Rechtsanwälte Rechnung tragen sollen (von der Meden/Solka, a.a.O.). Werden durch diese besonderen Bestimmungen keine oder nur unvollständige Regelungen für das Verfahren getroffen, ist insgesamt und ohne Einschränkungen die StPO „subsidiär“ (Kleine-Cosack, BRAO, 9. Auflage 2022, § 116 Rn. 1) für sinngemäß anwendbar erklärt. Die überwiegende Anzahl der Verfahrensvorschriften ist deshalb der StPO zu entnehmen (von der Meden/Solka, a.a.O., vor Rn. 1).
Trifft die BRAO in diesem Sinne eine abschließende Sonderregelung für das anwaltsgerichtliche Verfahren, gilt diese vorrangig vor jeder anderen allgemeinen Regelung in der BRAO. Selbst wenn man also – wie der AGH Hamm in seinem o.g. Urteil vom 21. April 2023 – die Vorschrift des § 37 BRAO als eine Regelung „im Allgemeinen Teil der BRAO“ auffasst, die neben der gesetzlich vorgesehenen Schriftform als (bloße) zusätzliche Möglichkeit die elektronische Übermittlung über das besondere elektronische Anwaltspostfach vorsieht, so stellen die Vorschriften der §§ 116 ff. BRAO mit ihren besonderen Vorschriften und der angeordneten ergänzenden sinngemäßen Anwendung der StPO für das anwaltsgerichtliche Verfahren, wozu auch § 32d Satz 2 StPO gehört, eine vorrangige, weil speziellere Regelung dar.
c) Auch die historische Auslegung des § 37 BRAO stützt dieses Ergebnis.
Diese Vorschrift ist mit ihrem jetzigen Inhalt erst mit dem Gesetz zur Modernisierung des notariellen Berufsrechts und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 25. Juni 2021 (BGBl. I 2021 S. 2154) neugefasst worden. Zu dieser Zeit war § 32d StPO bereits durch das Gesetz zur Einführung der elektronischen Akte in der Justiz und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs vom 5. Juli 2017 (BGBl. I 2017 S. 229) in die StPO eingefügt worden. Auch wenn diese Vorschrift nach Art. 33 Abs. 4 Nr. 1 dieses Gesetzes erst zum 1. Januar 2022 in Kraft getreten ist, lässt sich den Gesetzesmaterialien zum Gesetz zur Modernisierung des notariellen Berufsrechts und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 25. Juni 2021 an keiner Stelle – weder zu § 37 BRAO (BT-Drs. 19/26828 S. 198) noch zu § 64c BNotO (BT-Drs. 19/26828 S. 158f) – entnehmen, dass mit der Einführung von § 37 BRAO eine Änderung der Regelung des anwaltsgerichtlichen Verfahrens beabsichtigt war.
Vielmehr sollte mit dem Gesetz in Anbetracht der zunehmenden Digitalisierung und mit Rücksicht darauf, dass eine gesetzlich angeordnete Schriftform nicht generell durch die elektronische Form ersetzt werden kann, durch die neu eingeführten Regelungen in § 64c BNotO und § 37 BRAO bestimmt werden, dass dann, wenn beide Kommunikationspartner über ein besonderes elektronisches Notar- beziehungsweise Anwaltspostfach verfügen, eine durch die BNotO beziehungsweise die BRAO angeordnete Schriftform durch die Übersendung über das bezeichnete Postfach ersetzt werden kann (BT-Drs. 19/26828 S. 98f). Der Gesetzgeber wollte mit den Neuregelungen lediglich die Kommunikation durch die Zulassung der Übermittlung elektronischer Dokumente erleichtern. Dass er formelle Anforderungen an prozessuale Erklärungen im anwaltsgerichtlichen Verfahren regeln wollte, ist dagegen nicht ersichtlich. Es ist daher falsch, wenn der Anwaltsgerichtshof Hamm zur Begründung seiner Auffassung darauf verweist, der Gesetzgeber habe „gerade davon abgesehen, in den Allgemeinen Teil der BRAO (statt des § 37 BRAO) eine dem § 32d S. 2 StPO entsprechende Regelung aufzunehmen, so wie dies in anderen Verfahrensordnungen (z.B. ZPO, VwGO, ArbGG etc.) erfolgt ist“ (Urteil vom 21. April 2023 – 2 AGH 10/22 –, Rn. 4, juris).
d) Auch Sinn und Zweck der verschiedenen gesetzlichen Formvorschriften sprechen für die hier vertretene Auslegung.
Der Gesetzgeber verfolgt ausdrücklich auch in der StPO das Ziel, eine möglichst weitreichende Übereinstimmung mit den durch das Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten vom 10. Oktober 2013 (GBl. I 2013, 3786) geschaffenen Neuregelungen in den übrigen Verfahrensordnungen zu erreichen (BT-Drs. 18/9416 S. 33). Deshalb ist in der StPO mit der Vorschrift des § 32d StPO für Verteidiger und Rechtsanwälte für einzelne Verfahrenshandlungen eine den Vorschriften der §§ 130d ZPO, 14b FamFG, 55d VwGO (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 15. Dezember 2023 – AnwZ (Brfg) 10/23 –, juris), 46g ArbGG, 65d SGG sowie 52d FGO vergleichbare Regelung über eine Pflicht zur Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs im Strafverfahren geschaffen worden.
Mit diesem Ziel, den elektronischen Rechtsverkehr umfassend durchzusetzen, wäre es unvereinbar, abweichend von den inzwischen in allen anderen Verfahrensrechtsordnungen geltenden Regelungen, dem im anwaltsgerichtlichen Verfahren betroffenen Rechtsanwalt die Wahl zu lassen, ob er seine Rechtsmittel in Schriftform oder durch Übersendung eines elektronischen Dokuments einlegen möchte. Dass der Gesetzgeber ausgerechnet für das anwaltsgerichtliche Verfahren, in dem der angeschuldigte Rechtsanwalt ohnehin ein besonderes elektronisches Anwaltspostfach für die elektronische Kommunikation vorzuhalten hat (§ 31a BRAO), einen anderen Weg verfolgen und von einer Pflicht zur Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs absehen will, kann nicht ernsthaft erwogen werden.
4. Der Umstand, dass der angeschuldigte Rechtsanwalt keinen Zugang zum besonderen elektronischen Anwaltspostfach hatte, ist – abgesehen davon, dass ein Rechtsanwalt ohnehin grundsätzlich für das Vorhalten der entsprechenden einsatzbereiten technischen Infrastruktur zu sorgen hat (BGH, Beschluss vom 27. September 2022 – 5 StR 328/22 –, Rn. 2, juris) – schon deshalb unerheblich, weil der Rechtsanwalt, wollte er die Nutzung gerade des besonderen elektronischen Postfaches unbedingt vermeiden, seine Erklärung auch als elektronisches Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur (§ 32a Absatz 3 1. Alt. StPO) oder auf einem anderen sicheren Übermittlungsweg (§ 32a Absatz 4 StPO) hätte übermitteln können. Darüber hinaus hätte er einen anderen Rechtsanwalt beauftragen können, was ohne weiteres zumutbar gewesen ist.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 Absatz 1 und 2 BRAO sowie § 116 Absatz 1 S. 2 BRAO in Verbindung mit § 467 Abs. 1 StPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 145 Abs. 2 BRAO nicht vorliegen. Der Senat entscheidet nicht über Rechtsfragen oder Fragen der anwaltlichen Berufspflichten, die von grundsätzlicher Bedeutung sind.
Insbesondere hält der Senat die vom Anwaltsgerichtshof Hamm in seinem Urteil vom 21. April 2023 (2 AGH 10/22, juris) aufgeworfene Frage, ob § 37 BRAO eine Anwendung von § 32d Satz 2 StPO im anwaltsgerichtlichen Verfahren ausschließe, für geklärt. Als nicht mehr klärungsbedürftig kommt dieser Frage keine grundsätzliche Bedeutung zu. Der Senat sieht sich in Übereinstimmung mit der herrschenden Meinung in der Literatur, die von einer sinngemäßen Anwendung des § 32d Satz 2 StPO ausgeht (Reelsen in: Weyland, BRAO, 11. Auflage 2024, § 116 Rn. 54; Dittmann/Thole in: Henssler/Prütting, BRAO, 6. Auflage 2024, § 116 Rn. 16; Kleine-Cosack, BRAO, 9. Auflage 2022, § 116 Rn. 4 – s.a. Reelsen in: Weyland, BRAO, 11. Auflage 2024, BRAO § 37 Rn. 5), sowie der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 15. Dezember 2023 – AnwZ (Brfg) 10/23 –, juris). Im Hinblick auf die erst nach dem Urteil des Anwaltsgerichtshofes Hamm vom 21. April 2023 ergangene Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 15. Dezember 2023 ist die Rechtsfrage geklärt. Die scheidung des Bundesgerichtshofes ist zwar zu § 55d VwGO in Verbindung mit § 112c Absatz 1 Satz 1 BRAO ergangen, die Rechtsfrage, ob § 37 BRAO die Anwendung des § 55d VwGO ausschließt, stellte sich jedoch gleichermaßen.
VI.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 Absatz 1 und 2 BRAO sowie § 116 Absatz 1 S. 2 BRAO in Verbindung mit § 467 Abs. 1 StPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 145 Abs. 2 BRAO nicht vorliegen.
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