Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Stuttgart, Beschl. v. 23.09.2024 – 7 Ws 29/24
Leitsatz des Gerichts:
Die Verwertung von Informationen, die aufgrund der Überwachung und Entschlüsselung von Kommunikationsvorgängen in den Kryptiersystemen SkyECC und An0m durch Ermittlungsbehörden ausländischer Staaten erhoben und im Wege der Rechtshilfe erlangt wurden, erfüllt dann die Voraussetzung der strikten Verhältnismäßigkeit, wenn die zugrunde liegende Tat vom Katalog des § 100a Abs. 2 StPO (vorliegend: § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 KCanG) erfasst ist und auch die übrigen Voraussetzungen des § 100a Abs. 1 StPO gegeben sind.
In pp.
1. Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Stuttgart wird der Beschluss des Landgerichts Stuttgart vom 7. August 2024 aufgehoben, soweit die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt worden ist.
2. Die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Stuttgart vom 2. Mai 2024 wird auch hinsichtlich der Fälle 1 bis 4, 6, 7, 9 bis 11, 13, 14, 16 bis 19, 21 und 23 zur Hauptverhandlung zugelassen und auch insoweit das Verfahren vor der 18. Großen Strafkammer des Landgerichts Stuttgart eröffnet.
3. Der Haftbefehl des Amtsgerichts Stuttgart vom 10. April 2024 – 27 Gs 3330/24 – bleibt vollumfänglich aufrechterhalten. Überhaft bleibt angeordnet.
Gründe
I.
Die Staatsanwaltschaft Stuttgart legt pp. und pp. mit der am 2. Mai 2024 fertiggestellten Anklageschrift unter anderem zur Last, zwischen Januar 2020 und April 2021 einen schwunghaften Handel mit Marihuana im Kilogrammbereich betrieben zu haben, um sich durch wiederholte Tatbegehung eine nicht nur vorübergehende Einnahmequelle von einigem Umfang und einiger Dauer zu erschließen.
Die insgesamt 17 Tatvorwürfe – sieben weitere Taten betreffen den Vorwurf des Handeltreibens mit Kokain gegen den Angeklagten pp., die nicht Gegenstand des Beschwerdeverfahrens sind – werden durch Chatinhalte der Kryptiersysteme SkyECC und An0m unterlegt. Die Angeklagten haben sich nicht zu den Tatvorwürfen eingelassen. Weitere Beweismittel stehen nicht zur Verfügung.
Das Landgericht Stuttgart eröffnete mit Beschluss vom 7. August 2024 das Hauptverfahren bezüglich der sieben Tatvorwürfe des Handeltreibens mit Kokain gegen den Angeklagten pp. und erhielt in diesem Umfang den gegen ihn bestehenden Haftbefehl aufrecht. Im Übrigen lehnte es die Eröffnung des Hauptverfahrens ab. Zur Begründung verwies die Strafkammer darauf, dass für die Frage der Verwertbarkeit der Chatinhalte die Grundgedanken der Verwendungsschranke mit dem höchsten Schutzniveau (§ 100e Abs. 6 StPO) heranzuziehen seien. Die erlangten Informationen dürften auf Grundlage des § 261 StPO nur zur Verfolgung von auch im Einzelfall besonders schwerwiegenden Straftaten im Sinne des § 100b Abs. 2 StPO verwendet werden, wenn die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise wesentlich erschwert oder aussichtslos und der Kernbereich privater Lebensführung nicht berührt sei. Zu den Katalogtaten des § 100b Abs. 2 StPO gehöre jedoch das gewerbsmäßige Handeltreiben mit Cannabis (§ 34 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG) infolge der Änderung des § 100b StPO durch Art. 13a Nr. 2 CanG nicht mehr. Die im Wege der Rechtshilfe gewonnenen Beweisergebnisse dürften daher zur Verfolgung der Taten nicht weiter verwertet werden.
Dem ist die Staatsanwaltschaft Stuttgart mit der sofortigen Beschwerde vom 13. August 2024, der sich die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 3. September 2024 angeschlossen hat, entgegengetreten. Bei der Verwendung der Chatinhalte in der Hauptverhandlung handele es sich nicht um einen unverhältnismäßigen Eingriff. Das staatliche Aufklärungsinteresse überwiege die Eingriffe in die Grundrechte der Angeklagten. Auch nach Inkrafttreten des KCanG handele es sich bei den angeklagten Taten um solche aus dem Kernbereich der organisierten Kriminalität. Der Gesetzgeber habe in der Begründung des KCanG ausdrücklich erklärt, dass hierdurch die organisierte Kriminalität eingedämmt werden solle. Überdies handele es sich bei den Daten um Chats zwischen den Angeklagten oder Gruppenchats zwischen diesen und dritten Personen. Damit handele es sich um reine Kommunikationsdaten, die auch durch eine Überwachungsmaßnahme nach § 100a StPO hätten erlangt werden können. Die den Angeklagten vorgeworfenen Taten seien schwere Straftaten im Sinne von § 100a Abs. 2 Nr. 7a Buchstabe a StPO. Die Verteidigung hatte Gelegenheit zur Stellungnahme.
II.
Die gemäß § 210 Abs. 2, § 311 StPO statthafte sofortige Beschwerde ist zulässig erhoben. Sie hat auch in der Sache Erfolg und führt zur Zulassung der gesamten Anklageschrift.
1. Gemäß § 203 StPO beschließt das Gericht die Eröffnung des Hauptverfahrens, wenn nach den Ergebnissen des vorbereitenden Verfahrens der Angeschuldigte einer Straftat hinreichend verdächtig erscheint. Darunter ist das Überwiegen der Verurteilungswahrscheinlichkeit zu verstehen (BGH, Beschluss vom 19. Januar 2010 – StB 27/09 – BGHSt 54, 275 (281)). Dabei ist die Eröffnungsentscheidung darauf ausgerichtet, erkennbar aussichtslose Sachverhalte auszufiltern. Im Rahmen der Beweisbarkeitsprognose gilt es zu prüfen, ob der Nachweis des Tatverdachts mit den prozessual zulässigen Mitteln gelingen werde (OLG Thüringen, Beschluss vom 5. Mai 2017 – 1 Ws 481/16 – in NZWiSt 2017, 480 (482)). Auf die Verdachtsprognose in Gestalt der strafprozessualen Reproduzierbarkeit der im Ermittlungsverfahren erarbeiteten Erkenntnisse in der Hauptverhandlung können auch Beweisverwertungsverbote Einfluss gewinnen (vgl. BGH, Beschluss vom 1. Dezember 2016 – 3 StR 230/16 – in NStZ 2017, 593 (594)). Bloßen Zweifeln am Vorliegen der Voraussetzungen eines Beweisverwertungsverbotes muss im Zwischenverfahren hingegen grundsätzlich nicht nachgegangen werden (Schneider in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 9. Aufl. (2023), § 203 Rn. 9).
Nach diesen Maßstäben ist hier die Frage der Verwertbarkeit der aus den Kryptiersystemen SkyECC und An0m gewonnenen Chatinhalte zentral entscheidungserheblich. Weitere Beweismittel existieren nicht. Auch ist eine Würdigung des den Angeklagten zur Last gelegten Verhaltens als bandenmäßiges Handeltreiben mit Cannabis (§ 34 Abs. 4 Nr. 3 KCanG) aus den darauf bezogenen Ausführungen in der Zuschrift der Generalstaatsanwaltschaft, denen sich der Senat nach eigener Prüfung anschließt, nicht wahrscheinlich, sodass der Rückgriff auf § 100b Abs. 2 Nr. 5a StPO nicht in Betracht kommt.
In den hier vorliegenden Ermittlungsfällen haben die deutschen Behörden die Beweiserhebung nicht selbst veranlasst, sondern im Ausland bereits erhobene Daten nachträglich im Wege der Rechtshilfe, nämlich aus Frankreich (SkyECC) und den USA (An0m), erhalten. Die Beweiserhebung selbst ist nicht nach ausländischem Recht zu prüfen. Auch hängen sie nicht davon ab, ob die zugrundeliegenden Ermittlungsmaßnahmen nach deutschem Recht, insbesondere §§ 100a, 100b StPO rechtmäßig hätten ergehen können (BGH, Beschluss vom 2. März 2022 – 5 StR 457/21 – NJW 2022, 1539 (1543)). Vielmehr ist es geboten, Strukturen und Inhalte fremder Rechtsordnungen und -anschauungen grundsätzlich zu achten, auch wenn sie im Einzelnen nicht mit den innerstaatlichen Auffassungen übereinstimmen mögen (BGH, a.a.O., 1540). Die Frage der Verwertbarkeit richtet sich – in Übereinstimmung mit dem Urteil des EuGH vom 30. April 2024 – Az. C-670/22 – nach nationalem Recht des ersuchenden Staates, wenn der um Rechtshilfe ersuchte Staat die unbeschränkte Verwendung der von ihm erhobenen und übermittelten Beweisergebnisse gestattet hat. Dies ist, wie die bei den Ermittlungsakten befindlichen Erklärungen der französischen und US-amerikanischen Behörden belegen, auch vorliegend der Fall.
a) SkyECC
Der Ausgangspunkt der Ermittlungen zu SkyECC bestand in der zufälligen Beschlagnahme verschlüsselter Telefone im Zusammenhang mit einem Betäubungsmittelfund im Hafen von Antwerpen im Jahr 2016. Ein Aktenabgleich der Antwerpener Polizei ergab, dass auch in anderen Verfahren, in denen wegen organisierter Kriminalität ermittelt wurde, bei Verdächtigen Mobiltelefone mit der SkyECC-Applikation aufgefunden wurden (vgl. dazu und zum folgenden Lödden/Makepeace in HRRS 2023, 384 (385 ff.)). Von Seiten der belgischen Polizei wurde dann ein verschlüsseltes Telefon erworben, auf dem SkyECC vorinstalliert war. Die belgischen Behörden ermittelten daraufhin den Standort des Servers, auf dem die Kommunikation gehostet war, in Roubaix (Frankreich). Auch die niederländischen Behörden ermittelten im Zusammenhang mit SkyECC-Nachrichten und stießen ebenfalls auf den Serverstandort in Roubaix, der einem Unternehmen namens OVH zuzuordnen war. Im Herbst 2018 beantragten die niederländischen Behörden die Serverbeschlagnahme in Gestalt der Herausgabe einer digitalen Kopie der Serverdaten, um damit technische Möglichkeiten zum Abhören und Entschlüsseln der Kommunikation zu erlangen. Dieser Antrag wurde vom zuständigen Ermittlungsrichter in den Niederlanden mit Hinweis auf die Unverhältnismäßigkeit der Maßnahme zurückgewiesen. Es gebe keinen Anhaltspunkt dafür, dass Nutzer ausschließlich der organisierten Kriminalität zuzuordnen seien. Ein konkreter Verdacht gegen einzelne Nutzer bestehe nicht und das bloße Verwenden verschlüsselter Kommunikation könne diesen Verdacht nicht begründen.
Dies veranlasste die Behörden in den Niederlanden und Belgien, Ende 2018 jeweils eine Europäische Ermittlungsanordnung an die französischen Behörden zu richten. Damit begann die Kooperation der französischen, niederländischen und belgischen Behörden in dieser Angelegenheit, die auch von Europol unterstützt wurde und die am 9. März 2021 schließlich zur zahlreichen Festnahmen und Beschlagnahmen in diesen Staaten führte (vgl. Pressemitteilung von Europol vom 12. März 2021; https://www.europol.europa.eu/media-press/newsroom/news/new-major-interventions-to-block-encrypted-communications-of-criminal-networks; wie alle anderen nachfolgend zitieren Webseiten abgerufen am 11. September 2024).
Dem ging voraus, dass die Staatsanwaltschaft Lille im Februar 2019 ein eigenes Ermittlungsverfahren gegen SkyECC einleitete und erstmals am 14. Juni 2019 beantragte, das Abfangen, die Aufzeichnung und die Transkription der Kommunikation zwischen den beiden französischen Servern untereinander und der ein- und ausgehenden Kommunikation des Hauptservers zu gestatten. Dies wurde mit richterlicher Verfügung vom selben Tag gestattet; Ende Juni wurden an den Servern die Überwachungsmaßnahmen verdeckt – also ohne Kenntnis des Betreibers (SkyGlobal), des Hostinganbieters (OVH) und der Nutzer – eingerichtet. So gelang es, die über die Server laufenden Kommunikationsinhalte abzugreifen. Diese waren jedoch weiterhin verschlüsselt. Eine Entschlüsselung war zunächst nicht möglich. Die Überwachungsmaßnahme wurde in der Folge bis zum Dezember 2020 durch richterliche Entscheidungen verlängert, dies zunächst monatlich und dann für weitere Zeiträume von jeweils bis zu drei Monaten. Im September 2020 wurden sie auf einen zusätzlichen, zwischenzeitlich bekannt gewordenen Server erweitert (zu den Daten der einzelnen Anordnungen siehe OLG Koblenz, Beschluss vom 26. August 2024 – 5 Ws 489-490/24 – S. 12).
In der Folgezeit gelang die Entschlüsselung der Daten auf folgendem Weg: Am 17. Dezember 2020 wurde die Maßnahme durch die Anordnung zur Anbringung eines Geräts zum Abfangen der EDV-Nachrichten, um die Entschlüsselung der einzelnen Daten zu ermöglichen, erweitert. Hierbei wurde ein weiterer Server („Man-in-the-Middle-Server“) eingerichtet, der der Erfassung von Daten an der externen Verbindung des Sicherungsservers und des Hauptservers bei der Fa. OVH diente. Hierdurch konnte der gesamte Kommunikationsverkehr der SkyECC-Mobiltelefone an den Server und in die Gegenrichtung mitgeschnitten werden. Dies ermöglichte dann die Entschlüsselung der Nachrichten: Sobald sich ein SkyECC-Telefon an dem Sicherungsserver authentifiziert hatte, wurde für dieses Telefon eine sog. Push-Benachrichtigung generiert, die speziell erstellt wurde, normalerweise unsichtbar war und deren alleiniger Zweck darin bestand, das Telefon zu veranlassen, die kryptographischen Elemente zu übermitteln, die für die Entschlüsselung der von diesem Telefon erhaltenen individuellen Nachrichten (diese enthielten neben Texten auch Lichtbilder und Sprachnachrichten) erforderlich waren. Dies wie auch jede andere Kommunikation wurde unverändert über den Man-in-the-Middle-Server weitergeleitet, sodass der Verschlüsselungsdienst weiterhin normal funktionierte. Die übermittelten kryptographischen Elemente konnten dann wiederum zur Entschlüsselung der einzelnen Nachrichten eingesetzt werden.
Behörden anderer Staaten waren an all diesen Ermittlungsmaßnahmen nicht beteiligt (OLG Koblenz, a.a.O., S. 8; Österreichischer OGH, Beschluss vom 19. Juli 2023 – 13 Os 19/23b – Rn 12 f. und vom 14. Dezember 2023 – 15 Os 101/23a – Rn. 7; vgl. auch Corte de Cassazione der Republik Italien, Beschluss vom 15. Juli 2022 – 32915/22 –, Ziff. 1 der Begründung (https://canestrinilex.com/en/readings/due-process-requires-transparency-of-evidence-gathering-in-sky-ecc-proceeding-cass-3291522); mit Bezug auf die deutschen Behörden nachdrücklich zweifelnd („schlicht unvorstellbar“) Lödden/Makepeace, a.a.O, 387). Die Chatinhalte gelangten erst durch Europäische Ermittlungsanordnungen, die separat für einzelne Sky-IDs über Eurojust an die französischen Behörden gerichtet wurden, in Kenntnis und Besitz der Chatinhalte. Proaktiv hatte zudem Europol die deutschen Behörden direkt über mögliche strafrechtlich relevante Sachverhalte informiert (Lödden/Makepeace, a.a.O., 387 f.).
b) Anom
Bei Anom handelt es sich um eine vom FBI in Zusammenarbeit mit der australischen Bundespolizei entwickelte Applikation, die auf modifizierten Mobiltelefonen mit dem Betriebssystem Android zum verschlüsselten Versand von Text-, Foto-, Video- und Audionachrichten entwickelt wurde. Über ein bestehendes Netzwerk von Vertrauenspersonen wurde diese App sodann an kriminelle Organisationen vertrieben („Operation Trojan Shield“); offen am Markt angeboten wurde die Anwendung nicht. Der Vertrieb erfolgte erstmals im Jahr 2018 in Australien unter dem Motto „designed by criminals for criminals“. In dem Verschlüsselungssystem der Software war eine Vorkehrung eingebaut, die dafür sorgte, dass unsichtbar an jede Nachricht ein „master key“ angehängt wurde, der es den Strafverfolgungsbehörden ermöglichte, alle Nachrichten zu entschlüsseln und selbst abzuspeichern. Die Anwendung selbst war in der Taschenrechner-App des Smartphones versteckt und war nur durch die Eingabe einer PIN zu öffnen. Im Sommer 2019 schloss das FBI mit einem europäische Drittland – es mag sich dabei um Litauen gehandelt haben (vgl.: „Revealed: The Country that Secretly Wiretapped the World for the FBI“; https://www.404media.co/revealed-the-country-that-secretly-wiretapped-the-world-for-the-fbi/) – ein Rechtshilfeabkommen dahingehend, dass alle An0m-Nachrichten auf einen in dem Drittland stehenden Server geleitet und Kopien der Nachrichten dem FBI zugänglich gemacht wurden. Dies wurde in dem Drittland durch richterlichen Beschluss genehmigt und dauerte vom 21. Oktober 2019 bis zum 7. Juni 2021 an.
Insgesamt wurden auf diese Weise mehr als 20 Millionen Nachrichten von 11.800 Endgeräten abgefangen und nötigenfalls übersetzt. Das FBI informierte das Bundeskriminalamt mit Schreiben vom 25. März 2021 über die Existenz und die Funktionsweise von An0m und kündigte die alsbaldige Übersendung von An0m-Daten mit Deutschlandbezug an. Die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main leitete aufgrund dessen am 31. März 2021 ein Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt ein und stellte am 21. April 2021 ein Rechtshilfeersuchen an die USA mit der Bitte um die Übermittlung der Daten (vgl. dazu OLG Karlsruhe, Beschluss vom 4. Januar 2021 – 3 Ws 353/23 – in NStZ 2024, 509 sowie Österreichischer OGH, Beschluss vom 24. Januar 2023 – 14 Os 106/22b – Rn. 6 ff. zum entsprechenden Vorgang in Österreich). Am 7. Juni 2021 erfolgten auf Grundlage der Ermittlungsergebnisse zeitgleich in 16 Ländern zahlreiche Durchsuchungen; insgesamt wurden rund 800 Personen festgenommen (vgl. Redaktionsnetzwerk Deutschland: Trojan Shield: Deutsche Behörden hatten nur einen Monat Zeit für Ermittlungen; https://www.rnd.de/panorama/trojan-shield-deutsche-behoerden-hatten-nur-einen-monat-zeit-fuer-ermittlungen-N4IIX7GWMNEDXF6DTF5VMELMMI.html; Europol, Pressemitteilung vom 8. Juni 2021; https://www.europol.europa.eu/media-press/newsroom/news/800-criminals-arrested-in-biggest-ever-law-enforcement-operation-against-encrypted-communication).
3. Der Senat geht in Übereinstimmung mit dem Beschluss des OLG Koblenz vom 26. August 2024 – 5 Ws 489-490/24 von einer Verwertbarkeit der genannten Kommunikationsinhalte aus. Dies folgt aus § 479 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1, § 161 Abs. 3 und § 100a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 7a Buchstabe a StPO.
a) In der Rechtsprechung geklärt ist, dass § 261 StPO die Rechtsgrundlage für die Verwertung der in der Hauptverhandlung zu erhebenden Beweise darstellt und dass das deutsche Recht ausdrückliche Verwendungsbeschränkungen für im Wege der Rechtshilfe aus dem Ausland erlangte Daten nicht vorsieht. Insbesondere ist § 100e Abs. 6 StPO hierauf nicht unmittelbar anwendbar. Die Frage der Verwertbarkeit richtet sich ausschließlich nach dem nationalen Recht, soweit – wie hier – der um Rechtshilfe ersuchte Staat die unbeschränkte Verwendung der von ihm erhobenen und übermittelten Beweisergebnisse gestattet hat. Eine Überprüfung hoheitlicher Entscheidungen des ersuchten Staates findet dabei grundsätzlich nicht statt. Es ist im Rechtshilfekontext gerade nicht ausgeschlossen, von anderen Mitgliedsstaaten ausdrücklich zu Zwecken der Strafverfolgung übermittelte Daten aus Maßnahmen zu verwenden, die keine Entsprechung in der StPO haben (BGH, Beschluss vom 2. März 2022 – 5 StR 457/21 – in NJW 2022, 1539 (1545)).
b) Bei sich im Verlaufe des Strafverfahrens ändernden strafprozessualen Vorschriften ist die neue Rechtslage maßgeblich. Neben dem Stellen des Rechtshilfeersuchens sind als Verwertungszeitpunkte auch die Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens sowie der Urteilsfällung von Belang (vgl. BGH, Urteil vom 14. August 2009 – 3 StR 552/08 – in NJW 2009, 3448 (3457)).
c) Ein Beweisverwertungsverbot besteht danach weder aufgrund der Verletzung völkerrechtlicher Grundsätze, des ordre public (§ 73 IRG) noch rechtshilferechtlicher Bestimmungen (BGH, Beschluss vom 2. März 2022, a.a.O., 1541)
Zuweilen wird in dieser Hinsicht eingewandt, bei den Ermittlungsmaßnahmen der französischen und der US-amerikanischen Behörden hätte es sich um eine im Kern geheimdienstliche Maßnahme und mithin eine im Bereich der Strafverfolgung unzulässige verdachtslose Überwachung von Kommunikation gehandelt (vgl. etwa Lödden/Makepeace, a.a.O., 389: „verdachtsunabhängige, ungezielte und breit gestreute heimliche Massenüberwachung“).
Der beschriebene Hergang der jeweiligen Ermittlungen belegt das Gegenteil: Ausgangspunkt der Ermittlungen waren – wie bereits beim Kryptiersystem EncroChat – jeweils Erkenntnisse darüber, dass im Bereich des Drogenhandels auf Ebene von Groß- und Zwischenhändlern Kryptohandys eine Rolle spielten, die von den Ermittlungsbehörden nicht dechiffriert werden konnten. Diese Geräte wie auch die An0m-Verschlüsselungssoftware als solche waren auf dem freien Markt nicht erhältlich. Aus Sicht der Ermittlungsbehörden in den Niederlanden, Belgien, Frankreich und den USA handelte es sich gerade nicht um ein an jedermann gerichtetes Angebot für besonders gesicherte Kommunikation, wofür im allgemeinen Wirtschaftsleben durchaus Bedarf bestünde. Vielmehr handelte es sich um ein gezielt von Kriminellen genutztes und zunächst im Verborgenen agierendes Netzwerk (vgl. zu EncroChat BGH, Beschluss vom 2. März 2022, a.a.O., 1541). Vor diesem Hintergrund geht auch der Einwand fehl, allein die Nutzung eines verschlüsselten Kommunikationsweges als solches habe aus Sicht der Behörden einen Verdacht begründet. Im Zuge der ersten Verbreitung der An0m-Software in Australien stellte sich freilich heraus, dass die entsprechenden Geräte – für die überdies für eine sechsmonatige Nutzungsdauer ein Preis zwischen 1.000 und 1.500 Dollar zu entrichten war – durchgängig im Bereich der organisierten Kriminalität zum Einsatz gekommen waren (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 4. Januar 2024, a.a.O, 510; Österreichischer OGH, Beschluss vom 24. Mai 2023 – 15 Os 13/23k – Rn. 9 und vom 24. Januar 2023 – 14 Os 106/22b – Rn. 6). Überdies zeigen sowohl die Ablehnung der zunächst in den Niederlanden im Jahr 2018 beantragten Erlangung einer Serverkopie betreffend des Kryptiersystems SkyECC als auch die Befristungen der durch die französischen Gerichte ergangenen Anordnungen, dass hier gerade keine unkontrollierten Überwachungsaktionen vor sich gegangen sind, sondern die Ermittlungsmaßnahmen gerichtlichen Kontrollen nach rechtsstaatlichen Maßstäben unterlagen.
d) Auch Unionsrecht steht einer Verwertung der Chatinhalte nicht grundsätzlich entgegen. Nach Ziff. 5 der Entscheidungsformel des Urteils des EuGH vom 30. April 2024 ist es Sache des nationalen Rechts, die Verwertung von Informationen und Beweismitteln zu regeln (so auch BGH, Beschluss vom 2. März 2022, a.a.O., 1543). Sicherzustellen ist danach, dass der Beschuldigte die Möglichkeit haben muss, zu den Informationen und Beweismitteln Stellung zu nehmen und dies geeignet ist, die Würdigung der Tatsachen maßgeblich zu beeinflussen.
e) Weiterhin ergibt sich ein Beweisverwertungsverbrot nicht unmittelbar aus deutschem Verfassungsrecht. Ein solches Verbot ist nur in Fällen anzuerkennen in denen der absolute Kernbereich der privaten Lebensgestaltung berührt ist. Bei der Kommunikation über die Planung und Durchführung von Straftaten ist dies in aller Regel nicht der Fall (BGH, Beschluss vom 2. März 2022, a.a.O., 1544).
f) Vorliegend wurden auf dem Rechtshilfeweg Beweisergebnisse erlangt, die ein anderer Staat auf eigener Rechtsgrundlage erhoben hat. Hierzu fehlt es jenseits des ordre-public-Vorbehalts an einer ausdrücklichen Verwendungsbeschränkung, zumal auch die Vorschrift des § 100e Abs. 6 StPO nicht unmittelbar anwendbar ist. Da überdies heimliche Ermittlungsmaßnahmen besonders intensive Grundrechtseingriffe (etwa einen Eingriff in Art. 10 GG) mit sich bringen, ist bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit der Beweisverwertung auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zurückzugreifen (vgl. BGH, Beschluss vom 2. März 2022, a.a.O., 1545; OLG Karlsruhe, a.a.O., 510; OLG Koblenz, a.a.O., 9 f.; OLG Saarbrücken, Beschluss vom 13. August 2024 – 1 Ws 152/24 – juris, Rn. 14; OLG Celle, Beschluss vom 9. Juli 2024 – 3 Ws 55/24 – juris, Rn. 32; OLG Frankfurt, Beschluss vom 13. Juni 2024 – 1 Ws 175/24 – BeckRS 2014, 19258, Rn. 4; OLG Köln, Beschluss vom 6. Juni 2024 – 2 Ws 251/24 – BeckRS 2024, 21463, Rn. 16; KG, Beschluss vom 30. April 2024 – 5 Ws 67/24 – in NStZ 2024, 648 (noch zu EncroChat)).
Bei Ermittlungsmaßnahmen gemäß §§ 100a ff. StPO ist der Grundrechtseingriff regelmäßig bereits auf Tatbestandsseite durch die Beschränkung auf schwere oder besonders schwere Straftaten oder die Fälle eines qualifizierten Verdachts limitiert. Solche Grenzziehungen fehlen hier. Dies muss daher auf der Rechtsfolgenseite – also der Ebene der Beweisverwertung – kompensiert werden. Der Gesetzgeber verschafft dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bei vergleichbar eingriffsintensiven Maßnahmen durch in der Strafprozessordnung normierte Verwendungsbeschränkungen Rechnung. Die Verwendungsschranke mit dem höchsten Schutzniveau ist dabei in § 100e Abs. 6 StPO normiert. Diese Vorschrift hat der BGH für die Fälle der EncroChat-Daten herangezogen und angemerkt, dies geschehe „auch um nur jede denkbare Benachteiligung auszuschließen“. Somit dürfen die im Wege europäischer Rechtshilfe erlangten Beweisergebnisse aus dem EncroChat-Komplex in einem Strafverfahren ohne Einwilligung der überwachten Personen nur zur Aufklärung einer Straftat, auf Grund derer eine Maßnahme nach § 100b StPO hätte angeordnet werden können, verwendet werden (Gedanke des hypothetischen Ersatzeingriffs). Überdies müsse die Straftat auch im Einzelnen schwer wiegen und die Erforschung des Sachverhalts wesentlich erschwert oder aussichtslos sein (Beschluss vom 2. März 2022, a.a.O., 1545).
aa) Diese Grundsätze sind mittlerweile in zahlreichen Entscheidungen von Oberlandesgerichten auch auf die Verwertung von Informationen, die aus den Ermittlungskomplexen zu SkyECC und An0m stammen, übertragen worden. Hierbei wurde zur Begründung für die Annahme eines Verwertungsverbotes darauf verwiesen, dass der BGH ausdrücklich die Verwendungsschranke mit dem höchsten Schutzniveau angewandt habe, um jede denkbare Benachteiligung auszuschließen (so in den Beschlüssen des OLG Frankfurt, des OLG Köln und des KG, vgl. oben). Das OLG Saarbrücken verweist zudem darauf, dass aufgrund des Hergangs der Informationserlangung bei Verwendung der An0m-App die Intensität des Grundrechtseingriffs noch deutlich größer sei (a.a.O., Rn. 20).
Diesen Entscheidungen hat sich auch das Landgericht Stuttgart in der angefochtenen Entscheidung angeschlossen und aus dem Fehlen des § 34 Abs. 3 KCanG im Straftatenkatalog des § 100b Abs. 2 StPO den Schluss gezogen, dass eine Verwertung der entsprechenden Ermittlungsergebnisse gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstoße.
bb) Dem vermag sich der Senat in Übereinstimmung mit den genannten Entscheidungen des OLG Koblenz, des OLG Celle und des OLG Karlsruhe (vgl. oben) jedoch nicht anzuschließen. Vielmehr können – gerade unter Beachtung der im Beschluss des BGH vom 2. März 2022 formulierten Grundsätze – die aus den Kryptiersystemen SkyECC und An0m durch Strafverfolgungsorgane anderer Staaten erhobenen und von den deutschen Behörden im Wege der Rechtshilfe erlangten Kommunikationsinhalte weiterhin strafprozessual verwertet werden. Dabei verschaffen die den § 479 Abs. 2 StPO und § 100a StPO zugrundeliegenden Wertungen dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vorliegend Wirksamkeit.
(1) Es erscheint bereits zweifelhaft, dass der BGH im Beschluss vom 2. März 2022 den § 100e Abs. 6 StPO als ausschließlich anwendbare Verwendungsbeschränkung – mit der Folge der Begrenzung auf die in § 100b Abs. 2 StPO normierten Delikte – angesehen hat. So formuliert der BGH wenige Absätze zuvor ausdrücklich, dass § 100e Abs. 6 StPO nicht unmittelbar anwendbar sei. Vielmehr geht es um die „darin verkörperten Wertungen bei vergleichbar eingriffsintensiven Mitteln“. Auf die Verwendung des Plurals in diesen Formulierungen weist auch das OLG Koblenz ausdrücklich hin (a.a.O., S. 10). Der Senat macht zudem auf den Beschluss des 4. Strafsenats des BGH vom 16. Februar 2023 (4 StR 93/22 – in NStZ 2023, 443) aufmerksam. Darin wird – wiederum im Zusammenhang mit dem Kryptiersystem EncroChat – abermals einer direkten Anwendung des § 100e Abs. 6 Nr. 1 StPO (zumal als Befugnisnorm) eine Absage erteilt und ausdrücklich auf „die Wertungen des § 100e Abs. 6 Nr. 1 StPO i. V. m. mit § 100b StPO“ hingewiesen.
(2) Eine Anwendung der aus § 100e Abs. 6 Nr. 1 StPO zum Ausdruck kommenden Wertung als ausnahms- und unterschiedslos geltende Verwendungsschranke steht weiterhin die mögliche Vielgestaltigkeit von Informationen entgegen, die im Rechtshilfeweg gewonnen werden können.
Angenommen, die spanischen Strafverfolgungsbehörden durchsuchen aufgrund einer richterlichen Anordnung nach spanischem Recht in Sevilla eine Privatwohnung, beschlagnahmen dort einen Ordner mit diversen Schriftstücken und stellen daraufhin fest, dass die Unterlagen Hinweise auf eine in Deutschland verübte Straftat enthalten. Kopien dieser Unterlagen gelangen in der Folge auf dem Rechtshilfeweg zu den deutschen Behörden.
Da die deutschen Behörden die Durchsuchung in einem solchem Fall ebenfalls nicht initiiert hätten, bestünde für die Verwertung dieselbe Problematik wie vorliegend: Die Rechtmäßigkeit der spanischen Ermittlungsmaßnahmen unterliegt keiner Nachprüfung durch die deutschen Gerichte. Rechtsgrundlage für die Verwertung der Dokumente ist im Hauptverfahren sonach § 261 StPO. Wenngleich es hier nicht um eine heimliche Ermittlungsmaßnahme geht, läge bei einem vergleichbaren Vorgang im Inland gleichwohl ein intensiver Grundrechtseingriff vor (Art. 13 Abs. 1 GG). Der oben dargestellten Rechtsauffassung nach müssten somit für die Verwertbarkeit der von den spanischen Behörden erlangten Ermittlungsergebnisse ebenfalls Delikte aus dem Katalog des § 100b Abs. 1 StPO oder gar des Art. 100c StPO zugrunde liegen. Dies verdeutlicht, dass eine differenziertere Betrachtung vonnöten ist, als dies ein pauschales Abstellen auf § 100e Abs. 6 Nr. 1 StPO zu leisten vermag. In dieser Richtung heben sowohl das OLG Koblenz, a.a.O., also auch die Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart in ihrer Zuschrift zum vorliegenden Verfahren hervor, dass ein solches differenziertes Verständnis der Verwendungsbeschränkungen dem ebenfalls verfassungsrechtlich verankerten Ziel einer funktionsfähigen und effektiven Strafverfolgung entspricht, das der Gesetzgeber ausdrücklich auch mit der Einführung des KCanG verfolgt hat (BT-DS 20/8704, 171 und 185). Der Gesetzesbegründung zufolge sollte die organisierte Kriminalität durch die Neuregelungen sogar wirksamer als bisher eingedämmt werden.
(3) In die gleiche Richtung weist auch der Ursprung der Bezugnahme auf die Wertung des § 100e StPO. Sie stammt, wie die im Beschluss vom 2. März 2022 angegebene Fundstelle (BVerfGE 154, 152 ff., Rn. 216 ff.) ausweist, aus dem Urteil vom 19. Mai 2020 zur Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung nach dem BND-Gesetz (1 BvR 2835/17). Die betreffende Passage befasst sich mit der möglichen Rechtfertigung eines Eingriffs durch die Übermittlung von Daten, die für die Zwecke der Auslandsaufklärung erhoben wurden, die daher gerade keine nachprüfbaren Eingriffsschwellen voraussetzen und es ermöglichen sollen, bereits weit im Vorfeld von konkreten Gefahren, Bedrohungen und Gefährdungen zu ermitteln und proaktiv nach ihnen zu suchen (ebd., Rn. 218). Da den Sicherheitsbehörden, so das BVerfG weiter, die Möglichkeit einer anlasslosen Telekommunikationsüberwachung innerstaatlich von vorne herein nicht zur Verfügung gestellt werden dürfe, gälten die verfassungsrechtlichen Anforderungen, die sonst für andere besonders schwere Eingriffsmaßnahmen wie die Wohnraumüberwachung und die Online-Durchsuchung gelten (ebd. Rn. 219).
Mithin ging es hier um eine Verwendungsbeschränkung betreffend Daten, die zu völlig anderen Zwecken als dem der Strafverfolgung erhoben wurden. Gewiss spricht das nicht durchgreifend gegen die Übertragung dieser Verwendungsgrenzen auf den Bereich der Strafrechtspflege. Es spricht aber gegen zweierlei: Zum einen gegen das Ausblenden des Umstandes, dass in den hier zugrundeliegenden Fällen die Ermittlungsmaßnahmen der französischen und der US-amerikanischen Behörden gerade nicht gleichsam ins Blaue hinein erfolgten, sondern der Aufklärung einer bereits bestehenden Verdachtslage dienten, die sich zudem im Zuge der Ermittlungen jeweils noch verdichtete. Zum anderen spricht es dagegen, die Geltung der im Urteil vom 19. Mai 2020 entwickelten Beschränkungen und den ihnen zugrundeliegenden Wertungen unterschiedslos auf sämtliche Konstellationen, die sich im Bereich der Strafverfolgung und der strafrechtlichen Rechtshilfe zeigen, zu übertragen, nur weil die zugrundeliegenden Ermittlungshandlungen im Zusammenhang mit Telekommunikationsüberwachung stehen. Im Ergebnis drängt sich vielmehr die Notwendigkeit einer differenzierten Handhabung der im Beschluss vom 2. März 2022 genannten Wertungen auf.
(4) Die oben erfolgte Beschreibung der Ermittlungsvorgänge bei beiden Kryptiersystemen machen zudem deutlich, dass sie gerade keine Eingriffe in die Integrität informationstechnischer Systeme, sei es durch Eindringen und Installation von Programmen, sei es durch die heimliche Fertigung von Kopien, umfassten. Vielmehr wurden Kommunikationsinhalte gespeichert und – namentlich durch Entschlüsselung – weiterverarbeitet. Genau diesen Fall regelt § 100a StPO. Nur ergänzend erinnert der Senat daran, dass bereits das OLG Celle im Beschluss vom 9. Juli 2024, a.a.O., Rn. 54 f. darauf aufmerksam gemacht hat, dass § 100a Abs. 1 Satz 2 und 3 StPO die Befugnis zu noch weitergehenden Ermittlungshandlungen als nur dem Mitschneiden der Kommunikationsinhalte enthält (sog. „Quellen-TKÜ“). Danach ist ausdrücklich auch ein Eingriff in informationstechnische Systeme vorgesehen, wenn dies notwendige ist, um die Überwachung und Aufzeichnung insbesondere in unverschlüsselter Form zu ermöglichen. Weiterhin dürfen auf solchen informationstechnischen Systemen gespeicherte Inhalte und Umstände der Kommunikation überwacht und aufgezeichnet werden, wenn sie auch während des laufenden Übertragungsvorgangs im öffentlichen Telekommunikationsnetz in verschlüsselter Form hätten überwacht und aufgezeichnet werden können. In diesem Fällen liegt also gerade kein Fall einer „kleinen Online-Durchsuchung“, die eine Anwendung des § 100b StPO voraussetzen würde. Der Senat kann hierbei für die Belange des vorliegenden Verfahrens dahinstehen lassen, ob dies auf sämtliche Ermittlungshandlungen zutrifft, die im Beschluss des BGH vom 2. März 2022 bezüglich des Kryptiersystems EncroChat aufgeführt sind (juris, Rn. 11-17; insoweit in NJW 2022, 1539 nicht abgedruckt).
Mithin sind im vorliegenden Fall für die Frage der Verwertbarkeit der Kommunikationsinhalte die Wertungen des § 100a StPO als Verwendungsbeschränkung zugrunde zu legen.
cc) Daraus ergibt sich, dass auch unter Beachtung des Gebots der strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung und den Grundsätzen des hypothetischen Ersatzeingriffs (BGH, a.a.O., 1545) die im Wege der Rechtshilfe erlangten Kommunikationsinhalte vorliegend verwertbar sind.
Es besteht der hinreichende – ja sogar dringende –Tatverdacht wegen Straftaten, die im Sinne des § 34 Abs. 3 Satz 1 und 2 Nr. 1 KCanG als besonders schwere Fälle einzustufen sind. Diese können gemäß § 100a Abs. 2 Nr. 7a Buchstabe a) StPO als schwere Straftaten Anordnungsgrund für eine Telekommunikationsüberwachung nach § 100a Abs. 1 Satz 1 StPO sein. Andere Möglichkeiten zur Sachaufklärung bestehen vorliegend nicht, sodass ohne die Verwertung der Kommunikationsinhalte die Erforschung des Sachverhalts im Sinne von § 100a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StPO aussichtslos wäre. Angesichts der gehandelten Menge an Cannabis – abgesehen von zwei Einzelfällen Mengen zwischen 10 und 38 kg mit einem Wirkstoffgehalt von 10% THC – wiegen die Taten auch im Einzelfall als gewerbsmäßige Cannabisdelikte schwer. Die Angeklagten haben für sie die Verhängung von Einzelstrafen im mittleren bis oberen Bereich des nunmehr abgesenkten Strafrahmens zu erwarten, nicht zuletzt, weil bei sämtlichen Taten die nicht geringe Menge um ein Vielfaches überschritten ist. Da die Daten im Inland auf Basis der genannten Normen rechtmäßig hätten erhoben werden können, steht ihre Verwertung auch im Einklang mit dem Grundgedanken des § 479 Abs. 2 Satz 1 StPO.
g) Anderweitige Verwertungsbeschränkungen sind nicht einschlägig. Für eine bewusste und zielgerichtete Umgehung strengerer inländischer Anordnungsvoraussetzungen (sog. „Befugnis-Shopping“) ist nach gegenwärtigem Kenntnisstand auch bezüglich der Kryptiersysteme SkyECC und An0m nichts ersichtlich. Schließlich sind auch konventionsrechtlich keine Verwertungshindernisse erkennbar. Wie bereits ausgeführt, geht es hier nicht um eine anlasslose Internet-Kommunikationsüberwachung. Auch sonstige Verfahrensgarantien der EMRK werden nicht berührt (vgl. BGH, a.a.O., 1546).
4. Danach war das Hauptverfahren in dem der Beschwerdeverfahren zugrundeliegenden Umfang zu eröffnen. Der Senat hatte dabei auch gemäß § 207 Abs. 4 StPO die erforderlichen Nebenentscheidungen, insbesondere hinsichtlich des gegen den Angeklagten pp. bestehenden Haftbefehls, zu treffen (vgl. Stuckenberg in: Löwe/Rosenberg, StPO, 27. Aufl. (2018), § 210 Rn. 28). Für eine Entscheidung nach § 210 Abs. 3 StPO bestand kein Anlass (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Januar 2017 – 3 StR 335/16 – in NStZ 2017, 420).
III.
1. Eine Kosten- und Auslagenentscheidung war nicht veranlasst. Sie bleibt gemäß § 464 Abs. 1 StPO der endgültigen Entscheidung in der Hauptsache vorbehalten (vgl. KG, Beschluss vom 25. Juli 2023 – 2 Ws 82/23 – juris, Rn. 27).
2. Eine Verlängerung der Stellungnahmefrist wie von der Verteidigung des Angeklagten pp. beantragt, hielt der Senat nicht für veranlasst. Den Verfahrensbeteiligten ist die Einlegung der sofortigen Beschwerde mitsamt der Beschwerdebegründung der Staatsanwaltschaft Stuttgart bereits seit über einem Monat bekannt. Angesichts der Verpflichtung zur besonderen Beschleunigung in Haftsachen und der bereits erfolgten Terminierung der Hauptverhandlung durch die Strafkammer war es nicht geboten, weiter zuzuwarten.
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